WIR WAREN ZU BESUCH

Über diese Ecke der Slowakei wurde in unserem Monatsblatt seit seiner Entstehung wirklich sehr wenig geschrieben. Sporadisch wurden Beiträge der Ortsgruppe des Karpatendeutschen Vereins veröffentlicht. Ich gebe auch zu, ich kannte Schildern auch nur vom Hörensagen und von diesen einigen Nachrichten. Ab und zu meldeten sich Stimmen unserer Leser, dass das Karpatenblatt mehr Aufmerksamkeit den bekannteren deutsch-sprachigen Gebieten wie z.B. die Zips, Bodvatal oder Hauerland , widmet. Die Region Pressburg/Bratislava hat in der Person von Frau Rosi Stolar eine treue Korrespondentin unseres Blattes. So entschied ich mich an einem sonnigen Samstag für den Besuch dieser einzigartigen Lokalität (wovon ich mich selbst überzeugte). Außer der vom Frühling atmenden Natur traf ich aber auch edle Menschen, die zu meinen Gastgebern wurden.

Während der Nachtfahrt mit dem Schnellzug –vom Sitz unserer Redaktion bis Pressburg wirbelten mir Gedanken über die Einzigartigkeit des Landes unter der Hohen Tatra durch den Kopf, das jahrhundertelang die Heimat vieler Nationalitäten war, die hier in Harmonie, Ruhe und Verständnis zusammenlebten. Es war fast wie in einem Märchen. Aber das hat auch seine Regeln: Das Gute besiegt hier immer das Böse! In unserem Märchen aber war es nicht immer so. Das Böse in Tyrannengestalt kennzeichnete die Schicksale guter, gottes fürchtiger Menschen auch in unserem Land. Nach seiner Niederlage schien es, dass das Gute gewann und das Böse unwiederkehrbar verloren ging. Leider es tauchte wieder auf und setzte einen Schlag unter die Gürtellinie seitens derjenigen, mit denen man jahrhundertelang gemeinsam in gegenseitiger Achtung die Felder bebaute, die Kinder erzog und tapfer der Missgunst des Schicksals entgegentrat. Gemeinsam freuten sie sich über Erfolge, gegenseitig beeinflussten sie ihre unterschiedlichen Kulturen, entwickelten und pflegten Sitten und Bräuche. In der Hälfte des mächtigen 20. Jahrhunderts wurde alles, was man von den Vorfahren ererbt hatte, zur Vergangenheit. In monotoner Begleitung der klappernden Räder des Schnellzuges, der den Osten mit dem Westen der Slowakei verbindet, entstaubte ich noch schnell meine Kenntnisse über die Geschichte: Žitný ostrov (Roggeninsel) - die fruchtbarste, südöstlich von Bratislava sich erstreckende Gegend. Die ersten Spuren von Menschenbesiedlung des linken Donauufers reichen bis zur fernsten Vergangenheit der Menschheit. Die Donaugegend war zeitlebens eine Verbindung von europäischen Straßen. Hier wurde die Geschichte von Visigoten, Franken, Avaren, Römern, aber auch Hunnen und Slawen geschrieben. Und gerade dank der Donau fanden hier vor mehr als 700 Jahren ihre Heimat die Vorfahren der ursprünglichen Einwohner von Schildern- dem Ziel meiner Fahrt.

Pressburg empfing mich mit angelweit offenen und blühenden Frühlingsarmen. Die Zips schlummerte noch und geigelte zur Zeit ihr letztes Winterlied. Der Busbahnhof lebte von Hunderten, zu ihren Landhäusern und am Stadtrand im Grünen versteckten Gärten eilenden Stadtbewohnern. Mein Bus fuhr ins Ziel meiner Reise zu den Menschen. Nach Anweisungen der Vorsitzenden der Ortsgruppe vom Karpatendeutschen Verein Frau Maria Schwarz stieg ich in Mischdorf (Nové Košariská) aus. An der Haltestelle erwarteten mich die Mitglieder des Vorstands an der Spitze mit ihrer Vorsitzenden. Alle mit Fahrrädern, die hier, auf dieser Tiefebene das beliebteste Verkehrsmittel sind. Wir begrüßten uns wie alte Bekannte und unsere Weg führte erstaunlich in die Zigeunerstraße. Hier irgendwo fing auch das begeisterte Erzählen von Frau Mimi an, wie sie von ihren Freunden vertraut angesprochen wird. Und wie ich mich später selbst überzeugen konnte, hat Frau Mimi Freunde auf jedem Schritt und Tritt. Laut ihrem Erzählen sind die Schilderner mit Recht auf ihre Zigeuner stolz. Die gemeinsamen Schicksale teilen sie schon 750 Jahre. Es gab zwischen ihnen keinen Streit. Ihre Zigeuner gehören nämlich zu den Kunstschmieden, wo das Schmiedehandwerk von dem Vater auf den Sohn vererbt wurde und überdauerte trotz der Missgunst der Zeit bis zu den heutigen Tagen, in denen ihr Kunstwerk - das Ergebnis des schöpferischen Könnens die Slowakei auch im Ausland represäntiert. Auch das Grassalkovich-Palais - der Präsidentensitz ziert ihr Kunstschmiedehandwerk. Gemeinsam mit Frau Mimi besuche ich ein paar Werkstätten und mit ihren Meistern - fast ausschließlich der Sarközy- Herkunft unterhalte ich mich in perfektem Deutsch. Sie sind darauf stolz und betonen, dass sie zu den wenigen Angehörigen des Zigeunerethnikums in der Slowakei gehören, die vier Sprachen sprechen: deutsch, ungarisch, slowakisch und Zigeunersprache. Und alle sind berufstätig! Sie haben viel Arbeit und sie machen sie gern und mit Begeisterung.

Unser nächster Weg führt ins Karitas - Heim. Auf die Frage, warum gerade dorthin, bekomme ich eine lakonische Antwort: “Sie werden sehen, lassen Sie sich überraschen.” Nach der Besichtigung der Kapelle des hl. Martins, in der die Überreste der Heiligen aufbewahrt sind, läuten wir am Tor des Heims. Meine Überraschung vervielfacht sich durch das Treffen mit den Ordensschwestern - Dominikanerinnen Marta und Imelda. Die beiden sprechen schönes Deutsch und ich erfahre, dass die beiden unsere Landsmänninnen sind. Schwester Marta (Anna Šoltésová) stammt aus dem Oberzipser Bierbrunn/Výborná und Schwester Imelda (Irena Paldeák) aus dem Unterzipser Schmöllnitz/Smolník. In der gemütlichen, reichlich mit deutscher Literatur ausgestattenen Bücherei wickeln sich Schicksale dieser beiden Schwestern ab. Ihr Leben war von Liebe zu den Mitmenschen, verlassenen und kranken Kindern erfüllt. Wie ein Film projizieren sich mir die Lebenskreuzungen der beiden Schwestern und zusammen mit ihnen auch hunderter anderer, die ihre Heimat und Familie über 50 Jahre nicht sahen. Auch sie wurden von der Grausamkeit des Aufbaus des Sozialismus heimgesucht: Sie wurden von den Klostern vertrieben, Textilfabriken im Sudetenland und Nordmähren wurden zu ihrem vorübergehenden Zuhause. Im Jahr 1955 kamen sie durch Gottes Führung nach Schildern, wo sie sich um an Tuberkulose kranke Kinder kümmerten, später um verlassene, körperlich behinderte Kinder. Heutzutage sind sie im Karitas - Heim im verdienten Ruhestand, mit Liebe ihrer Umgebung umgeben und in Gebete versunken. Sehr gern erfülle ich ihren Wunsch und mittels der Seiten unseres Blattes schicke ich herzliche Grüße an ihre Landsleute, Bekannten und Freunde nach Bierbrunn und Schmöllnitz.

Ich gebe zu, dass das Treffen und das Erzählen im karitativen Heim in mir einen tiefen Eindruck hinterliessen.. Ich bin Frau Mimi für ihren sinnreichen Plan meines Aufenthaltes in ihrem Geburts-ort sehr dankbar. Denn auch das folgende Treffen mit anderen Mitgliedern in der Ortsbücherei war nicht weniger interessant. Bei einer Tasse guten Kaffees und kleiner Erfrischung erfahre ich, dass das heutige Schildern eine Verbindung von einigen ehemaligen Dörfen ist: Mischdorf/Nové Košariská, Schildern/Jánošíková und Tartschendorf/Lipnica. Es interessiert mich vor allem ihr wohlklingendes Dialekt. Ein ähnliches traf ich in Salzburg und in Oberösterreich. Alle geben mir recht. Ihre Vorfahren kamen wirklich aus diesem Gebiet. Ich bestätige mir meine Vermutungen, dass die Einwohner auf der Roggeninsel jahrhundertelang gut zusammenlebten, als in diesem Gebiet bis 1945 wirklich nur Deutsche lebten. In diesem denkwürdigen und zugleich traurigen Jahr wurden sie kurz vor der Ernte wörtlich aus ihren Häusern vertrieben. Ein grausames und bitteres Schicksal traf alle, die sich nur mit ihrer Herkunft schuldig machten. Von den erwähnten Dörfen waren es über 500 Einwohner und von Bruck a.d. Donau/Most na Dunajci über 1500 Deutsche. Ihre Schicksale vertrauen mir
nacheinander alle Anwesenden an. Auch eine starke Männernatur kann sich in diesem Augenblick den Tränen nicht erwehren. Ihr Schicksal wurde schon im Frühling 1945, kurz nach der Befreiung besiegelt. In die Gemeinde kamen revolutionäre Kommissare und den Einwohnern deutschen Na-tionalität gaben sie kund, was für Zeiten jetzt kommen, ihre Häuser wurden in ihrer Anwesenheit mit Namen der neuen Besitzer gekennzeichnet. Zu den neuen Besitzern wurden Einwohner von Mischdorf (der Geburtsort von M.R.Štefánik) und Orava/Arva Sie konnten die Felder nicht bebauen und so gründeten sie eine LPG. Und die vertriebenen Deutschen warteten auf ihr weiteres Schicksal in den Internierung
slagern in Pressburg und Engerau/Petržalka. Sie wurden so streng bewacht, wie die gefährlichsten Verbrecher. Sie bekamen zu wenig zu essen, die Älteren und Kranken aßen auch Wildkastanien und die Jüngeren bettelten in den Straßen von Pressburg! Das alles geschah in den Friedenszeiten, nach dem Kriegsende!

Auch die Nachkriegszeiten waren nicht gönne-risch. Für die wenigen, die zurückkamen, oder denen es gegönnt war, zu bleiben, wickelten sich die Schicksale nach dem gleichen Szenario ab. Das Verbot zu studieren, ihren früheren Beruf auszuüben, deutsch zu sprechen und der Verlust ihres Gutes. Wir neigen uns über vergilbte Fotos, über die einzigen Zeugen des deutschen Schulwesens, der deutschen Kultur in dieser seinerzeit reichsten Ecke der Slowakei.

Wir besprechen zusammen die Vergangenheit und auch die Gegenwart der über 50 Mitglieder der Ortsgruppe des KDV, die im Jahr 1994 gegründet wurde. Ihre OG ist ein Teil der Region Preßburg, wo vor allem die älteren an vielen Veranstaltungen teilnehmen. Auf die Treffen der OG, die regelmäßig am ersten Montag im Monat stattfinden, freuen sie sich sehr. Sie beleben sie oft durch Kulturprogramm und zu ihren größten Aktivitäten gehören die Sonderfahrten ins Land ihrer Vorfahren - nach Österreich, die den Treffen mit Landsleuten gewidmet sind, von denen die meisten hier unter den Alpen ihr neues Zuhause fanden. Die Busse, in denen Geplauder und Singen in ihrem Dialekt erklingt, fahren sie auch in das nahe Budapest zum chinesischen Flohmarkt. Ich frage nach Jugend, Kindern, En-keln. Die Antwort ist ein bisschen trauriger. Die Nähe von Pressburg bietet Arbeit und Brot und so gehen auch ihre Kinder im Trubel der Großstadt verloren.

Schildern lebt jedes Jahr nicht nur durch das Treffen von Landsleuten auf, sondern auch durch die katholische Pilgerfahrt der Bewohner der Roggeninsel, die der Hilfreichenden Mutter Gottes geweiht ist. Auf diese Pilgerfahrt sind die Schilderner mit Recht stolz. Die Statue der Mutter Gottes stammt aus dem 12. Jahrhundert aus Südtirol. Nach Schildern wurde sie von den aus Ungarn vor den Türken fliehenden Benediktinern gebracht. Das heutige Schildern hat fast 3000 Einwohner und keine Arbeitslosigkeit. Vielleicht eben dank den zahlreichen Werkstätten der Kunstschmiede der Sarközy-Herkunft, die ich gleich am Anfang meines Wanderns durch die Straßen und Winkel dieser bestimmt interessanten Ecke der Roggeninsel kennenlernte.

Zum Schluss stelle ich meinen neuen Freunden noch eine vorwitzige Frage: Wie wird das Karpatenblatt von ihnen gelesen? Frau Mimi gibt zu, dass sie die einzige Abonnentin ist. Die anderen ver-trauen sich mir an, dass sie die Zeitung aus Österreich abonnieren, wo auch die Mehrheit ihrer Landsleute lebt. Ich betone ihnen, dass das Karpatenblatt hier auch für sie ist und wenn sie uns über sich schreiben werden, wird das Karpatenblatt auch zu ihrem Monatsblatt. Mit dem Versprechen, dass es so sein wird und beschenkt mit ausge-zeichnetem Pressburger Mohnbeugel nehme ich Abschied von Frau Mimi, den Herren Mikuš, Pucher, Müller und Jucko. Sie waren ausgezeichnete Gefährten und Begleiter in Schildern. Es blieben viele unaussprochene Gedanken und Meinungen. Es macht nichts, Freunde, schreiben Sie über sich. Unsere Leser werden sicher jeden Ihren Beitrag begrüßen!

Mit dem Bus fahre ich in die Hauptstadt zurück, wo ich mir dennoch die Meisterschaft der Schilderner Kunstschmiede an dem Präsidentenpalais ansehe. Die Fahrt mit dem nächtlichen Schnellzug in die Zips zurück vergeht irgendwie schneller. In der Redaktion setze ich mich an den Tisch und ich mache mich an das Schreiben über die Schicksale von Schildern und ihren wenigen ursprünglichen Einwohnern - Deutschen, die zurückblieben und die Botschaft ihrer Vergangenheit weiter geben - die Botschaft des Deutschtums, das sie für die folgenden Generationen zusammen bildeten.

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