Jörg Diehl

Der Roma-Treck

Zehntausende Roma sind in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen. Der Flüchtlingsstrom sorgt für erhebliche Probleme.

Zehntausende Menschen aus Rumänien und Bulgarien sind in den vergangenen Jahren ins Ruhrgebiet gezogen, Tendenz weiter steigend. Die meisten von ihnen sind Roma, die ihrer Heimat dadurch zu entfliehen suchen, dass sie für etwa 100 Euro pro Person ein Ticket ins gelobte Deutschland kaufen, das vermeintliche Paradies.

Es ist das Wohlstandsgefälle in der Europäischen Union, das sie in die Ferne treibt. Viele der Zuwanderer sind Analphabeten, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt kaum eine Chance haben; aber als EU-Bürger dürfen sich Rumänen und Bulgaren ganz legal in der Bundesrepublik aufhalten. Für drei, vier Euro die Stunde bieten sich die Männer am Straßenrand als "selbständige Bauhelfer" an, die Frauen als Prostituierte. Allerdings bekommen die Familien Kindergeld, Radu und Ilena aus Iasa kassieren für ihre Nachkommen 773 Euro im Monat - als Kranführer in Rumänien verdiente der 39-Jährige im selben Zeitraum etwa 110 Euro. Seine Kinder könnten zur Schule gehen und hätten, wenn sie es täten, vielleicht eine Zukunft.

Seit Oktober 2012: Erhöhte Sozialleistungen für Zuwanderer

Von "Armutswanderung" spricht daher der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD). "Gerade die Roma in Rumänien und Bulgarien leben in ihren Heimatländern in derart erbärmlichen Zuständen, dass sie den Weg nach Deutschland suchen", sagte Jäger. Der Bund und die Europäische Union müssten endlich dafür sorgen, dass sich die Lebensverhältnisse der Roma in ihren Herkunftsländern verbesserten. Es müsse Druck gemacht werden, "damit die Diskriminierung von Minderheiten aufhört".

Zugleich sorgt aber auch eine gestiegene Zahl von Asylbewerbern für überfüllte Aufnahmestellen in Nordrhein-Westfalen. Vor allem Roma aus Serbien und Mazedonien kommen nun verstärkt nach Deutschland, was einige konservative Politiker mit den kürzlich erhöhten Leistungen für Flüchtlinge erklären wollen. Allerdings haben diese Menschen im Unterschied zu den EU-Bürgern aus Rumänen und Bulgarien wenig Aussicht, langfristig in der Bundesrepublik bleiben zu können. Ihnen droht die Abschiebung.

Die Kriminalität steigt an

Doch mit den Zuwanderern - denjenigen, die zwar bleiben, aber absurderweise nicht arbeiten dürfen - wächst offenbar auch die Kriminalität. Die Duisburger Polizei kennt ein Haus in der Charlottenstraße, in dem ganze Banden von Kindern hausen, die tagtäglich zum Stehlen ausgeschickt werden. Laut Innenministerium ist auch die Zahl von Wohnungseinbrüchen und Diebstählen an Geldautomaten zuletzt stark gestiegen, was die Behörde vor allem auf südosteuropäische Banden zurückführt.

Ein Schriftstück aus einer aktuellen Ermittlungsakte gegen die in Duisburg lebenden Rumäninnen Monica N., Gabriela M. und Monica S. zeigt, wie die Täter vorgehen: "Seit mindestens einem Jahr wird insbesondere in Duisburg (aber auch bundesweit) beobachtet, dass rumänische Tätergruppen (offensichtlich Familienclans) bandenmäßig in erschreckendem Ausmaß gewerbsmäßig Straftaten begehen." Meist handele es sich um Taschen-, Trick- und Ladendiebstahldelikte. Hinzu kämen Betrügereien, bei denen vorgetäuscht werde, für Taubstumme oder Behinderte Spenden zu sammeln. In Wirklichkeit aber klauten die Täter ihren abgelenkten Opfern in diesen Augenblicken die Portemonnaies oder Telefone. Dazu setzten die Clanchefs vor allem junge Mädchen "überörtlich" ein.

Eine der wenigen Organisationen, die sich mit der Situation der Roma in Duisburg befassen, ist der Verein Zukunft Orientierte Förderung (ZOF). Der ZOF-Sozialarbeiter Murat Yasar erzählt von einem Anruf, den er neulich erhielt. Eine Frau war am Apparat, er solle Hilfe holen, ihre 16-jährige Nichte werde vom Vater mit Gewalt gezwungen, zu stehlen und wohl auch sich zu prostituieren. Doch als die Männer bei der Familie eintrafen, war die Jugendliche nicht mehr da.

Unsere Kriminellen von morgen

"Wahrscheinlich hat man sie zurück nach Rumänien gebracht", sagt Yasar, der von der Politik erwartet, dass sie sich stärker für die Migranten engagiert. "Wenn wir sie alleine lassen", sagt er und zeigt auf die vier Kinder von Radu und Ilena, "dann sind das unsere Kriminellen von morgen." Schon jetzt bleiben Hunderte schulpflichtige Roma-Kinder in Duisburg dem Unterricht fern - und die, die hingehen, können häufig kein Wort Deutsch.

Überhaupt scheint sich die grundsätzliche Spannung zwischen Arm und Reich in Europa allmählich zu einem im Stadtteil Rheinhausen ausgetragenen Konflikt zu entwickeln. Bereits jetzt existieren Bürgerinitiativen, die Unterschriften gegen die Zuwanderer sammeln, weil sie deren Müll und Lärm nicht länger ertragen wollen. Wie aus einem Papier des Innenministeriums hervorgeht, kam es auch bereits zu Übergriffen auf Zigeuner: Die Roma beklagten sich, dass sie in türkischen Läden nicht bedient und ihre Kinder regelmäßig zusammengeschlagen würden. "Wenn wir hier nicht gegensteuern", resümiert der Polizist, "haben wir ganz schnell eine generelle Ausländerdiskussion."

Radu und Ilena aber wollen hierbleiben, in ihrer "neuen Heimat".