von Till-Reimer Stoldt, www.welt.de, letzte Änderung: 30.10.2009

Bochumer Priester flüchtet vor religiöser Gewalt

Über Jahre hinweg wurde in Bochum der orthodoxe Priester Aleksejs Ribakovs wegen seines Glaubens schikaniert – offenbar von Muslimen. Dabei ist Ribakovs kein Einzelfall. Die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen fordert nun, gegen solche Fälle konsequenter vorzugehen.

Warum sitzt Aleksejs Ribakovs überhaupt hier? In diesem Düsseldorfer Restaurant, vor seiner Kaffeetasse, und erzählt einem Journalisten, wie er wegen seines christlichen Glaubens aus seinem Heimatviertel vertrieben wurde? Ribakovs zuckt die Schultern und sagt: „Vielleicht, weil ich nicht aus Iran, sondern aus Bochum vertrieben worden bin.“ Und womöglich auch, weil die Täter ihn, den russisch-orthodoxen Priester, offenbar aus religiösen Motiven verjagten.

„Mag sein“, sagt er, um direkt nachzusetzen: „Aber ich habe nichts gegen Muslime. Ich hege keinen Zorn!“ Und dabei schaut der 33-jährige Priester so freundlich-besorgt durch seine Brille, dass man kaum daran zweifeln kann: Nein, er will kein böses Gefühl in sich dulden. Obwohl es allerhand Anlass dazu gäbe.

Es ist an einem Sonntag gegen 18:40 Uhr, als Ribakovs aus seinem Auto steigt und zu dem Haus geht, in dem er mit seiner Familie zur Miete wohnt. Soeben hat er einen Gottesdienst gefeiert, weshalb er eine schwarze Priestersoutane mit einem breiten Silberkreuz trägt, in der Rechten einen Koffer mit Krankenkommunion und Liturgiebüchern, in der Linken sein Gottesdienstgewand.

Da sieht er die drei jungen Männer. Direkt vor der Haustür. Einer guckt ihn zornig an und fragt in gebrochenem Deutsch: „Was trägst du für Kleid, Alter?“ Ribakovs geht weiter, doch sofort springt ihm jemand in den Rücken, stößt ihn in den Hausflur. „Ich schlage dich nur so, dass du keine Anzeige machen kannst“, sagt er.

Dann prasseln die Faustschläge gegen Brust und Seiten des Priesters. Ein Jugendlicher spuckt ihm kräftig ins Gesicht, sie beschimpfen ihn als „Scheiß-Christen“ und „Scheiß-Priester“. Und schließlich sagt der Anführer: „So“ – er zeigt auf die Soutane mit dem Kreuz – „zeigst du dich hier nie mehr, kapiert?“

Als Ribakovs sein Handy zückt und die Polizei ruft, flüchten die Unbekannten. Und während er sich noch die Spucke aus dem Gesicht wischt, denkt Ribakovs: „Jetzt ist es zuviel.“ Denn schon vor Jahren zogen einige orthodoxe Christen aus der multikulturellen Siedlung fort – auch weil sie sich wegen ihres Glaubens schikaniert fühlten.

Und Ribakovs selbst wird ebenfalls seit rund fünf Jahren in seinem Wohnviertel von Unbekannten verfolgt. Allein 2008 musste er dreimal zur Polizei, weil stets sein Auto unter den 15 bis 20 Fahrzeugen auf dem Parkplatz ausgewählt wurde: Mal wurde es aufgebrochen, um CDs mit christlicher Musik herauszuholen und auf dem Boden zu zertreten. Mal wurde auf das Auto uriniert.

Mal geschahen noch unappetitlichere Dinge. Und immer wieder wurde Ribakovs, wenn er das Priestergewand trug, von Frauen mit Kopftuch und Männern orientalischer Herkunft beschimpft oder missbilligend angeguckt, während sie ihm vor die Füße spuckten. So erzählt er.

Doch dieses Mal fahndete die Bochumer Polizei erfolgreich. Wenige Tage nach der Tat vernahm sie bereits einen Verdächtigen, der teilweise gestand. Dabei handelte es sich um einen 17-Jährigen türkischer Abstammung. Die Identität der Mittäter konnte laut Polizeisprecher noch nicht geklärt werden.

Umso klarer war jedoch das Echo, das der Fall auslöste, nachdem die Polizei ihn bekannt gemacht hatte. Nicht nur die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) warnte, solche Fälle drohten das interreligiöse Klima zu belasten und müssten konsequenter als bisher bekämpft werden.

Auch auf islamkritischen Webseiten wurde die Attacke gegen den Priester umgehend in größere Zusammenhänge eingeordnet: Da wurden ähnliche Fälle aus ganz Europa aufgezählt, in denen Christen wegen ihres Glaubens aus Zuwanderervierteln vertrieben worden waren. Und da wurde geschildert, wie zum Christentum konvertierte Ex-Muslime mit permanenten Morddrohungen leben müssen. Kurz: Die Christenvertreibung nehme Fahrt auf – nun auch in Bochum.

Als Ribakovs seinen Namen samt Foto in dieses Szenario eines anschwellenden Religionskriegs eingeordnet sah, erschrak er. Was ihn störte, war dieser von ihm als zu scharf empfundene Tonfall, dieses unterschwellige „So sind sie alle, diese Muslime“.

Denn natürlich ist von den rund vier Millionen Muslimen hierzulande nur eine winzige Minderheit wegen christenfeindlicher Straftaten aufgefallen. Nur wenige Dutzend derartiger Übergriffe sind dokumentiert. Andererseits: Ist das nicht zu viel? Und war Ribakovs nicht selbst geschockt, dass solch ein Christen-Hass in einem christlich geprägten Land möglich ist?

Ja, irgendwo kann er die besorgten Islamkritiker verstehen. Trotzdem warnt er vor einer „gefährlichen Verallgemeinerung zum Schaden der Muslime“ – und vor Hass. Aus Fairness. Aus Herzenshygiene. Aus Christenpflicht.

Deshalb betete Ribakovs noch während er geschockt im Hausflur stand und den Tätern hinterherschaute, Gott möge ihm Kraft schenken, ihnen zu vergeben. Tatsächlich beteuert Ribakovs nun, während er im Restaurant Kaffee schlürft, er sei nicht zornig. Er empfinde Mitleid für die Jungs, die womöglich schon zu verwahrlost seien, um einen respektierten Platz in der Gesellschaft zu finden.

Als wolle er sich selbst den Zorn austreiben, erinnert er sich auch daran, dass manchmal auch (nominelle) Christen die Täter und Muslime die Opfer sind – wie bei der Muslimin Marwa El-Sherbini, die in Dresden von einem rechtsradikalen Islamhasser erstochen wurde.

Außerdem hält Ribakovs sich vor Augen, wie viele liebenswürdige Muslime er selbst kennt. Etwa seinen Schulfreund Ruslan, einen Tataren, der ihn darin bestärkte, Priester zu werden. Oder seine Nachbarn in Querenburg, zum Beispiel den Iraker aus der siebten Etage. Als der erfuhr, was Ribakovs passiert war, eilte er zu ihm und sagte: „Zeig mir die Jungs, mit denen rede ich mal“. Oder der Türkischstämmige aus der sechsten Etage, der stets so höflich grüßt und den Ribakovs zu Weihnachten ein „frohes Fest“ wünscht.

Neben Zuneigung zu vielen Muslimen treibt den Priester aber noch etwas weniger Erfreuliches um: Angst. Solche Vorfälle könnten schließlich Hass entflammen. Nicht nur bei entsetzten Nichtmuslimen, sondern auch „bei Islamisten, die ihre Religion in Verruf gebracht sehen durch meine Geschichte“.

Öffentlich würde er deshalb auch nicht behaupten, dass er von einem mutmaßlichen Muslim angegriffen wurde. Er würde die Täter nur als „respektlose Halbpsychopathen“ bezeichnen. Und dann blickt Ribakovs für einen Moment nicht mehr freundlich-besorgt durch seine Brille, sondern ernst und eindringlich: „Diese Vorsicht bin ich meiner Familie schuldig. Verstehen Sie?“

In diesem Augenblick hat sich der Priester ganz in den fürsorglichen Vater und Ehemann verwandelt. Wer wollte ihm das verübeln?

Verantwortungsgefühl für seine Familie ist es auch, das ihn nun aus Bochum-Querenburg forttreibt. Die neue Wohnung ist bereits gefunden, der Mietvertrag unterzeichnet, seine Tochter in der Schule angemeldet. Natürlich weit weg von Querenburg. Aber so sehr dieser Umzug seine Familie auch schützt – in einer Hinsicht lässt er Ribakovs keine Ruhe: Die Täter könnten seinen Wohnungswechsel als Erfolg, als Sieg verbuchen.

Und plötzlich weiß Ribakovs, warum er hier sitzt, in dem Restaurant mit dem inzwischen kalten Kaffee auf dem Tisch, und seine Geschichte erzählt: Weil niemand glauben soll, die Vertriebenen würden auch noch verstummen angesichts der Gewalt. Nein, alle sollen wissen, was da geschehen ist in Bochum-Querenburg.