Rechter und "linker" Opportunismus

Grundbegriffe des Marxismus-Leninismus

Proletarische Rundschau Nr. 12, September 2003

"Der Leninismus ist die äußerste linke (ohne Anführungszeichen) Strömung in der internationalen Arbeiterbewegung. Wir Leninisten gehörten der II. Internationale bis zum Beginn des imperialistischen Krieges als äußerste linke Fraktion der Sozialdemokraten an. Wir blieben nicht in der II. Internationale, weil wir eben als äußerste linke Fraktion nicht mit kleinbürgerlichen Verrätern des Marxismus, mit Sozialpazifisten und Sozialchauvinisten in einer Partei sein wollten. (...) In unserer Partei sind wir Leninisten die einzigen Linken ohne Anführungszeichen. Daher sind wir Leninisten keine "Linken" und keine Rechten in unserer eigenen Partei. Wir sind die Partei der Marxisten-Leninisten. Und wir kämpfen in unserer Partei nicht nur gegen diejenigen, die wir als offen opportunistische Abweichler bezeichnen, sondern auch gegen diejenigen, die "linker" sein wollen als der Marxismus, "linker" als der Leninismus und ihre rechte, opportunistische Natur hinter tönenden "linken" Phrasen verbergen." (J.W. Stalin, in Werke Bd. 11, S. 248/249)

Prinzipienloses Verhalten, Preisgabe von Grundsätzen zugunsten von Augenblicks- bzw. Teilerfolgen, Zurückweichen vor Schwierigkeiten und Widerständen; das alles wird im allgemeinen als "Opportunismus" begriffen. Um mit Bezug auf die revolutionäre Arbeiter/innenbewegung sinnvoll von "linkem" und rechtem Opportunismus zu sprechen, ist es notwendig die revolutionär-kommunistische Linie in Theorie und Praxis im Zeitalter des Imperialismus und der proletarischen Revolution als Ausgangspunkt zu nehmen. Der Imperialismus ist das im Weltmaßstab seit über hundert Jahren vorherrschende ökonomisch-politsch-militärische System. Die proletarische Revolution ist das Mittel seiner zukünftigen Überwindung. Revolutionäre Kommunist/innen gehen stets von dem was ist aus, sie setzen alles Bestehende und Altherge-brachte ihrer revolutionären Kritik aus (übrigens auch ihre eigene Theorie und Praxis) um dem Neuen und Fortschrittlichen zum Durchbruch zu verhelfen. Das klingt einfach, ist es aber nicht, da viele Wege bzw. scheinbare Abkürzungen in die Irre führen.

Der "linke" Opportunismus (bzw. Linksradikalismus) zeichnet sich dadurch aus, dass er im allgemeinen den subjektiven Faktor, das heißt die Kraft der Revolutionär/innen selbst überschätzt (Subjektivismus). Der rechte Opportunismus zeichnet sich im allgemeinen durch die Überschätzung der bestehenden v.a. ökonomischen Verhältnisse aus (Objektivismus). Was sowohl Links- als auch Rechtsopportunismus gemeinsam unterschätzen ist die führende Rolle der Arbeiter/innenklasse für und bei der revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft (Leugnung der historischen Mission der Arbeiter/innenklasse).

Besonders anschaulich lässt sich die Formierung des Rechtsopportunismus in der revolutionären Arbeiter/innenbewegung anhand der Entwicklung der II. Internationale studieren. "Der verhältnismäßig 'friedliche' Charakter der Epoche 1871 bis 1914 nährte den Opportunismus anfangs als Stimmung, dann als Richtung, schließlich als Gruppe oder Schicht der Arbeiterbürokratie und der kleinbürgerlichen Mitläufer. Diese Elemente konnten die Arbeiterbewegung nur beherrschen, indem sie in Worten die revolutionären Ziele und die revolutionäre Taktik anerkannten. Sie konnten das Vertrauen der Massen erringen, weil sie schworen, dass die ganze 'friedliche' Arbeit nur eine Vorbereitung der proletarischen Revolution sei. Dieser Widerspruch war eine Geschwulst, die einmal bersten mußte; und sie ist geborsten (...)

Die Klassengrundlage des Sozialchauvinismus und des Opportunismus ist dieselbe: das Bündnis einer kleinen bevorrechteten Arbeiterschicht mit "ihrer" nationalen Bourgeoisie gegen die Masse der Arbeiterklasse, das Bündnis der Lakaien der Bourgeoisie mit ihr gegen die von ihr ausgebeutete Klasse.

Der politische Inhalt des Opportunismus und Sozialchauvinismus ist derselbe: Zusammenarbeit der Klas-sen. Verzicht auf die Diktatur des Proletariats, Verzicht auf die revolutionäre Aktion, rücksichtslose Anerken-nung der bürgerlichen Legalität, Mißtrauen dem Proletariat, Vertrauen der Bourgeoisie gegenüber." (W.I. Lenin, Werke Bd. 22, S. 110/111). Die internationale kommunistische Bewegung (IKB) hat nach der Auflö-sung der III. oder Kommunistischen Internationale (1919 bis 1943) einen ähnlichen rasanten Niedergang wie die II. Internationale erlitten. Wenn wir davon ausgehen, dass der Niedergang der IKB v.a. nach dem Abtritt J.W. Stalins nicht objektiv notwendig war, dann heißt das, daß die revolutionären Kommunist/innen bereits aus dem schmählichen Bankrott der II. Internationale ungenügende Konsequenzen gezogen haben.

Wenn der Rechtsopportunismus seine zersetzende Wirkung besonders in "ruhigen" Zeiten entfalten kann (vorausgesetzt eine starke Arbeiter/innenbewegung existiert), so gilt für den "Links"opportunismus eher das umgekehrte. Darum hat Lenin seine Grundlagenschrift "Der 'linke Radikalismus' die Kinderkrankheit im Kommunismus" in einer Periode großer Umbrüche vorgelegt: "Der durch die Schrecken des Kapitalismus "wild gewordene" Kleinbürger ist eine soziale Erscheinung, die ebenso wie der Anarchismus allen kapitalistischen Ländern eigen ist. Die Unbeständigkeit dieses Revolutionarismus, seine Unfruchtbarkeit, seine Eigenschaft, schnell in Unterwürfigkeit, Apathie und Phantasterei umzuschlagen, ja sich von dieser oder jener bürgerlichen ' Mode'strömung bis zur 'Tollheit' fortreissen zu lassen - all das ist allgemein bekannt. Aber die theoretische, abstrakte Anerkennung dieser Wahrheiten bewahrt die revolutionären Parteien noch keineswegs vor den alten Fehlern, die stets aus unerwarteten Anlässen, in etwas neuer Form, in früher noch nicht gekannter Verhüllung oder Umgebung, unter originellen - mehr oder weniger originellen - Umständen auftreten." (W.I. Lenin, Werke Bd. 31, S.16/17)

Um "linke" und rechte Gefahren für die revolutionäre Arbeiter/innenbewegung der Gegenwart richtig einzuschätzen, müssen wir v.a. berücksichtigen was sich seit Lenin und Stalin in der Welt verändert hat. Zum einen herrscht der Imperialismus heute weltweit scheinbar unangefochten. Zum anderen sind die revolutionär-kommunistischen Kräfte v.a. in den imperialistischen Metro-polen im Vergleich zur ersten Hälfte des 20. Jahr- hunderts unvergleichlich schwächer entwickelt, dazu kommt, dass ein international anerkanntes revolutionär-kommunistisches Zentrum nicht existiert (wie z.B. die Kommunistische Internationale von 1919 bis 1943).

Auf diese Konstellation reagieren weite Teile der radikalen Linkskräfte europaweit, indem sie das revolutionäre Potential, dass der Arbeiter/innenklasse objektiv innewohnt, abschreiben. Allein in Österreich umfasst die Arbeiter/innenklasse heute ca. fünf Millionen Menschen (einschließlich derer, die von Lohnarbeit mitversorgt werden müssen; das sind Kinder, Pensionist/innen, Erwerbsarbeitslose usw.) Das sind fünf Millionen, die ökonomisch ausgebeutet und politisch unterdrückt werden. Wer eine so eine Sachlage in seiner/ihrer politischen Analyse und Linie weitgehend ausklammert, mag "linke" Phrasen dreschen, soviel er/sie will, er/sie ist objektiv Helfer der imperialistischen Bourgeoisie. Wer die drei großen Widersprüche des Imperialismus als mehr oder weniger voneinander unabhängig begreift oder aus dem Ensemble der Widersprüche im Imperialismus nur diejenigen gelten lässt, die ihm/ihr augenblicklich am augenscheinlichsten sind, schadet sogar an dem Frontabschnitt der von ihm/ihr als zentral ausgegeben wird. Wird zum Beispiel der unleugbare Widerspruch zwischen imperialistischen Ländern und den Massen der in Abhängigkeit und Neokolonialismus gehaltenen Länder als "Hauptwiderspruch" angenommen und zugleich der unwiderlegbare Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital negiert, dann wird rückwärtsgewandten, reaktionären Utopien Tür und Tor geöffnet, da ökonomisch unterentwickelte Länder im Imperialismus schlicht nicht die Möglichkeit haben auf halbfeudaler oder vormonopolistisch-kapitalistischer Basis zu den ökonomisch fortgeschrittensten Ländern aufzuschließen. Die einzige Perspektive die aus dem imperialistischen System mit seinen vielfältigen Abhängigkeits-, Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen herausführen kann, ist die proletarisch-sozialistische Weltrevolution. Das verlangt von den Revolutionären Kommunist/innen v.a. auch in den imperialistischen Zentren an vielen Frontabschnitten gleichzeitig zu kämpfen.

Die rechte Gefahr geht gegenwärtig vor allem von solchen Linkskräften aus, die uns ständig belehren, dass wir das politische Niveau unserer politischen Agit-ation und Propaganda, den rückständigsten Teilen der Arbeiter/innenklasse angleichen sollten. Sie wollen uns praktisch auf eine rein gewerkschaftliche Ausrichtung festgelegt sehen, die revolutionär-kommunistische Per-spektive muss dabei notwendig auf der Strecke bleiben.

Die alte IKB, die beim Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion, in China und Albanien beachtliche Erfolge erzielt hat, ist v.a. an rechten Fehlern, die im modernen Revisionismus systematisiert wurden, gescheitert. Insofern kann mit Fug und Recht gesagt werden, dass die rechte Gefahr bis zum unumkehrbaren Sieg der proletarischen Weltrevolution die Hauptgefahr ist und bleibt. Angesichts der Schwäche und der mangelhaften Verankerung in der Arbeiter/innenklasse, die gerade auch die Situation der revolutionär-kommunistischen Kräfte in Österreich heute kennzeichnet, erweisen sich v.a. "linke" Fehler als mögliche Stolpersteine im revoltionär-kommunistischen Parteiaufbau. Zum einen besteht die Tendenz die unbedingte Notwendigkeit der Meisterung der marxistisch-leninistischen Theorie und ihre Weiterentwicklung als unerheblich abzutun (Theorie-feindlichkeit), zum anderen wird mitunter an Leitsätzen, die vor 30, 50 oder 80 Jahren unbedingt richtig waren festgehalten, ohne zu überprüfen ob sie dem Fortgang der objektiven Entwicklung seither unbeschadet stand gehalten haben (Eklektizismus).

Ohne den Kampf gegen den modernen Revisionismus (gegenwärtig besonders in Form des Breshnewismus, der Deng Xiao Ping- oder Ramiz Alia-Ideen) auch nur für einen Augenblick zu vernachlässigen, sind alle revolutionär-kommunistischen Kräfte ausgezeichnet beraten, wenn sie Lenins Vermächtnis den "linken Radikalismus" betreffend hochhalten: "Wirkliche Revolutionäre brachen sich zumeist dann den Hals, wenn sie anfingen, 'Revolution' mit großen Buchstaben zu schreiben, die 'Revolution' zu etwas fast Göttlichem zu erheben, den Kopf zu verlieren, die Fähigkeit zu verlieren, ganz kaltblütig und nüchtern zu überlegen, abzuwägen und zu prüfen, zu welchem Zeitpunkt, unter welchen Umständen und auf welchem Tätigkeitsgebiet man es verstehen muß, 'revolutionär' zu handeln, und zu welchem Zeitpunkt, unter welchen Umständen und auf welchem Tätigkeitsgebiet man es verstehen muß, zu reformistischem Handeln überzugehen. Wirkliche Revolutionäre werden (im Sinne nicht einer äußeren Niederlage, sondern eines inneren Zusammenbruchs ihrer Sache) nur dann zugrunde gehen - dann aber bestimmt zugrunde gehen -, wenn sie die nüchterne Überlegung verlieren und sich in den Kopf setzen, daß die 'große, siegreiche, weltumspannende' Revolution unbedingt alle und jegliche Aufgabe unter allen Umständen auf allen Tätigkeitsgebieten revolutionär lösen könne und müsse." (W.I. Lenin, Werke Bd. 33, S. 92)