Frankfurter Rundschau vom 21.12.2001

Bei Atomausstieg droht Ungemach

EU-Kommission: Handelsverbot für Atommüll "unzulässig"

Von Michael Bergius

Der rot-grünen Bundesregierung droht nach der Ökosteuer jetzt auch bei einem weiteren Prestige-Vorhaben Ungemach aus Brüssel: Die Europäische Kommission hält den im Rahmen des Atomausstiegs beschlossenen Stopp der Wiederaufarbeitung ausgebrannter Brennstäbe im Ausland für unzulässig. BRÜSSEL, 20. Dezember. Die Atomnovelle, die Anfang 2002 in Kraft treten soll, hatte am vergangenen Freitag im Bundestag die letzte parlamentarische Hürde genommen. Zwei Tage zuvor hatte jedoch die EU-Kommission, der das Gesetz zur routinemäßigen Begutachtung zugesandt worden war, Bedenken geäußert.
In seiner jetzigen Form sei das Gesetz mit dem Euratom-Vertrag "unvereinbar", heißt es in einem der FR vorliegenden Brief des für Energiepolitik zuständigen EU-Generaldirektors Francois Lamoureux. Der Bundesregierung wird in dem Schreiben eine Frist bis Mitte Januar gesetzt, zu den Vorbehalten Stellung zu beziehen.

Die Zweifel der Kommission betreffen nicht den von der Berliner Regierungskoalition für das Jahr 2020 angepeilten Ausstieg aus der Kernenergie. Dabei hätten die Regierungen freie Hand, betonte Lamoureux. Anders sei das aber bei dem von Rot-Grün beschlossenen Verbot der Wiederaufarbeitung vom Jahr 2005 an.

Nach Artikel 93 des Euratom-Vertrages ist es den Mitgliedstaaten untersagt, die "Ein- und Ausfuhr" zahlreicher Nuklearprodukte "mengenmäßigen Beschränkungen" zu unterwerfen. "Bestrahlte Brennelemente", die zur Zeit noch von deutschen Kraftwerken zur Wiederaufarbeitung nach La Hague in Frankreich und Sellafield in England geliefert werden, seien von diesem Passus eindeutig erfasst, macht Lamoureux klar. Konkret bedeute dies, dass das geplante "Ausfuhrverbot" vom Jahr 2005 an mit europarechtlichen Bestimmungen "unvereinbar" sei und Berlin folglich mit einem EU-Vertragsverletzungsverfahren rechnen müsse.

Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums wies die Vorwürfe am Donnerstag zurück. Die Atomnovelle sei "monatelang umfassend geprüft und als EU-kompatibel" bewertet worden. Überdies sei die Abkehr von der Wiederaufbereitung bereits vor zwei Jahren mit den französischen und britischen Behörden "politisch verabredet" worden, sagte der Sprecher. Der von Brüssel beanstandete Beschluss sei Bestandteil "privatrechtlicher Verträge", denen die Industriebranchen seinerzeit ausdrücklich "zugestimmt" hätten.

Auch der umweltpolitische Experte der Grünen-Bundestagsfraktion, Reinhard Loske, bezeichnete den Vorstoß aus Brüssel als "überzogen". Die Atomnovelle sei Ausdruck für den "Willen des Gesetzgebers, die Wiederaufarbeitung zu beenden". Sie werde "flankiert von einer Selbstverpflichtung der Kernkraftbetreiber, von 2005 an keine Transporte mehr nach La Hague und Sellafield vorzunehmen".

Ein Mitarbeiter von Lamoureux wollte diese Sicht der Dinge auf Anfrage der FR nicht gelten lassen. "Unsere Vorbehalte liegen darin, dass in Deutschland zwar noch etwa 20 Jahre lang Kernkraft produziert werden darf, der grenzüberschreitende Handel mit Nuklearprodukten jedoch per Gesetz frühzeitig unterbunden werden soll." Die Kommission beanstande keineswegs, dass es in Sachen Wiederaufbereitung "private Verträge" über die Einrichtung von Zwischenlagern gebe; sobald diese jedoch "in Gesetzesform gegossen" würden und damit de facto ein Handelsverbot für Atommüll beschlossen werde, stelle sich "ein grundsätzliches Problem".

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Bearbeitet am: 22.12.2001/ad

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