Die neue Mitarbeiterin

Zufrieden legte sich Dr. Berger in seinen schweren Schreibtischstuhl zurück. Er hatte soeben eine junge, äußerst hübsche und großartig ausgebildete junge Dame für sein Team gewonnen. Dieses beschäftigte sich mit der Entwicklung, Planung und Errichtung von Anlagen zur Erdöl- und Erdgasgewinnung und -verarbeitung. Berger Engineering war zwar eine der kleineren Firmen auf diesem Sektor, doch konnte man auf Grund eigener Innovationen und einem weit über die Grenzen der Branche hinaus bekannten Kundenservice den Platz an der Sonne behaupten. Individuelle, auf die Bedürfnisse der Kunden abgestimmte Gesamtlösungen waren die Spezialität des Mittelbetriebes.

Mit Lara Nohlen hatte seine Firma eine neue, hervorragende Kraft gewonnen. Lara hatte in der Mindestdauer ihr Studium beendet. Sie war eine Expertin für Maschinenbau und eine besondere Begabung, was softwaregesteuerte Bauelemente betraf. Darüber hinaus hatte sie sich in einem Zweitstudium Marketingkenntnisse angeeignet. Auch über eine gewisse Berufspraxis verfügte Dr. Bergers neueste Mitarbeiterin: Sie hatte vier Monate lang eine Art Praktikum auf einer norwegischen Bohrinsel hinter sich gebracht.

Dr. Berger versuchte sich vorzustellen, wie dieses hübsche Wesen auf einer schmutzigen, im rauen Atlantik liegenden und von Männern dominierten Bohrinsel wohl zurecht gekommen war. Er war zwar kein Experte in Damenmode, aber er hatte trotzdem sofort ihren äußerst teuren Modestil registriert. Schon beim ersten Vorstellungsgespräch war ihm dies aufgefallen. Auch für Haarstyling und Kosmetika musste sie einiges ausgeben. Das kleine, aber feine Cabrio, das sie fuhr, passte zu ihrem Stil. Auch ihr Auftreten hatte was vornehmes-reserviertes an sich. Sie vermittelte von Anfang an den Eindruck einer toughen Business-Lady, und weniger den einer Technikerin. Noch immer stellte sich Dr. Berger vor, wie Lara Nohlen, in einer zu großen Arbeitskluft steckend und mit Helm ausgestattet, das Bohrgestänge einer Förderinsel inspiziert oder Qualitätsproben des ans Tageslicht gebrachten Rohöls nahm, während ihr die kühle Meeresbrise ins Gesicht peitschte. Obwohl Dr. Berger seine Fantasie bemühte, gelang es ihm nicht, ein solches Bild vor seinem inneren Auge zu entwerfen. Der gehobene Stil der jungen Dame passte einfach nicht dazu! Stattdessen erinnerte er sich an die delikaten Formen der jungen Frau, sofern diese in ihrem exakt geschnittenen Kostüm sichtbar geworden waren.

Hoffentlich würde die Mitarbeit des Fräulein Nohlen nicht das gut eingespielte Arbeitsklima in der Technikabteilung durcheinander wirbeln! Bisher war dies eine reine Männerwelt gewesen. Gleichberechtigung hin oder her, in dieser technischen Sparte waren gut ausgebildete Frauen noch immer eine Seltenheit. Dr. Berger bemühte sich zwar immer auch um weibliche Mitarbeiterinnen, doch war es ihm bisher nicht gelungen, die richtige zu finden. Seit seiner Zeit beim Bund wusste Dr. Berger, dass reine Männergemeinschaften nicht immer die besten Eigenschaften der einzelnen Individuen ans Licht brachten. Deshalb war er nun froh, Lara Nohlen eingestellt zu haben.

Schon nach wenigen Wochen kam Dr. Berger zum Schluss, mit seiner Entscheidung goldrichtig gelegen zu haben. Fräulein Nohlen kam mit der Materie sofort mit Leichtigkeit zu Rande. Außerdem war es ihr gelungen, die Software eines Bohrelements so zu optimieren, dass die teuren, mit Diamanten besetzen Bohrer eine höhere Lebensdauer erreichten. An diesem Problem hatte sein Team schon seit längerer Zeit gearbeitet, aber nur kleine Fortschritte erreicht. Lara Nohlen wählte einen gänzlich anderen Zugang zu dieser Aufgabe und konnte Dr. Berger schon nach einer zwei Wochen ihre Lösung präsentieren. Es gab keinen Zweifel, dass dieses System für die Kunden der Firma relevante Einsparungen in den Betriebskosten der Förderanlagen bringen und damit Bergers Produkte noch wettbewerbsfähiger sein würden.

In den nächsten Wochen lieferte Lara Nohlen in regelmäßigen Abständen kleinere und größere technischer Kunststücke. Für die Firma hatte sich ihre Einstellung schon bald als Volltreffer erwiesen. Anders sah dies natürlich das bisherige Technikerteam. Lara Nohlen hatte mit ihren Leistungen schon bald kräftig am Image der etablierten Techniker gekratzt. Dr. Berger war zwar überzeugt, dass auch sein bisheriger Technikerstab hervorragende Leistungen erbracht hatte und kein einziger seiner Mitarbeiter für ihn an Wert verloren hatte, doch für seine Techniker war diese Situation alles andere als einfach: Da kam so ein junges Ding direkt von der Uni und löste in atemberaubenden Tempo Probleme, an denen sie sich selbst monatelang die Zähne ausgebissen hatten. Sowas verursachte bei so manchen erhebliche Egoprobleme.

Anfangs hoffte Dr. Berger, dass sich mit der Zeit die Wogen wieder glätten würden. Doch bald erkannte er, dass das Arbeitsklima durch den Neid an Lara Nohlens Leistungen nachhaltig gestört war. Immer öfter kamen Dr. Berger Klagen zu Ohren. Fräulein Nohlen würde Ratschläge und Tipps ihrer erfahrenen Kollegen kaum berücksichtigen, nicht teamorientiert arbeiten, riskante, weil unerprobte Lösungen durchsetzten. Noch häufiger beklagten sich Bergers Mitarbeiter über den Umgang der jungen Dame mit ihren Kollegen. Sie sei blasiert, arrogant, wisse immer alles besser. Einer beschwerte sich sogar über die Kleidung der jungen Dame. Sie verwechsle das Technikbüro mit einem Modelaufsteg, bekam Dr. Berger zu hören.

Von der Konkurrenz bekam Dr. Berger zu hören, dass sich Lara Nohlens Leistungen in der Branche schon herumgesprochen hatten. Sogar ein amerikanischer Kollege von einem wesentlich größeren und finanzkräftigeren Konkurrenzbetrieb gratulierte Dr. Berger bei einem Kongress zu seiner neuen Mitarbeiterin, "von der man wahre Wunderdinge hört". Sofort schrillten bei Dr. Berger die Alarmglocken - bald würde man ihm sein junges Genie abwerben, wenn er nichts unternahm. Er könnte Fräulein Nohlen zur Leiterin der Technikabteilung ernennen. Dafür müsste er den altgedienten und beliebten Ing. Lang in Pension schicken. Das würde das Klima in der Firma endgültig ruinieren. Noch auf der Heimfahrt vom Kongress entschied sich Dr. Berger für eine kräftige Lohnerhöhung. Das würde weniger Staub aufwirbeln.

Doch auch hier täuschte sich Dr. Berger. Er unterschätzte nämlich die ausgeprägte Schwäche der jungen Dame für Luxusartikel. In den nächsten Monaten sah sich Berger zu weiteren kräftigen Gehaltsaufbesserungen gezwungen. Und diese spiegelten sich bald in noch teurerer Kleidung und Schmuck wider. Schon seit geraumer Zeit gab es Gerüchte über den Verdienst der Lara Nohlen unter den Mitarbeitern. Dr. Berger wusste, dass sie ihr Gehalt, das auf den ersten Blick tatsächlich unverschämt hoch aussah, locker wert war.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Dr. Berger seine neue Spitzenkraft stets verteidigt. Mit der Zeit musste er aber eingestehen, dass er sich immer öfter wünschte, dass Fräulein Nohlen mit einem ihrer Projekte einmal ordentlich Schiffbruch erleiden würde. Das würde sie vielleicht etwas auf den Boden der Realität zurückholen und auch das Selbstwertgefühl seiner übrigen Mitarbeiter wieder stärken. Irgendwie ging ihm der ungebremste Erfolg der Lara Nohlen und auch ihr Stil langsam auf die Nerven. Eines Samstag Abend begegnete er seiner Mitarbeiterin nämlich im mondänsten und nobelsten Golfclub des Landes. Dieser war ein Treffpunkt der Reichen und Mächtigen aus Politik und Wirtschaft, eine Spielwiese für Politiker, Anwälte und Firmenchefs. Dass Dr. Berger einer seiner Angestellten auf dieser Ebene begegnete, irritierte ihn schon ein wenig. Auch bei anderen Empfängen, Vernissagen und Partys begegnete ihm seine Mitarbeiterin. Dabei fiel ihm auf, dass sich die ansonsten so kühle und distanzierte junge Dame in diesen noblen Kreisen ganz anders präsentierte. Ihr korrektes, fast androgynes Outfit hatte sie eingetauscht gegen zwar ebenfalls teure, aber weitaus körperbetontere Modelle. Zum ersten mal fielen Dr. Berger die schlanken Beine, die zarte Taille und die wohlgeformten Brüste seiner Mitarbeiterin auf. Auch trug sie ihre meist streng zurückgekämmte blonde Haarpracht nun offen. Ständig kümmerte sich einer der anwesenden, gutsituierten und meist wesentlich älteren Herrn charmant um Lara Nohlen. Mit wichtigen Partnern, mit denen er einst als junger Unternehmer mühsam Kontakt herstellte, verstand sich seine hübsche Mitarbeiterin sofort prächtig.

Immer häufiger wurde Dr. Berger von seinen Geschäftspartner nun aufgefordert, zu den Besprechungen, gemeinsamen Geschäftsessen und Kongressen, doch auch seine talentierte Technikerin hinzu zu ziehen. Ohne es wirklich zu wollen, hatte es Fräulein Nohlen tatsächlich geschafft, innerhalb kürzester Zeit bei allen wichtigen strategischen Entscheidungen dabei zu sein. Die betriebswirtschaftlichen Aspekte der Berger Engineering waren sicherlich nicht ihr Fachgebiet, doch Dr. Berger stellte mit einer gewissen Skepsis fest, dass sie auch auf diesem Gebiet schnell, sehr schnell dazulernte.

Nach und nach drang Fräulein Nohlen auch immer stärker in seine Sparte, der betriebswirtschaftlichen Führung des Firma, ein. Es erstaunte ihn immer mehr, welche Energien dieses Mädchen hatte. Ihre Aufgaben im technischen Bereich erledigte sie weiterhin so effektiv und innovativ wie bisher, gleichzeitig blieb ihr genügend Zeit, den von Dr. Berger halbherzig ausgesprochenen Einladungen zu den diversen Treffen und Besprechungen mit Geschäftpartnern zuzusagen. Natürlich war er dazu als Chef des Betriebes nicht gezwungen. Lara Nohlens Ideen und Vorschläge machten sich aber schon so stark in der Firmenpolitik bemerkbar, dass sie als Beraterin in wichtigen Verhandlungen fast nicht mehr zu ersetzten war. Sie erkannte die betriebswirtschaftlichen und technischen Zusammenhänge schon besser und schneller als er, hatte einfach mehr Überblick über alle Aspekte bevorstehender Entscheidungen. Außerdem bewunderten auch seine Geschäfts-partner die Fähigkeiten des von ihm entdeckten Wunderkinds - ein Teil der Lorbeeren, die Lara Nohlen verdiente, färbte auch auf ihn ab.

Nach einigen Wochen begann Lara Nohlen allerdings, ihr Engagement auf ihren eigentlichen Kernbereich zu beschränken. Dr. Berger war sogar froh darüber, da er schon länger den Plan verfolgt hatte, ihren Einfluss wieder etwas zu beschränken. Nur bei den wichtigsten Entscheidungen und Gesprächen wollte er auf ihr überragendes Fachwissen nicht verzichten. Über die Gründe für die neue Bescheidenheit der bisher so extrem karrierebewussten jungen Dame wusste er geworden.

Nun wurde Dr. Berger klar, wie sehr die Firmenpolitik inzwischen von den Ideen und Vorschlägen der jungen Dame abhängig war. Bei Entscheidungen, die er ohne einen kurzen Gedankenaustausch mit Lara Nohlen treffen musste, stellte sich immer öfter ein Gefühl der Unsicherheit ein! Das war Dr. Berger in seiner langen unternehmerischen Tätigkeit noch nie passiert! Er hatte bisher immer alles unter Kontrolle gehabt und nie Zweifel über die Richtigkeit seiner Entscheidungen gefühlt. Irgendetwas musste geschehen. Zwar wollte er nicht auf die Fähigkeiten der jungen Dame verzichten, anderseits wollte er etwas mehr Distanz zu ihr aufbauen. Vielleicht wäre es am geschicktesten, sie als Projektleiterin für externe Aufgaben einzusetzen. Sie würde vor Ort die Installation und Inbetriebnahme der Fördermaschinen leiten, hauptsächlich technische Aufgaben erfüllen und, weit weg von der Firmenzentrale, weniger Einfluss auf die weiteren Geschäftsbereiche haben.

Lara fiel erschöpft in das Sofa. Wieder hatte sie einen 16-Stunden-Tag hinter sich gebracht. Zuerst acht Stunden im Ingenieursbüro der Firma an ihrem eigentlichen Arbeitsplatz, dann zwei Stunden strategische Besprechung im Büro des Firmenchefs. Von 17.30 bis 19.30 quälte sie sich, schon ziemlich müde, im Fitnesscenter ab. Dann meldete sich nochmals Dr. Berger. Nun musste sie doch noch bei einem Geschäftsessen mit chinesischen Investoren anwesend sein! Jetzt war es Mitternacht, und sie war völlig erschöpft. Doch Lara gönnte sich nur zwei Minuten Selbstmitleid. Wenn man nach oben wollte, hatte dies seinen Preis. Solche Tage gehörten eben dazu.

Eigentlich war sie ja selber Schuld. Niemand hatte sie anfangs gezwungen, sich so stark in die Firma einzubringen. Doch bald erkannte sie, dass sie ihre Kollegen fachlich mit Leichtigkeit in die Tasche steckte. Und Dr. Berger belohnte dies mit ständig höheren Gehaltschecks. Nun war sie schon sehr zufrieden mit ihrem Verdienst. Sie konnte das Geld auch gut gebrauchen, da Lara einen für eine 24jährige Frau außergewöhnliche aufwändigen Lebensstil pflegte. Sie stammte aus ärmlichsten Verhältnissen und schwor sich schon während ihrer Schulzeit, einmal die teuersten Klamotten, die stärksten Autos und den extravagantesten Schmuck zu besitzen. Ihre Zielstrebigkeit wurde schon sehr bald zu ihrem Markenzeichen. Neid und Missgunst von weniger erfolgreichen Mitmenschen, seinen es Mitschüler oder Studenten, waren für sie nur die Bestätigung für ihren Erfolg.

Der gelungenen Karrierestarts erforderten die arbeitsreichsten und anstrengendsten Monate ihres Lebens. Immer stärker zog sie Dr. Berger auch in wirtschaftliche und strategische Unternehmensentscheidungen hinzu. Nach langen Arbeitstagen hatte sie zu Hause mit Hilfe von Büchern ihr betriebswirtschaftliches Grundwissen aufgefrischt. Mit Hilfe ihres klaren Verstandes und der Fähigkeit zum logischen Denken begriff sie sehr schnell die Spielregeln, nach denen Dr. Bergers Betrieb zu führen waren. Anfangs hatte Lara es genossen, bei wichtigen Besprechungen, und Meetings mit internationalen Geschäftspartnern anwesend sein zu können. Fasziniert hatte sie beobachtet, wie sehr sich ihr Einfluss auf Dr. Berger von Woche zu Woche steigerte. Es gab nichts aufregenderes für Lara als Erfolg. Und sie war erfolgreich!

Dann bemerkte sie eines Abends allerdings, dass der Lebensstil einer Managerin nichts für ihre schlanke Linie war. Die vielen Geschäftsessen, die sie gemeinsam mit Dr. Berger bestreiten musste, begannen sich auf der Waage bemerkbar zu machen. Kein Wunder, konnte sie auch ihre Fitnesseinheiten immer weniger oft einhalten.

Im Grunde hatte sie eine äußerst pragmatische Einstellung zu ihrem Körper. Eigentlich war sie nie besonders eitel gewesen. In der Schule war sie sogar ziemlich pummelig. Als Studentin bemerkte sie allerdings, dass sie ihren Körper für ihren Ehrgeiz nutzbar machen konnte. Schlanke, attraktive Mädchen hatten es einfach leichter. Außerdem wollte sie unangreifbar sein. Ihre Leistungen als Studentin waren von Beginn an makellos. Nur ihr Körper war nicht perfekt - vergeudetes Potential auf ihrem Weg nach oben, stellte die damals 19 -jährige Lara fest. Sofort legte sich Lara ein gnadenloses Fitnessprogramm und eine strenge Diät auf. Nach zwei Jahren hatte sie dann den Körper, der ihrem Erfolgsanspruch genügte. Kein Gramm Fett, gut proportionierte Beine, flacher, straffer Bauch und gut in Form befindliche Brüste. Eigentlich hatte ihr dieses Training nie Spaß gemacht. Aber Spaß war keine relevante Kategorie - wichtig war, welchen Nutzen sie damit erzielen konnte.

Nun hatte ihr Arbeitseifer allerdings dazu geführt, dass sie drei Kilos zugelegt hatte. Natürlich würden sie diese drei Kilos nicht daran hindern, weiter die Karriereleiter nach oben zu klettern. Es war nur fraglich, ob es bei diesen drei Kilos bleiben würde! Auch wollte sie ihren Mitarbeitern keinen Grund zur Schadenfreude geben. Die warteten ohnehin seit ihrem ersten Arbeitstag darauf, dass sie mit einer ihrer Ideen ordentlich Schiffbruch erleidet. Mit jedem ihrer Erfolge kühlte sich das Verhältnis zu ihren Kollegen ab, inzwischen war es sogar schon feindselig. Die Häme, die über sie hereinbrechen würde, wenn sie jetzt vor den Augen ihrer Kollegen auf Grund ihres großen Ehrgeizes Kilo für Kilo zulegen würde, wäre wahrscheinlich unerträglich. Sie musste mehr Zeit im Fitnessstudio und weniger in Luxusrestaurants - meist spätabends - verbringen. Dies würde zwar kurzfristig die Entwicklung ihrer Karriere etwas einbremsen, langfristig war es sicherlich die richtige Entscheidung. Wenn sie es einmal ganz nach oben geschafft hatte würden selbst zehn weitere Kilos egal sein. Jetzt allerdings konnte sie sich Fettpölsterchen auf gar keinen Fall leisten.

Dr. Berger legte das Telefon auf. Er hatte gerade mit seinem ältesten Freund, einem Importeur amerikanischer Luxuskarossen, gesprochen. Dieser hatte ihm erzählt, dass er Dr. Bergers gleichermaßen attraktive und erfolgreiche Mitarbeiterin Lara Nohlen in letzter Zeit häufig im elitärsten Fitness- und Wellnesstempel der Stadt angetroffen hatte. Er schwärmte von der hervorragenden Figur, die Lara Nohlen im Fitnessoutfit gemacht habe. Dr. Berger zweifelte keine Sekunde daran, dass sein alter Kumpel übertrieb. Er bewunderte Lara Nohlen für ihren eisernen Willen. Er selbst würde nie die Energie aufbringen, nach den anstrengenden Tagen im Büro noch stundenlang auf irgendwelchen Fitnessgeräten herumzuturnen. Dabei würde ihm dies nicht schaden. Die Stress in den letzten Wochen und die vielen Termine hatten sich mit einigen neuen Kilos zu Buche geschlagen. Bei ihm war das aber egal, befand Dr. Berger. Der Aufbau der Firma hatte in den letzten zwanzig Jahren einen ziemlich fetten Koloss aus ihm werden lassen, da waren ein paar weitere Kilos auch schon egal. Jetzt galt es, die Firma in wirtschaftlich schweren Zeiten auf Kurs zu halten. Dass Lara Nohlen als junge alleinstehende Frau sehr körperbewusst war, verwunderte ihn nicht. Mit ihrem Vollkommenheitsanspruch waren zu gut gepolsterte Kurven sicher nicht vereinbar. Vielleicht war dies sogar der Grund, dass sie sich in letzter Zeit - wann immer sie konnte- vor Geschäftsessen drückte! Eigentlich würde es diesem karrieregeilen Miststück recht geschehen, wenn sie etwas Fett ansetzten würde, träumte Dr. Berger so vor sich hin.

In den nächsten Monaten stellte sich eine Art Rhythmus ein, was das Engagement Lara Nohlens betraf. Einige Wochen lang brachte sich das junge Fräulein mit voller Kraft auch in unternehmerischen Fragen ein, dann wieder beschränkte sie sich fast ausschließlich mit ihrem technischen Aufgabenbereich. Hellhörig wurde Dr. Berger eines Nachmittags, als seine langjährige Chefsekretärin beiläufig bemerkte, dass Lara Nohlens Engagement in einem seltsamen Zusammenhang mit ihrer Garderobe stand. Sie hatte nämlich leichte Gewichtsschwankungen bei ihrer jungen Kollegin bemerkt. Und immer, wenn ihre Kostüme, Röcke und Hosen begannen, etwas eng zu sitzen, stellte Lara Nohlen ihren Übereifer ein. "Sie sollten sie einmal längerfristig mit Doppelaufgaben eindecken. Ich glaube, unser superschlaues blondes Genie würde ganz schön aus dem Leim gehen!", bemerkte die Sekretärein süffisant Dr. Berger gegenüber.

Einige Tage später entschied Dr. Berger, Fräulein Nohlen während seines vierwöchigen Urlaubs später im Jahr interimistisch den Chefsessel zu überlassen. Er weihte seine Kollegen in der Chefetage in seinen Plan ein, die emporstrebende junge Damen einmal an ihre Grenzen stoßen zu lassen. Seine alten Mitstreiter würden schon dafür sorgen, dass sie in seiner Abwesenheit nicht allzu übermütig werden würde. Insgeheim hatte er noch die Worte seiner Sekretärin im Ohr. Ein bisschen Schadenfreude über sich eventuell einstellende Figurprobleme der jungen Kollegin würde ihm ganz gut tun, doch glaubte er eigentlich nicht daran, dass sich Lara Nohlen irgendeine Blöße leisten würde.

Der Zufall wollte es, dass sich Fräulein Nohlen gerade wieder anschickte, sich wegen ihres - im übrigen kaum feststellbaren Figurproblems - in ihrem Büro zu verstecken, als ihr Dr. Berger verkündete, dass sie gemeinsam mit zwei weiteren hohen Angestellten ab kommenden Montag die laufenden Geschäfte übernehmen solle. Sie sollte sich vor allem um die Kontakte zu den Kunden kümmern. Dr. Berger legte seiner Angestellten dar, dass sie sich vor allem bei repräsentativen Anlässen hervorragend und zur Zufriedenheit der Kunden geschlagen hatte und er ihr deshalb diese Aufgabe zukommen lassen würde.

Für Lara Nohlen war dieser Tag der schönste in ihrem Leben. Dr. Berger hatte sie mit wichtigen Aufgaben betraut, die sie während seines Urlaubes ausüben sollte. Dies war die einmalige Chance, sich noch mehr als bisher in den Vordergrund zu drängen. Lara war fest entschlossen, diese Chance 100%-ig zu nutzen. Einziger Wehrmutstropfen in dieser ganzen Angelegenheit war das sich als immer hartnäckiger herausstellende Figurproblem, dass sie sich im ersten Jahr bei Berger-Engineering eingehandelt hatte. Eigentlich wollte sie in den nächsten Wochen wieder einmal drei überschüssige Kilos loswerden. Dies musste nun aufgeschoben werden. Lara hoffte, in dieser Zeit nicht weiter zuzunehmen.

Das Gegenteil hatten Dr. Berger und seine Sekretärin im Sinn. Dr. Berger beauftragte seine Sekretärin, die in den nächsten Wochen anstehenden Kundenkontake möglichst kalorienreich für Lara Nohlen zu gestalten. Er hatte keinen Zweifel daran, dass seine tüchtige Sekretärin alles daran setzen würde, seinen Auftrag zu erfüllen. Vom ersten Tag an unternahm sie alles, den Terminkalender für Lara Nohlen so dicht wie nur irgendwie möglich zu gestalten. Sie sollte keine Chance haben, auch nur eine halbe Stunde lang ins Fitnesscenter zu kommen, außerdem würde sie so viel Zeit wie nie zuvor in den Restaurants der Stadt verbringen. Dr. Berger war schon gespannt, was sich in seiner Abwesenheit so alles ergeben würde.

Völlig erschöpft, aber überglücklich fiel Lara an ihrem ersten Tag als interimistische Co-Chefin in ihr Bett. Zwar hatte sie sich Dr. Bergers Job nicht so anstrengend vorgestellt, doch hatte sie sich mehr als tapfer geschlagen. Alles war nach Plan verlaufen. Gedankenverloren massierte sie ihren vollen Bauch. Dies war das einzige, was ihr Sorgen bereitete - die vielen Kalorien, die sie an diesem Tag vernichtet hatte, würden sich am nächsten Morgen sicher bemerkbar machen - daran bestand kein Zweifel. Lara hoffte, dass sich die nächsten Tage nicht ganz so nahrhaft gestalten würden. Allerdings befürchtete sie fast, dass dies Wunschdenken war. Es kam nicht von ungefähr, dass Dr. Berger und die anderen leitenden Angestellten alles andere als schlank waren. Die vielen repräsentativen und geschäftlichen Aufgaben hatten ihre Spuren hinterlassen. Als Frau hatte sie einen geringeren Grundumsatz als ihre männlichen Kollegen - sie musste sich also damit abfinden, dass sie in vier Wochen durchaus noch das eine oder andere Kilo mehr wiegen würde. Trotzdem war sie fest entschlossen, alle ihr übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Die Kosten in Form einer kleinen Gewichtszunahme wurden im Vergleich zum Nutzen, den sie sich versprach, vielfach aufgewogen.

Die nächsten Tage waren noch schlimmer als der erste. Überall gedeckte Tische, Büffets, Snacks. Doch da musste sie jetzt durch. So schlimm war es ja auch nicht, sich in teuren Restaurants die exquisitesten Speisen servieren und die Firma dafür zahlen zu lassen. Lara hatte schon immer eine kleine Schwäche für gutes Essen gehabt - wäre es anders gewesen, hätte sie sich in ihrer Studentenzeit nicht mir dieser Diät herumplagen müssen. Sie hatte zwar ursprünglich nicht vorgehabt, ihre gute Figur schon jetzt, wo sie erst am Anfang ihrer Karriere stand, auf's Spiel zu setzen, aber nun - in dieser speziellen Situation - ließ sich das nicht ändern.

Nach der ersten Woche in dieser verantwortungsvollen Position musterte sich Lara eingehend in ihrem Spiegel. Sie kannte ihren Körper genau und wusste deshalb, dass sich leichte Veränderungen ergeben hatten. Als sie von der Uni kam, war ihr ganzer Körper stramm und muskulös gewesen. Nur am Übergang von den Oberschenkeln zum Gesäß war es ihr nicht ganz gelungen, das Fett, das sie sich als Teenager ziemlich unbekümmert angegessen hatte, wieder vollständig zu verbrennen. Nun aber begann sich ihr Körper auch an anderen Stellen wieder etwas weicher anzufühlen. Ihre Silluette hatte sich, wie Lara beruhigt feststellte, noch nicht verändert. Und dies war das wichtigste, wenn sie schadenfrohe Blicke in der Firma vermeiden wollte. Denn im Bikini, in dem ein besonders kritischer Beobachter die Veränderungen eventuell schon bemerken könnte, erschien sie ja nicht in der Arbeit.

Chefsekretärin Kohn lächelte zufrieden. Es war der achte Tag, an dem ihr Chef auf Urlaub war, und sie hatte soeben den nächsten Termin für seine Stellvertreterin, Frau Nohlen, vereinbart. Sie würde heute Abend mit Vertretern einer Zulieferfirma in einem Landgasthof außerhalb der Stadt verbringen. Sie würde nach der Arbeit fast eine Stunde mit dem Auto brauchen, um dorthin zu gelangen. Der Landgasthof war für seine üppigen Mahlzeiten bekannt, also war er geradezu ideal für die kleine Verschwörung, die sie im Sinn hatte. Bisher hatte sie sich in Lara Nohlen getäuscht. Sie war überzeigt davon, dass sich Lara Nohlen irgendwann über die vielen Termine und Geschäftsessen beschweren würde. Doch bisher war nichts dergleichen geschehen. Auch hatte sie sich erwartet, dass sie das Wochenende für eine Nulldiät nutzen würde. Der Hosenanzug, den sie am Freitag getragen hatte, war noch nie so eng gesessen, stellte die Chefsekretärin zufrieden fest. Und als Fräulein Nohlen gerade ihr Büro verlassen hatte, war ihr aufgefallen, dass sich tatsächlich so etwas wie ein Gesäß unter dem Stoff des Rockes, den sie heute trug, abzuzeichnen begann. Nicht, dass Fräulein Nohlen nicht noch immer sehr schlank war. Aber ganz so perfekt und stramm wie an ihrem ersten Arbeitstag war ihre Figur auch nicht mehr.

Endlich war die zweite Woche vorbei! Lara Nohlen stöhnte. Beruflich lief ja alles perfekt. Für ihre Figur waren diese fünf Tage aber das reinste Desaster. Im Grunde kam dieser Job einer Mastkur gleich. Irgendwie hatte sie die Chefsekretärin in Verdacht, dass sie prinzipiell nur ihr die ausgedehntesten Geschäftsessen in den Terminkalender schrieb. Erschöpft zwängte sich Lara aus ihrem Rock und schleppte sich ins Bad. Vor zwei Wochen war sie noch ohne jede Mühe in diesen Rock hinein- und hinausgeschlüpft. Es war schon ein wenig zum verzweifeln! Wie befürchtet zeigte die Waage ein neues Höchstgewicht - sechs Kilo mehr als zu Beginn ihrer Tätigkeit bei Berger Engineering. Natürlich gab sie im Spiegel noch immer eine sehr gute Figur ab, das Aussehen einer Spitzensportlerin hatte sie nun allerdings nicht mehr. Etwas zerknirscht setzte sich Lara vor den Fernseher. Eigentlich sollte sie noch schnell wenigstens ein paar Sit-Ups machen - doch ihr fehlte einfach die Energie dazu. Zwei Jahre lang hatte sie sich für einen superschlanken, muskulösen Körper geschunden, und jetzt war sie kurz davor, wieder so pummelig zu werden, wie sie mit 17, 18 Jahren gewesen war. Dass die Schokoladewerbung, die gerade im Fernsehen lief, in ihr einen Heißhunger auf Süßes auslöste, passte ins Bild. Dabei schmerzte ihr noch der übervolle Magen vom abendlichen Essen mit einem Journalisten, der über Berger-Engineering einen Artikel in einer Fachzeitschrift schreiben wollte. Wenn die dritte Woche so wie die zweite Woche verlief, würden ihr langsam aber sicher ihre megateuren Designerklamotten zu eng werden! Das war ein Horrorszenario! Sie wusste schon immer, dass es reinste Verschwendung war, tausende von Euros für Designerklamotten auszugeben. Doch es passierte immer wieder, dass ihr beim Shoppen die Geldtasche zu locker saß. Außerdem schuftete sie wie verrückt und hatte ohnehin keine Zeit für irgendwelche Hobbys - wozu sonst sollte sie also ihr Geld ausgeben? Wenn sie jetzt tatsächlich ihre teure Garderobe komplett ersetzen müsste, würde das ein erhebliches Loch in ihr Budget reisen...

Natürlich änderte sich auch in der dritten Woche nichts an ihrem Programm. Lara versuchte sich ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Sie durfte sich auf keinen Fall von ihren langsam immer größer werdenden Figurproblemen ablenken lassen und dadurch Fehler riskieren. Lara hatte sich vorgenommen, nach Dr. Bergers Rückkehr aus dem Urlaub selber auf Urlaub zu gehen und sich dabei ganz auf ihre Figur zu konzentrieren. Doch noch musste sie zwei weitere Wochen auf diesen Urlaub warten. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, wie sie nach diesen zwei Wochen aussehen würde. Irgendwie hatte sie nun das Gefühl, dass ihr ihre Kleidung jetzt von Tag zu Tag enger wurde. Das musste sie sich aber einbilden, beruhigte sie sich. So schnell nahm man nicht zu!

Mitte der Woche entdeckte sie, dass das Gewebe rund um ihren Nabel inzwischen schon ziemlich weich geworden ist. Sehr bald würde sich ein kleines Bäuchlein breit machen! Sie konnte sich noch sehr gut an ihre kleine Speckrolle erinnern, die diese Körperpartie noch vor einigen Jahren geziert hat. Es waren noch immer sieben Tage zu überstehen - bis dahin würde sich das Bäuchlein leider schon bemerkbar machen.

Etwas resignierend widmete sich Lara weiter ihren Aufgaben. Ihr Terminkalender für die nächste Woche verkündete nichts gutes. Ebenfalls alles andere als gut saß der Rock, den sie an diesem Freitag angezogen hatte. Erst war ihr gar nicht aufgefallen, wie eng dieser rund um ihr Gesäß und ihre Hüfte schon geworden war. Erst, als sie sich in der Tiefgarage der Firma aus ihrem tiefen Cabriositz erhob, merkte sie, wie sehr der edle Stoff schon spannte. Am liebsten wäre sie wieder schnell nach Hause geeilt, um sich umzuziehen, doch der Gedanke an ihren Terminkalender verbot derartige Überlegungen.

Die dritte Woche in Dr. Bergers Abwesenheit war fast vorbei, und Chefsekretärin Kohn war nun sicher, dass ihr Plan tatsächlich erfolgreich war. Fräulein Nohlen war heute in einem eindeutig zu eng gewordenen Rock in der Firmenzentrale aufgetaucht. Der Stoff schlug etwas unterhalb des Nabels eine verdächtige, leicht U-förmige Falte. Deutete sich da etwa ein kleines Bäuchlein an? Im ersten Moment war sie sich nicht sicher, als sie aber der am Schreibtisch sitzenden jungen Dame die Unterschriftenmappe brachte und von der Seite eines Blick auf deren Hüftgegend werfen konnte, war die kleine Wölbung nicht mehr zu übersehen! Auch rund um ihr Gesäß spannte der Stoff schon ganz ordentlich - kein Zweifel, das dichtgedrängte Programm der letzten Wochen begann sich jetzt langsam bemerkbar zu machen. Für die letzte Woche hatte sie sich nochmals einen für Fräulein Nohlens Figur ruinösen Terminplan einfallen lassen. Dr. Berger würde auf Wochen hinaus nichts mehr zu tun bekommen, da seine übereifrige Urlaubsvertretung tatsächlich ohne Murren jeden einzelnen Termin angenommen hatte. Fast tat der Chefsekretärin die kleine Nohlen leid. Sie war so hübsch, schlank und rank hier angetreten. Und jetzt führten ihr unbändiger Ehrgeiz und ihre eigene Boshaftigkeit dazu, dass sich Kilo für Kilo an diesem zarten Wesen festzusetzen begann. Ihre teuer erstandene Garderobe würde bald zu eng werden, und ihr strikter Karriereplan würde es ihr verbieten, sich ernsthaft einer Diät zu widmen. Gerade stellte sich Chefsekretärin Kohn vor, wie sich eine reich und erfolgreich, aber auch schwergewichtig und richtig fett gewordene Frau Nohlen aus ihrem schmalen Cabriositz heraushievte, als das läutende Telefon ihren Tagtraum unterbrach. Ein Zulieferer bat um einen weiteren Termin mit Frau Nohlen. Frau Kohn lächelte und fixierte das erwünschte Gespräch.

Verzweifelt hängte Lara den zu engen Rock in den Schrank. Es musste jedem in der Firma aufgefallen sein, wie sehr ihr Po den Stoff inzwischen in die Breite zwang! Sicherheitshalber heftete Lara ein kleines, gelbes Post-it auf den Rock. Das würde sicherstellen, dass sie in ihrem verschlafenen morgendlichen Zustand nicht wieder versehendlich in diesen Rock schlüpfen würde und erst im Büro entdeckte, dass er zu eng geworden war. Wenn sie weiter so zunahm, würde ihr so etwas wie heute ohnehin nicht mehr passieren - dann würde sie schlichtweg zu dick für dieses Teil geworden sein! Ihre neue Angewohnheit, sich am Abend während der Late-Night-Show mit Erdnüssen und sonstigen Knabbergebäck zu trösten, war auch nicht gerade nützlich. Wenn sie erst einmal auf Urlaub war, würde sie sich ganz ihrem etwas aus der Form geratenen Körper widmen.

Doch die vierte Woche war lang. Und kalorienreich. Dienstags heftete bereits ein weiteres Post-it auf einem ihrer Kostüme. Mittwochs entdeckte Lara ein sich schon deutlich ausbreitendes Bäuchlein. Auch ihre teure Unterwäsche machte bezüglich Passform langsam aber sicher Probleme. Die Kleidungswahl musste sie schon ziemlich behutsam treffen. Die prüfenden Blicke in den Spiegel nahmen immer mehr Zeit in Anspruch. Freitags bedankte sich dann die Kohn, dieses hinterlistige Wesen, mit einer riesigen Bonboniere für die hervorragende Zusammenarbeit während der vier Wochen. Alte Schlange! Ihre mörderische Terminplanung war Schuld daran, dass sie inzwischen neun Kilo mehr als zu Beginn ihrer Tätigkeit in dieser Firma wog und aus ihren Edelklamotten platzte! Und jetzt die Frechheit in Form dieser Bonboniere!

Gott sei Dank hatte niemand etwas an ihrer Urlaubsplanung auszusetzen. Zwei Wochen mussten reichen, um wenigstens einen Teil der neuen Kilos wieder loszuwerden!

Als Dr. Berger an diesem Montag wieder ins Büro kam, hatte Fräulein Nohlen leider schon ihren Urlaub angetreten. Erstaut stellte er fest, dass sie alle Aufgaben perfekt erfüllt hatte. Mehr noch -sie hatte für Wochen im voraus alle notwendigen Routineentscheidungen getroffen. Das einzige, was er auf seinem Schreibtisch vorfand, war das Angebot aus einem kleinen, durch Erdöl reich gewordenen Emirat in der Golfregion. Seine Firma sollte eine Kostenaufstellung für Lieferung und Installation neuer Anlagen für ein etwas veraltetes Fördergebiet vorlegen. Es handelte sich um einen ziemlich großen Auftrag. Kein Wunder, dass diese Entscheidung nur von ihm getroffen werden konnte. Allerdings hatte Lara Nohlen bereits nicht nur einen Kostenvoranschlag, sondern auch schon einen ziemlich konkreten Vorschlag ausgearbeitet, wie die vorhandenen alten Anlagen am besten mit den neuen Komponenten kombiniert werden konnten. Sie war wie immer sehr fleißig gewesen und hatte sich keineswegs an dieser verantwortungsvollen Aufgabe die Zähne ausgebissen, wie Dr. Berger ursprünglich erhofft hatte.

Wie ihm seine Sekretärin allerdings mitteilte, hatte sich in seiner Abwesenheit Fräulein Nohlens Gewichtproblem ernsthaft vergrößert. Er hatte schon längst nicht mehr an das Gespräch mit Frau Kohn gedacht. Jetzt fiel ihm natürlich die damalige Plauderei wieder ein. Zu gerne hätte er die Nohlen in ihren eng gewordenen Designerfetzen gesehen. So musste er zwei Wochen warten, und bis dahin würde sie sicher eine strenge Diät durchziehen.

Dies war tatsächlich Laras Plan. Fest entschlossen nahm sie schon an ihrem ersten Urlaubstag eine morgendliche Joggingrunde in Angriff. Eigentlich hasste sie diese Schinderei. Hass ist vielleicht etwas zu hoch gegriffen - abgegangen war ihr das Geschwitze und Geschnaufe allerdings wirklich nicht. Schon nach wenigen Minuten gab es für Lara ein böses Erwachen, was ihre Kondition betraf. Sie war völlig außer Form! Kein Wunder, dachte sie sich, während der Schweiß in Sturzbächen über ihre Nase lief - bei all den neuen Kilos. Völlig erschöpft taumelte Lara nach nur 40 Minuten in ihr Appartement. Den Vorsatz, vor der wohlverdienten Dusche noch ein paar Kräftigungsübungen für ihre schon teilweise von Fettgewebe verdrängten Muskelpartien zu machen, konnte sie nicht einhalten. Lara schlief auf der am Boden ausgebreiteten Gymnastikmatte sofort ein. Erst am späten Nachmittag wachte sie wieder auf. Die Muskel schmerzten höllisch. Der Magen knurrte. Das sollte also ihr langverdienter Urlaub sein? Mürrisch bereitete sie den Salat zu, der heute ihr Abendessen sein sollte.

Auch in den nächsten Tagen bestand Laras Fitnessprogramm lediglich aus ihrem relativ kurzen Morgenlauf. Die meiste Zeit verbrachte sie mit Schlafen. Die Anstrengungen des letzten Jahres kamen nun offenbar ans Tageslicht. Die Diät war mühsam, wenngleich sich nach vier Tagen die ersten Erfolge einzustellen begannen. Am meisten ging Lara das High-Society-Leben ab, dass sie in den letzten Monaten geführt hatte. Sie ging auf keine Partys, Empfänge, Gartenfeste, Vernissagen, sie verzichtete auf Theaterpremieren und ihre Golfrunden. Überall würden irgendwelche Köstlichkeiten auf sie lauern.

In der zweiten Woche schaffte es Lara tatsächlich einige male ins Fitnesscenter. Noch hatte sie ihre alte Form nicht erreicht, aber inzwischen passte ihr die Garderobe wieder sehr gut. Nachdem Lara dies festgestellt hatte, ließ ihr Ehrgeiz in Sachen Sport und Diät schlagartig nach. Bis zu ihrem ersten Arbeitstag nahm sie nun kaum mehr ab. Als sie Montags morgen auf die Waage stieg und sah, dass sie es in letzten fünf Tagen nicht geschafft hatte, ihr Gewicht weiter zu reduzieren, plagte sie doch ein wenig das schlechte Gewissen. Immerhin hatte sie fünfeinhalb Kilo abgenommen uns brachte nun nur noch dreieinhalb Kilo zuviel auf die Waage.

Dr. Berger hatte sich entschieden - Fräulein Nohlen sollte den Auftrag im Emirat leiten. Während ihres Urlaubes hatte Berger Engineering tatsächlich den lukrativen Auftrag erhalten. Die ausgeklügelte Kombination aus vorhandenen und neuen Komponenten, die sich seine junge Technikerin hatte einfallen lassen, hatte den entscheidenden Kostenvorteil gegenüber der Konkurrenz gebracht. Er würde Lara Nohlen für sechs Monate los sein, genügend Zeit, um sich etwas von ihr zu erholen. Natürlich barg die Leitung eines solch großen Projekts durch solch eine junge Kraft Risiken in sich. Falls er nicht klappen würde, konnte er sie ja nach einigen Wochen von diesem Posten wieder abziehen.

Doch diesmal hoffte er nicht, dass Fräulein Nohlen scheitert - der Auftrag war nicht nur lukrativ. Auch konnte bei erfolgreicher Umsetzung mit Folgeaufträgen gerechnet werden. Außerdem dachte er an die beiden bisherigen größeren Projekte in dieser Region: Beide Projektleiter waren nach einigen Monaten mit erheblichen Übergewicht aus der Region zurückgekehrt. Der Emir sah es als seine Pflicht an, als Gastgeber alles für das leibliche Wohl seiner europäischen Besucher zu machen. Dr. Bergers Mitarbeiter wiederum hatten Instruktion erhalten, keinesfalls die Geschenke und Einladungen der reichen Ölmagnaten auszuschlagen - dies hätte den Emir und seinen Herrscherclan völlig brüskiert und vor seinen Untertanen bloßgestellt. Möglicher Weise hätte es sogar den Auftrag gefährdet. Es gab Gerüchte, dass andere Geschäfte mit westlichen Partnern schon aus geringeren Gründen gescheitert waren. Chefsekretärin Kohn war von der Entscheidung ihres Chefs hellauf begeistert. Noch gut erinnerte sie sich daran, welch Wampe Ing. Lang vor vielen Jahren aus dem Orient zurückgebracht hatte. Fräulein Nohlen sechs Monate in diesem Emirat - wenn sie nicht kalte Füße bekommt, würde sie ziemlich wohlgenährt zurückkommen!

Sorgfältig stellte Frau Kohn die wichtigsten Unterlagen für das Team, dass unter Fräulein Nohlens Leitung die Umbauarbeiten koordinieren sollte, zusammen. Besonderes Augenmerk legte sie dieses mal auf die Verhaltensmaßregeln. Sie sollten verhindern, dass es zu kulturell bedingten Missverständnissen kam. Insbesondere betonte das von Frau Kohn formulierte Papier, wie ungemein wichtig es war, dem Emir das Gefühl zu vermitteln, seine Gastfreundschaft zu schätzen. Davon würde der Erfolg des Projekts zu einem guten Teil abhängen. Natürlich übertrieb die Chefsekretärin etwas, aber dies sollte Lara Nohlen ja nicht erfahren. Auch nicht erfahren hatte die junge Technikerin, welches Schreiben dem Emir nach Erhalt des Auftrages von Berger Engineering zugesandt wurde. Darin dankte man für den zugesprochenen Auftrag und drückte die Freude auf die bevorstehende Zusammenarbeit auf. "Die gemeinsame Zusammenarbeit in der Vergangenheit ist der Belegschaft von Berger Engineering noch heute in guter Erinnerung. Besonders die gute Küche machte auf unsere Mitarbeiter nachhaltigen Eindruck". Mit diesem Satz endete dieses Schreiben, von dem Lara Nohlen bei ihrer Abreise nichts wusste.

Etwas mulmig war Lara schon, als sie und ihr Team im Privatflugzeug des Emirs nach Südosten flog. Vor drei Wochen noch auf Urlaub, und jetzt bereits auf dem Flug in ein Emirat, von dem dessen Existenz sie vor kurzer Zeit noch gar nichts wusste. Die technischen Herausforderungen waren groß, aber zu bewältigen. Größere Sorgen machten ihr die vielen Regeln, die sie im Umgang mit den Bewohnern des Emirates zu beachten hatte. Vor allem der Emir und sein Clan schienen ziemlich sensibel in diesen Dingen zu sein, wie in einer Aktennotiz aus Dr. Bergers Büro extra vermerkt war. Lara versuchte, sich davon nicht verrückt machen zu lassen.

Noch nie hatte Lara Nohlen einen solchen Luxus gesehen wie in dem Hotel, in dem sie untergebracht war. Als Projektleiterin wurde sie einer riesigen Suite untergebracht. Zur Seite wurde ihr eine Dolmetscherin gestellt. Für den Abend hatte sie eine Einladung beim Emir - sie war schon gespannt, was da auf sie zukommen würde. Die Zeit bis zum Abend verbrachte Lara damit, sich in diesem riesigen Hotel umzusehen.

Schon bald bemerkte sie, dass es hier sehr westlich zuging. Von strengen Verhaltensregeln war nichts zu bemerken. Ihre Dolmetscherin erläuterte ihr, dass die politische und wirtschaftliche Elite des Landes meist im Westen studiert hatte bzw. dort ausgebildet worden war und den Lebensstil mit nach Hause gebracht hatten. Die strengen kulturellen Regel galten nicht einmal im Stadtzentrum, dass von den modernen Bürogebäuden multinationaler Konzerne, Banken, Luxusgeschäften und Restaurants geprägt war. Nur in den ärmeren Stadtvierteln war die Einhaltung dieser Regeln notwendig, ansonsten würde sie sich wie zu Hause kleiden und verhalten können. Es war also nicht notwendig, sich um männliche Begleitung zu kümmern, nur um schnell mal einkaufen zu gehen oder sich das Stadtzentrum anzuschauen.

Das Dinner im Palast des Emirs war ein Erlebnis wie aus 1000 und einer Nacht. War ihr der Luxus und Überfluss schon im Hotel ins Auge gesprungen, so übertraf dies hier alles bisher gesehene bei weitem. Der Emir selbst war verhindert, dafür waren zahlreiche andere hohe Persönlichkeiten anwesend. Nach zahlreichen blumigen, langen und herzlichen Begrüßungen durch irgendwelche Minister wurde dann das Abendessen serviert. Es gab unzählige Gänge, einer exotischer und raffinierter als der andere. Laras Sinne waren von all den fremden Düften, Klängen und Farben in diesem Saal so beeindruckt, dass ihr gar nicht auffiel, welch große Mengen sie an diesem Abend vertilgte. Eigentlich hätte ihr spätestens das Völlegefühl im Magen auffallen müssen, doch als Projektleiterin stand sie den ganzen Abend derart im Mittelpunkt, dass sie selbst ihren spannenden Bauch nicht bemerkte. Es waren ausschließlich Männer vom eher dunklen Typ, die ihren Ausführungen folgten. Alle waren sehr elegant, unendlich höflich und zuvorkommend, trotzdem fühlte Lara intensive, begehrliche Blicke auf sich gerichtet.

"Sie haben die Herrn Minister und die Familienmitglieder sehr beeindruckt!", teilte ihr die Dolmetscherin mit, als sie spätabends von einer Luxuskarosse aus dem Fuhrpark des Emirs ins Hotel zurückgebracht wurde. Eigentlich wollte Lara ja den ersten Arbeitstag ausgeschlafen und mit voller Energie angehen, doch nun würde sie mit sehr wenig Schlaf auskommen müssen. "Ich bin nicht sicher, ob die Herrn die technischen Details wirklich verstanden haben!", relativierte Lara etwas erschöpft. Nun huschte das erste mal ein Lächeln über die Lippen ihrer bisher ebenfalls äußerst ernsten, zurückhaltenden, ja schüchternen Assistentin. "Es waren ja nicht ihre Ausführungen, die die Herrn so beeindruckt haben! Ich weiß gar nicht, ob ich all die Fachausdrücke überhaupt richtig übersetzt habe!" "Was dann?", wollte Lara, schon etwas neugieriger geworden, wissen. "Eine junge Frau aus dem Westen mit solch schönen blonden Haaren und einem derart guten Appetit ist in unseren Breiten trotz aller Internationalität eine Seltenheit! Die wenigsten Frauen aus dem Westen wissen die Gastfreundschaft des Emirs zu schätzen. Er wird sicher sehr glücklich sein, wenn er erfährt, dass seine Bemühungen, sie zufrieden zu stellen, erfolgreich waren!"

Augenblicklich wurde sich Lara ihres vollen Magens bewusst. Offenbar hatte sie heute Abend, ohne es richtig zu merken, beim Essen ziemlich zugeschlagen. Wenn es ihren Status beim Emir verbesserte, hatte ihr überstrapazierter Magen wenigstens einen Sinn, beruhigte sich Lara.

Die ersten beiden Arbeitstage beschränkten sich auf die Inspektion der bestehenden Anlagen und der Überprüfung des Zustandes der per Flugzeug eingetroffenen Komponenten. Trotzdem wünschte der Emir, wie Lara von ihrer Dolmetscherin erfuhr, einen persönlichen Bericht der Projektleiterin über den Fortgang der Arbeiten. Laras vorsichtiger Einwand, dass es zu diesem Zeitpunkt nichts zu berichten gäbe, ignorierte ihre Assistentin völlig. Sehr schnell kapierte Lara, dass Wünsche des Emirs zu erfüllen waren, gleichgültig, ob sie Sinn machten oder nicht. Also würde sie heute um 20.00 Uhr, nach einem langen, schweißtreibenden Arbeitstag, im Palast des Emirs Bericht erstatten.

Den Emir hatte sich Lara ganz anders vorgestellt. Vor ihr stand der Typ braungebrannter Manager, schlank, rund um die 40 Jahre alt. Wie Lara schon oft festgestellt hatte, kümmerte sich der Emir als der an der Spitze der Hierarchie Stehende viel weniger um Etikette als seine Familienmitglieder, Minister und Bediensteten. Er hatte sogar etwas spitzbübisches an sich.

Ebenfalls anders hatte sich Lara ihre Berichterstattung vorgestellt. Der Rahmen für ihren Vortrag war genauso überschwänglich wie bei ihrem Empfang. Ihr kurzer Bericht war scheinbar nur ein Vorwand des Emirs gewesen, sie kennen zu lernen. Es gab wieder ein ausgiebiges Dinner, während dem sich der Emir mit Lara über alles mögliche unterhielt, nur nicht über das Projekt. Der Emir war zuvorkommend und charmant, und hatte sogar einen ziemlich trockenen Humor. Aber er strahlte auch eine ungeheure Autorität aus.

Lara war sich dieses mal, anders als bei ihrem ersten Besuch im Palast, durchaus bewusst, welche Mengen sie wieder verdrückte. Da sie aber direkt neben dem Emir saß, wagte sie es nicht, vor seinen Augen die vielen Köstlichkeiten auszuschlagen. Leicht verzweifelt nahm sie zur Kenntnis, wie Gang für Gang serviert wurde und ihr Magen voller und voller wurde. Unbewusste, düste Vorahnungen erzeugten für einen kurzen Augenblick ein mulmiges Gefühl.

Der Abend war mit dem langen Menü noch nicht vorbei. Ein Magier führte seine erstaunlichen Kunststücke vor, dann trat noch ein Feuerschlucker auf. Dies alles war tatsächlich beeindruckend, wenn Lara aber an den nächsten Arbeitstag dachte, hielt sich ihre Begeisterung in Grenzen. Der Schlafmangel würde ihre ohnehin schwierige Arbeit nicht leichter machen.

Am nächsten Tag bekam sie einen Anruf von Dr. Berger. Das Sekretariat des Emirs hatte ihm in einem Fax mitgeteilt, dass der Emir von der fachlichen Kompetenz der Projektleiterin äußerst angetan sei und überzeugt war, dass die Zusammenarbeit ein großer Erfolg werden würde. "Ich weiß zwar nicht, was sie dem Emir da aufgetischt haben, aber ich bin natürlich sehr zufrieden mit ihnen", teilte ihr Dr. Berger mit. Lara Nohlen musste lachen. Sie bezweifelte, dass der Emir ihr fachliches Wissen im Sinn hatte, als er dieses Lob aussprach.

Lara Nohlen hatte es befürchtet. Es waren keine 48 Stunden seit dem letzten Dinner mit dem Emir vergangen, als er schon wieder einen Bericht über den Fortgang des Projektes wünschte. Spätestens jetzt wurde ihr klar, dass diese sechs Monate nicht nur eine Herausforderung für ihre technischen Fähigkeiten darstellten, sondern auch eine für ihre schlanke Linie. Eigentlich hatte sie gehofft, während dieses Auftrages auch noch die letzten drei Kilos loszuwerden. Die Hitze und der Stress würden sich wohl appetithemmend auswirken, hatte Lara vor der Abreise spekuliert. Jetzt stellte sich die Sache ganz anders dar. Inzwischen dämmerte ihr, dass sie froh sein musste, wenn sie mit dem gleichen Gewicht zurückkehren würde.

So aber fand sie sich wenige Stunden später erneut an der Tafel des Emirs wieder, und sie stopfte wieder die verschiedensten Köstlichkeiten in sich hinein. Dieses mal fühlte sie sich aber in diesem Umfeld schon etwas wohler. Anfänglich verunsicherten sie die vielen Regeln, die zu beachten waren, die vielen fremden Gesichter und die ungewohnten Rituale. Inzwischen war ihr alles schon etwas vertrauter. Noch ein, zwei Einladungen, und sie würde beginnen, sich hier wirklich wohl zu fühlen. Dass die Rückfragen zu ihrem Bericht noch spärlicher ausfielen als wenige Abend zuvor, verwunderte sie schon gar nicht mehr. Auch das brutale Völlegefühl war sie fast schon gewohnt.

Auch Laras Dolmetscherin wirkte lockerer und fröhlicher. Wenig später wusste Lara auch, warum. Sie war in einem Weisenhaus aufgewachsen. Ihr fehlte es zwar an nichts, Reichtum war allerdings keiner vorhanden. Dafür wurde sorgfältig auf eine gute Ausbildung der Waisenkinder geachtet. Da die Pädagogen ihr sprachliches Talent früh erkannten, wurde sie als Dolmetscherin ausgebildet. Dieser erste Job als Dolmetscherin für eine europäische Firma brachte sie nun regelmäßig in den Palast des Emirs! Davon wagte sie selbst als kleines Mädchen kaum zu träumen. Wie sie Lara versicherte, hoffte sie auf viele weitere Einladungen in den Palast. Vielleicht gelang es ihr sogar, mit Hilfe der üppigen Speisen, die jedes Mal serviert wurden, etwas zuzunehmen. Lara staunte. Wieso wollte sie absichtlich zunehmen? "Hier herrschen andere Schönheitsideale als bei Ihnen", klärte sie die Dolmetscherin auf. "Wohlhabende, attraktive Männer würden so ein dünnes Mädchen wie mich niemals heiraten! Dies würde signalisieren, dass sie nur ein Mädchen aus den unteren gesellschaftlichen Schichten heiraten können!"

Vorsorglich begann Lara daraufhin, ihre freien Abenden im Fitnesscenter des Hotels zu verbringen. Sie musste zusehen, so viele Kalorien wie möglich zu verbrennen. Spätestens bei der nächsten Einladung würden ihre Speicher wieder mehr als gefüllt werden. Irgendwie kam ihr die ganze Situation komisch vor. Sie war in einem Land, in dem runde Formen als attraktiv galten, selbst kurz davor, Speck anzusetzen. Trotzdem mühte sie sich ab, um ja kein Gramm zuzunehmen. Das wäre so, als wenn sie sich zu Hause, wo knochige Formen als schön galten, absichtlich mästen würde. Verkehrte Welt.

Wie befürchtet wurden die Termine im Palast des Emirs zur Routine. Egal, um welchen Anlass es sich handelte - ob es ein diplomatischer Empfang, ein Staatsbesuch, Feierlichkeiten an irgendwelchen Festtagen oder einen der zahlreichen Geburtstage der umfangreichen Herrscherfamilie handelte - die attraktive, blonde Technikerin und ihre Dolmetscherin waren stets persönliche Gäste des Emirs. Trotz aller Bedenken machten Lara diese Empfänge inzwischen großen Spaß. Nun kannte sie die einzelnen Minister und Familienmitglieder schon mit Namen, kannte sogar schon ihre Leibwächter und Diener. Während ihre Dolmetscherin es tatsächlich bereits geschafft hatte, ein paar Kilos zuzulegen und mit jedem Kilo fröhlicher und selbstbewusster wirkte, konnte Lara ihr Gewicht noch halten. Lara ahnte allerdings, dass der Aufwand, den sie dafür auf sich nehmen musste, nicht mehr lange aufrecht zu halten war.

Die Konstruktions- und Installationsarbeiten hatte inzwischen begonnen. Nach wenigen Tagen musste Lara feststellen, dass die Zusammenarbeit mit den heimischen Technikern noch nicht perfekt war. Hoffentlich würde sich dies nach einiger Zeit besser einspielen. Bis dies der Fall war, mussten eben Sonderschichten geschoben werden, um den straffen Zeitplan einhalten zu können. Dies erschwerte Lara naturgemäß, ihr aufwändiges Fitnessprogramm durchzuhalten. Ihre Trainings-einheiten begannen, kürzer und weniger intensiv zu werden. Die Portionen, die ihr im Palast serviert wurden, waren natürlich nicht kleiner geworden. Noch hatte sie nicht zugenommen, aber irgendwie fühlte Lara, dass sich die Lage langsam zuspitzte.





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