Nicaragua 1979 und der Niedergang der Revolution

Proletarische Rundschau Nr. 15, Mai 2004

Am 19. Juli 1979 zogen der Kämpfer/innen der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) in Managua, der Hauptstadt von Nicaragua ein. Seit 45 Jahren hatte der verhasste Somoza-Clan, der mächtigste Großgrundbesitzer des Landes, die Volksmassen brutal unterdrückt und ausgebeutet. Doch jetzt war Diktator Somoza mit seiner Familie auf der Flucht zu seinen Herren in den USA. Der Name der siegreichen Sandinistischen Befreiungsfront Nicaraguas geht auf Augusto Cesar Sandino zurück, der 1927 bis 1933 in einem Guerillakrieg die US-Besatzungsarmee aus Nicaragua vertrieben hatte, aber 1934 von den Lakaien des US-Imperialismus, den Großgrundbesitzern und Kompradoren- Kapitalisten, ermordet wurde.
Der Sieg der Sandinisten in Nicaragua erzeugte eine Welle von Sympathie in Europa, Nordamerika und den halbkolonialen Ländern der Welt. So beteiligten sich auch in Österreich nicht nur tausende Menschen an Solidaritätsveranstaltungen, sondern z.B. wurden 1979 auf die Konten der verschiedenen Solidaritätskomitees bis zu EUR 2200,– täglich (!) einbezahlt und hunderte Österreicher/innen fuhren völlig auf eigene Kosten zu Arbeitsbrigaden nach Nicaragua, um den Aufbau des „Nicaragua Libre“ zu unterstützen.

Die Vorgeschichte der Revolution in Nicaragua gleicht vielen anderen Befreiungsbewegungen in Lateinamerika, Afrika und Asien: Im Gefolge des 2. Weltkriegs kam es allein zwischen 1958 und 1960 zu etwa 60 bewaffneten Aufstandsversuchen und bürgerkriegsähnlichen Unruhen, die in engem Zusammenhang mit der erfolgreichen kubanischen Revolution standen. Doch Nicaragua blieb ein Bollwerk der US-amerikanischen Konterrevolution, und in nicaraguanischen Trainingslagern wurden faschistische Terroreinheiten für eine Intervention gegen Cuba ausgebildet. Ende der 1960er Jahre kam es zu einem Aufschwung der Partisanenbewegung unter dem Gründer der FSLN, Carlos Fonseca. Dieser versuchte als armer Arbeiterstudent die Theorie der kommunistischen Arbeiterbewegung mit den konkreten Erfahrungen des Guerillakampfs unter Sandino zu verbinden.

Nach einem großen Erdbeben 1972, das Managua fast vollständig dem Erdboden gleich machte und etwa 10.000 Tote kostete, entwickelt sich eine breite demokratische Volksbewegung gegen den Somoza-Clan. Dieser nutzte nämlich die Katastrofe, um sich skrupellos zu bereichern. Er bemächtigte sich nicht nur der internationalen Hilfsgelder, sondern riss auch alle Wirtschaftszweige an sich, sofern sie nicht in fester US-amerikanischer Hand waren. Bis 1978 gibt es einen nahezu ununterbrochenen Aufschwung der breiten anti-somozistischen Oppositionsbewegung auf Grundlage des Bündnisses zwischen Arbeiter/innen- und Bäuer/innen, der sandinistischen Guerilla und dem von Somozas „Wirtschaftsoffensive“ bedrohten nationalen Bürgertum. Nach der Ermordung eines bürgerlichen Oppositionsführers kommt es zu Massenaufständen, und durch den brutalen Einsatz der Armee (Bombardierung von Armenvierteln usw.) dehnt sich die Aufstandsbewegung immer weiter aus. Große Teile des Bürgertums und auch der USImperialismus wollen jetzt Somoza rasch loswerden, aber der eilige Versuch einen Marionetten- Wechsel durchzuführen schlägt fehl. Denn in mehr als 20 Städten und in den Armenvierteln der Hauptstadt haben bereits die „Komitees der Nationalen Verteidigung“ die Macht übernommen. Zwei Tage nach der Amtsübergabe an den Übergangspräsidenten Urcuyo, der die Situation entschärfen soll (neue Regierungsjunta mit Beteiligung der bürgerlichen und sandinistischen Opposition, Entwaffnung des Volkes,... ) marschiert die FSLN im Zentrum von Managua ein.

Die neue sandinistische Regierung führt sofort und in den folgenden Jahren eine ganze Reihe von wesentlichen Veränderungen durch, die nicht nur für Lateinamerika beispielhaft sind (wenn wir vom revisionistischen Cuba einmal absehen).

So weit, so erfreulich! Aber heute, 25 Jahre nachher, ist von der ganzen Aufbruchsstimmung und den begeisternden Veränderungen nahezu nichts geblieben. Schon 10 Jahre nach der Revolution hatte die sandinistische Regierung weitgehend abgewirtschaftet, die Klagen aus dem Volk gegen die Commandantes der FSLN waren unüberhörbar und bei den vorgezogenen Wahlen 1990 gewinnt der antisandinistische Oppositionsblock. Das kann nicht allein auf die massive Einflussnahme des US-Imperialismus zurückgeführt werden, der praktisch seit 1979 ununterbrochen mit allen Mitteln am Sturz der FSLN gearbeitet hatte – von den Contra-Banden, die mit US-amerikanischen Waffen ausgerüstet Terror verbreiteten, über den Wirtschaftsboykott bis zu massiver Einflussnahme auf die öffentliche Meinung und den Wahlkampf.

Schon Mitte der 1980er Jahre, als die kleinbürgerliche Solidaritätsbewegung mit Nicaragua noch in höchsten Tönen die Politik der Sandinisten lobte, haben österreichische Marxist/ innen-Leninist/innen in einer Einschätzung der Situation und Entwicklung in Nicaragua mehrere bedeutende Fehlentwicklungen festgestellt. In diesem (internen) Text werden insbesondere zwei Punkte ausgeführt:
Einerseits die falsche (außenpolitische) Haltung der FSLN gegenüber dem Weltimperialismus und andererseits die mangelnden Perspektiven einer antiimperialistischen und antifeudalen Revolution unter Führung der Frente Sandinista de Liberatión Nacional.
Die Sandinisten haben zwar wiederholt vom „Kampf gegen den Imperialismus“ gesprochen, aber damit immer nur den US-Imperialismus gemeint. (Oft war die Sicht so eingeschränkt, dass entweder nur die Reagan-Regierung als „imperialistisch“ verstanden wurde und z.B. der Alt- Präsident Jimmy Carter als „Freund“ Nicaraguas in Managua empfangen wurde. Oder gar bei einer noch genaueren „Definierung“ des Imperialismus von FSLN-Führer und Präsident Ortega zu hören war: „Nicaragua ist keine Feindin des Präsidenten Reagan!”
Das ist nicht mehr „nur“ mit Opportunismus einer kleinbürgerlichen Führung zu erklären, denn zur gleichen Zeit machten sich westeuropäische und osteuropäische „Hilfsorganisationen“ im ganzen Lande breit. Trotz der enthusiastischen und selbstlosen Unterstützung der Völker für die nicaraguanische Revolution gelang es den verschiedenen imperialistischen Mächten über eine Reihe von „Hilfsorganisationen“ die Entscheidungen des neuen Staatsapparats zu steuern. Schon bald wurde der immer drückendere Einfluss sowohl des deutschen und spanischen Imperialismus als auch des russischen Sozialimperialismus auf die gesamte Politik des „Freien Nicaragua“ unter Führung der FSLN immer deutlicher. Während linke Sozialdemokrat/innen noch von geglückter Diversifizierung des Außenhandels redeten, bestimmten schon west- und osteuropäische Berater weitgehend den Außenhandel und die Geschicke des Landes.

Hier soll allerdings keineswegs geleugnet werden, dass die Ausnützung der zwischenimperialistischen Widersprüche ein unverzichtbares Mittel der Außenpolitik nicht nur eines so kleinen und schwachen Landes wie Nicaragua sein muss. Im Gegenteil: Als die CIA Anfang der 1980er Jahre alle Häfen des Landes verminte, um der US-amerikanischen Blockadepolitik Nachdruck zu verleihen, waren es Minenräumer des französischen Imperialismus, die die Sprengfallen wieder beseitigten und somit den Seehandel wiederherstellen halfen – ohne diese (eigennützige) Hilfe des z.B. französischen Imperialismus hätte Nicaragua von sich aus nicht über die nötigen technischen Voraussetzungen verfügt, mit der US-amerikanischen Militärtechnik fertig zu werden. Aber die völlige Verwirrung von Freund und Feind, von „guten“ und „schlechten“ Imperialisten und keine revolutionäre Haltung gegenüber allen imperialistischen Mächten, gegenüber dem Imperialismus als Weltsystem mit verschiedenen Metropolenländern, haben der nicaraguanischen Revolution das Genick gebrochen.
Das Unverständnis der FSLN, insbesondere ihrer Führung, gegenüber den Aufgaben einer neudemokratischen Revolution in einem halbfeudalen Land, wo die große Mehrheit der Volksmassen aus armen Bäuer/innen und Stadtarmut besteht, war der zweite Wurm, der von Anfang an da war und völlig unzureichend bekämpft wurde.

Wenn die Arbeiter/innenklasse in einer antiimperialistischen neudemokratischen Revolution nicht die Führung übernimmt – weil sie politisch zu schwach oder ideologisch zu wenig gefestigt ist – wird unweigerlich das Kleinbürgertum früher oder später einen Kompromisskurs sowohl gegenüber dem Imperialismus als auch gegenüber der einheimischen Bourgeoisie und den Großgrundbesitzern einschlagen. Damit verliert die Revolution den entscheidenden Einfluss unter der Bauernschaft, die den größten Teil der Volksmassen ausmacht und damit jeden Schwung. So betonte die FSLN immer wieder ausdrücklich, dass sie keine feste Linie zum Aufbau der neuen Gesellschaft habe. Es gab aber drei Grundsätze: Blockfreiheit, gemischte Wirtschaft und politischer Pluralismus, und diese nach der Kontaktaufnahme mit der Sozialistischen Internationale 1978 verankerten Programmpunkte umreißen auch gleich deutlich die unentschlossene, zurückweichlerische Haltung der FSLN.
Zum 2. Grundsatz, der das Privateigentum der Kapitalisten – auch der imperialistischen Konzerne – sicherstellte, meinte der damalige FSLN-Wirtschaftsspezialist und Minister Jaime Wheelock: „Sie sollen produzieren und sich nicht in die Politik einmischen!“ Das blieb natürlich ein frommer Wunsch und die ideologische Verwirrung, die von solchen führenden FSLN-Politikern gestiftet wurde, hat die Sache noch schlimmer gemacht.
Der 3. Grundsatz bedeutet, dass das neue Nicaragua ein Mehrparteienstaat mit bürgerlich- parlamentarischem System war. Gleichzeitig bedeutete das real die politische Entmachtung der Volksräte (CDS) und freie Bahn für die US-gestützten Parteien, die mit der bewaffneten Konterrevolution offen sympathisierten und weniger offen diese Terrorbanden direkt unterstützten und aufbauten. Ohne Kurs auf die Macht der Arbeiter/innen- und Bäuer/innen in Form von Volksräten konnte die vorübergehend bestehende Volksmacht von den Sandinisten nur in die Niederlage geführt werden.

Dazu ein weiteres Beispiel: Offiziell hieß es noch Mitte der 1980er Jahre: „Garant der Revolution sind die Waffen in den Händen des Volkes“. Aber in Wirklichkeit war das Volk nur noch in den Grenzgebieten, wo die Contra- Banden Terror verbreiteten, bewaffnet. In den Kooperativen waren die meisten Mitglieder in den Milizen organisiert, und vor allem die Männer (!) trugen ihre Gewehre auch mit sich herum. Je weiter du aber von den Kampfzonen entfernt warst, desto weniger Waffen konntest du sehen. Wenn Leute aus einer Kooperative in die Bezirkshauptstadt oder Regionalhauptstadt fuhren, versteckten sie die Gewehre hinter den Autositzen, weil es für Milizionäre zwar nicht verboten war, Waffen zu tragen, aber du hast dir schon 1985 eine ganze Menge Ärger mit der Sicherheitspolizei erspart, wenn du nicht auf deinem Recht bestanden hast.
Ähnliche Beispiele gab es 5 Jahre nach dem revolutionären Aufstand schon viele und immer mehr revolutionär gesinnte Menschen waren zunehmend enttäuscht über die Entwicklung und sahen immer weniger Perspektive unter Führung der FSLN, aber auch keine echte Alternative.

In diesem Zusammenhang soll kurz auf eine Abspaltung von der FSLN hingewiesen werden, die zuerst als „Bewegung der Volksaktion – marxistisch-leninistisch“ (MAP-ML) und später unter dem Namen „Marxistisch-Leninistische Partei Nicaraguas“ (PMLN) kämpfte. Bei den Wahlen erhielt sie 1984 nur 1%, sie war aber in der sehr kleinen Arbeiter/innenklasse (nur wenige Tausend bei ca. drei Millionen Einwohner/ innen) und unter den radikalisierten Teilen der Volksmassen deutlich stärker verankert als ihr Wahlergebnis vermuten lässt. (Damals erhielten die FSLN 76% und die beiden revisionistischen Parteien PCN und PSN je ca. 1,5%). Trotz aller berechtigten Kritik an der FSLN als kleinbürgerliche und zwischen verschiedenen politischen Strömungen schwankende Organisation, hatte auch die PMLN eine Tendenz zu ähnlichen politischen Fehlern, die innerhalb der nächsten Jahre sehr rasch zum Niedergang der nicaraguanischen Revolution führten. So verfügte z.B. auch die PMLN über kein Konzept zur Stärkung des Einflusses der Arbeiter/innenklasse in der revolutionären Volksbewegung, sie unterschätzten die Rolle der kommunistischen Partei sowohl in den Volksräten als auch in der Volksmiliz. Die Vorläufergruppen der PMLN waren erst kurz vor dem Sieg der Revolution von radikalen Elementen vor allem in den bewaffneten Einheiten gegründet worden und hatten es in der kurzen Zeit nicht geschafft, sich ein ausreichend festes theoretisches Fundament für die gewaltigen Aufgaben zu schaffen.

Die Auseinanderentwicklung zwischen den Hoffnungen der Masse der Arbeiter/innen und Bäuer/innen und dem von der FSLN-Führung eingeschlagenen politischen Kurs des verantwortungslosen Kompromisses zwischen den gegensätzlichen Klassen und Schichten in Nicaragua wurde in den Jahren ab 1985 immer stärker. Und je geringer die Unterstützung im Volk wurde, desto mehr wandte sich die FSLNFührung den bürgerlichen Schichten zu und verfiel der Korruption und Haltlosigkeit auf allen Ebenen.

Nur eine entschlossene Mobilisierung der Arbeiter/innenklasse, der Kleinbäuer/innen, der werktätigen Frauen und weiterer revolutionärer Kräfte gegen die Restauration der Herrschaft einer neuen Kompradoren-Bourgeoisie hätte den Aufbau des „Nicaragua Libre“ voranbringen können. Dazu wäre eine klare Orientierung auf eine neudemokratische, wirklich antiimperialistische Revolution notwendig gewesen.

Die Bedingungen in einem kleinen und wirtschaftlich rückständigen Land wie Nicaragua waren äußerst schwierig und der Weg zur Arbeiter/innen-Bäuer/innen-Macht besonders kompliziert. So haben es die revolutionären Kommunist/innen nie geschafft, eine in den Volksmassen verankerte Kampfpartei aufzubauen und eine den nicaraguanischen Verhältnissen entsprechende politische Linie der Revolution zu entwickeln. Damit hat Nicaragua und sein Volk dasselbe Schicksal erlitten wie in vielen anderen Teilen der Welt, wo sich Völker zur Revolution rüsten, den revolutionären Kampf beginnen, aber wegen unzureichender politischer Erfahrung und Klarheit auf halbem Weg stecken bleiben und schwere Rückschläge erleiden.

Am 29. Oktober 1665 standen sich die beiden Armeen in der Nähe von Ambuila (Mbwila) gegenüber. Nach zehn Stunden Kampf trugen die Portugiesen den Sieg davon. Der kongolesische König wurde getötet, sein Kopf nach Luanda gebracht und zum Gedenken an die Schlacht in der Kapelle Nosso Senhora da Nazaré begraben. Diese Schlacht setzte nun den Schlusspunkt unter den Zerfall des Reiches, das jetzt nur noch die Umgebung von Mbanza Kongo umfasste und keinen Machtfaktor mehr darstellte.