Die Ermordung des Genossen Ernst Kirchweger jährt sich heuer zum vierzigsten
mal. Am 31. März 1965 fand in Wien eine antifaschistische Demonstration
statt, die sich gegen den Nazi-Ungeist an denösterreichischen Hochschulen
richtete. Konkreter Anlassfall war die extrem antisemitische und den Nazi-Faschismus
verherrlichende Hetze, die vom Professor der damaligen Hochschule für
Welthandel Borodajkewycz im Hörsaal vorgebracht wurde. (Zwanzig Jahre
nach der Errichtung der Zweiten Republik!) Dieser Herr war kein Einzelfall.
Nach dem Ende des NS-Staates fand bekanntlich ein würdeloses Buhlen der
bürgerlichen Parteien, einschließlich der SPÖum ehemalige NS-Kader
statt. Vor allem der bedingungslose Antikommunismus dieses Personenkreises
hatte es der nach wie vor 1945 inÖsterreich herrschenden Bourgeoisie angetan.
Der kommunistische Aktivist Ernst Kirchweger sah trotz seines Alters von 67
Jahren weit und breit keinen Grund sich auf das Altenteil zurückzuziehen.
Darum beteiligte er sich am 31. März 1965 ganz selbstverständlich
an der von fortschrittlichen Student/innen einberufenen Demonstration. Ein
von der Polizei unbehelligter Haufen vonüberwiegend jungen Nazi-Schlägern
hat die Demonstration angegriffen. Im Zuge dieses Vorfalls wurde Ernst Kirchweger
von einem Jungnazi tödlich verletzt. Es ist typisch für die Feigheit
und Brutalität der Nazis, dass sie hinterhältig auf körperlich
unterlegene Personen losgehen. In vielen Nachrufen wurde seinerzeit geschrieben,
dass Ernst Kirchweger das erste Naziopfer in der Zweiten RepublikÖsterreich
gewesen sei. Das ist jedoch ungenau. Schon 1947 wurde in Südkärnten,
in Zelesna Kapla / Eisenkappel eine Aktivistin der Osvobodilna Fronta / Slowenische
Befreiungsfront bei einer Demonstration ermordet. Kirchweger war aber auch
keineswegs das letzte Todesopfer des NaziTerrors inÖsterreich. Nur ein
paar Beispiele: Zu Silvester 1993/94 wurde Goran, ein jugendlicher Rom in Wien-Favoriten
von einem Faschisten mit einem Bajonett tödlich verletzt. 1994 wurde der
obdachlose Wolfgang Tschernutter von Jungnazis ermordet. 1995 wurden die vier
Roma, Erwin und Karl Horvath, Josef Simon und Peter Sarközi in Oberwart
von einer von Faschisten gelegten Rohrbombe getötet. Auch außerhalb
derösterreichischen Landesgrenzen habenösterreichische Nazis immer
wieder gemordet. Das bekannteste Beispiel ist der faschistische Südtirol-Terror
der 1950er- und 1960er-Jahre, der mindestens 30 Todesopfer gefordert hat. Die
Täter die ihr Unwesen in verschiedenen Teilen Italiens trieben rekrutierten
sichüberwiegend aus Burschenschafterkreisen.
Ein Skandal für sich ist der wohlwollende Umgang derösterreichischen
Klassenjustiz mit den Nazimördern. Schon der Umgang mit denösterreichischen
Verbrechern des NS-Staates war eine Farce nach dem Motto„eine Krähe hackt
einer anderen kein Auge aus". Entsprechend glimpflich ist auch der Mörder
Ernst Kirchwegers, der damals 24jährige Kümel davongekommen. Er hat
lediglich zehn Monate wegen„Notwehrüberschreitung"ausgefasst.
Die Biografie Ernst Kirchwegers ist typisch für die vieler revolutionärer
Kommunist/innen. Bereits in jungen Jahren nahm Kirchweger, der das Kind einer
Wiener Arbeiter/innen Familie war, an den revolutionären Kämpfen
seiner Zeit teil. Herausragend und prägend war gewiss seine Beteiligung
am revolutionären Aufstand der Matrosen von Cattaro / Kotor (1918) gegen
den imperialistischen Völkerkerker der Habsburger. In den revolutionären
Kämpfen nach dem Ersten Weltkrieg gelang es Kirchweger, wie vielen seiner
Altersgenoss/innen noch nicht die verhängnisvollen Rolle, die der Austromarxismus
in derösterreichischen Arbeiter/innen-Bewegung spielt, in ihrer ganzen
Tragweite zu erkennen. Durch eine reformistische Praxis, die partiell tatsächlich
die Lage der Arbeiter/innen-Klasse verbesserte und durch radikale Phrasen verstanden
es die Führer des Austromarxismus bis 1934 weite Teile auch der fortgeschrittensten
Arbeiter/innen an sich zu binden. Erst als die austromarxistischen Illusionen
in den Februarkämpfen des Jahres 1934 wie Seifenblasen zerbarsten, erkannten
viele das verhängnisvolle Wesen des Reformismus in der Arbeiter/innen-Bewegung.
Als Folge der blutigen 34er Niederlage brachen tausende der fortgeschrittensten
Arbeiter/innen mit dem Austromarxismus um sich der damals noch revolutionären,
marxistisch-leninistisch ausgerichteten KPÖanzuschließen. Ernst
Kirchweger war einer von denen, die in der Illegalität, vorwätsgetrieben
von der konterrevolutionären Gewalt, zum revolutionären Kommunismus
stießen. In den Jahren 1934 bis 1945 war Kirchweger ein unermüdlicher
Kämpfer gegen Austro- und Nazifaschismus. Als erfahrener Kommunist geriet
Kirchweger nach 1945 zunehmend in Widerspruch zu der bereits damals auf der
schiefen Bahn des Revisionismus befindlichen KPÖ.
Als Anfang der 1990er Jahre die damals noch im Besitz der„K"PÖbefindliche Wielandschule in Wien-Favoriten besetzt wurde, um dort ein soziales Zentrum zu schaffen, gaben die Hausbesetzer/innen ihrem Projekt bewusst den Namen„Emst-Kirchweger-Haus (EKH)". Die Benennung nach einem bescheidenen kommunistischen Kämpfer gegen Kapitalismus, Imperialismus, Faschismus und Reaktion war ein programmatisches Bekenntnis gegen antikommunistische Kiebitze, die darüber frohlockten, dass ausgerechnet eine im Besitz der„K"PÖbefindliche Immobilie besetzt worden war. Wenn sich heutige Nutzer/innen des EKH in antikommunistischen Tiraden ergehen, weil sich die Baier-Graber- Clique wie ein echter Hausbesitzer benimmt, dann unterscheiden sie sich nicht wirklich von wildgewordenen Spießern, die die Welt nicht mehr verstehen. Selbstverständlich ist es notwendig des EKH zu verteidigen. Aber das ist völlig unabhängig davon ob sich das Haus nun im Besitz eines kleinbürgerlichen Wahlvereins befindet oder von neurechten Spekulanten. Gewiss, die„K"PÖwar ein bequemerer Gegner als die rechtsrechten Schnösel die das Objekt Wielandgasse inzwischen erworben haben, aber der antifaschistische Anspruch, so er mehr als eine Phrase ist, lässt sich gegenüber den neuen Besitzern bestimmt nicht schlechter als gegenüber den alten vertreten. Zur Verteidigung des EKH unter den gegenwärtigen Umständen bedarf es großer Kampfbereitschaft. Die Losung„EKH bleibt!"erinnert leider eher an einen frommen Wunsch als an die feste Absicht das EKH im militanten Kampf seinem derzeitigen Zweck zu erhalten.
Im heurigen Jahr droht eine ideologische Offensive derösterreichischen
Bourgeoisie. Eine Reihe von runden Jahrestagen soll dazu herhalten uns
das Geschichtsbild der herrschenden Klasse auf's Aug zu drücken. Wer die
Macht hat, legt die Geschichte im eigenen Interesse aus um unter den Beherrschten
das Bewusstsein zu verankern, dass die Gegenwart und Zukunft folgerichtig und
alternativlos aus der Vergangenheit folgt. In Wirklichkeit entwickeln sich
Gesellschaften nicht geradlinig, wie nach einem vorgegebenen Plan. Wer die
Geschichteüber einen größeren Zeitraum hinweg betrachtet, einen
Zeitraum der weitüber die Lebenszeit eines Einzelmenschen hinausreicht,
wird deutlich erkennen, dass sich die gesellschaftliche Entwicklung ungleichmäßig
und in Sprüngen vollzieht, dass auf Dauer nichts so bleibt wie es ist.
Die Herrschenden haben panische Angst vor einer grundlegenden gesellschaftlichen
Umwälzung, weil eine solche Umwälzung ihr auf Ausbeutung und Unterdrückung
beruhendes System beenden könnte. Wissenschaftlich betrachtet ist die
Geschichte seit dem Entstehen von Privateigentum eine Abfolge von Klassenkämpfen
(z.B. Sklaven gegen Sklavenhalter, Leibeigene gegen Feudalherrn, Arbeiter/innen
gegen Kapitalistenklasse ...) Um eine grundlegende gesellschaftliche Umwälzung
herbeizuführen müssen die Beherrschten unter anderem die weltanschauliche
Vorherrschaft der Bourgeoisie brechen.