Gorleben Rundsschau

November 2001

Sicherheitsaspekte für Atomtransporte und Gorleben Anlagen unter Berücksichtigung jüngster Ereignisse.

Von Udo Jentzsch, Fachgruppe Radioaktivität

Die Terroranschläge vom 11. September in den USA haben die Welt verändert. Sie haben u. a. den Menschen in den Industriestaaten in ungeahnter Weise demonstriert, dass Passagierflugzeuge, eine zivile Technik, in den Händen selbstmörderischer Terroristen zu Waffen werden können, mit denen Lebensnerven der modernen Gesellschaft angreifbar sind. Alle Schutzeinrichtungen militärischer und ziviler Art der mächtigsten Macht der Welt haben den Anschlag auf das World Trade Center und das Pentagon nicht verhindern können. Die weltweiten Folgen dieser Art der Kriegsführung sind heute noch nicht absehbar.

Als Konsequenz sind u. a. auch Gefährdungspotentiale in Gestalt von Industrieanlagen für unsere Gesellschaft neu zu bewerten. Das gilt insbesondere für Atomreaktoren und andere atomare Einrichtungen. Ein durch Terrorakte herbeigeführter GAU kann laut Gutachten des PROGNOS-Instituts (1992), das vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben wurde, einen volkswirtschaftlichen Schaden von mehr als 10 Billionen Mark herbeiführen und über 4 Millionen fordern. 5 Millionen Menschen müssten evakuiert werden (wohin?). Jeder Katastrophenschutz, selbst bei Einsatz der Bundeswehr, wäre gegenüber einer derartigen Katastrophe machtlos.

Wenige Tage nach dem Terroranschlag hat die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) öffentlich erklärt, dass weltweit keiner der mehr als 400 Reaktoren einen derartigen Anschlag folgenlos überstehen könne. Der Vorsitzende der Reaktorsicherheitskommision (RSK) hat dieses unter Bezug auf deutsche Reaktoren bestätigt.

Im Gegensatz zu Reaktoren sind die Bauwerke der zentralen Zwischenlager Ahaus und Gorleben statisch gegen "Flugzeugabsturz" nicht ausgelegt. Im Zwischenlager lagert jetzt bereits eine größere Menge Radioaktivität, als beim Gau von Tschernobyl insgesamt freigesetzt wurde. Im Falle eines Kerosinbrandes werden Temperaturen von mehr als 800°C über einen größeren Zeitraum erzeugt, der den internationalen Sicherheitsstandard von CASTOR-Behältern von 30 Minuten übersteigt. Keiner der in Gorleben eingelagerten CASTOR-Behälter wurde jemals entsprechend der internationalen Sicherheitsstandards im Versuch geprüft. Ein Kerosinbrand zerstört die in jedem Castor vorhandene Neutronenabschirmung. Deren Zersetzung erzeugt brennbare Gase. Insbesondere beim Behälter TS 28V (lagert bereits 1x in Gorleben) besteht konstruktionsbedingt die Gefahr,der Selbstzerstörung. In den HAW 20/28-Behältern (zur Lagerung von Glaskokillen, 8x in Gorleben) bis zur Seriennummer 16 sind die Hohlräume für die Moderatorstäbe falsch dimensioniert. Dadurch kommt es zu Spannungen in den Wänden der Behälter. Beim Einsturz des Hallendachs lassen sich die Folgen für die Integrität der Behälter nicht abschätzen. Selbst eine Kettenreaktion durch die in den Behältern vom Typ V/19 (3x in Gorleben) eingeschlossenen abgebrannten Brennelementen lässt sich als Folge eines gezielten Terroranschlages nicht ausschliessen. Eine Katastrophe im Zwischenlager Gorleben bedeutet eine Vernichtung von Lebensraum für Generationen weit über die Region hinaus.

Aus den genannten Gründen ergeben sich folgende Forderungen an die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft:

1. Alle Atomkraftwerke sind unverzüglich stillzulegen. Die in der Beratung befindliche Änderung des Atomgesetzes, die den Inhalt des Konsens zwischen Atomindustie und Bundesregierung beinhalten sollte, ist nunmehr völlig ad absurdum geführt worden.

2. Die neue Dimension der Bedrohung durch Terrorismus erfordert eine Überprüfung aller Sicherheitskonzeptionen im Bereich der Atomindustrie. Das vermeintlich hinnehmbare Risiko gehört endgültig der Vergangenheit an.

3. Für Transporte von hochradioaktiven Stoffen ist ein sofort wirksames Moratorium zu verhängen. Die Zwischenlager derartig gefährlicher Stoffe bedarf einer grundsätzlich geänderten Konzeption.

4. Die Zwischenlager Ahaus, Greifswald und Gorleben sind aufgrund des vorhandenen Gefahrenpotentials so bald als möglich zu räumen. Weder Behälter noch Halle entsprechen gebotenen Sicherheitsanforderungen.

5. Die Planung, in Bitumen eingelagerte radioaktive Schlämme aus der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague in das Abfallager Gorleben zu bringen, müssen aufgegeben werden.

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