Gorleben Rundschau Dec. 01

Die Würde des Polizeihundes ist unantastbar

Ein Resümee des 5. Castortransportes ins Wendland

Von Mathias Edler Agenturen, Zeitungen, Radio und Fernsehen berichten vergangene Woche, daß vier Polizeibeamte zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt wurden, die ihre Diensthunde auf Menschen gehetzt hatten. Zur lückenlosen Beweisführung trug ein Video bei, daß die Beamten von dem Vorfall gedreht hatten. Die Opfer waren schwarze Einwanderer, die Täter weiße Uniformträger und die Tat selbst wurde 1998 in Südafrika begangen, das Gericht tagte in Pretoria. Das hat doch nichts, aber auch rein garnichts mit dem Anti-Atom-Protest in Gorleben zu tun. Oder?

Bei den Castordemonstrationen Mitte November rund um Gorleben wurden 24 Demonstranten durch Polizeihundebisse verletzt, 2 davon schwer. Viele der Opfer wurden mehrfach gebissen. Ein scharfer Hund hatte sich so in den Unterarm eines Atomkraftgegners verbissen, daß sein Kiefer mit einem Polizeiknüppel aufgebrochen werden musste. Medien haben davon kaum Notiz genommen. Obwohl sogenannte Doku-Teams der uniformierten Einsatzkräfte mit der Kamera vor Ort waren, ist nicht damit zu rechnen, daß das Filmmaterial von bundesdeutschen Gerichten zur Verurteilung der Täter angefordert wird ? geschweige denn von der Exekutive freiwillig herausgerückt wird.

Das methodische Vorgehen insbesondere der Polizeieinsatzleitung gegen den Anti-Atom-Protest hat mit dem fünften Castortransport ins Gorlebener "Zwischen"-Lager eine neue Qualität erreicht und zwar in mehrfacher Hinsicht: Neben den spektakulären Einsätzen von Hunden (ohne Maulkorb), sprengten Reiterstaffeln in Sitzblockaden, wurde Pfefferspray direkt ins Gesicht gesprüht, trugen die leider schon üblichen Polizeigriffe und -tritte zu den insgesamt 114 verletzten Demonstranten bei (9 Schwerverletzte). Wie ebenfalls üblich wurden medizinische Rettungskräfte an Polizeisperren aufgehalten, Verbandsmaterialien bei Kontrollen beschlagnahmt und vernichtet. Während der Transporttage nahmen die Einsatzkräfte 777 Menschen in Gewahrsam. Geht man von den offiziell geschätzten ca. 4.000 Demonstranten im Wendland aus, haben ein Fünftel der Menschen 24 Stunden und länger in Gefangenensammelstellen gesessen. In den meisten Fällen wurden sie weit außerhalb der an sich schon fragwürdigen Demonstratiosverbotszone 50 m längs der Transportstrecke festgenommen und denkwürdiger Weise haben Richter lediglich in vier Fällen die Fortsetzung des Gewahrsams bestätigt.

Nur 100 Fälle landeten überhaupt auf den Schreibtischen der Richter. Die anderen saßen "einfach so" ein. Alle Camps wurden verboten, unzählige Platzverweise gegen Demonstranten z.B. für den "gesamten norddeutschen Raum" z.B. wegen Mitführen eines Apfels ("Wurfgeschoss") oder "Campingausrüstung" bestätigen die Totalverhinderungsstrategie der Behörden. 14 Tage zuvor angemeldete Kundgebungen der Bürgerinitiative wurden erst 24 Stunden vor Beginn durch die Bezirksregierung verboten, die schnell angerufenen Verwaltungsgerichte stießen ins gleiche Horn und das Bundesverfassungsgericht sah sich außerstande, so "wichtige Fragen in fünf Stunden zu beurteilen".

Auch hier kein Rechtsschutz, keine richterliche Kontrolle, Gewaltenteilung in der Sonderrechtszone Wendland aufgehoben. Als ein Landwirt seine Wiese zum Parkplatz für Räumpanzer umfunktioniert und durch Absperrgitter eingezäunt sah, erreichte er beim Amtsgericht Dannenberg eine sofortige Räumungsverfügung gegen die Polizeieinheiten. Die Gesamteinsatzleitung bestand trotz des Rechtstitel auf der Beschlagnahme, der Gerichtsvollzieher hätte die Polizei rufen müssen, um die Polizei räumen zu lassen; ein aussichtsloses Unterfangen. Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Diebstahl, Körperverletzung, zahlreiche Verstöße gegen das Versammlungsrecht und: keiner kann die Einsatzleitung im Verbund mit der Bezirksregierung aufhalten, auch kein Gericht. Keine Zeitung, kein Radio, kein Fernsehsender berichtet. Stattdessen lanciert die Polizeipressestelle Überschriften wie "Zügige richterliche Vorführung gewährleistet", obwohl in der Praxis genau das Gegenteil der Fall ist.

Gesamteinsatzleiter Reime kürt sich mit gespielter Souveränität selbst zum "Herrn der Straße" und offenbart damit indirekt sein wahres Gesicht. Komisch nur, daß auch 18.000 Polizisten und BGS´ler es nicht vermocht haben, zahlreiche Blockaden von aufrechten Menschen zwischen Hamburg und Gorleben zu unterbinden. Komisch nur, daß trotz allem 300 Landwirte mit ihren Treckern auf der Straße waren; plattgemachte Reifen wurden halt schnell wieder aufgepumpt. Es gibt also noch Menschen, die sich bewußt sind, daß es mittlerweile um mehr als um Atomkraft geht. "Wehret den Anfängen!" ist nach diesem Transport keine Worthülse mehr, wenn es um den Zerfall demokratischer Bürgerrechte geht. Es trifft immer zuerst die, die sich am einfachsten öffentlich kriminalisieren lassen, z.B. Demonstranten. Die Verschiebungen in der Rechtsauffassung hin zumtotalitären Staat werden alle Bürger betreffen.

Die vielgeschmähten "afrikanischen Verhältnisse" in der jungen südafrikanischen Demokratie erhalten langsam aber sicher Vorbildcharakter für die 52 Jahre alte bundesdeutsche Gesellschaft.

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