Die Volksregierungen in den befreiten Gebieten entwickeln sich stetig und rasch. Alle Versuche des alten Regimes, den Aufbau der revolutionären Volksmacht aufzuhalten, scheitern; nicht nur am militärischen Widerstand sondern auch an den neuen sozialen, politischen und ökonomischen Strukturen, die das Volk sich schafft. Im revolutionären Volkskrieg wird nicht nur das Alte zerstört, es wird auch das Neue aufgebaut.
Bei den Wahlen der Volkskomitees gibt es
eine Art Klassenwahlrecht. Es wird darauf geachtet,
dass alle Teile der Bevölkerung (insbesondere
Frauen, ethnische Minderheiten und
Kastenlose (Dalits)) repräsentiert sind. Nur die
Grundbesitzer, die Kompradoren und bürokratischen
Kapitalisten dürfen weder wählen
noch gewählt werden. Die Volksmacht wird
von unten nach oben aufgebaut, die lokalen
Volksräte schließen sich zu regionalen zusammen
und bilden schließlich den Vereinigten
Revolutionären Volksrat (URPC), die Keimzelle
einer landesweiten Volksregierung.
Die wichtigste Aufgabe der Volksmacht ist
es, die grundlegenden Rechte des Volkes
durchzusetzen, das schließt die Organisierung
der Produktion und der Verteilung, die Schaffung
und Erhaltung von Gesundheits- und Bildungseinrichtungen,
Kommunikations- und
Transportmöglichkeiten ein. Auch Volksgerichte
werden gebildet die über Streitigkeiten
richten - wie etwa Konflikte um Land, über
Schulden, Fälle von Männern, die Frauen
schlagen, Scheidungen etc.. Grundstücke, die
durch Großgrundbesitzer enteignet wurden,
sind mittels der Volksgerichte durch die Bauern
und Bäuerinnen die sie bewirtschaften
wieder in Besitz genommen worden. Früher
haben die Dorfeliten den Analphabetismus
der Massen ausgenutzt und falsche, überhöhte
Schuldscheine ausgestellt - die Volksgerichte
haben entschieden solche Schuldscheine
zu beschlagnahmen und die Schulden
zu annullieren. Die Verhandlungen finden öffentlich
statt, manchmal nehmen bis zu 500
Menschen daran teil.
Im Bezirk Humla, einer den ärmsten Regionen des Landes wo Hungerskatastrophen auf der Tagesordnung stehen und es so gut wie keine medizinische Versorgung gibt, werden Modell-Landwirtschaften und Modell-Industrien entwickelt, Schulen für Kinder und Erwachsene gebaut und Alphabetisierungskampagnen durchgeführt. In Rukum, einem der ersten befreiten Bezirke, wurden allein in der ersten Jahreshälfte 2001 eine 26 km Strasse, 16 Trinkwasserversorgungseinrichtungen, vier hölzerne Brücken, zehn Dorfstrassen, neun Nutzwasserbrunnen, vier Bewässerungskanäle, fünf Trinkwassertanks, 13 öffentliche Parkanlagen, 89 Sportplätze und sechs Märtyrer/innenstatuen gebaut. Das Motto dieser Kampagne lautete: "Glaube nicht an die Macht des Geldes, sondern in die Macht deiner Arbeit, deiner zwei Arme und der Einigkeit des Volkes".
Wie in anderen halbfeudalen Ländern ist
auch in Nepal die Unterdrückung der Frauen
tief im gesellschaftlichen Leben verankert.
Feudale Traditionen, wie arrangierte Ehen,
Mitgift, Polygamie und das Verbot als Witwe
wieder zu heiraten, sind besonders in den
Dörfern (wo 85% der Nepales/innen leben)
weit verbreitet. Das tägliche Leben wird von
religiösen und kulturellen Praktiken bestimmt,
die die Vorherrschaft der Männer fördern
und zementieren.
In Verbindung mit kapitalistischen Einflüssen
reichen Besitz und Kontrolle über die
Frauen und ihre Körper von der Ehe bis zum
Frauenhandel. Unter solchen Bedingungen ist
es einer einzelnen Frau praktisch unmöglich,
Freiheit und Unabhängigkeit zu erlangen.
Um die Emanzipation der Frauen zu ermöglichen, müssen die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend verändert werden, sowohl auf ökonomischer und sozialer, als auch auf politischer und kultureller Ebene. Erste Schritte in diese Richtung werden heute in den befreiten Gebieten Nepals gemacht. Durch die Aufteilung des Großgrundbesitzes an arme Landarbeiterinnen besitzen Frauen erstmals eigenes Land. Sie beteiligen sich auf allen Ebenen an den revolutionären Volksregierungen, bilden Milizen und kämpfen gleichberechtigt in der Volksarmee - sowohl in gemischten als auch in Frauenverbänden. Selbst in der Landwirtschaft wird die Arbeitsteilung aufgebrochen, so ist zum Beispiel das Schlachten des Viehs keine "Männersache" mehr. Auf Grundlage all dessen werden frauenverachtende Gesetze abgeschafft und Tra- 36 Nepal In den befreiten Gebieten 37 ditionen durchbrochen. Die Nepalesinnen haben in den befreiten Gebieten ihr Recht auf Landbesitz, Ehescheidung und Schulbesuch durchgesetzt. Die Geburt von Töchtern wird nun ebenso feierlich begangen wie die von Söhnen. Gewalt gegen Frauen hingegen wird von den Volksgerichten verurteilt - die Bestrafung wird von Frauen vollzogen.
Die Mobilisierung der Frauen im Volkskrieg ist so offensichtlich wie erfreulich. Die All Nepalese Women's Association (Revolutionary) (ANWA(R)) ist eine der aktivsten Massenorganisationen Nepals, ihr ist es zu verdanken dass am 8.März dieses Jahres ein weltweit einzigartiger landesweiter politischer Generalstreik durchgeführt wurde. Aufgrund der besonderen Unterdrückung der Frauen in der Gesellschaft sind Mobilisierung, Organisierung und Förderung von Frauen, die Herausbildung von weiblichen Kadern in der Führungsebene der Partei und in den Volksregierungen eine wichtige und eigenständig Aufgabe der Kommunist/innen. Seit dem Zweiten Nationalen Kongress (2001) gibt es eine eigene Frauenabteilung in der KPN(M), um das Potential der Frauen weiterzuentwickeln und zu ermöglichen, dass mehr und mehr Frauen die Entscheidungsgremien erreichen können, an allen drei Fronten: Partei, Armee und Einheitsfront. (vgl. den Artikel von Genossin Parvati, Mitglied des ZK der KPN(M), in dieser Nummer) Aus einem Bericht der National Women's Commission's in Nepal aus dem Jahr 2003 geht hervor, dass in einigen Bezirken der Anteil der Frauen in den revolutionären Milizen rund ein Drittel ausmacht, während es in den "am stärksten mobilisierten maoistischen Distrikten" sogar 50% sind. Der Report stellt außerdem fest, dass die Hälfte der unteren Kader sowie 10% des Zentralkomitees der Partei Frauen sind.[1]
In Nepal leben Angehörige verschiedener Nationalitäten,
es ist ein vielsprachiges Land. Nur
knapp 50% der Einwohner/innen Nepals sprechen
Nepali (= die Sprache der Khas) als ihre
Muttersprache, 75-80% verstehen oder beherrschen
sie. Das hat seine Ursachen in der
Geschichte des Landes: 3000 Jahre lang sind
aus Indien und der tibetischen Hochebene
Gruppen von Menschen, Angehörige verschiedener
Nationalitäten, in das Gebiet des heutigen
Nepals gewandert und haben sich dort
niedergelassen. Erst in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts wurde Nepal gegründet,
durch gewaltsame Annexion von etwa 60 verschiedenen
unabhängigen Staaten und Fürstentümern,
die sich entlang dem Himalaja angesiedelten
hatten. Noch unter der
Panchayat-Zeit von 1960 bis 1990, als der König
absolut herrschte, galt der Slogan: "Eine
Nation, eine Tracht, eine Sprache". Die nationalen
Minderheiten waren völlig rechtlos.
Andererseits hat das seit damals in Nepal
herrschende Hindu-Königsgeschlecht schon
1816 seinen ersten Dämpfer bekommen, als
ihm von Britisch-Indien der "Sugauli"-Vertrag
diktiert wurde, der Nepal in eine Halbkolonie
des britischen Empires verwandelte. Das nepalesisch-
indische Handelsabkommen 1923
und das "Friedens und Freundschafts"- Abkommen
1950 mit dem "freien" Indien sowie
unzählige weitere Handels- und Transitverträge,
garantieren dem indischen Expansionismus
bis heute ein faktisches Handels-, Industrie-
und Finanzmonopol über Nepal. In
den 50er und 60er Jahren wurde diese Abhängigkeit
durch neokoloniale Beziehungen
mit Japan, Deutschland, den USA und anderen
imperialistischen Mächten ergänzt, die
häufig von ihren indischen Standorten aus in
Nepal agieren.
Die bürgerlich-demokratische Revolution von 1990 löste auch unter den nationalen Minderheiten Aufbruchstimmung aus. Die neue Verfassung anerkannte neben der religiösen die ethnische und sprachliche Vielfalt und verbot formal jede Diskriminierung aufgrund ethnischer Zugehörigkeit. In der Praxis werden Staat, Wirtschaft und Kultur jedoch weiterhin von den höheren Hindukasten dominiert. Die Durchsetzung der Staatssprache im ganzen Land (auch auf Distriktebene, sowie in Medien und öffentlichen Schulen) blieb Leitlinie der Politik und an der Diskriminierung änderte sich wenig: jene Distrikte, die vorwiegend von ethnischen Minderheiten bewohnt werden, sind die ärmsten Regionen Nepals, vielen Angehörigen von Minderheiten im Tarai wird sogar die Staatsbürgerschaft verweigert.
Die KPN(M) kennt zwei nationale Fragen
in Nepal, eine externe und eine interne: Einerseits
gilt es, die halbkoloniale Herrschaft
der Imperialisten und Expansionisten über
alle Nationalitäten Nepals zu beenden, andererseits
muss die ökonomische, politische, kulturelle
und sprachliche Hegemonie der regierenden
Khas über die unterdrückten Völker
Nepals bekämpft werden.
Sie hat daher seit ihrer Gründung die Position
vertreten, dass den unterdrückten Minderheiten
und Nationalitäten regionale und
nationale Autonomie, also das Recht auf
Selbstbestimmung bis hin zur Lostrennung
zusteht und betont, dass ein wirklicher Zusammenschluss
des Völker nur freiwillig erfolgen
kann, als Grundlage dafür müssen Unterdrückung,
Repression und Diskriminierung
beseitigt werden. Ihr "Programm für die Befreiung
der Nationalitäten" (1994) sieht die
Gründung eines Neuen Demokratischen Staates
mit Beteiligung aller Nationalitäten, die
Schaffung eines "Rates der Nationalitäten",
in dem alle autonomen Regionen proportional
repräsentiert sind sowie einen "Zentralen
Volksrat" vor, um Gleichbehandlung und -berechtigung
zu gewährleisten.
Die Fortschritte im Volkskrieg haben es ermöglicht, diese Worte in die Tat umzusetzen. Im Rahmen der All Nepal Nationalities Association (ANNA) kämpfen unterschiedliche nationale Befreiungsbewegungen und -fronten gegen das herrschende Regime und für ein Leben ohne Diskriminierung. Ein im Jänner dieses Jahres beschlossenes Dokument nennt zwei autonome Regionen (Seti-Mahakali und Bheri-Karnali) sowie sieben autonome Nationen (Magarat, Tharuwan, Tamuwan, Tamang, Newar, Madheshi und Kirat) auf dem Territorium Nepals.[2]
Überall in Nepal versetzt das Volk in Bewegung
dem Regime empfindliche Schläge.
Doch ein noch so grausames Vorgehen gegen
das Volk und seine gewählten Führer scheinen
der Revolution bisher nichts anhaben zu
können. Es greift den Staat und seine Verfassung
an, verflucht die neokoloniale Ökonomie
der bürokratischen Kapitalisten und jagt
die Großgrundbesitzer zum Teufel, rüttelt an
den patriarchalen und chauvinistischen Traditionen
einer längst überholten Epoche. Arbeiter/
innen und Student/innen setzen die
Massendemonstrationen in Katmandu, die
Bandhs und Blockaden fort. Die Volksarmee
lässt die königlichen Terroristen nicht zur
Ruhe kommen. Der Aufbau des Neuen Demokratischen
Staates in den befreiten Gebieten
schreitet voran.
Es ist abzusehen, dass die Kämpfe in Nepal
sich in der nächsten Zeit weiter zuspitzen
werden. Wenn die Revolutionär/innen dem
Regime weiterhin so schwere Schläge versetzen
- und das hoffen wir - und die Herrschenden
nicht einlenken, wird es wahrscheinlich
zu einer konterrevolutionäre
militärischen Intervention Indiens kommen.
Auch der US-Botschafter in Nepal hat kürzlich
erklärt, dass "Chaos und Anarchie in Nepal
eine Bedrohung für die Region und für
die vitalen Interessen der USA wäre" weswegen
seine Regierung bereit sei "alles" zu unternehmen
um das zu verhindern.[3]
Die nepalesischen Revolutionär/innen begreifen ihre Revolution als revolutionären Funken für die Unterdrückten überall auf der Welt. Es hat sich gezeigt und zeigt sich täglich aufs Neue, dass schon dieser Funke für das verrottete System von Imperialismus und Reaktion eine Herausforderung darstellt. Die nepalesische Revolution hat auf verschiedenen Ebenen direkten Einfluss auf die Weltpolitik: Einerseits gibt es in vielen Ländern Solidaritätsbewegungen und -aktionen der fort- schrittlichen Kräfte, andererseits bemühen sich Imperialismus und Reaktion ihre Widersprüche zurückzustellen um die Revolution niederzuschlagen. "Alle müssen ihre Rolle spielen, gemäß ihren jeweiligen Klasseninteressen. Deswegen wäre es blanke Ignoranz, die nepalesische Revolution als im Weltmaßstab irrelevant darzustellen." [4]
Sangrami ist 23 Jahre alt, war als Studentin politisch aktiv und wurde im Jahr 2000 bei einem Überfall der RNA auf ihr Dorf von Soldaten geschlagen und vergewaltigt. Sie trat daraufhin der PLA bei und ist heute Vizekommandantin einer Kompanie. Die Antwort auf die Frage, ob der Volkskrieg gewinnbar sei, überlassen wir dieser Genossin der Nepalesischen Volksbefreiungsarmee, die im Mai dieses Jahres von der Zeitschrift Janadesh interviewt wurde: "Wir können siegen; es ist nicht notwendig, das in Frage zu stellen. Gestern haben wir unseren Krieg mit Steinen und Stöcken geführt. Jetzt sind wir stark genug, die Königliche Amerikanische Armee zu besiegen (wie die nepalesischen Genoss/innen die RNA nennen weil sie für die Interessen der USA und gegen die nepalesischen kämpft), die mit Bunkern und amerikanischen Waffen ausgestattet ist und deren Pläne und Training vom amerikanischen Imperialismus bereitgestellt werden. Der alte Staat ist eingeschlossen in den Bezirkshauptquartieren, den Städten und der Hauptstadt. Wir haben uns in den letzten acht Jahren eine neue Ideologie angeeignet, den Prachanda Pfad; das ist unsere stärkste Waffe die die Revolution vorwärts ins 21. Jahrhundert treiben kann. Unser kommender Kampf ist der letzte und entscheidende. Unsere Offensive wird, wenn der Feind am Rande des Zusammenbruchs steht, bis zum Schluss fortgesetzt werden und die Proletarier/innen werden das Banner des Sieges hissen. Als eine Kämpferin der Volksbefreiungsarmee rufe ich die Volksmassen, alle Frauen eingeschlossen, auf, an diesem letzten Krieg teilzunehmen." [5]