Die letzte Dampflok in Kaltenleutgeben: 26. Februar 1956!


Die Eisenbahn

Am 18. August 1883 geht für Kaltenleutgeben ein lang ersehnter Wunsch in Erfüllung. Endgültig sind nun jene Zeiten vorbei, in welchen man eher umständlich und zeitaufwendig aus Wien anreisen musste. Nachdem verschiedene Projekte wie Schmalspurbahn oder Dampftramway ad acta gelegt sind, kann 1882 mit dem Bau einer normalspurigen, eingleisigen Lokalbahn begonnen werden, die teilweise den Charakter einer Gebirgsbahn hatte und steigungsmäßig an einer Stelle sogar die Semmeringbahn geringfügig übertraf. Das macht die Konstruktion von zwei Spezialokomotiven, die zwar kleiner, dafür aber stärker als die sonst üblichen waren, notwendig. Probleme gab es auch mit der Endstation.

Die knapp sieben Kilometer lange Strecke, die von der Südbahnstation Liesing zuerst durch die Weinberge um Rodaun und Perchtoldsdorf und dann durch das immer enger und romantischer werdende Dürrliesingtal führte, endete abrupt im Unterort von Kaltenleutgeben (heute Wohnhausanlage Hans Czettel-Hof) , weil der wenige Platz, den Bach und Straße übrig ließen, bereits restlos verbaut war.

So mussten auch weiterhin alle Ankommenden, wenn sie zu den im Ortszentrum gelegenen Kuranstalten wollten, in Stellwagen, Fiaker oder Einspänner umsteigen, um den knappen Kilometer zur Winternitz''schen oder die eineinhalb Kilometer zur Emmel'schen Wasserheilanstalt zurückzulegen. Der Weg führte die Hauptstraße entlang, die zu beiden Seiten Geschäfte, Gasthäuser und Gewerbebetriebe säumten.

Die Bahn fand so großen Anklang, dass in den Sommermonaten täglich bis zu 23 Zugspaare verkehrten und in den Wintermonaten 12. Eine Fahrt dauerte fahrplanmäßig 22 Minuten. Weil die Bahn so erfolgreich war, trug man sich mit dem Gedanken, sie bis zur Westbahn zu verlängern. Die Trasse sollte dabei oberhalb der Promenadegasse und unterhalb von Kaltbrunn über die Eiswiese sowie durch den Pfarrgarten zwischen Kirche und Pfarrhof in Richtung Sulz weitergeführt werden. Dazu kamt es dann aber doch nicht.

Der weltberühmte amerikanische Dichter Mark Twain, der im Sommer 1898 des Öfteren mit Tempo 20 zwischen Kaltenleutgeben und Liesing pendelte, war der Ansicht, dass eine der langsamsten Eisenbahnen der Welt nach Kaltenleutgeben fährt. Doch vergaß er keineswegs den Grund dafür anzugeben: Weil sie die ganze Zeit bergauf fährt! Mark Twain hatte also die Besonderheit dieser Strecke richtig erkannt.

Die ersten Überlegungen, das Kaltenleutgebener Tal verkehrstechnisch besser zu erschließen, fielen bereits in die 70er Jahre des 19. Jhds. Der seit der Biedermeierzeit beliebte Kur - u. Ausflugsort war ja gar nicht so einfach zu erreichen: Ab 1842 gab es von Wien, d. h. vom nachmaligen ersten Bezirk aus, als öffentliches Verkehrsmittel mit fixen Routen den nur wenig komfortablen, aber verhältnismäßig wohlfeilen Stellwagen (so genannt, weil man ihn "stellen", also jederzeit anhalten konnte). Er fuhr täglich zweimal vom Spitalsplatz (dem späteren Lobkowitzplatz) ab, und zwar um 6 Uhr morgens und um 4 Uhr nachmittags (Rückfahrt 6 Uhr morgens und 7 Uhr abends). Etwa 1851 wurde der Abfahrtsort in die Vorstadt Laimgrube nahe dem Theater an der Wien verlegt und bald gab es auch vom Vorort Hietzing aus eine Fahrmöglichkeit. Zwar machte schon ab 1839 die Wien-Gloggnitzer Eisenbahn in Liesing Station, aber sie war noch ein völlig ungewohntes und auch teures Verkehrsmittel - da mietete man sich lieber gleich eine private Fahrgelegenheit.

Der Erste, der an eine Bahnverbindung dachte, war Emanuel Tichy, der 1871 das Werk Kaltbrunn und bald darauf die Kalkgewerkschaft Stollwiese erwarb. Die notwendigen Geldmittel konnte er allerdings nicht aufbringen. Auch ein Wiener Fabrikant, der 1872 eine Schmalspurbahn vom Industriedorf Erlaa nach Kaltenleutgeben plante, scheiterte an der Kostenfrage. 1880 trat dann ein finanzkräftiger Interessent auf den Plan, nämlich der bayerische Industrielle Georg Krauß, Besitzer von Lokomotivfabriken in München und Linz. Er suchte um die Konzession für mehrere Straßenbahnlinien (die Mitbenützung von Straßen durch Pferde- und Dampfeisenbahnen war seit diesem Jahr erlaubt) nördlich und südlich von Wien an. Er selbst erhielt zwar nicht für alle die Konzession, doch wurde letztlich jede der geplanten Linien auch tatsächlich verwirklicht. Unter den letzteren war auch die Linie Liesing - Kaltenleutgeben, welche allerdings von der k.k. privilegierten Südbahngesellschaft gebaut wurde, die sich eine Abzweigung von ihrer Stammlinie natürlich nicht entgehen lassen wollte.

Dachte man zuerst an eine Schmalspurbahn mit 1000 mm Spurweite, so entschied man sich dann aber doch für die Normalspur (1435 mm), um bei Bedarf - etwa an Sonn- und Feiertagen - auch direkte Züge vom bzw. nach dem Wiener Südbahnhof führen zu können. Am 21. Juni 1882 wurde die Konzession für eine "normalspurige, secundäre Flügelbahn Liesing - Kaltenleutgeben" erteilt. Die offizielle Ausschreibung für den Bahnbau erfolgte am 28. Oktober 1882 (Einreichfrist bis 10. November), die feierliche Eröffnung am 17. August 1883; d. h. nach einer Bauzeit von etwa neun Monaten, wovon fast die Hälfte in die schlechte Jahreszeit (die Winter waren damals noch kalt und schneereich) fiel. Die veranschlagten Baukosten (ohne Grundeinlösungen): 85.000 Gulden, in heutiger Währung etwa 600.000,- Euro. Endgültig waren nun jene Zeiten vorbei, in welchen man eher umständlich und zeitaufwendig aus Wien anreisen musste.

Obwohl die Konzession bis 31. Dezember 1968, also für eine Betriebszeit von 85 Jahren erteilt worden war, kam bereits nach 67 1/2 Jahren das teilweise Aus: Am 29. Jänner 1951 erfolgte auf der Gesamtstrecke die vorläufige Betriebseinstellung für den Personenverkehr und für den Lastenverkehr auf der Teilstrecke Waldmühle - Kaltenleutgeben, auch wenn die tatsächliche Einstellungsverfugung erst Monate später in Kraft trat. Ein Personenverkehr durch Bedarfszüge blieb möglich, wurde allerdings nur 1956 genutzt: An einem Wochenende im Februar (25./26.) fanden im "Schidorf der Wiener", wie Kaltenleutgeben seinerzeit gerne genannt wurde, ein ,,Eisgraben- und Wienerblick-Rennen" statt. Anfang des Jahres waren in Cortina d'Ampezzo Olympische Winterspiele abgehalten worden, bei denen die österreichischen Teilnehmer, allen voran Toni Sailer, Triumphe gefeiert hatten. Mit Ausnahme von Tom Sailer, der anderweitig verpflichtet war, konnten sie für die Veranstaltung gewonnen werden., 9 Sonderzüge und 60 Autobusse brachten an beiden Tagen bei herrlichem, klirrend kaltem Wetter etwa 20.000 Schaulustige herbei, welche die österreichischen Olympiateilnehmer frenetisch feierten.

Ab 1. Juli 1957 wurde auch der Personenzug-Bedarfsverkehr auf der Gesamtstrecke sowie der Gesamtverkehr. Waldmühle - Kaltenleutgeben eingestellt. Der Abbau des Oberbaues auf dieser Teilstrecke in der Länge von 1,215 km Länge erfolgte 1959.
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