FELICITAS
Eine fast wahre Geschichte

Neuntes Kapitel

Bis zu meinem Geburtstag waren es nur noch zwei Tage. Ich ging noch einmal durch, wen ich eingeladen hatte. Natürlich Tante Olga und Josefine, außerdem meine Cousine Regine und Oma Vera. Dann noch Tante Betty und Onkel Hans, die zu Mams Begräbnis leider nicht hatten kommen können. Sie hatten zu dieser Zeit eine längere Auslandsreise unternommen. Dann dachte ich noch an Jenny, verwarf den Gedanken aber sogleich. Jenny hatte sich einfach zu zickig gezeigt. Außerdem hatte ich nicht die Absicht, ihr hinterher zu laufen. Auch Ina hatte ich angerufen. Die wusste aber noch nicht, ob sie kommen könne. Ich hätte Ina gerne dabei gehabt. Im Krankenhaus hatten wir uns schließlich prächtig verstanden. Leider würde Anna-Lena fehlen. Was ich natürlich bedauerte. Doch es war ihr nicht zuzumuten, eine ewig lange Zugfahrt wegen einer normalen Geburtstagsfeier auf sich zu nehmen. Dazu war die Entfernung von Strasbourg einfach zu groß. Bei meinem achtzehnten Geburtstag würde das schon anders ausgesehen.

Ingrid sollte natürlich dabei sein, keine Frage! Und Paps wusste über uns als bisher Einziger Bescheid. Was sollte ich aber den anderen sagen? Noch war ich völlig unentschlossen. Ein komisches Gefühl hatte ich aber schon. Samantha schlug vor, an diesem Abend das Schlemmer-Menü zuzubereiten. Die Wettschulden mussten schließlich eingelöst werden. Sie dachte an einige typisch amerikanische Speisen. Rezepte dafür hätte sie genügend mitgebracht, sagte sie. Ich freute mich darauf. Und ich bat darum, Paps dabei zu haben. Samantha konnte sich dem Wunsch natürlich nicht entziehen.
"Okay, dann bereite ich die Schlemmerei eben für drei vor!"

Wir gingen im Supermarkt einkaufen. Ich staunte, was Samantha alles in den Einkaufskorb packte. Sie schaute außerdem kaum auf die Preise. Wieso war sie in der Lage, so mit dem Geld um sich zu werfen? Sie bezahlte fast 200 DM! Ihr Geldtäschchen war geradezu gespickt mit großen Scheinen. Zudem trug Samantha nagelneue Klamotten, davon manches bestimmt nicht gerade von der Stange! Dass Paps sie dermaßen üppig ausstattete, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Für mich stand fest, Samantha musste eine heimliche Geldquelle haben. Ich würde schon noch heraus bekommen, was dahinter steckte.
Samantha verschwand schon am frühen Nachmittag in der Küche. Sie tat sehr geheimnisvoll. Paps und ich fuhren noch einmal hinüber nach Weiden, um für mich ein schönes, neues Kleid zu kaufen. Ich sollte zum Geburtstag was Besonderes anziehen.
"Kleines, du sollst schick aussehen", sagte er und strich mir über die Wange. Wir besuchten natürlich Ingrids Boutique. Er schaute sich dort genauestens um. Paps tat es auch deswegen, weil eine eventuelle Teilhaberschaft meinerseits im Gespräch war. Ich hatte noch am Abend mit Paps darüber gesprochen. Er fand es gut, dass ich Interesse hatte, bei Ingrid einzusteigen. Und er hatte mir sogleich angeboten, das Geld in Form eines zinslosen Kredits vorzuschießen. Nun prüfte er natürlich, wohin sein Geld fliesen würde. Ingrid lies mich etliche neue Kleider und Kostüme anprobieren. Nach langem hin und her entschied ich mich für ein Kostüm, welches aus einem dunkelblauen, glänzenden Stretchmaterial gefertigt war. Der kurze Blazer hatte ein kleines Revers und kontrastfarbene Paspeln. Der Gehrock war fast knöchellang. Das Kostüm saß gut, auch was die Problemzonen um Bauch und Hüfte anging.

"Die Farbe passt gut zu deinem Blond", stellte Ingrid fest. Sie musterte mich kritisch. Dann suchten wir noch ein paar Pumps aus. In Schwarz mit 6 cm hohen Absätzen. Für mich waren es die ersten Pumps überhaupt. Doch Ingrid meinte, zu dem Kostüm würden flache Schuhe nicht aussehen. Auch Paps war dafür. "Kleines, du siehst richtig schick aus."
Ich drehte mich vor dem Spiegel einmal um die Achse. Ja, doch! Er hatte Recht. Ich gefiel mir wirklich gut. Allerdings fand ich, dass ich in dem Kostüm und den Pumps älter wirkte. Ich sagte das auch.

Ingrid lächelte. "Übertreibe nicht!" Ihr Blick richtete sich auf Paps. "Felie sieht jung und frisch aus, nicht wahr?" Und Paps nickte bestätigend.
"Du weist ja, übermorgen ist mein Geburtstag" , erinnerte ich Ingrid. "Kannst du dich für `nen halben Tag frei machen? Wir wollen schon nachmittags zusammen sitzen. Du Ingrid, es gibt jede Menge zu Futtern! Meine Schwester hat gestern in der Konditorei fünf Torten bestellt. Und Kuchen natürlich. Du, das wird herrlich!"
Ingrid legte die Stirn in Falten. "Kann ich noch nicht versprechen. Aber für einen Nachmittag müsste es eigentlich gehen. Ich werde dir noch Bescheid geben. Abends wär' ich aber auf jeden Fall dabei, Kleines."

Nun hatte sie mich vor Paps doch mit der Koseform angesprochen! Ein bisschen war es mir peinlich. Böse war ich Ingrid natürlich nicht. Aber ich würde mich wohl erst daran gewöhnen müssen. Auf der Heimfahrt sagte Paps: "Die Boutique scheint gut zu laufen. Vielleicht gerade deswegen, weil es nur wenige Geschäfte gibt, die Übergrößen führen."
"Paps, das sehe ich auch so. Ach, mir würde der Job wirklich Spaß machen!"

Am Abend saßen wir in der Küche am Tisch und staunten erst einmal darüber, was Samantha uns so alles aufgetischt hatte. Sie hatte sich unheimlich viel Arbeit gemacht. Man sah ihr aber auch an, dass sie stolz auf sich war. Sie sagte, sie hätte sich ausschließlich vom Soul Food, also der Küche des amerikanischen Südens, inspirieren lassen.
Auf Tellern häuften sich Chili Dogs (die Würstchen waren eingebettet in einer Masse, die aus Hackfleisch, Zwiebel, Knoblauch, Ketchup, Kidneybohnen und Chili bestand, alles mit Käse überbacken), Cheeseburger und Mexican Wrabs (Weizentotillas belegt mit Rostbeefscheiben, Tomaten, Paprika, Salat, darüber Salsa hot). Samantha deutete auf die randvollen Teller. "Das ist nur die Vorspeise!"

Wir langten tüchtig zu. In weiser Voraussicht hatte ich mir nur `ne Leggins und ein T-Shirt angezogen. Denn ich hatte mich auf ein Wettessen eingestellt. Mich würde kein Rock- oder Hosenbund daran hindern, mir so richtig den Magen voll zu schlagen. Eigentlich mochte ich Leggins nicht. Ich besaß auch nur ein Paar davon. Mir gefielen sie nicht, weil man in ihnen einfach nichts verbergen konnte. Die kleinste Delle an Po oder Oberschenkel war zu erkennen. Doch sie waren einfach bequem zu tragen. Fast eine Stunde lang hörte ich nur unser Schmatzen und Stöhnen. Dann waren alle Teller leer. Wieder war ich es, die das meiste gefuttert hatte. Wäre gewettet worden, ich hätte jeden geschlagen. So aber erntete ich nur den anerkennenden Blick von Samantha. Das war auch schon was.

"Schwesterlein, alle Achtung! Du stellst alles in den Schatten, was ich bisher gesehen habe. Selbst die Leute drüben in den Staaten würden erblassen. Obwohl die schon wahnsinnig viel futtern!"
Dabei fühlte ich mich überhaupt noch nicht abgefüllt. Mein Magen forderte entschieden mehr. Und ich dachte auch nicht daran, eine Pause zu machen.
"Jetzt essen wir Southern Corn Souffle, einen Maisauflauf!" Samantha nahm eine Pfanne aus dem Backofen. Paps rülpste. Ich musste lachen und tat es ihm gleich. "Also, ihr!" Samantha drohte uns scherzhaft.
Nach dem Maisauflauf servierte Samantha uns Chicken Fried Steaks (das sind Fleischstücke aus der Rinderkeule, die dünn und zart geklopft, paniert und in der Pfanne gebraten werden). Dazu aßen wir gebackenen Mais mit verschiedenem Gemüse.
"Hervorragend!" Paps strahlte über das ganze Gesicht. Als krönenden Abschluss gab es eine Nusscremetorte. Allein davon aß ich drei Stück. Dann ging aber auch bei mir nichts mehr. Es war mir enorm heiß geworden. Der Schweiß lief mir aus den Achseln.

Samantha, die nur ein einziges Stück Torte geschafft hatte, blickte besorgt über den Tisch. "Felie, du bist hochrot im Gesicht. Geht es dir gut?"
Auch Paps schaute besorgt drein. Offenbar dachten beide an die damalige Situation, auf die dann mein Krankenhausaufenthalt folgte.
"Macht euch keine Sorgen, mir geht es gut", beschwichtigte ich.
Paps atmete auf. "Trotzdem, Kleines! Du gehst morgen zur Ärztin und lässt dich gründlich durchchecken! Wäre ein Arztbesuch nicht ohnehin dran gewesen?"
Ich nickte. "Ja, in `ner Woche."
Ich versprach Paps, gleich morgen in die Sprechstunde zu gehen. Samantha bot sich an, mich hin zu fahren.

Als wir uns im Bad fürs Schlafengehen zu Recht machten und ich dabei einen kurzen Blick in den Spiegel warf, kam es mir vor, als wäre mein Bauch fetter geworden. Nun gut, mein Magen war bis zum Rand gefüllt. Noch immer verspürte ich ein starkes Völlegefühl.
"Findest du, dass ich wieder zugenommen habe?"
Samantha musterte mich. "Kann schon sein. Sicher bin ich mir jedoch nicht. Wenn man aber dein Essverhalten bedenkt, Schwesterlein, kann man davon ausgehen. Stell dich doch mal auf die Waage!"
"Mit voll gefressenem Wanst?"
"Na, und wenn schon. Kannst dich morgen früh ja noch einmal wiegen." Samantha zuckte die Schultern.

Der Zeiger blieb bei 127,8 stehen. Samantha staunte nicht schlecht. "Wow! Fast schon 130 Kilo! Beinahe unfassbar! Felie, du musst aufpassen, dass dir übermorgen überhaupt noch dein neues Kostüm passt!"
Auch ich war beeindruckt. Nur noch etwa 35 Kilo zu Tante Olga! Mein Gott, ging das alles schnell! Ich putzte mir die Zähne und ging dann hinüber in mein Zimmer. Dort lies ich mich nachdenklich auf die Bettkante fallen. Ob es wirklich gut war, Tante Olga nachzueifern? Ich spürte in diesem Moment deutlich meinen Rücken. Die Ärztin bekam natürlich große Augen. Die Waage zeigte 129,2 Kilo an! Allerdings hatte ich bereits ein ausgiebiges Frühstück hinter mir. "Sie spielen mit ihrer Gesundheit, Felicitas!" Mehr fiel der Ärztin vorerst nicht ein. Mein Blutdruck stand bei 140 zu 95, also nicht mehr ganz so hoch. Doch der schien der Ärztin weiterhin Sorgen zu bereiten. "Felicitas, sie müssen abnehmen! Wie oft muss ich Ihnen das noch sagen!" Immer die gleiche Leier! Bla, bla, bla!!!

Ich nickte und tat so, als würde ich das einsehen. Dabei waren meine Gedanken schon ganz wo anders. Ich dachte an den morgigen Geburtstag und an all die tollen Sachen, die ich auf den Tisch zaubern würde. Es folgten die üblichen Untersuchungen. Als wir dann endlich wieder auf der Straße standen, rauchten wir in Ruhe erst einmal eine Zigarette. Auch Samantha hatte sich das Rauchen angewöhnt. Sie rauchte allerdings ganz lange, dünne Zigaretten, die parfümiert waren. Ich mochte die nicht und blieb bei meinen filterlosen. Dann hatte Samantha eine ihrer spontanen Ideen. Ich hatte der Schwester nämlich gestern von Mariettas schönen Fingernägeln erzählt. Die hatten mich wirklich beeindruckt. Und als wir fünf Minuten später an einem Nagelstudio vorbei fuhren, hielt Samantha an. Sie sagte, sie würde mir als Geburtstagsgeschenk gern eine Nagelmodellage bezahlen. Sie selbst würde sich auch eine gönnen. Gerade weil wir mollig seien, müssten wir etwas für das äußere Erscheinungsbild tun, meinte sie. Und dazu gehörten einfach auch gepflegte Fingernägel.

Während wir da saßen und uns die Nägel verlängern ließen, erkundigte sich Samantha über Ingrid. Sie hatte Paps und mich über sie reden hören.
"Wer ist eigentlich diese Ingrid?" Samantha schaute mich forschend an.
Sollte ich im Beisein der beiden Nailmodelistinnen Samantha reinen Wein einschenken? Das ginge wohl doch zu weit! Oder sollte ich es doch tun? "Wenn du mir sagst, woher du dein vieles Geld hast, vielleicht!" Ich sah auf meine Hände herab. Die Modelistin setzte die Tips auf.
"Das kann ich dir sagen! Ich lasse Fotos von mir machen."
"Du musst mir schon sagen, was für welche."

Samantha lächelte vor sich hin. "Kann ich dir hier nicht erzählen, Schwesterlein."
"Na gut. Dann erzähle ich dir eben auch nichts!"
"Du brauchst nicht gleich einschnappen. Wir sollten das Gespräch nachher fortsetzten. Bei einem Stück Torte vielleicht."

Während die Nägel mit Gel aufgefüllt, gehärtet und mit einer Glanzschicht versehen wurden, redeten wir über belanglose Dinge. Ich hätte gern eine geraucht, doch das ging natürlich nicht. Nach zwei Stunden verließen wir zufrieden das Nagelstudio. Unsere Nägel waren wirklich sehr schön geworden. Samantha hatte insgesamt 254 DM bezahlt. Und ohne mit der Wimper zu zucken! Wir fuhren nach Moosbach zurück. In der Konditorei bestellte Samantha für jede ein Stück Nougattorte und dazu Milchkaffee. Dann beredete sie noch was am Tresen, was ich nicht mit bekam Wieder am Tisch angekommen, nahm Samantha die Frage von vorhin auf. "Wer ist diese Ingrid und was hast du mit ihr zu schaffen?"
"Du bist wirklich neugierig!", lachte ich. "Okay, ich werde es dir sagen. Aber erst musst du mir sagen, was es mit diesen Fotos auf sich hat, für die du soviel Geld bekommst."
Samantha schob genüsslich ein Stückchen Torte in den Mund. Sie machte es wie immer sehr spannend. Samantha rührte den Kaffee um. "Ich mache Aktfotos..."
Mir blieb der Mund offen stehen. Daran hätte ich zuletzt gedacht! "Wirklich? Ich fasse es nicht!"

Dann erzählte Samantha, dass sie in den Staaten durch Zufall an eine Agentur geraten sei, die sich auf die Vermittlung molliger Frauen spezialisiert habe. Sie habe der Neugierde wegen dort telefonisch nachgefragt und hatte sogleich verschiedene Angebote erhalten. Es seien ein paar ganz schön schlüpfrige dabei gewesen! Samantha schaute mich viel sagend an. Aber es wären auch einige dabei gewesen, die durchaus verlockend klangen. Sie hatte sich näher erkundigt und dann auch gleich einen Termin gemacht, als man ihr sagte, was sie bei dem Job verdienen könne.
"Und dann ging was los?" Ich biss mich vor Aufregung auf die Zunge.
"Na, eben das mit den Fotos!" Samantha griff in ihre Handtasche und holte einen Briefumschlag heraus. Wortlos schob sie mir diesen über den Tisch. Im Umschlag waren etwa zehn Schwarzweisfotos. Sie zeigten die Schwester in verschiedenen Posen und in jeweils anderer Umgebung. Kniend auf einem Bett, unter einer Dusche, im Freien unter einer Palme und so weiter. Und Samantha war auf allen Fotos mehr oder weniger nackt. "Und dafür bekommt man so viel Geld?"
"Die Fotos erscheinen in ganz speziellen Magazinen, Schwesterlein. In solchen für Liebhaber molliger Formen. Ich habe pro Sitzung um die 500 Dollar erhalten, nicht schlecht, nicht?"

Nun erklärte sich alles. Kein Wunder, wenn Samantha mit dem Geld um sich schmiss. Und ich stellte mir die Frage, ob ich fähig wäre, von mir solche Fotos machen zu lassen? Eine Antwort darauf wagte ich nicht zu geben.
"Wie lange hast du das überhaupt gemacht?" Ich wollte natürlich mehr wissen.
"Drei, vier Monate. Alles heimlich. Denn die Gastfamilie durfte nichts mitbekommen."
"Und was hast du insgesamt verdient?" .
"Ungefähr 6000 Dollar. Ein hübsches Sümmchen, nicht?"
Wahrhaft! Das konnte man wohl sagen. Einfach solche Fotos zu machen! Samantha traute ich allerdings noch viel mehr zu. Die war viel offener als ich.
"Machst du weiter damit?"
Samantha lachte. "Das möchtest du gern wissen, nicht? Aber im Ernst, eine solche Geldquelle kann man doch nicht sausen lassen, oder?"
Wir aßen ein zweites Stück Torte. Dabei erzählte ich ihr von Ingrid und mir. Ich ließ kein Detail aus. Wenn Samantha offen war, dann wollte auch ich es sein. "Du ´ne Lesbe?" Samantha kicherte. "Schwesterlein, du kannst einen aber überraschen. Kaum zu glauben! "
Dann sagte Samantha, sie sei auf Ingrid mehr als gespannt. Ich reagierte darauf nun eben so wie damals Marietta, als es um Anna-Lena ging.
"Du, ich mag Ingrid sehr. Halte dich gefälligst raus!"
Samantha prustete los. "Schwesterlein, du kannst beruhigt sein! Ich bin keine vom anderen Ufer."



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