Der Jammer der Katzen
Auf einem Markt in Südchina gibt es eine Delikatesse der besonderen Art: Die Tiere in den engen Käfigen sind für Restaurants bestimmt, die sich auf Gerichte mit Katzenfleisch spezialisiert haben. Feinschmecker kommen von weit her. Westliche Tierschützer sind entsetzt.
Matthias Schepp (STERN, 19.4.2001)

China, KatzenVon weitem sehen die Tiere hinter den Bambusgittern aus wie ein einziges grosses schwarz-weiss-braunes Fellknäuel. Bis zu 25 Katzen sind in Käfigen zusammengepfercht. Ihr Fell ist mit Kot und Urin verschmiert. Die Zustände erinnern an Legebatterien in Deutschland. Doch anders als die berüchtigten Hühnerbarone scheuen die Händler in der südchinesischen Provinzhauptstadt Kanton die Öffentlichkeit nicht. Auf dem Xin-Yuan-Tiermarkt zückt Yanwu Peng stolz seine Visitenkarte. „Katzenlieferant“, steht darauf. „Was soll falsch daran sein, die Viecher so zu halten?“, fragt er. „Sie sterben doch ohnehin bald.“ Yanwu kauft seine Ware von Zwischenhändlern, die sich bei Kleinbauern eindecken. Für umgerechnet 3,20 Mark das Pfund verkauft er die Katzen sackweise an die Restaurants in der Umgebung. Das „Da Longshu“ ist eines der besten.

Vom Dach lädt eine bunte Neonlicht-Mieze zum Besuch, mit erhobener Pranke und breitem Lächeln. Auch drinnen wird viel gelacht. Tagsüber stecken die Katzen im Küchenschrank. „Das Wartezimmer“, witzeln die Kellnerinnen. Am Abend stehen die Käfige draussen im Hof, die Besucher wählen per Fingerzeig. Ein Schnitt durch die Kehle, dann zieht der Koch der Katze das Fell ab, wirft den Körper in siedendes Wasser, hängt ihn an einen Haken und brät ihn mit einem Schweissgerät knusprig. „Drachen, Phönix, Tiger“, heisst eine der Spezialitäten, eine Suppe mit Schlangen-, Hühner- und Katzenfleisch. „Die Leute kommen sogar aus Hongkong“, freut sich der Besitzer. „Katzenfleisch ist gesund. Es wärmt von innen.“

Im Winter gehen die Geschäfte der zwei Dutzend Händler auf dem Kantoner Tiermarkt besonders gut. Aber auch im Sommer verhökern sie einige hundert Katzen täglich. Jill Robinson von der Animals Asia Foundation (AAF) hat den Markt mehrmals besucht und ist von „diesem Meer der Grausamkeit“ entsetzt: „Katzen sind wie Hunde Gefährten des Menschen“, sagt sie.

China, KatzenDie Chinesen aber wollen sich nicht von Ausländern diktieren lassen, welche Tiere zum Kuscheln und welche zum Verzehr bestimmt sind. Die Diplomaten der Volksrepublik sind es leid, ständig von westlichen Tierschützern an den Pranger gestellt zu werden. Sie sehen darin „kulturellen Imperialismus“ und verweisen auf Italiener, die Singvögel goutieren, Franzosen, die nicht von Froschschenkeln lassen können, und Russen, denen der Kaviar noch immer schmeckt, obwohl der Stör vom Aussterben bedroht ist. Katzen- und Hundefleisch zu essen ist in China allerdings kein Massenvergnügen. Die meisten Chinesen verziehen vor Ekel das Gesicht. So wie viele Deutsche, wenn sie Pferdegulasch vorgesetzt bekommen. Beim „Hunde-Fleisch-König“, einem Feinschmeckertempel in Peking, beisst Xu Rongsheng, ein studierter Raketentechniker, genüsslich in einen mit Ingwerscheiben gewürzten Hundeschwanz. 24 Gerichte stehen auf der Karte, von Hundepenis bis Hundepfoten. Hundehaut, die wie Kaugummi schmeckt, gibt es für 40 Yuan, umgerechnet elf Mark. Auch Xu Rongsheng lässt sich seine kulinarischen Vorlieben nicht ausreden. Schon gar nicht von Ausländern; Nationalismus steht nach dem Zwischenfall mit dem US-Spionageflugzeug ohnehin hoch im Kurs. Sein Kommentar zu den westlichen Tierschützern: „Jedes Volk hat das Recht, selbst zu entscheiden, was es isst. Was würden denn die Deutschen sagen, wenn die Chinesen ihnen Hühnerfleisch verbieten wollten, die Moslems das Schweinerippchen und die Hindus, die Kühe als heilig verehren, das Rindersteak?“