Anti Atom Aktuell

August 1999

 

Geld, know-how und politischer Wille aus der Bundesrepublik sorgen für die Verlängerung des Atomprogramms

Deutsche Beteiligung an osteuropäischen Atomprojekten

 

Ein Überblick über die Mechanismen, nach denen Deutschlands Beteiligung an osteuropäischen Atomprojekten funktioniert und der Versuch, Einflußmöglichkeiten der Anti-Atom-Bewegung aufzuzeigen

Aufbau der Deutschen Atomwirtschaft

Die deutsche Atomwirtschaft besteht im wesentlichen aus drei Säulen:

die Betreiber der Atomanlagen, also die Energieversorgungsunternehmen,
die Banken und
Kraftwerksbauer.


Der Siemens-Konzern als einziger Kraftwerksbauer in Deutschland

Siemens ist mit seinem Geschäftsbereich der Energieerzeugung von Anfang an im Atomgeschäft aktiv gewesen. Der Umsatz macht im Bereich der Energieerzeugung etwa 10 Prozent aus, wovon ein Drittel auf das Atomgeschäft entfällt. Begonnen hat Siemens als Kraftwerksbauer, alle Atomkraftwerke, die in Deutschland in Betrieb sind, wurden von Siemens gebaut.

Seitdem es in Deutschland seit Mitte der 80´er Jahre keine Aufträge mehr für ein neues Atomkraftwerk gab, hat sich Siemens nach und nach umstrukturiert und bietet heute alles an, was im Bereich Kraftwerk-Service verlangt wird, macht regelmäßige Wartungs- und Service-Arbeiten an deutschen und europäischen AKW´s. Siemens ist in Deutschland für die Herstellung von Brennelementen für Atomreaktoren verantwortlich und hat mittlerweile damit begonnen, dieses Geschäft mit den Brennelementen international auszuweiten.

Siemens und der osteuropäische Markt

Siemens hat nach der Wende sehr schnell erkannt, daß in Osteuropa ein gewaltiges Marktpotential im Bereich des Energiesektors besteht. Das betrifft den nuklearen wie auch den konventionellen Markt, aber die Nuklearabteilung bei KWU war natürlich besonders am Engagement im Atomenergiebereich in Osteuropa interessiert, und rechtfertigt dies vor allem mit den Sicherheitsverbesserungen, die so dringend in Osteuropa durchgeführt werden müssen.

Siemens sieht für den Osteuropa-Markt drei Aufgabenbereiche:

die Sicherheitsverbesserung laufender Anlagen,
den Fertigbau begonnener Anlagen
und den Bau neuer Atomanlagen.

Die wesentlichen Standorte, die für Siemens interessant sind:

Mochovce, das Referenzprojekt für den Fertigbau der modernen WWER-Klasse,
Khmelnitzky und Rowno in der Ukraine, die beiden WWER 1000-Projekte,
Rostow und Kalinin, zwei WWER 1000-Reaktoren in Rußland, wo Siemens intensiv auf Aufträge hofft,
und die beiden anderen Standorte Ignalina und Smolensk.
Insgesamt erhofft sich Siemens einen Marktanteil von drei bis vier Milliarden DM in Osteuropa in den nächsten zehn Jahren. Neben Siemens haben auch die Energieversorger ein gewisses Interesse an dem osteuropäischen Kraftwerksmarkt. Als erstes wurden unter dem Stichwort Sicherheitsverbesserungen Sicherheitspartnerschaften zwischen westdeutschen Energieversorgern und ostdeutschen AKW-Betreibern geschlossen.

Mit RWE, VEW, Bayernwerk und Energieversorgung Schwaben sind die wichtigsten deutschen Energieversorger in Osteuropa mehr oder weniger flächendeckend präsent.

Die Finanzierung der Atomgeschäfte

Ein großes Problem bei der Abwicklung dieser Atomgeschäfte mit Osteuropa ist die Finanzierung, weil die wirtschaftliche Situation in den osteuropäischen Ländern aus Sicht der deutschen Wirtschaft nach wie vor unbefriedigend ist. Es gibt eine hohe Inflationsrate, geringe Devisenreserven. Das Problem für die Kraftwerksbetreiber sind die niedrigen Strompreise in Osteuropa, die die Kosten nicht decken. Insofern sind Finanzierungsmodelle gefragt, um die Geschäftsinteressen trotzdem umsetzen zu können. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, wie westdeutsche bzw. westeuropäische Firmen ihre Geschäftsinteressen in Osteuropa mehr oder weniger risikofrei umsetzen können.

Finanzierungsinstrumente:

Hermes-Bürgschaften:

Das erste und wichtigste Finanzierungsinstrument sind Exportkredite mit staatlicher Unterstützung, die Hermes-Bürgschaften. Diese Bürgschaften existieren weltweit und kommen nicht nur bei Nukleargeschäften sondern auch im konventionellen Bereich zur Anwendung. Sie spielen aber insbesondere bei Atomgeschäften in Osteuropa eine große Rolle, da dort ein hohes Investitionsrisiko herrscht. Der Staat bietet mit der Hermes-Bürgschaft eine Versicherung für Kredite, mit denen sich der deutsche Lieferant gegen das Risiko in diesen Ländern versichern kann. Die Höhe der Gebühr richtet sich nach sogenannten Risikostufen, in die die unterschiedlichen Länder eingeteilt werden.

Die höchste Gebühr beispielsweise beträgt 15 Prozent des Exportwertes und die Ukraine befindet sich derzeit in der Höchststufe der Risikostufen.

Beispiel:

Siemens trifft mit einem AKW-Betreiber eine Liefervereinbarung über Leittechnik. Vor Abschluß des Vertrages muß Siemens bei der staatlichen Hermes AG in Deutschland einen Antrag auf eine Exportgarantie stellen. Der Antrag wird von der Hermes AG an die Bundesregierung weitergeleitet, entspricht er bestimmten Kriterien, gibt die Bundesregierung eine Deckungszusage, die aber nur gegeben wird, wenn das Empfängerland eine staatliche Garantie für diese Lieferung abgibt. Nach Vertragsabschluß wird die Hermes-Garantie erteilt und Siemens zahlt Versicherungsgebühren. Danach kann die Lieferung erfolgen.

Das AKW zahlt die Schulden bei Siemens in Form der Verkaufserlöse seines Stromes in Raten in der Landeswährung an die Zentralbank des jeweiligen Landes. Diese überweist den Gegenwert der Raten in Devisen an die Siemens AG. Es gibt nur zwei Schwachstellen, an denen der Zahlungsfluß unterbrochen werden könnte. Entweder hat die Zentralbank nicht genügend Devisen und kann so die Raten, die der AKW-Betreiber einzahlt, nicht weiterleiten. Oder der AKW-Betreiber kann seinen Atomstrom nicht kostendeckend verkaufen und erwirtschaftet keinen Gewinn, und kann seine Raten nicht an die Zentralbank abliefern.

An dieser Stelle springt die Hermes-Bürgschaft ein und bezahlt Siemens die Raten in DM. Dann hat das Land Schulden bei der Bundesregierung, das trägt nur zur Erhöhung der Auslandsschulden der ohnehin verschuldeten osteuropäischen Länder bei und hat keine unmittelbaren Folgen. Bemerkenswert ist der Entscheidungsspielraum der Bundesregierung, sie entscheidet, welche Projekte sie mit Hermes-Bürgschaften versieht und welche nicht. Von der neuen rot-grünen Bundesregierung, die sich den Atomausstieg auf die Fahne geschrieben hat (?), wäre demzufolge eine schnelle Einstellung der Vergabe von Hermes-Bürgschaften für Atomexporten nach Osteuropa zu erwarten.

Der zweite Mechanismus für die Abwicklung von Osteuropageschäften sind internationale Finanzierungsinstitute: Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung oder die Europäische Investitionsbank. Diese Banken wurden von mehreren Ländern mit dem Ziel gegründet, in Osteuropa marktwirtschaftliche Strukturen zu etablieren. Diese Banken bieten in der Regel kostengünstige Kredite mit langen Laufzeiten und Teilfinanzierungen von Großprojekten an.

Es hat sich in der letzten Zeit abgezeichnet, daß die Entscheidungen dieser Banken richtungsweisend sein können für die gesamte Abwicklung solcher Geschäfte. Das wird deutlich an der Diskussion um das Kraftwerksprojekt in Khmelnitzky und Rowno, wo die deutsche Regierung über ihre Mitgliedschaft in der Bank auch einen Einfluß auf die Entscheidung der Bank ausüben kann.

Eine dritte Variante für die Finanzierung dieser Geschäfte sind die Betreibermodelle:

BOT- oder BOO-Modelle, also Built Operate Transfer oder Built Operate Own.

Der westliche Kraftwerksbauer und westliche Unternehmer, die an diesem Geschäft beteiligt sind und die osteuropäischen Abnehmer gründen eine eigene Betreibergesellschaft zum Betrieb dieser Anlage, die eine privatwirtschaftliche Gesellschaft ist und keinen staatlichen Hintergrund hat. Die Bau-, Betriebs- und Finanzierungskosten des Kraftwerkes werden ausschließlich aus den Einnahmen während der Betriebsphase der jeweiligen Anlage bestritten. Wenn über ein Betreibermodell ein Kraftwerk in Osteuropa finanziert wird, ist diese privatwirtschaftliche Betreibergesellschaft verpflichtet oder hat Interesse, dieses Kraftwerk so lange wie möglich zu betreiben und das investierte Kapital wiederzugewinnen. Äußerst problematisch hierbei ist, daß staatliche Stellen auf die Laufzeiten des AKWs nur eine sehr geringe Einflußnahme haben.

Voraussetzung für die Durchführung der Betreibermodelle ist, daß es sichere Rahmenbedingungen in diesen Ländern gibt, um der Gefahr vorzubeugen, daß aufgrund sich verändernder politischer Rahmenbedingungen der Betrieb der Anlage gefährdet wird. Die Kosten für die Tilgung des Kredites und die Betriebskosten werden durch den Import des produzierten Stromes nach Westeuropa erwirtschaftet.

Es ist zu befürchten, daß Siemens und die westlichen Energieversorger auf diese Weise die Atomkraftwerke in Osteuropa finanzieren, die den größten Teil des Stromes nach Westeuropa zurückliefern, insbesondere nach Deutschland. Das ist natürlich für Siemens und die westdeutschen Energieversorger der ideale Weg, mit der atompolitischen Situation in Deutschland umzugehen, daß nämlich hier keine Anlagen mehr genehmigungs- und baufähig sind. Aufgrund der privatwirtschaftlichen Organisation ist das Betreibermodell eine Finanzierungsvariante, auf die deutsche Behörden keinen unmittelbaren Einfluß haben.

Kompensations- oder Bader-Geschäfte

Die vierte Variante sind Kompensations- und Bader-Geschäfte. Der osteuropäische Auftraggeber begleicht die erhaltene Leistung (z.B. Lieferung von Leittechnik) nicht mit finanziellen Mitteln, sondern beispielsweise mit Öl oder Gas, Arbeitsleistungen oder Produkten, die er anbietet. Im Idealfall finden die Lieferungen schon statt, bevor der Auftrag überhaupt erteilt und ausgeführt wird.

Die Siemens-AG hat Ingenieurleistungen an das russische Ministerium für Atomenergie verkauft zur Entwicklung des WWER-Prototyps 640 bei St. Petersburg. Dafür hat die russische Atomenergiewirtschaft Kernbrennstoff nach Deutschland exportiert, das die Bayernwerk-AG abkaufte. Sie zahlte im Gegenzug das Geld an Siemens.

Aktuelle Projekte von Siemens:

Nachdem im Sommer letzten Jahres die Fertigstellung von Mochovce als Referenzprojekt abgeschlossen wurde, bewirbt sich Siemens intensiv um die Fertigstellung der ukrainischen Reaktoren Khmelnitzky und Rowno, wobei diese Projekte im Augenblick stark von der Gesamtfinanzierung abhängig sind, diese ist abhängig von der Entscheidung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), die einen Teil dieser Finanzierung tragen soll (siehe auch den Artikel zur Ukraine).

Ein zweites Projekt, an dem Siemens beteiligt ist, ist der Bau einer Stromtrasse von Ignalina nach Westeuropa. Ignalina ist der einzige litauische Standort, dort laufen zwei Reaktoren des Tschernobyl-Typs. Es existiert allerdings eine vertragliche Vereinbarung zwischen der Ukraine und Litauen, nach der Litauen das Abschalten des Druckröhrenreaktors beim nächsten Druckröhrenwechsel, um die Jahrtausendwende zugesagt hat. Diese Zusage war Voraussetzung für einen EBRD-Kredit von 1994 über 70 Millionen Mark, mit dem Sicherheitsverbesserungen durchgeführt werden sollten.

Es ist sehr verwunderlich, wenn jetzt von seiten Litauens eine Investition von 400 Millionen Dollar für diese Stromtrasse in Angriff genommen wird, während die Abschaltung nach vertraglicher Vereinbarung kurz bevor steht. Der litauische Kraftwerksbetreiber behauptet, sich bei der Notwendigkeit des Druckröhrenwechsels verschätzt zu haben, er datiert ihn jetzt für 2005 oder 2006. Deshalb kann das Kraftwerk weiter betrieben werden und dem Bau der Stromtrasse im Wert von 400 Millionen Dollar steht nichts im Wege.

Das dritte wichtige Projekt ist der WWER-Prototyp bei St. Petersburg. Hier hat sich Siemens bereits mit Ingenieurleistungen bei der Konzeption des Reaktors beteiligt. Die Finanzierung des eigentlichen Baus ist noch völlig unklar, es gibt noch keine konkreten Aufträge für Lieferungen nach St. Petersburg. Die Realisierung des Projektes ist für Siemens von immenser Bedeutung, da Siemens auf diesen Reaktortyp als Neubauprojekt für ganz Osteuropa setzt.

Der vierte Punkt ist der Bau einer Fabrik für MOX-Brennelemente in Rußland. MOX-Brennelemente sind Brennelemente, die nicht nur aus angereichertem Uran bestehen, sondern auch aus der Beimischung von Plutonium. In dieser Fabrik in Rußland ist das Plutonium aus Atomwaffen zu MOX-Brennelementen zu verarbeiten und so in den Atomreaktoren zu vernichten. Hintergrund für diese Fabrik ist ein deutsch-französisches Abrüstungsprojekt, das mit der russischen Regierung vertraglich eine solche Fabrik vereinbarte. Siemens plant, die in Hanau stehende, fertige Anlage zur Produktion von MOX-Elementen einzusetzen.

Im Prinzip ist gegen die Vernichtung von Waffen-Plutonium nichts einzuwenden, doch wird durch dieses Projekt die Weiternutzung von Atomkraft in Osteuropa zementiert, weil diese Fabrik Brennelemente produzieren soll, die auch irgendwo eingesetzt werden müssen.

Siemens entwickelt schon seit mehreren Jahren mit dem französischen Reaktorbauer Framatom den EPR, den europäischen Druckwasserreaktor, für den es noch immer keinen Standort für ein Referenzprojekt gibt. Seit Mai 1998 gibt es regelmäßige Gespräche zwischen Siemens und Framatom und dem russischen Ministerium für Atomenergie, die dieses Projekt in Russland konkretisieren sollen. Allerdings stellt sich auch bei diesem Projekt die finanzielle Frage. Die Bayernwerke haben Interesse an dem Reimport von Atomstrom angedeutet, der zur Absicherung der Siemens-Investition dient.

Es gibt bereits seit mehreren Jahren den Plan, zufälligerweise von Smolensk aus über Warschau, Berlin, Kassel eine Hochleistungsstromtrasse nach Westdeutschland zu bauen. Die käme sehr gelegen, wenn in Smolensk der Druckwasserreaktor EPR gebaut werden würde, zu dessen Finanzierung es notwendig wäre, Atomstrom nach Deutschland zurückzuführen. Praktischerweise soll diese Leitung von der Kapazität her so ausgelegt werden, daß Strom aus den RBMK-Reaktoren, die in Smolensk noch in Betrieb sind, auch nach Deutschland exportiert werden könnte.

Quelle: Informationen aus einem Referat von Andreas Lämmermann zum Forum "Atomausstieg in Osteuropa" , welches vom 31.April bis 2. Mai 1999 in Dresden stattfand

Andreas Lämmermann ist Mitinitiator der Siemens-Boykott-Kampagne, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Siemens-Konzern, durch einen Boykott aller Produkte zum Aufgeben seiner Aktivitäten im Atombereich zu zwingen.

Für weitere Informationen und Kontakte:

Koordinationskreis Siemensboykott
Friedrichstraße 165
10177 Berlin
Tel: 030-2044784
Fax 030-2044785
email: [email protected]
http://Siemens-Boykott.de

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