In Deutschland bei Siemens in Kamp-Lintfort und Bocholt haben sich das Unternehmen
und die Personalvertreter auf die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche,
und zwar ohne Lohnausgleich, geeinigt. Zusammen mit den Kürzungen bei
den Jahressonderzahlungen bringt dies Einkommenseinbußen bis zu 30% mit
sich. 4000 Beschäftigte sind davon betroffen; im Gegenzug erhalten sie
eine Arbeitsplatzgarantie für zwei Jahre.
Das ist für die deutschen Unternehmensvertreter ein großer Durchbruch
in der in Deutschland heiß diskutierten politischen Debatte um die Arbeitszeiten.
Ein Unternehmen hohen Rangs ist vorgeprescht und hat mit seiner Offensivkraft
Tatsachen geschaffen, die der Argumentation der Unternehmensseite großen
Nachdruck verleihen wird. Derzeit macht Daimler Chrysler Druck auf seine deutsche
Belegschaft. Die gesamte deutsche Automobilindustrie bekräftigt den Willen
nach Arbeitszeitverlängerung. Es steht 1 : 0 gegen uns!
In Österreich ist die Debatte noch nicht so weit fortgeschritten. Aber
mit Siemens, einem internationalen Unternehmen, das auch in Österreich
seine Niederlassungen hat, wird sie sich sehr schnell zuspitzen. Denn die Konkurrenz,
selbst betriebsinterner Strukturen, wird Siemens bald auch hierzulande zum
Vorreiter der Arbeitszeitverlängerung machen. Die offizielle Politik,
die derzeit noch darum bemüht ist, sich von solchen Bestrebungen abzugrenzen,
wird letztlich, soweit sie nicht schon heute für längere Arbeitszeiten
plädiert, auf den fahrenden Zug aufspringen. Karl Heinz Grasser ist schon
dabei.
"Eine Verlängerung der Arbeitszeit kann für Produktionsstandorte
eine Lösung sein."
(Albert Hochleitner, Siemens-Österreich-Generaldirektor)
Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung hört man von Seiten der
Gewerkschaft schon
längere Zeit nicht mehr. Aus der Offensive geht sie zur Defensive über
und will die derzeitigen Arbeitszeitregelungen verteidigen. Und obwohl die
Arbeiter- und Arbeiterinnenschaft in letzter Zeit ökonomisch, sozial und
politisch Niederlage um Niederlage erleiden musste, gehen die Gewerkschaften
nicht zum Angriff über. Freilich steht viel auf dem Spiel, und die Offensive
kann unvorsichtiger Weise zu neuerlicher Niederlage führen. Verteidigung
aber wird nie zum Sieg führen. Gewinnen kann man nur durch Offensive.
Das weiß unser aller nationaler Teamchef, Hans Krankl, besser, als es
uns unsere Coaches von der Gewerkschaft raten wollen.
Es ist freilich allen klar, dass die Unternehmen durch die Konkurrenz gezwungen
sind die Arbeitszeit zu verlängern. Immerhin kann alleine schon durch
die reine Verlängerung der Arbeitszeit die Masse des Ausstoßes,
und bei sonst gleichen Bedingungen die Masse des Profits, erhöht werden.
Entfällt gar noch der Lohnausgleich erhöht die Arbeitszeitverlängerung
sogar' direkt die Rate des Profits zugunsten des Unternehmens. Es wird also
so oder so Vorteil in der Konkurrenz nehmen. Der Standort, meint man, bleibt
erhalten.
"Es ist durchaus zumutbar, dass man zwei Stunden länger
für den gleichen Lohn arbeitet."
(Wolfgang Reithofer, Wienerberger-Generaldirektor)
Der "Standort" ist das gewichtigste Argument für die Arbeiter und Arbeiterinnen. Sie können dem Unternehmen nur begrenzt nachreisen. Es kommt vor, dass ArbeitnehmerInnen sogar einen Anfahrtsweg zum Arbeitsplatz von zwei Stunden oder mehr in Kauf nehmen, nur damit sie überhaupt einen Arbeitsplatz haben. Die Bereitschaft übertrifft sogar die gesetzlichen Zumutbarkeiten! - Der Markt schreibt das Gesetz! Und obwohl die Spirale sich nach oben dreht, d.h., immer mehr Arbeiter und Arbeiterinnen sind zu immer längeren Anfahrtswegen bereit, hat das alles seine Grenzen. Physische wie politische. Und nur ein kleines Beispiel zur Arithmetik: Wenn die Arbeitszeit verlängert wird, so sinkt automatisch auch die realistische Möglichkeit zur Ausdehnung des Anfahrtsweges! Der Tag hat immer nur 24 Stunden! Der Standort muss gesichert werden heißt: die Betriebe sollen nicht davonlaufen. Die werden doch glatt zu Wirtschaftsflüchtlingen, wenn die Profite nicht stimmen! Da helfen keine Migrationsgesetze! Und deswegen sitzen die Arbeiter im selben Boot - aber an den Rudern, nicht am Steuer! Und die Boote fahren um die Wette, aber der Kampf findet auf den Booten selber statt. Wer hält denn das Steuer in der Hand? Und wer ist am Ruder?
"Der Wettbewerb mit unseren Nachbarn ist knallhart. Mit Asien
wird er noch viel härter. Wir müssen darüber nachdenken, was
wir an Produktion behalten können und was wir dafür tun müssen.
Selbst wenn es darauf hinausläuft, die eine oder andere Stunde in der
einen oder anderen Woche mehr zu arbeiten."
(Veit Sorger, Generaldirektor Frantschach & Präsident
der Industriellenvereinigung)
Die Arbeitszeitverlängerung ist eine - nicht die einzige, es gibt auch
andere - Möglichkeit den Standort und somit die Arbeitsplätze zu
sichern. Wenn die Profite steigen, so zahlt es sich unter Umständen für
das Unternehmen aus den Standort seines Betriebes beizubehalten, also nicht
auszuwandern. Das kann sogar noch einen Multiplikatoreffekt haben, weil ja
andere Unternehmen unter Umständen in unmittelbarer Nähe siedeln
müssen, um besser beliefert zu werden oder selbst besser beliefern zu
können. Arbeitsplätze in anderen Betrieben bleiben also auch erhalten
oder werden sogar neu geschaffen. Die Umstände unter denen dies zutrifft
sind zu zahlreich und vielfältig um genannt zu werden. Die Wahrscheinlichkeit,
dass die günstigsten zusammenträfen zu gering, um beachtet zu werden.
Der Standort scheint gesichert, wenn die Profite steigen. Wenn sie steigen!
In längerer Arbeitszeit werden freilich höhere Werte hergestellt.
Es kommt zu vermehrtem Wertzuwachs. Der höhere Wertzuwachs sorgt auch
für mehr Wert in Händen des Unternehmens; bei Ausfall des Lohnausgleichs
ausschließlich in Händendes Unternehmens. Dann verdienen die Arbeitenden
nicht mehr, sie haben nur ihren Arbeitsplatz "erhalten". Sie können
also gar nicht mehr kaufen. Sie haben aber mehr hergestellt. Ja, wer kauft
denn dann die hergestellten Sachen? Können die Unternehmen denn wirklich
mehr Profit machen, wenn sie die Produkte nicht verkaufen können? Es sind
doch die Produktionskapazitäten schon heute nicht voll ausgelastet!
Sicher, es gibt Produkte die nicht dem unmittelbaren Konsum zugeführt
werden. Aber letztlich nach gezählter Reihe von Verwertung ist doch alles
zum endgültigen Verzehr bestimmt. Wer wird das Geld haben? Die Arbeiter
und Arbeiterinnen wohl kaum! Vielleicht die Unternehmer? Vielleicht das Militär?!
Ist aber kein Geld überhaupt nicht da, so wird der Betrieb auf seinem
Standort zerbröseln!
Übrigens ist es höchst unwahrscheinlich, dass ein derart großer
Konzern wie Siemens den Produktenausstoß so weit vergrößern
wird, wie es nach der Arbeitszeitverlängerung (um fast 15%) nach möglich
wäre. Die großen Monopole sind viel zu clever, als dass sie sich in
ungestümer, anarchischer Konkurrenz selber die Preise ruinieren würden.
Was also die Arbeiter erhandelt haben ist nur die Zusage auf einen Arbeitsplatz
für die nächsten zwei Jahre. Danach wird die Ernte von den Unternehmern
eingefahren und der Druck auf die Arbeiter, die Drohung den Arbeitsplatz zu verlieren
wird desto größer als ja die Unternehmer so viele gar nicht brauchen.
Was Siemens also allein durch die Verlängerung der Arbeitszeit um fast 15%
erreicht hat ist nichts anderes als eine mehr als 15%-ige, versteckte Lohnsenkung,
wenn man bedenkt, dass die Arbeiter bis dato über die Normalarbeitszeit
hinaus Überstunden leisteten, die nun wegfallen. Die Lohnsenkung rechnet
sich für den Unternehmer voll, wenn er dann noch überschüssig
gewordene Arbeitskraft abbaut. Das hätte der Konzern wohl kaum erreicht,
wenn er die Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich direkt zu den anderen
ca. 15% Lohnkürzung, was Weihnachts-, Urlaubs- und Sonderzahlungen betrifft,
zusätzlich als Lohnkürzung deklariert hätte.
"Wir wollen in den nächsten drei Jahren eine Verlängerung
von jeweils einer halben Stunde durchsetzen. Der Vorteil wäre, dass der
Einzelne das nicht merkt."
(Kurt Eder, Generaldirektor VoestAlpine)
Wie auch immer: Die Tatsache, dass ein Unternehmen und seine Belegschaft
sich auf längere Arbeitszeiten einigen, zwingt über die Konkurrenz
andere Unternehmen und andere Belegschaften zu ebensolchen Schritten. Der positive
Effekt löst sich auf, verpufft. Die Arbeit ist mehr geworden. Ein Ausstieg
aus diesem Teufelskreis ist von der Konkurrenz nicht vorgesehen.
Ergebnisse der Arbeitszeitforschung belegen, dass lange Arbeitszeiten zu erheblichen
gesundheitlichen Beeinträchtigungen, zu erhöhten Stresssymptomen
sowie Ermüdungserscheinungen und einer damit verbundenen Steigerung des
Unfallrisikos führen können. Außerdem haben Untersuchungen
ergeben, dass längere Arbeitszeiten zu höherem Herzerkrankungsrisiko
führt. Hinzu kommt, dass Freizeit nachweislich dann besonderen, auch gesund-heitlichen
Wert erlangt, wenn in ihr nicht nur die mindest notwendige Zeit zur körperlichen
Erholung enthalten ist, sondern auch noch ein Anteil an Zeit für soziale
Beziehungen. Dieser Anteil sinkt aber bei Verlängerung der Arbeitszeit
zuerst.
Das wissen die Unternehmer! Darum braucht man sich zunächst auch keine
Sorgen zu machen darüber, dass sie die Arbeiter zu sehr vor den Pflug
spannen. Sie wissen natürlich, dass sie die Arbeitszeit, die Arbeitsintensität
und die Flexibilisierung nicht zu stark ausdehnen können. Spannen sie
da an, müssen sie dort lockern. Lockern sie hier, können sie da anspannen.
Sie sind nicht daran interessiert, dass ihnen die Arbeiter wie die Fliegen
davonsterben, denn es sollen ja immer genügend von ihnen da sein. Genügend
aber ist relativ.
Bei einer genügend hohen Arbeitslosenquote kann man allgemein schon fester
anspannen als bei Arbeitskräftemangel. Dem einzelnen Arbeiter wird seine
Gesundheit wohl kaum egal sein, dem Unternehmer dagegen ist die Gesundheit
des einzelnen Arbeiters kaum ein Anliegen. Höhere Arbeitlosigkeit wird
also die Tendenz zu höherer Leistungserwartung zusätzlich steigern.
"Denen geht es doch in letzter Konsequenz um nichts anderes,
als die Arbeitnehmer für den gleichen Lohn länger arbeiten zu lassen"
(Rudolf Nürnberger, Vorsitzender der Metallarbeitergewerkschaft)
Muss die gleiche Zahl von Beschäftigten in einem Betrieb länger
arbeiten, brauchen die Firmen weniger Personal. Die Berechnung der Wirtschaftsforscher:
Würde die Arbeitszeit generell um fünf Prozent erhöht, sinkt
die Gesamtbeschäftigung um 2 bis 3,5 Prozent. Die Folge wären 60.000
bis 100.000 Arbeitslose mehr - in einer Zeit, in der im Jahresschnitt bereits
244.000 Männer und Frauen arbeitslos sind.
"Solidarität", Solidarität der Proleten aller Länder, ist die "Zauberformel"!
Kein Arbeiter soll sich einbilden, dass er Wirtschaftsstandorte erhalten könne,
solange der Betrieb nicht ihm gehört! Er soll sich lieber dahin bilden,
dass er, seine Klasseninteressen wahrt, seine Positionen hält, also die
Standorte seiner Gesinnung! Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich
sei seine Forderung! Schluss mit der Arbeitslosigkeit! Nieder mit der Konkurrenz
unter den Arbeitern - national und international! Hoch die internationale Solidarität!
Ruderer aller Länder vereinigt euch! Übernehmt das ganze Boot!
"Das Thema für uns heißt aber: Arbeitszeitverkürzung,
nicht Verlängerung."
(Karl Proyer, GPA-Geschäftsbereichsleiter)