Anti Atom Aktuell

August 1999

Aus: Bericht zur ökonomischen und technischen Situation der geplanten Fertigstellung

AKW Temelin in Tschechien:

Das geplante AKW Temelin in der Tschechischen Republik steht bereits seit Jahren im Blickpunkt der internationalen Öffentlichkeit. Die Entscheidung über die Fertigstellung oder den Abbruch der Arbeiten an der Anlage ist von großer Bedeutung und wird die weitere Entwicklung der Energieversorgung in den Reformstaaten Mittel- und Osteuropas in den nächsten Jahrzehnten beeinflussen.

Temelin wird allgemein als ein Refenzprojekt zur Fertigstellung von Reaktoren der sowjetischen Baureihe WWER 1000 angesehen. Die wichtigsten Fragen sind die nach dem tatsächlich erreichten Sicherheitsniveau und nach der Wirtschaftlichkeit des Projektes. Die Tschechische Republik wurde nicht umsonst als Standort für ein solches Referenzprojekt ausgewählt. Die relativ stabile politische Lage reduziert potentielle Risiken, wie sie z.B. in den ehemaligen GUS-Staaten vorhanden sein könnten. Die Demokratisierung der Gesellschaft hat jedoch auch in der Tschechischen Republik noch kein zufriedenstellendes Niveau erreicht. Viele Kontrollmechanismen sind nur in Ansätzen vorhanden. Diese Situation ermöglicht eine Behandlung des Temelin-Projektes, wie sie in einem Land mit stabiler Demokratie nicht möglich sein würde. Die beabsichtigte Fertigstellung einer WWER 1000-Anlage mit ungefähr gleichem Baufortschritt im deutschen Stendal wurde z.B. aus wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Gründen abgebrochen.

Entwicklung des Atomprogramms

Nach der Ausbeutung der nordböhmischen Uranlagerstätten in den 50er Jahren zur Verfügungstellung für das sowjetische Atomprogramm, begann in den 60er Jahren ein weiteres Problem deutlich zu werden: die Erschöpfung der Kohlelagerstätten. Die Qualität der Kohle verschlechterte sich rapide, was vor allem zu erhöhten Emissionen führte. Kernenergie sollte in weiterer Folge nicht nur den Zuwachs an Strombedarf decken, sondern auch die sukzessiv stillgelegten Kohlekraftwerke ersetzen.

Die tschechoslowakische Atomindustrie entwickelte bereits seit 1958 eine eigene 110 MW-Reaktorlinie mit gasgekühlten Reaktoren mit nicht angereichertem, natürlichem Uran, welche aber nach zwei Unfällen 1976 und 1977 in Jaslovske Bohunice gescheitert war. Danach setzte die Atomindustrie auf die damals im Ostblock bewährte sowjetische Reaktorlinie WWER.

Das zweite AKW, Jaslovskè Bohunice V-1 ging 1978 mit WWER-Druckwasserreaktoren sowjetischen Musters in Betrieb. Nach dem Ende des Kommunistischen Regimes 1989 wurde auch das Atomprogramm grundsätzlich hinterfragt. Von der ersten Regierung Pithart wurden einige seriöse Versuche unternommen, eine objektive Entscheidung über die Zukunft von Temelin herbeizuführen. Die folgende Regierung Klaus stand von Anfang an für die Fertigstellung um jeden Preis, obwohl auch von Nachbarländern massive Bedenken bezüglich der zu erreichenden Sicherheitsstandards geäußert wurden. Der Grund dürfte im überproportionalen Einfluß der Atomlobby auf die politische Entwicklung liegen.

Das dominante Unternehmen im Bereich der Stromversorgung ist CEZ (Ceské energetické závody, Tschechische Energiebetriebe AG), der mit Abstand größte Produzent elektrischer Energie in der Tschechischen Republik. Das Unternehmen verfügte 1996 über 73,6% der gesamten installierten Leistung, nach der Inbetriebnahme von Temelin würde sich diese beherrschende Marktposition noch weiter verstärken.

Zur Zeit befinden sich außerdem vier Blöcke mit WWER 440/213 im AKW Dukovany in Betrieb.

Geschichte des Temelinprojektes

Die Vorbereitungsarbeiten an der Hauptbaustelle in Temelin wurden im Jahre 1983 begonnen.

Erste Betonarbeiten für das Fundament des 1.Blockes starteten 1987. Nach der politischen Wende wurde 1990 entschieden, die mittlerweile abgelaufene Baubewilligung für die Blöcke 3 und 4 nicht mehr zu erteilen.

Einige Untersuchungen der IAEA sollten grundlegende Fragen um das Temelin-Prokjekt klären. Es folgten eine Reihe von Empfehlungen für Sicherheitsverbesserungsmaßnahmen, um "ein akzeptables Sicherheitsniveau zu erreichen".

Die Projektbetreiber (CEZ) beschlossen, ein Audit des Temelin-Projektes durchzuführen. Neben Sicherheitsfragen sollten auch die Kosten und die Zeittabelle einem Audit unterzogen werden. Die Ausschreibung für die Durchführung des Audits gewann das Unternehmen Halliburton NUS.

Aus den Sicherheitsanforderungen der USA, einiger westlicher Länder und der IAEA wurden Referenzanforderungen an das Projekt gestellt.

Die Finanzierung

Die Finanzierung des Temelin-Projektes bereitet bis heute große Probleme. Westinghouse bot an, für die eigenen Lieferungen eine Exportfinanzierung bereitzustellen. Die Finanzierung sollte über die U.S. Export-Import-Bank abgewickelt werden. Trotz weltweiter Proteste, die sich gegen diese Finanzierung erhoben, wurden die Verträge im Dezember 1996 unterzeichnet.

Sicherheitstechnische Mängel

Schon gegen Ende der 80er Jahre wurde bekannt, daß das sowjetische Proket des WWER-1000 schwerwiegende Sicherheitsmängel aufweist. Die Erfahrungen mit den in Betrieb befindlichen Blöcken in der UdSSR und in Bulgarien bestätigen, daß der Reaktor schwer zu regeln und deshalb äußerst instabil ist.

Die größte Änderung im Projekt stellen die neuen Brennelemente und Regelsysteme der US-Firma Westinghouse dar. Die staatliche Nuklearsicherheitsaufsicht (SÚJB) hat im Jahre 1994 Zweifel über den ausreichenden Nachweis der Zuverlässigkeit der Schutzsysteme geäußert.

Ein weiteres schwerwiegendes Problem stellt der hohe Neutronenfluß auf die Wand des Reaktordruckbehälters dar. Westinghouse ist aber nur vertraglich verpflichtet worden, die Situation mit dem neuen Brennstoff nicht zu verschlechtern. Der Bauherr des AKW verweist auf ein Kontrollsystem, mit dem er den Zustand des Reaktorbehälters überwachen will.

Der Überblick über Störfälle in Westinghouse Reaktoren läßt ernsthaft daran zweifeln, daß die Schwierigkeiten in WWER-1000 Reaktoren durch den Einbau ebenfalls fehleranfälliger Systeme von Westinghouse beseitigt werden können. Ein Viertel der Pannen auslösenden Ereignisse sind nämlich Fehler in jenen Systemen, mit denen Westinghouse das AKW Temelin verbessern soll, also Fehler im Steuer- und Kontrollsystem bzw. Schäden an Brennelementen und Kontrollstäben.

Beteiligung von Westinghouse

Zu den oben genannten Konstruktionsänderungen fanden Ausschreibungen statt. Um die Rekonstruktion der aktiven Zone bemühten sich die Firmen ABB-Atom, Framatome, Siemens,Techsnabexport und Westinghouse. Für die Änderung des I&C-Systems wurden die Firmen ABB, CEGELEC, Siemens und Westinghouse ausgewählt, die Angebote von ABB und Westinghouse wurden in die engere Wahl genommen. Den Zuschlag erhielt in beiden Fällen die Firma Westinghouse Electric Corporation und wurde mit folgenden Sicherheitsverbesserungsmaßnahmen beauftragt: Lieferung der Reaktorsteuerungs-, Schutz- und Sicherheitssysteme, der Steuerung der Hilfskreise und des Informationssystems des Kraftwerkes.

Den zweiten Teil der Lieferungen bildet das Projekt zur Änderung der aktiven Zone. Die Veränderung der aktiven Zonen erfordert auch die Entwicklung neuer Brennelemente. Der neue Brennstoff soll so konstruiert werden, daß "keine Veränderugen an den angeschlossenen Teilen des Primärkreislaufes nötig sind". Diese Möglichkeit wird von russischen Experten stark angezweifelt.

Inbetriebnahme

Nach dem jetzigen Stand der Diskussion ist mit der Inbetriebnahme des 1. Blocks in diesem Jahrtausend definitiv nicht mehr zu rechnen. Als letzter offizieller Termin galt April 1999. Gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan der Regierung Klaus von 1993 ist es beim Block 1 bisher zu einer Bauzeitüberschreitung von mindestens 4 Jahren gekommen.

Alternativen zu Temelin

Als einzig vertretbare erzeugerseitige Option erscheint die Errichtung moderner Gasdampfkraftwerke mit möglichst hoher Abwärmenutzung. Diese Technologie ist zur Zeit führend und konkurrenzlos günstig. Die Kosten für die Realisierung neuer GuD-Kapazitäten in der Größenordnung von Temelin würden ca. 30 Milliarden Kronen betragen. Die Inbetriebnahme könnte in zwei Jahren erfolgen.

Aktuelles Geschehen

Die am 14. Mai von der Tschechischen Regierung gefällte Entscheidung für den Weiterbau des AKW Temelin ändert nichts am Bestand großer technischer und finanzieller Probleme:

Nach den ersten Plänen mit vier Blöcken und insgesamt 28 MRD. Kronen sollte Temelin 1992 in Betrieb gehen. Nach technischen und finanziellen Problemen wurde auf 2 Blöcke reduziert. Bereits 1993 hatte die tschechische Regierung einen Weiterbaubeschluß gefaßt, mit der Begründung der bereits erfolgten Investitionen und einer nur noch verbliebenen Fertigstellungszeit von zwei Jahren.

Sechs Jahre später sind es die gleichen Argumente, mit denen das Industrieministerium und die Betreibergesellschaft CEZ den Fertigstellungsbeschluß mit knapper Mehrheit (11:8) in der Regierung durchdrückt: nur noch einmal 30 Mrd. Kronen und zwei Jahre bis zur Inbetriebnahme.

Der Regierungsbeschluß hat allerdings eine Klausel, die nicht einzuhalten sein wird: Nicht eine Krone mehr als derzeit veranschlagt (98,6 Mrd. Kronen) und nicht einen Tag länger bis zur geplanten Inbetriebnahme (Mai 2001). Bereits einen Tag nach der Abstimmung hat die CEZ die Inbetriebnahme auf Juni 2001 verschoben.

Ein weiteres "Hindernis" auf dem Weg zum Netz dürften die unzähligen Umweltverträglichkeitsprüfungen darstellen, denen sich das Projekt unterziehen muß. Die damit verbundenen Verzögerungen werden vorsichtig auf mehrere Jahre geschätzt.

Ein Beitritt Tschechiens zur EU ist auch von der Stimme Österreichs abhängig. Kurz nach der Fertigstellungsentscheidung in Prag haben Österreichs PolitikerInnen aller Fraktionen deutlich und klar ihr Veto beim EU Beitritt Tschechiens angekündigt.

Aus: Siemens Nuklear, Alternativer Bericht über die Atom-Geschäfte der Siemens AG und Informationen von WISE, World Information Service on Energy


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