Trotzkis Trotzkismus

Über die historischen Wurzeln und den Gründer des Trotzkismus

Proletarische Rundschau Nr. 12, September 2003

Lew Dawidowitsch Bronstein wurde 1879 in der Südukraine geboren. Er studierte in Odessa Mathematik, wurde bald, als Mitbegründer des südrussischen Arbeiterbundes, in der antizaristischen Oppositionsbewegung aktiv. Diese Aktivität führte 1898 zu seiner Verhaftung und Verbannung nach Sibirien. 1902 gelang ihm, unter dem falschen Namen Trotzki, die Flucht nach London. Dort arbeitete er gemeinsam mit Lenin in der Redaktion der marxistischen Zeitung Iskra (Funke).

Am II. Parteitag der russischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei SDAPR im Juni 1903 kam es zu einer Spaltung in zwei Fraktionen, Menschewiki und Bolschewiki. Die Bolschewiki forderten eine straffere Organisation der Partei, jedes Mitglied sollte sich verpflichtend an der Parteiarbeit beteiligen, das wurde abgelehnt. Trotzki befand sich damals unter der Mehrheit, die Lenin vorwarf er wolle aus der Partei einen engen Kader von Verschwörern machen und keine Organisation der Arbeiterklasse. Eine weitaus gewichtigere Streitfrage war aber, die Rolle der Partei in und nach der bürgerlichen Revolution in Russland. Die Hauptaufgaben dieser bestanden darin, die Selbstherrschaft (den Zaren) hinwegzufegen, demokratische Freiheiten einzuführen, den Bauern Land zu geben und die Leibeigenschaft abzuschaffen. Alle Fraktionen waren sich darin einig, dass das Proletariat, aufgrund der Schwäche der russischen Bourgeoisie, die führende Rolle übernehmen werde. Die Menschewiki gingen davon aus, dass wegen des Charakters der Revolution, man ein Bündnis mit der liberalen Bourgeoisie eingehen werde müssen. Danach wäre auch noch eine historische Etappe der kapitalistischen Herrschaft notwendig, eine sozialistische Revolution läge also in ferner Perspektive. Im Gegensatz dazu, betonten die Bolschewiki die entscheidende Bedeutung der Bauernschaft und ihr revolutionäres Potential, das man in einem Bündnis nutzen könnte. Nach der Revolution wären eine Herrschaft des Proletariats und der Bauern innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft möglich (mit einem entsprechenden Agrarprogramm) und damit ein Hinüberwachsen der bürgerlichen Revolution in eine sozialistische Revolution.

Trotzki selbst sah sich zu der Zeit zu keiner der beiden Fraktionen zugehörig, arbeitete Anfangs mit den Menschewiki zusammen, teilte aber nicht ihre Orientierung an der liberalen Bourgeoisie. Trat für die Einheit der Partei ein und war als unabhängiger sozialdemokratischer Publizist tätig.

Im Jänner 1905 brach, ausgehend vom Streik der Arbeiter des Putilov-Werkes in Petersburg, die Revolution aus, und weitete sich in mehreren Wellen über Russland auch auf Polen und Lettland aus. Am Höhepunkt der revolutionären Bewegung im Oktober, wurden in mehreren Städten Sowjets, bestehend aus den Streikkomitees, gebildet. In Petersburg wurde Trotzki zum Vorsitzenden gewählt. Die Revolution endete mit der Unterdrückung des Aufstandes der Arbeiter in Moskau im Dezember, und alle Zentren wurden mit blutigen Repressionsmaßnahmen überzogen. Trotzki wurde erneut verhaftet und zu einer lebenslangen Verbannung nach Sibirien verurteilt. In der Verbannung schrieb er Perspektiven und Ergebnisse in denen er seine Erfahrungen analysiert und aufbauend auf Parvus (in Deutschland lebender russischer Sozial-demokrat und Freund Trotzkis), die hochgelehrte Theorie der permanenten Revolution entwickelt. Diese bestand im Kern darin, dass das russische Proletariat sich in einer sozialistischen Revolution nur dann behaupten könne, wenn der Funke der Revolution auch auf das europäische Proletariat übergreift, das ihm dann zur Hilfe kom men werde. Denn während das Proletariat in der ersten Etappe (bürgerliche Revolution) die Unterstützung der Bauernschaft, genießen werde wird es mit einer sozialistischen Revolution die Masse der Kleineigentümer gegen sich aufbringen und wegen seiner Schwäche die Errungenschaften einer solchen, nicht aus eigener Kraft festigen können.

"In 'Ergebnisse und Perspektiven' schreibt Trotzki: 'Ohne direkte staatliche Unterstützung durch das europäische Proletariat wird die Arbeiterklasse Russlands nicht imstande sein, die Macht zu behaupten und ihre zeitweilige Herrschaft in eine dauernde sozialistische Diktatur zu verwandeln. Daran darf man nicht einen Augenblick zweifeln.'
Was besagt dieses Zitat? Es besagt, dass der Sieg des Sozialismus in einem Lande, im vorliegenden Fall in Russland unmöglich ist 'ohne direkte staatliche Unterstützung durch das europäische Proletariat', das heißt vor der Machteroberung durch das europäische Proletariat.
Was hat diese 'Theorie' mit dem Satze Lenins von der Möglichkeit des Sieges des Sozialismus 'in einem einzeln genommenen kapitalistischen Lande' gemein?"[1]

Den Begriff der permanenten Revolution hat Trotzki bei Marx entlehnt. Er ist im Zusammenhang mit der "Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850"[2] zu finden, in der Marx und Engels die Forderungen einer revolutionären Arbeiterpartei in der bürgerlich demokratischen Revolution in Deutschland aufstellen. Die Analyse geht davon aus, dass in dieser die kleinbürgerlichen Demokraten das Übergewicht erhalten. Diese wiederum erstreben eine Änderung der gesellschaftlichen Zustände, wodurch ihnen die bestehende Gesellschaft möglichst erträglich und bequem gemacht wird. Das heisst: Der Herrschaft und raschen Vermehrung des Kapitals soll entgegengearbeitet werden wobei sie hoffen, hoffen die Arbeiter durch mehr oder minder versteckte Almosen zu bestechen und ihre revolutionäre Kraft zu brechen. Dem gegenüber stellen sie, dass es im Interesse der Partei des Proletariats sei, die Revolution permanent zu machen, so lange, bis alle mehr oder weniger besitzenden Klassen von der Herrschaft verdrängt sind, die Staatsgewalt vom Proletariat erobert und die Assoziation der Proletarier nicht nur in einem Lande, sondern in allen herrschenden Ländern der ganzen Welt so weit vorgeschritten ist, dass die Konkurrenz der Proletarier in diesen Ländern aufgehört hat und dass wenigstens die entscheidenden produktiven Kräfte in den Händen der Proletarier konzentriert sind. Die Losung Revolution in Permanenz! wird hier verwendet um klar und deutlich aufzuzeigen was die Partei des Proletariats von den demokratischen Kleinbürgern trennt, denn es kann sich für sie nicht um Veränderung des Privateigentums handeln, sondern nur um seine Vernichtung, nicht um Vertuschung der Klassengegensätze, sondern um Aufhebung der Klassen, nicht um Verbesserung der bestehenden Gesellschaft, sondern um Gründung einer neuen.

Trotzkis Losung lautete aber nicht Revolution in Permanenz sondern Revolution immer und überall! Die Arbeiterklasse muss jederzeit und überall für die sozialistische Revolution kämpfen. Es ist eine Politik der Kapitulation und des Defätismus, denn warum sollte sich das Proletariat mit einer bürgerlich demokratischen Revolution aufhalten wenn die einzige Lösung die Flucht nach vorne, sprich Weltrevolution sein kann. Dass die sozialistische Revolution Russlands die erste in einer Reihe von nationalen Revolutionen sein wird müssen, formuliert er in "Perspektiven und Ergebnisse" (1906) folgendermaßen:

"Wenn das russische Proletariat, das vorübergehend die Macht erlangt hat, nicht aus eigener Initiative die Revolution auf den Boden Europas überträgt, so wird die europäische feudalbourgeoise Reaktion es dazu zwingen. Diese These versucht er anhand eines fiktiven Szenarios (Polen schließt sich der Revolution an, wird von der deutsch-österreichischen Konterrevolution angegriffen) zu beweisen: Es ist ganz offensichtlich, dass die russische Revolution ihre westliche Avantgarde (Polen) nicht in den Händen der preußisch-österreichischen Söldner lassen kann... Welche Position würde hierbei das deutsche und österreichische Proletariat einnehmen? Es ist klar, dass es einem konterrevolutionären Kreuzzug seiner nationalen Armeen nicht ruhig zuschauen kann. Der Krieg eines feudal-bourgeoisen Deutschland gegen ein revolutionäres Russland bedeutet unweigerlich die proletarische Revolution in Deutschland."

Trotzki übersieht bei der gesamten Beweisführung, dass die Arbeiter/innenklasse aus eigener Kraft ausschließlich ein gewerkschaftliches Bewusstsein entwickeln kann, und das Bewusstsein über den prinzipiellen Gegensatz zwischen ihrer Klasse und dem gegenwärtigen sozialen System nicht hervorbringt. Er unterschätzte die führende Rolle der Arbeiter/innenklasse bei der revolutionären Umgestaltung und überschätzte gleichzeitig die Kräfte des westeuropäischen Proletariats (siehe "linker" Opportunismus, Grundbegriffe des Marxismus-Leninismus)

Die Jahre 1908-1911 bedeuten für die russische Sozialdemokratie Jahre des Niedergangs und der Auflösung. Die Verfolgung aller revolutionären Kräfte durch die Regierung Stolypin, übte großen Druck auf die Organisationen aus und in der SDAPR entfachte sich ein heftiger Streit über die Notwendigkeit illegaler Organisationen. Teile der Menschewiki wollten ihre Arbeit legalisieren, d.h.: Dumawahlen, parlamentarische Arbeit in der Duma, legale Zeitungen, gewerkschaftlicher Arbeit etc.. und traten offen für die Liquidierung der illegalen Organisationen ein. Bei den Bolschewiki gab es wiederum Leute die eine Art Fetisch aus der Illegalität machten und jede legale Arbeit ablehnten (Otsowisten). Auch waren die Geldbeschaffungsaktionen der Bolschewiki, so genannte Expropriationen, organisierte Überfälle auf Banken und ähnliche Einrichtungen, sehr umstritten. Trotzki trat vehement gegen diese "Raubüberfälle" ein und versuchte sich immer wieder als Versöhner zwischen den Fraktionen. In seiner Monatszeitschrift Prawda argumentierte er: "...unsere historischen Fraktionen, der Bolschewismus und der Menschewismus, sind ursprünglich rein intellektuelle Gebilde [...] für die Einheit der Partei."

Anfang 1910 gab es, nach einem dreiwöchigen Plenum des ZK, konkrete Versuche die Partei wieder zu einen, und seine Zeitung wurde zum Organ ernannt. Die Einigung kam letztendlich aber nicht zustande, da die Menschewiki ihren Teil der Abmachung, mit den Liquidatoren abzubrechen, nicht einhielten.

Im Jänner 1912 wurde in Prag eine Konferenz der Bolschewiki einberufen die sich zu einem Parteitag erklärte und ein neues Zentralkomitee wählte. Dies bedeutete den endgültigen Bruch mit den Menschewiki. Es wurde beschlossen eine legale Tageszeitung mit dem Titel Prawda, zu Trotzkis Entsetzen, zu veröffentlichen, die bis zum Ausbruch des Krieges erschien.

Als Reaktion auf diese "Spaltung" lud Trotzki im August zu einer Gegenkonferenz in Wien ein, an der Menschewiki, linksradikale ehemalige Bolschewiki (wurden im Zuge des Kampfes gegen die Liquidation ausgeschlossen), der Jüdische Bund und Trotzkis Gruppe teilnahmen. Dieser als der "Augustblock" bekannte Bund zerfiel aber rasch und mit Ausbruch des ersten Weltkrieges trennte sich Trotzki auch von den Menschewiki, die immer öfter mit offen chauvinistischen reaktionären Vaterlands-Losungen auftraten.

Lenin sagte im Jahre 1914, dreieinhalb Jahre vor der Oktoberrevolution, folgendes über Trotzki: "Die alten Teilnehmer an der marxistischen Bewegung in Russland kennen die Figur Trotzkis genau, und für sie lohnt es nicht von ihr zu sprechen. Aber die junge Arbeitergeneration kennt sie nicht, und man muss von ihr sprechen, denn die ist eine Figur, die typisch ist für alle jene fünf ausländischen Grüppchen, die faktisch ebenfalls zwischen den Liquidatoren und der Partei schwanken. In den Zeiten der alten 'Iskra' (1901 bis 1903) gab man diesen Schwankungen und von 'Ökonomisten' zu den alten 'Iskra'-Leuten und umgekehrt über laufenden den Namen 'Tuschinoer Überläufer' (so nannte man in der Zeit der Wirren in Russland die Krieger, die von einem Lager ins andere überliefen, Anm.) [...]
Die 'Tuschinoer Überläufer' erklären sich als über den Fraktionen stehend, und das aus dem einzigen Grunde, weil sie ihre Ideen heute der einen, morgen der anderen Fraktion 'entlehnen'. Trotzki war in den Jahren 1901 bis 1903 ein eifriger 'Iskra'-Anhänger, und Rjasanow bezeichnet seine Rolle auf dem Parteitag von 1903 als die Rolle des 'Leninschen Knüppels'. Ende 1903 ist Trotzki eifriger Menschewik, das heißt, er ist von den Iskra-Leuten zu den 'Ökonomisten' übergelaufen; er verkündet: 'Zwischen der alten und der neuen 'Iskra' liegt ein Abgrund'. Im Jahre 1904/05 rückt er von den Menschewiki ab und nimmt eine schwankende Haltung ein, wobei er bald mit Martow (den 'Ökonomisten') zusammenarbeitet, bald die absurd linke 'permanente Revolution' verkündet. Im Jahre 1906/07 nähert er sich den Bolschewiki, und im Frühjahr 1907 erklärt er sich mit Rosa Luxemburg solidarisch.
In der Periode des Zerfalls geht er, nach langen 'nichtfraktionellen' Schwankungen, wiederum nach rechts, und im August 1912 geht er einen Block mit den Liquidatoren ein. Jetzt rückt er wiederum von ihnen ab, wobei er jedoch dem Wesen der Sache nach ihre armseligen Gedanken wiederholt.
Derartige Typen sind charakterlich als Trümmer geschichtlicher Gestaltung und Formationen von gestern, als die proletarische Massenbewegung in Russland noch schlief und ein beliebiges Grüppchen 'genügend Platz' hatte, um sich als Strömung, als Gruppe, als Fraktion, mit einem Wort, als eine 'Macht' hinzustellen, die von Vereinigung mit anderen redet.
Es ist notwendig, dass die junge Arbeitergeneration genau wisse, mit wem sie es zu tun hat ...”
[3]

1915 nahm Trotzki an der internationalen, von italienischen und Schweizer Sozialisten organisierten, Zimmerwald-Konferenz gegen den Krieg teil. An dieser Konferenz nahmen Revolutionäre und Pazifisten teil, es kam zu einer allgemeinen gemeinsamen Erklärung und einer Form des Manifestes, das Trotzki verfasste. Die Pazifisten und die so genannten Zentristen unter Kautsky verlangten die Herstellung des Friedens durch ein Schiedsgericht und Verhandlungen. Die Bolschewiki betonten, dass dies eine Wiederherstellung der Imperien bedeuten würde und dass der einzige Ausweg aus einem imperialistischen Krieg nur die Revolution sein könnte. Lenins Losung den Krieg gegen die eigene Regierung, dass heißt in einen Bürgerkrieg umzuwandeln wurde mehrheitlich abgelehnt.

Lenin der sich zu der Zeit in Zürich befand eilte mit seinen berühmten Aprilthesen unterm Arm nach Petersburg. Die Konferenz der Bolschewiki, die kurz darauf stattfand, beschloss ein Kampfprogramm auf deren Grundlage und gab die Losung: "Alle Macht den Sowjets!!" heraus. Um aber die langwierige Arbeit zur Hebung des proletarischen Klassenbewusstseins leisten zu können, und allseitig innerhalb des Sowjets wirksam zu werden, mussten sich alle proletarischen internationalistischen Gruppen fest zusammenzuschließen und die sozialdemokratischen Kräfte stärker organisiert werden. Der Vorschlag sich den Bolschewiki anzuschließen wurde auch Trotzki, der im Mai nach Petersburg zurückgekehrt ist, und mit seiner "Zwischengruppe" im Sowjet tätig ist, gemacht. Im Sommer 1917 trat er unter Akzeptierung des Programms und des Statuts der Bolschewistischen Partei bei, und wurde wenig später bei der Juli-Demonstration als Bolschewik verhaftet. Nach seiner Freilassung im September wurde er ins Zentralkomitee der Partei gewählt, und übernahm den Vorsitz im Petrograder Sowjet, in dem die Bolschewiki mittlerweile die Mehrheit stellten. Zu der Zeit wurde im ZK auch ein neuer bewaffneter Aufstand diskutiert und mit einer Mehrheit, Kamenjew und Sinojew erheben Einspruch, beschlossen. Bekanntlich fand die Oktoberrevolution am 25. Oktober (nach dem alten russischen Kalender) statt. Die Machtübernahme wurde am landesweiten Sowjetkongress, der gerade in Petrograd tagte, bekannt gegeben.

Nach dem Sieg der Oktoberrevolution kam es zu ersten Auseinandersetzungen zwischen Trotzki und der Partei. Trotzki wurde zum Außenkommissar ernannt und damit beauftragt die Friedensver-handlungen mit Deutschland in Brest-Litovsk zu führen. Da der Imperialistische Krieg und die eigene Konterrevolution, das Land und die Men-schen stark mitgenommen hatte und eine Atem-pause notwendig wurde, gab die Partei die Direktive "Frieden um jeden Preis" aus. Trotzki handelte aber nach seiner eigenen These "Weder Krieg, noch Frieden", und erklärte bei den Ver-handlungen: “.... wir ziehen unsere Armee und unser Volk aus dem Krieg zurück, sehen uns aber genötigt, auf die Unterzeichnung eines Friedensvertrages zu verzichten.” Keine zwei Wochen später, nachdem Deutschland weiter ins Innere des Landes einrückte, musste die Sowjetunion doch einen Friedensvertrag, diesmal mit weitaus härteren Bedingungen unterzeichnen. Mit dem Inkrafttreten des neuen Vertrages verlor sie mehr als ein Viertel ihres europäischen Territoriums, ihres gesamten anbaufähigen Landes und ihres Eisenbahnnetzes, ein Drittel ihrer Textilindustrie sowie nahezu drei Viertel ihrer Schwerindustrie und ihres Bergbaus. Trotzki legte daraufhin sein Amt nieder und wurde stattdessen, wegen seiner Erfahrung, mit der Organisierung der Roten Armee beauftragt. Hier leistet er zweifelsohne gute und wichtige Arbeit, erntet aber am VIII. Parteitag im März 1919 Kritik wegen seiner "diktatorischen Haltung" und seiner "Bewunderung für Militärspezialisten". Trotzki war bekannt für seinen Individualismus, seinem autoritären Leitungsstil, seiner Vorliebe für militärische Disziplin und seiner aristokratische und bonapartistische Auffassung von der Partei: Lenin sei ein Chef umgeben von unterwürfigen Stellvertretern, die sich um die laufenden Gelegenheiten kümmern.

Im Dezember 1919 möchte Trotzki dieselben militärischen Methoden bei der Mobilisierung der Arbeiter wie bei der Armeeführung anwenden, und schlägt die "Militarisierung der Betriebe" vor. Die ihm unterliegende Eisenbahn wird solchermaßen organisiert, und prompt gerät er in Konflikt mit den Gewerkschaften. Lenin kritisiert diese Vorgehens-weise als eine Gefährdung der Diktatur des Proletariats, solche bürokratische Scherereien könnten die Partei von den Massen trennen.

Der Streit um den "Sozialismus in einem Lande" setzte im Übergang von der Periode Lenins zu der von Stalin ein. Ab 1922 gab es darum eine große ideologische und politische Debatte die bis 1927 währte. Trotzki veröffentliche 1922 sein Werk "Ergebnisse und Perspektiven" und versah es mit einem neuen Vorwort.

"Nehmen wir das im Jahre 1922 geschrieben "Vorwort" Trotzkis zu dem Buch "Das Jahr1905". Trotzki sagt in diesem "Vorwort" über die "permanente Revolution":
'... dass die russische Revolution wohl unmittelbar vor bürgerlichen Zielen steht, jedoch bei ihnen nicht wird stehen bleiben können. Die Revolution wird ihre nächsten Aufgaben nicht anders lösen können als dadurch, dass sie das Proletariat an die Macht bringt. Dieses aber wird, nachdem es die Macht erobert hat, sich nicht auf den bürgerlichen Rahmen der Revolution beschränken können. Im Gegenteil, gerade zur Sicherung ihres Sieges wird die proletarische Avantgarde schon in der ersten Zeit ihrer Herrschaft tiefstgehende eingriffe nicht nur in das feudale, sondern auch in das bürgerliche Eigentum vornehmen müssen. Hierbei wird sie in feindliche Zusammenstöße nicht nur mit allen Gruppierungen der Bourgeoisie geraten, die sie im Anfang ihres revolutionären Kampfes unterstützt haben, sondern auch mit den breiten Massen der Bauernschaft, mit deren Beihilfe sie zur Macht gekommen ist. Die Widersprüche in der Stellung der Arbeiterregierung in einem rückständigen Lande mit einer erdrückenden Mehrheit bäuerlicher Bevölkerung werden nur im internationalen Maßstab, in der Arena der Weltrevolution des Proletariats ihre Lösung finden können.'
Lenin spricht von dem Bündnis des Proletariats und den werktätigen Schichten der Bauernschaft als der Grundlage der Diktatur des Proletariats. Bei Trotzki dagegen ergeben sich 'feindliche Zusammenstöße' der 'proletarischen Avantgarde' mit den 'breiten Massen der Bauernschaft'.
Lenin spricht von der Führung der werktätigen und ausgebeuteten Massen durch das Proletariat. Bei Trotzki dagegen ergeben sich 'Widersprüche in der Stellung der Arbeiterregierung in einem rückständigen Lande mit einer erdrückenden Mehrheit bäuerlicher Bevölkerung'.
Nach Lenin schöpft die Revolution ihre Kräfte vor allem unter den Arbeitern und Bauern Rußlands selbst. Bei Trotzki dagegen ergibt sich, dass man die notwendigen Kräfte nur 'in der Arena der Weltrevolution des Proletariats' schöpfen kann.
Wie aber, wenn es der internationalen Revolution beschieden sein sollte, mit Verspätung einzutreffen? Gibt es da irgendeinen Licht- blick für unsere Revolution? Bei Trotzki gibt es keinen Lichtblick, denn 'die Widersprüche in der Stellung der Arbeiterregierung […] werde nur […] in der Arena der Weltrevolution des Proletariats ihre Lösung finden können.' Nach diesem Plan verbleibt unserer Revolution nur die eine Perspektive: in ihren eigenen Widersprüchen fortzuvegetieren und in Erwartung der Weltrevolution auf dem Halm zu verfaulen.” [4]

Da er bei den alten Bolschewiki mit seinen Argumenten nicht durchkam, änderte Trotzki seine Taktik und wetterte fortan gegen die "degenerierte" und "bürokratische" Parteiführung der KPDSU. Trotz Fraktionsverbot, baute er eine Oppositionsgruppe, in der er vor allem junge Leute um sich scharte, auf. Als dann die Diskussion für abgeschlossen erklärt wurde und darüber in der Partei eine Abstimmung stattfand, erhielten die Anhänger der fraktionellen Machenschaften Trotzkis nur zwischen 1 und 1,5% der Stimmen und Trotzki wurde aus der Partei ausgeschlossen. Nach einjährigen Verbannungsaufenthalt in Kasachstan wird er 1929 in die Türkei abgeschoben. Von 1933 bis 1937 wird er als Staatenloser in Frankreich und Norwegen hin- und hergeschoben, bis er schließlich in Mexiko landete wo er seine letzen Lebensjahre verbringt. Er betrachtet die Komintern als "entartet" und “stalinistisch”, und kommt, nach der Machtübernahme Hitlers in Deutschland 1933, zu dem Schluss, dass ein neues internationales Organ der Revolution unentbehrlich sei. Die so genannte IV. Internationale wird offiziell 1938 in Paris gegründet.

Trotzki wird am 20 August 1940 in Coyocan in seinem eigenem Haus, von einem enttäuschten Trotzkisten mit einem Eispickel angegriffen und tödlich verwundet.

Der Trotzkismus ist in seiner Buntheit und wegen der mit linksradikalen Parolen geschmückten Linie zu einer feindlichen Strömung des Marxismus-Leninismus geworden. Mit seiner freien Fraktionierung ist er ein besonderer Anziehungspunkt für, sich vor der proletarischen Disziplin fürchtende, intellektuelle Kleinbürger. Den Organisationen der IV. Internationale, von denen jede einzelne den wahren Marxismus für sich gepachtet sah, und andere der Betrügerei und ähnlichem beschuldigte, gelang es nie sich in der Arbeiterklasse zu verankern oder gar in einem Land die Macht zu ergreifen.

Quellen