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Karl Rosner, Die Beichte des Herrn Moritz von Cleven
Die Beichte des Herrn Moritz von Cleven, Roman von Karl Rosner.


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Karl Rosner, Die Beichte des Herrn Moritz von Cleven

K. Rosner ist mir als Autor kein Begriff; und auch das Internet gibt ziemlich wenig her: Er soll ein Krimi-Autor gewesen sein (und kein ganz unbedeutender - http://gaslight.mtroyal.ab.ca/grtdtecs.htm: " Karl Rosner, the author of Der Herr des Todes and Die Beichte des Herrn Moritz von Cleven, is also one of the leading German writers of detective stories." from The art of the mystery story, 1946). Die Deutsche Bibliothek nennt folgendes: Rosner, Karl, 1873-1951, Österr. Schriftsteller u. Journalist. Und er scheint mit Karl Kraus in Kontakt gestanden zu haben (http://www.hagalil.com/austria/kraus/kraus-1.htm). Magis nescio.

Teils gelesen, teils überflogen habe ich an den letzten Abenden folgendes Buch:

Die Beichte des Herrn Moritz von Cleven.
Roman von Karl Rosner.
Deutsche Buch-Gemeinschaft: Berlin o.J. 407 S. geb.
Copyright 1919 Cotta'sche Buchhandlung Nachf.

Einmal ist das ein historischer Roman; und das große historische Thema ist Napoleons Rußlandfeldzug, geschildert aus der Perspektive eines Husaren aus dem Königreich Westphalen. Zum anderen aber ist es eine Art ?Entwicklungsroman" (wenn man hier Entwicklung im Sinne von ?mutabor" auffassen darf): Wie aus einem Husaren ein Baron und Rittmeister wird und er die Frau bekommt, die eigentlich unerreichbar weit über ihm steht.

Irgendwo in der Landgrafschaft Hessen-Kassel zwischen Biedenkopf und Kassel liegen Dorf und Gut Cleven. Dort wohnt der Baron Cornelis von Cleven, ein lebensfroher Mann, der mit einer zänkischen Frau geschlagen ist, einer Freiin von Biedenkopf.

Cornelis von Cleven hat zwei Söhne, einen ehelichen mit dem Namen Moritz (der als Page in die Dienste des Landgrafen von Hessen-Kassel tritt) und einen unehelichen mit Namen Thomas Grimmer (Thomas wächst in der Großfamilie des Dorfschullehreres von Cleven mit Namen Lobegott Scholtzius heran).

Thomas Grimmer ist der Ich-Erzähler, der seinem Sohn Jost schildert, wie aus Thomas Grimmer der Baron Moritz von Cleven wurde und weshalb auf Geheiß Kurfürst Wilhelms I. von Hessen er nach Österreich übersiedeln mußte. Grimmer (im folgenden G. genannt) ist kein studierter Mann, aber sehr gläubig. Er hat seine Bibel und seinen Goethe gelesen. Er ist ein biederer, gerader (müßten wir heute nicht naiv sagen?) und tief gläubiger Mensch. In diesem Ton ist das Buch gehalten. Dies wird besonders deutlich in den kurzen Einleitung, die jeder Schilderung der vergangenen Ereignisse vorangestellt ist.

Da heißt es z.B.: "Sitz heut vor Tagesarbeit im ersten Licht wohl eine halbe Stund schon vor dem weißen Bogen und kann nicht finden wo beginnen, denn wie ich auch alles so klar und so lebendig vor mir sehe, komme ich immer wieder ins Sinnieren, träum des Vergangenen nach, seh Menschen, die vor Zeiten um mich gewesen sind, und laß die Tinte in dem weißen Kiele trocknen. Nein, zum Scribenten wäre ich verdorben." (S. 9)

In der Sprache steckt vieles drin, was einen einfachen Umgangston nachahmen soll und viel archaisierendes.

G. geht zur Ausbildung als Landwirt auf ein Gut in der Nähe von Göttigen (Boynefeld); in dieser Zeit liquidiert Napoleon das Kurfürstentum Hessen und schlägt sein Gebiet dem Königreich Westphalen zu, zu dessen König er seinen Bruder Jérome ("König Lustick") ernennt. Während Moritz von Cleven mehr oder weniger freiwillig in die Armee des Königreichs Westphalen eintritt, wird G. anno 1810 zum Dienst gepresst. Beide landen im selben Husarenregiment. Moritz von Cleven erkennt G., macht ihn zu seinem Burschen und später Vertrauten. Eine tiefe, wenn auch natürlich ungleichgewichtige Freundschaft entsteht.

Während einer Militäroperation im Raume Bremen lernt Moritz die Kapitänstochter Elsabe Marissal kennen und lieben. Nach dem Tode ihres Vaters heiraten die beiden, und Elsabe übersiedelt nach Braunschweig, wo das Regiment in Garnison liegt. G. verliebt sich (ohne es sich allerdings eingestehen zu können) in die für ihn unerreichbare Frau. Über ihre Ankunft in Brauschweig: " ... einem Jungmädgen, zierlich, zart und schlank, aber ganz eingepackt in einen dicken Pelz, daß man allein die feinen Füßchen und das schmale, in Erwartung gespannte Gesichtchen unter dem grauen Pelzmützlein gesehen hat." (S. 108). Die Häufung der Diminutive tut mir irgendwie weh.

Das junge Glück wird dadurch getrübt, daß Elsabe für Moritz wohl allzu zart ist und ein Kind verliert (Pfingsten 1811). G. leidet mit seinem Herren.

Schließlich (da die alte Baronin von Cleven stirbt) übersiedelt das Paar nach Cleven; dort scheint sich Moritz einen Fehltritt geleistet zu haben, der das Eheglück weiter trübt.

So ist die Lage an der Ehefront, als das Regiment zur "Grande Armée" abkommandiert wird, zum Rußlandfeldzug (Teil der 24. leichten Brigade (S. 163)). Von nun beschriebt G. den Weg, den das Regiment nimmt bis in die Schlacht bei Borodino.

Manches an der Schilderung ist über das Buch hinaus interessant, z.B. die Begegnung mit polnischen Juden und Judenfeindschaft:

"In Lissa haben wir zum erstenmal ein polnisches Quartier gehabt ... Nur ein paar Juden in schwarzen Kaftans mit langen Bärten und Ringellocken vor den Ohren haben dem Straßenleben ein besonderes Ansehen gegeben und uns Husaren Ursach und Gelegenheit zu mancher Heiterkeit geboten. Waren aber gute arme Teufel, so daß wir des Spottes bald genug müde gewesen und uns ihrer lieber als Führer und zum Handel bedient haben. Weiß noch, ich habe damals mit unserem Wagenmeister ... ein philosophisches Gespräch gehabt über die Nützlichkeit der Juden und gemeint: wären doch auch Geschöpfe Gottes, und der würde schon wissen, warum er sie zwischen uns erhielt. Hat der Wagenmeister hingeworfen: 'Auch die Wanzen, die man hier im Quartier findet, sind Geschöpfe Gottes - und die Kleiderläus auch!' Da ist meein Heerr Moritz von Cleven dazugekommen, hat gut und fröhlich gelacht und gesagt: 'Und der liebe Gott hat die Juden und die Wanzen aus der gleichen Weisheit geschaffen. Die Wanzen, damit der Träge nicht allzu faul wird und etwas zu kratzen hat - und die Juden, damit die ganze Menschheit nicht einschlaft und in Bewegung bleibt.' - Und so derb das Wort meines Herren - der übrigens die Juden immer ganz gern hat leiden mögen - geklungen hat, hab oft darüber nachgedacht und bin zum Schluß gekommen: ... - es ist wohl etwas Wahres daran." (S. 171f.)

Interessant sind die Szenen in Polen (Großherzogtum Warschau):

" ... auf welchem Marsch wir mit den wunderschönen Brigaden der polnischen Lanciers und Chasseurs, die von dem Fürsten Poniatowski sind geführt worden, zusammentrafen. War ein herrlicher Anblick, diese stolzen und eleganten Truppen auf ihren schönen Tieren, und ein rechter Gegensatz zu dem unbeschreiblichen Dreck der Dörfer, die wahrhaft mehr bewohnten Misthaufen geglichen haben und über denen eine dicke Dunstwolke von Stank gewesen ist." (S. 185)

Während des Marsches durch Polen und Rußland hat das Regiment durch schlechte Versorgung und falsche taktische Planung bereits ernste Verluste ohne Feindeinwirkung.

" ... und ehe wir die Stadt Minsk erreicht, ist wiederum mancher aus unseren Reihen infolge der Entkräftigung seines Körpers oder des Fiebers, das ihn aus den fauligen Wassern angefallen und umgerissen hat, zur ewigen Heimat ausgeschieden." (p. 209)

Dabei klingt oft an, daß die Deutschen in der Großen Armee nur als Menschen 2. Klasse galten: "Hat Offiziers gegeben, die erzählt haben, daß er sogar recht verächtlich auf seine Truppen blicke - wären ja nur Deutsche und Westphalen!" (p.. 215)

In der Schlacht von Borodino (Schilderung ab S. 234) verliert G. sein geliebtes Pferd Duca und wird schwer verwundet. Moritz von Cleven kehrt auf das Schlachtfeld zurück und findet G. in einem Lazarett. Auf dem Weg zurück zum Regiment müssen die beiden biwakieren; ein kranker Portugiese steckt Moritz mit Typhus an, was aber erst später bekannt wird. Die Reste des Regiments liegen in Mozaisk. Und da gibt es eine Passage von zeitlosem Wert (sie könnte auch 1945 geschrieben worden sein): "So war also, wie überall, wo die russischen Schweinebrüder gehauset, alles Meublement kurz und klein geschlagen, dazu ein Dreck und Unrat ohne Gleichen in allen Räumen, daß man mehr an einen Saustall als ein Wohnhaus ist erinnert worden. Will nur als Beispiel anführen, daß die Kerle in ihrem barbarischen Übermut ein Wiener Spinett für ihre menschlichen Bedürfnisse benutzt haben und ebenso eine Art griechischer Kübelvase, die eingemauert auf einem Ofen des Salons gestanden und gewißlich nit ohne schwierige Umstände jedesmal zu erreichen gewesen. Haben hiergegen ein frantzösisches Bidet, in Verkennung seiner anderen Bestimmung, wie deutlich an denen Resten noch zu sehen, als Salatschüssel in Gebrauch gehabt." (S. 259f.)

Moritz, ohne Nachricht aus Cleven von Elsabe, wird immer schwermütiger. Und bald laufen zwei Geschichten parallel ab: Rückzug und endgültiger Zerfall der Großen Armee; der körperliche Niedergang (bewirkt durch Typhus) des Moritz von Cleven.

Am 15. November 1812 beim Dorfe Korytnia zwischen Smolensk und Krasnoi stirbt Moritz von Cleven (S. 302ff.). G. nimmt die Dinge des Toten an sich, der gebrauchen kann oder nach Cleven bringen soll; dabei zieht er auch den Pelz und den Uniformrock des Toten an. Moritz wird in G.'s Dolman beerdigt, und so verliert G. seine Papiere. Er kann sich fortan nur als Baron Moritz von Cleven, Rittmeister in einem Husarenregiment ausweisen. Damit sind die Würfel gefallen. Und G. hat eine Rolle übernommen, in die er immer mehr hineinwächst. Sogar ein enger Freund des verstorbenen Moritz hat keinen Zweifel, daß G. der Baron von Cleven ist (S. 341). Und so eilt G. die Kunde voraus, daß der Baron Moritz von Cleven lebt und wohlauf ist.

Krank kommt G. in Cleven an. Es dauert einige Zeit, bis Elsabe merkt, daß der dahindämmernde Kranke nicht ihr Mann ist. Aber nun ist es zu spät. Sie kann nicht plötzlich sagen, daß das nicht ihr Mann ist. Sie arrangieren sich, und Elsabe beginnt G.'s Liebe zu erwidern. Alles sieht nach Happy End aus. Da Moritz nur selten in Cleven war und sich kaum um das Gut gekümmert hat, kann G. seinen Platz leicht einnehmen. Das Glück der beiden wird dadurch gekrönt, daß Elsabe schwanger wird.

Aber die nächste Peripetie naht: Eingeladen beim alten Kurfürsten Wilhelm I. in Kassel, erkennt der, daß Moritz von Cleven nicht Moritz von Cleven sein kann. Aber der alte Herr ist gnädig: Kein Skandal, aber G. muß das Gut Cleven verkaufen und sich irgendwo außerhalb des Kurfürstentums Hessen ansiedeln.

Und so übersiedelt das Paar nach Österreich. Happy End gerettet.

Eine durchaus spannende Geschichte, während Stil und Sprache heute nicht mehr verfangen dürften. Wenn schon historische Romane aus dieser Zeit, dann lieber Perutz. Aber dieser Roman spielt zum Teil in Hessen.

Und noch eine Sache läßt mir keine Ruhe, denn die ganze Geschichte kommt einem doch irgendwie bekannt vor. Richtig! Es gibt da diesen US-amerikanischen Spielfilm "Sommersby" (oder so ähnlich) mit Richard Gere in der Hauptrolle, das Remake eines französischen Films mit Gérard Depardieu aus dem Jahre 1981: Die Wiederkehr des Martin Guerre (Le Retour De Martin Guerre). Wollte man einen deutschen Spielfilm drehen, könnte man sicherlich Rosners Beichte wiederbeleben.

Die Recherche bei der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main brachte einen weiteren Titel:

Titel:
Die Versuchung des Joos Utenhoven : Roman einer Leidenschaft / Karl Rosner
Verfasser:
Rosner, Karl
Verleger:
Berlin ; Hamburg : Dt. Buch-Gemeinschaft
Erscheinungsjahr:
1950
Umfang/Format:
329 S. ; 8
Sachgruppe:
08a Schöne Literatur
Signatur:
D 50/8639


Frank Schuffert, im Oktober 2001
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