Hintergrundinformation des BUND


Gefahren für deutsche Atomkraftwerke durch mögliche terroristische Anschläge

Infolge der Ereignisse des 11. September 2001 wird der terroristisch gelenkte Aufprall eines Linienflugzeugs auf ein Atomkraftwerk in der Öffentlichkeit diskutiert. Bisher war in der öffentlich zugänglichen Sicherheitsbegutachtung von Atomanlagen unter der Kategorie "äußere Einwirkungen" nachzuweisen, dass die Reaktorhülle einem Flugzeugabsturz, definiert als Aufprall einer vergleichsweise leichten Militärmaschine (in Frankreich eines noch leichteren Privatflugzeugs), standhält. Andere "äußere Einwirkungen" wie Krieg, Terrorismus oder Sabotage wurden dagegen öffentlich nicht erörtert.

Der modellhafte Flugzeugabsturz, gegen den die Reaktorhülle auszulegen war, wurde nicht als terroristischer oder kriegerischer Akt konzipiert. In der Fachwelt, auch in der Reaktorsicherheitskommission, wurde das Thema terroristische Anschläge zwar behandelt, aber niemand dachte dabei an die Benutzung eines entführten Linienflugzeugs als Bombe. Inzwischen ist allgemein bekannt, dass der Aufprall eines großen Linienflugzeugs die Stahlbetonhülle von Kernkraftwerken zerstören und so schwere Verwüstungen anrichten würde, dass der Reaktorkern schmelzen könnte (Supergau). Das würde - wie beim Unfall von Tschernobyl - ungeheure Mengen an Radioaktivität freisetzen. Die Folgen wären in Deutschland wegen der vielfach höheren Bevölkerungsdichten allerdings weitaus katastrophaler:

In dem Umkreis von 30 Kilometer Radius, in dem die Bevölkerung während der ersten Tage nach dem Tschernobyl-Unfall evakuiert wurde, wohnten rund 100.000 Menschen. Im Umkreis von 30 Kilometer Radius um deutsche Kernkraftwerke wohnen dagegen eine halbe bis zwei Millionen Menschen. Eine geordnete Evakuierung wäre hier unmöglich.

Nicht öffentlich wurden stets zwei Kategorien von Grundszenarien terroristischer Bedrohung von Atomkraftwerken betrachtet: die Infiltration einzelner Terroristen als Betriebspersonal und Zerstörungen des Reaktors oder seines Kühlsystems von außen durch tragbare panzerbrechende Waffen, Sprengstoff oder LKW-Tanklaster. Solche terroristischen Bedrohungen, wie auch die durch kriegerische Bombardierung, wurden nie öffentlich erörtert mit der Begründung, potentiellen Terroristen keine Fingerzeige zu geben. So musste man nicht öffentlich machen, was das Ergebnis der einschlägigen Diskussionen und Untersuchungen war und ist: man kann zwar gewisse nachrichtendienstliche und technische Maßregeln treffen, aber es gibt keinen sicheren Schutz. Entschlossene professionelle Terroristen könnten von innen oder außen den katastrophalen Supergau auslösen. Ein terroristischer Angriff auf die Anlagen zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoff im französischen La Hague oder dem britischen Sellafield könnten sogar noch katastrophalere Folgen zeitigen als Angriffe auf Atomkraftwerke.

Als einzige durchgreifend wirksame Sicherheitsmaßnahme wurde in den 70er Jahren erwogen, Atomkraftwerke unterirdisch zu errichten. Diese Überlegungen wurden ad acta gelegt, weil die Kraftwerkshersteller erklärten, dass die damit verbundenen Kosten zur Unwirtschaftlichkeit des Atomstroms führen würden.

Wie ernst Sicherheitsorgane und Nachrichtendienste die terroristische Bedrohung nahmen, belegt der Lauschangriff von 1976 gegen den damaligen Interatom-Direktor Traube. Der Verdacht, Traube könnte Terroristen in ein Atomkraftwerk einschleusen, veranlasste den damaligen Bundesinnenminister Mayhofer, einem verfassungswidrigen Einbruch in die Wohnung Traubes zum Pflanzen einer "Wanze" zuzustimmen. Mayhofer rechtfertigte seine Zustimmung später mit "übergesetzlichem Notstand".

Die einzige sichere Maßnahme zur Verhinderung terroristischer Bedrohungen von Atomkraftwerken ist deren Abschaltung. Abgeschaltete Atomkraftwerke sind nach Entfernen der Brennelemente kein lohnendes Ziel für Terroristen. Hohe Überkapazitäten ermöglichen ein kurzfristiges Abschalten sämtlicher deutscher Atomkraftwerke, ohne die Stromversorgung ernsthaft zu gefährden. Die damit verbundenen Kosten würden im Rahmen von einem Pfennig je Kilowattstunde bleiben. Die ersatzweise erforderliche, höhere Auslastung und Wiederinbetriebnahme konventioneller Kraftwerke würde allerdings zunächst den Ausstoß von Klimagasen im Stromsektor erhöhen. Diese Folge könnte innerhalb einiger Jahre beseitigt werden: durch entschlossene Maßnahmen zur Aktivierung des vorhandenen Stromsparpotentials und durch Zubau von Kraftwerkskapazität auf der Basis der erneuerbaren Energien, der umwelt- und ressourcenschonenden, dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung sowie weniger zentraler, hocheffizienter Gas- und Dampf-Anlagen.

BUND-Hintergrundinformation 9. Oktober 2001



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