Louis Bromfield: Der große Regen



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Louis Bromfield: Der große Regen.

Louis Bromfield: Der große Regen. Roman.
[The Rains Came, dt.]
Ins Deutsche übertragen von Dr. Rudolf Frank.
Im Bertelsmann Lesering 1954. 574 S.

Und so fängt dieser Roman an:

,,Dies war Ransome die liebste Stunde des Tages. Brandytrinken saß er um Sonnenuntergang auf seiner Veranda. Einen Augenblick war das graugelbe, von scharlachfarbenen Schlingpflanzen umwucherte Haus, waren die Banyanbäume ringsum von der Zauberfülle goldenen Lichtes umflutet. Dann versank die Sonne in jähem Sturz hinter dem Horizont, und das weite Land lag in Finsternis. Es war ein magischer Anblick, doch ewig fremd seiner nordischen Seele, welcher die langen, blauen, gedämpften Sonnenuntergänge Nordenglands vertraut und verwandt waren. In dieser Stunde war ihm, als stehe die Welt mit einemmal still, eine Sekunde ganz still, und stürze dann in den Abgrund der ewigen Dunkelheit. Etwas vom Grausen der Primitiven rührte ihn an bei diesen Untergängen der indischen Sonne." (p. 7)

Das ist ein Buch, das ich in jungen Jahren mehrfach gelesen habe. Als ich es vor einiger Zeit wiederfand, stöberte ich ein bißchen im Web. Da fand ich einen Buchtitel, in dem Bromfield (* Mansfield/Ohio 27. 12. 1896, + Columbus/Ohio 18. 3. 1956) ein vergessener Autor genannt wird:

Louis Bromfield, Novelist and Agrarian Reformer : The Forgotten Author
von Ivan Scott. (Juni 1998)

Ich habe den ,,großen Regen" noch einmal teils gelesen, teils überflogen, und - es ist im wahrsten Sinne ein Buch von gestern. Nur wenn mich jemand ganz direkt fragen würde, ob er eher einen Indien-Roman von M.M. Kaye (in seiner pseudo-historischen Verlogenheit besonders ,,Der Monsum hielt den Atem an") lesen soll oder Bromfield, dann würde ich ohne zögern den ,,großen Regen" empfehlen.

Schauplatz ist der fiktive indische Kleinstaat Ranchipur (ca. 12 Millionen Einwohner, p. 10, ,,reicher und mächtiger Staat", p. 37), der von einem Maharadscha aus einer Mahratten-Dynastie regiert wird. Der alte Maharadscha versucht, das Kastensystem zu überwinden und eine moderne Infrastruktur (elektrischer Strom!) zu schaffen.

,, Der große Regen" ist nicht nur ein grundsolider Roman (geschrieben in den Jahren 1933 bis 1937, veröffentlicht 1937), der zwei Mal erfolgreich verfilmt wurde, er ist ein eiferndes Werk, der einen ,,3. Weg" jenseits von Europa und Amerika (genauer: USA), aber auch des alten Indien propagiert, gegen einen ausbeuterischen Kapitalismus, gegen ein verknöchertes Christentum, gegen das Kleinbürgertum und seine Doppelmoral, gegen puren Materialismus, gegen einen entarteten Hinduismus, gegen asiatischen Fatalismus und Kastendenken, gegen die britische Herrschaft über Indien, gegen die Knochenmühlen des 1. Weltkriegs, gegen rassische Vorurteile.
Man darf dabei eines nicht vergessen: Dieser Roman ist vor der Zäsur des 2. Weltkriegs geschrieben. Er war ein Gegenwartsroman, auch wenn der heutige Leser ihn eher als einen historischen Roman über das britische Indien lesen würde. Die meisten Personen in diesem Roman sind keine wirklichen Menschen aus Fleisch und Blut, sondern Typen, die negative und positive Typenfunktionen haben. Es gibt zwei Gruppen von Personen: Die, die so etwas wie eine ,,Sprechrolle" haben, d.h. aus deren Sicht Ereignisse und Überlegungen geschildert werden; und die, über die erzählt wird.

,,Sprechrollen" haben:

Name

Beschreibung

Thomas Ransome

Positiv: Hauptperson. Britischer Aristokrat (Landadel) mit US-amerikanischer Mutter und reicher Erbschaft. Durch das Erleben des 1. Weltkriegs (auch Bromfield war Weltkriegsteilnehmer) gezeichnet (depressiv und melancholisch), in der anschließenden Bohème-Zeit scheinbar endgültig resigniert, zum Trinker geworden, der sich in Ranchipur zur Ruhe gesetzt hat. Die Liebe zu Fern Simon und das Erleben der Katastrophe machen aus ihm einen neuen, tatkräftigen Menschen. Er heiratet Fern Simon und wird Stellvertreter des Wohlfahrtsministers.

Miss McDaid

Positiv: Schottin, Oberkrankenschwester im Hospital von Ranchipur; kraftvoll pflichtbewußte Frau von 49 Jahren; liebt (unerfüllt) den Chefarzt Major Safka. Unter den Gründen, warum sie in Ranchipur/Indien bleibt: ,,Die Armut des Ostens kam ihr erträglicher vor als jene des Westens, denn sie war nicht in enge, finstere Gassen, in feuchte Mietskasernen zusammengepfercht; Licht und Luft flutete über sie hin." p. 33. Sie überlebt die Katastrophe in alter Frische.

General Agate

Negativ: Karikatur eines ebenso hochrangigen, wie dünkelhaften Vertreters der britischen Radsch: ,,"... als sei er just aus einer Erzählung Kiplings herausgestiegen, ... auch in seinem Charakter, Gehaben und Temperament. Auf seinen breiten Schultern trug er 'die Last, die man mit diesen dunkelfarbigen Völkern hat' ..." p. 26

Maharani

Positiv: 67 Jahre alt kraftvolle Inderin, von Ransome als ,,die letzte Königin" (p.28 et al.) bezeichnet. Erdbeben und Überflutung machen sie zur Witwe. Sie nimmt den Neuaufbau Ranchipurs nach amerikanischem Vorbild (sauber, mit viel Beton) in die Hand.

Major Safka

Positiv: Brahmane, ,,der dem stolzesten aller Brahmanengeschlechter entstammte" (p. 43) und Chefarzt im Hospital von Ranchipur; Studium in England; schöner, attraktiver Mann. Verliebt sich in Lady Heston, die er an den Typhus verliert.

Mr. Smiley

Positiv: Amerikanischer Baptisten-Missionar und Schulmann (Parias, Waisenkinder): ,,... wußte er nur zu gut, daß Indien und die Inder ncht durch Bekehrung zum Christentum oder sonst einer Religion zu retten waren, sondern allein durch eine Erziehung, die sie von dem trennenden schrecklichen Haß und der gegenseitigen Feindschaft befreite." p. 40. Seiner ,,Fundamentalisten-Sekte des Mittleren Westens" (p. 41) längst untreu geworden.

Lord Heston

Negativ: Negativkarikatur des Großkapitalisten, ein Emporkömmling aus kleinen Verhältnissen, skrupelloser Kriegsgewinnler und Kriegshetzer, der sich eine adlige Frau und einen Adelstitel gekauft hat,aber ein Prolet und ein ,,aufgeblasener Lümmel" (p. 137) geblieben ist; das krasse Gegenbild zu Ransome. Stirbt an der Pest.

Bates

Negativ: Kammerdiener Lord Hestons und Prügelknabe seit 12 Jahren; will sich, wenn er genug verdient hat, in England zur Ruhe setzen und der kommunistischen Partei beitreten (p. 48)

Mrs. Simon

Negativ: Missionarsgattin mit zwei Töchtern und Ambitionen; Karikatur einer Kleinbürgerin, 41 Jahre alt: ,,Ihre Umwelt ... existierte für sie einzig und allein in bezug auf ihr kostbares Ich, das mit Zähigkeit danach strebte, dieses Milieu auf irgendeine Art zu heben und in irgendetwas umzugestalten, was es nicht war." (p. 56) Haßt ihre direkten Nachbarn, das Missionarsehepaar Smiley. Verschwindet nach der Katastrophe aus Ranchipur.

Mr. Simon

Indifferent: Amerikanischer Baptisten-Missionar, Ehemann von Mrs.Simon, Vorgesetzter von Mr. Smiley. Steht unter dem Regiment seiner Gattin: §Er war im Grunde ein harmloser, etwas beschränkter Mensch." (p. 57), ,,braver Spießer" (p. 60). Stirbt beim Erdbeben.

Tante Phoebe

Positiv: Amerikanerin. 82 Jahre alt, die als junge Frau Iowa noch an der Indianergrenze gelebt hat. Suchte eine neue ,,frontier". ,,[Jobnekar] ... wußte ..., daß es fern im Innern der Staaten noch so etwas wie Tante Phoebes Schlichtheit, Ehrenhaftigkeit und Güte gegeben hatte. ... Was er aber nicht wußte, war, daß die Welt und Wesenheit Tante Phoebes auch in Kansas und Iowa dahinschwand. Phoebe jedoch wußte es, und dies war ein Hauptgrund für sie gewesen, nach Indien zu gehen. Ihr Herz konnte es nicht ertragen, daß die gute, alte, geliebte Zeit daheim unterging und sie es mit ansehen sollte." (p. 73f.)

Mrs. Smiley

Positiv: Amerikanische Missionarsgattin, aufopferungsvolle Lichtgestalt: ,, ... ihr Gesicht ... strahlte von jener Herzensgüte, die uns so oft aus den Mienen einfacher Menschen anspricht." (p. 69) Kennzeichen: ,, ... ungewöhnliche Frau ...beharrlicher Geist ... seelische Reinheit ..." (p. 69)

Fern Simon

Positiv: Amerikanische Missionarstochter, 21 Jahre alt. Am Anfang ,,das amerikanische bildhübsche Kleinstadtgirl" (p. 79), eingebildet, beschränkt. Reift durch ihre Liebe zu Ransome und erfährt eine tiefe Wandlung unter dem Eindruck von Erdbeben, Flut und Seuche. Heiratet Ransome.

Miss Dirks

Positiv:Britische Schulfrau. Typ alte Jungfer. Stirbt bei der Überschwemmung.

Miss Hodge

Indifferent: Britische Schulfrau. Typ alte Jungfer. Wird bei der Überschwemmung endgültig wahnsinnig.

Lady Edwina Heston

Positiv: Ehemalige Liaison von Ransome, aus verarmtem britischem Adel: ,, ... sie mit ihrer anerzogenen Oberflächlichkeit, Leichtfertigkeit und windigen Unmoral ..." (p. 113) Wandelt sich unter dem Eindruck der Katastrophe, kathartisch wirkt ihre Liebe zu Major Safka. Macht als Krankenschwester Drecksarbeit. Stirbt an Typhus.



,,Statistenrollen" haben:

Name

Beschreibung

Jonhannes der Täufer

Indifferent: Hausdiener Ransomes (,,Sobald er weiße europäische Kleider trug, war er ein Dreckfink. ... Nackt war er die Sauberkeit selbst. Seine Hindu-Ahnenreihe hatte ihm die Gewohnheit des täglichen Bades vererbt." p. 12).
Wie alle Hausdiener, tratschsüchtig.

Mr. Bannerji

Negativ: Inder mit britischer Hochschulbildung (,,... erregt in ihm [Ransome] nur ein sonderbares Gemisch aus Zuneigung, Heiterkeit, Mitleid, Verachtung: ein schwächliches Rohr im Winde, der bald von Westen [England] und bald von Osten [Indien] her wehte." p. 15). Stirbt an der Cholera.

Raschid Ali Khan

Positiv: Mohammedaner, Freund Ransomes, Polizeichef: ,,... stattliche Männlichkeit ... Fast zwei Meter maß er und war muskulös wie viele indische Mohammedaner. In seinen Adern floß arabisches, türkisches, afghanisches, persisches Blut ... unbändig wild ... offen und gerade heraus ... Mann der Tata, visionär und romantisch ..." (p. 64f.)

Jobnekar

Positiv: Paria und deren politisch-geistiger Führer in Ranchipur: ,,Er war klein, dunkel, elastisch, sehnig wie ein Panther und besaß die unverwüstliche Zähigkeit und Vitalität der Parias." (p. 70) Stirbt mit seiner ganzen Familie bei der Überschwemmung.

Hazel Simon

Indifferent: Amerikanische Missionarstochter. Stirbt beim Erdbeben.

Harry Loder

Negativ: Britischer Offizier; 33 Jahre alt. Verehrer von Fern Smiley. Stirbt, als er die Flußsperre sprent, um das Hochwasser aus Ranchipur abzuleiten.

Mrs. Hogget-Clapton

Negativ: Britische Bankiersgattin; verblühte Tingeltangeltänzerin, Säuferin. Bewunderte Freundin von Mrs. Simon. Verschwindet nach der Katastrophe aus Ranchipur.

Mrs. Bannerji




Einige Beispiele:

Gegen ein verknöchertes Christentum:
Thema ,,Totenverbrennung":
,,In dieser Trennung vom Toten liegt ein Wirklichkeitssinn, wie ihn ein Christ nie aufbringen wird. Bei uns im Westen ist es nur eine Behauptung, ... der Leib sei Staub. Hier [in Indien] ist es ein Glaube. Im Westen bleibt der Mensch der erdgebundenen Körperlichkeit immerdar untertan." p. 16f.

Christentum und Islam und Sowjetunion/ Bolschewismus
Raschid Ali Khan: ,,Er hatte die Geschichte des Christentums eingehender studiert als Ransome oder irgendein diesem bekannter Christ das Wesen des Islams und pflegte zu sagen: 'Die andern Religionen sind nur klägliche Gaukelei. Vielleicht taten die Russen ganz recht daran, ihren Staat und die menschliche Brüderlichkeit zu ihrer Religion zu machen.' Auch im Islam habe sich der Gedanke der Brüderlichkeit erhalten. Wie jeder gute Moslem betrachtete Raschid den schwärzesten Nordafrikaner, den gelbsten Malaien als seinen Bruder im Glauben. Hierin, erklärte er, habe die Christenheit versagt, sie habe sich nach Nationen und Rassen in Klüngel und Gruppen gespalten; das sei ihr Unheil. Daran werde der Westen zugrunde gehen." p. 66

Gegen das Kastenwesen:
Thema ,,Parias" (Unberührbare):
,,Miss McDaid waren die Parias lieber als alles ... sonst ...; [sie] liebte deren Zähigkeit und trotzige Lebenskraft. Sie hatten auch ausreichend Nahrung ... Seit fünftausend Jahren sind sie gewöhnliche Gassenkehrer, leben ungehemmt durch Verbote und Riten eines erstarrenden Glaubens und sind daher nie so verkümmert [wie Inder aus den unteren und mittleren Kasten] ... Pariafrauen essen viel Fleisch; man merkt es an ihren feurigen Augen und der zähen Kraft ihrer Leiber." p. 23f.
Thema: Fehlerernährung durch Speisetabus
Miss McDaid: ,,Manchmal hätte sie vor Verzweiflung und Wut alle Priester totschlagen und aus dem Leib des leidenden Indiens die Religion wie ein bresthaftes Organ herausschneiden mögen." p. 31

Gegen die westliche Zivilisation:
Ransome: ,,Die künstliche Welt, die der Mensch sich zurechtgemacht hat, kennt nur einen künstlichen Frieden. Abgeschmackt ist sie, schal, ausgelaugt; sie hat mich krank gemacht. Sie schreitet von einer Notlösung zur anderen, von Kompromiß zu Kompromiß, zu den nämlichen Übeln und Missetaten, die seit Anbeginn Völker, Staaten, Kulturen zerstören." p. 54

Gegen kleinbürgerliche Vorurteile:
Über Mrs. Simon: ,,In dem engen und wirren Hirn der Missionsfrau hatten zwei Vorurteile sich tief eingenistet: das eine gegen alle, deren Haut dunkler war als die ihre, das zweite gegen die Anhänger Mohammeds, die sie für wahre Teufel hielt ... Da Mrs. Simon von Weltgeschichte, Geographie, Völkerkunde, Kulturgeschichte keine Ahnung hatte, warf sie Inder und Neger in einen Topf und schmorte diesen über dem Feuer der Vorurteile, die sie aus ihrer Jugendzeit daheim in den Südstaaten mitgebracht hatte: dem Haß des 'armen verfolgten Weißen' gegen die den 'tückischen Nigger'." (p. 59)

Gegen das Kleinbürgertum:
Ransome: ,,... 'Die Schafe, das sind die Kleinbürger des Tierreichs. Sie müßten von Rechts wegen in Vororten wohnen, konservativ wählen und sich in regelmäßigen Abständen von ihren Börsenberatern anschmieren lassen. Beim ersten Anzeichen von Gefahr ... werden sie zappelig, drängen sich und stoßen einander, denn jeder Schafskopf möchte um jeden Preis den gesicherten Mittelpunkt seiner Herde bilden.' ... Die Welt der Ideen und Taten beunruhigten sie ... und oft war ihm nicht anders, als trage einzig und allein dies beschränkte Bürgertum mit seiner elenden Kriecherei, seiner verlogenen Sentimentalität, seinem Nationalismus und wirrem Denken Schuld an der Krankheit und dem Zerfall des Westens." (p. 82f.)

Gegen Amerika, die Europa-Imitation:
Ransome über den Geburtsort seiner amerikanischen Mutter nach seiner Rückkehr aus dem 1. Weltkrieg: ,,Grand River war zur Europa-Imitation geworden; Geradheit und Einfalt des Herzens waren geschwunden; der Mensch wurde nicht mehr nach seinem Charakter und seinen besonderen Fähigkeiten geschätzt, sondern nur noch nach seinem Geldsack. Die Krankheit, die ihm in Europa begegnet war, fand er auch hier. Überdruß, Rücksichtslosigkeit, Verzweiflung, betäubt durch Alkohol, und die Verelendung der Arbeiterklasse waren ihre Symptome. In dem Ort, der kaum älter als hundert Jahre war, zeigte sich ihm die gleiche seelische und ökonomische Zerrüttung wie in den tausendjährigen Großstädten, ja, die Krankheit schien hier noch bedenklicher als in der Alten Welt. Die der Jugend aufgepfropfte Senilität wirkte grotesk und erschreckend." (p. 108)

Gegen Liberalismus, für Revolution:
Ransomes Selbsteinschätzung: ,,Er war ... ein nutzloser Liberaler alten Schlages in einer kranken Welt, die nach Gewalt, Rücksichtslosigkeit und Revolution verlangt, um zu sich zu kommen. Er aber war ein enttäuschter, einsamer Idealist, der voll Bitterkeit auf die räuberische, verlogene Umwelt blickt. Am schwersten war ihm die bittre Erkenntnis geworden, daß er selbst ein Unnützer war, den sein düsterer Pessimismus lähmte." (p. 110)

Gegen die christliche Doppel- und Sexualmoral
Ransome: ,,Dieser gewaltige Muselman stammte aus einem Volke, das seinen Glauben niemals auf Sanftmut und Non-resistance gestellt hatte und dessen Haß und Reformeifer niemals, wie beim Christentum, zu einer Beschäftigung mit Moraltheologie und religiösen Streitfragen herabgesunken war. Als treuester Anhänger des Islam sah Raschid Ali Khan in der Habgier, der Heuchelei, der Unehrlichkeit unendlich größere Verbrechen als in Vielweiberei, Ehebruch und jeder Art Unzucht. Die christliche Kirche jedoch, sagte sich Ransome, hatte fort und fort aus Verbrechen gegen die Menschlichkeit Nutzen gezogen und achtete dieser auch jetzt nicht in ihrem krankhaften Eifer, den sie auf sexuellem Gebiet an den Tag legte. Raschid, erkannte Ransome, hatte Glauben und daher Kraft ... Er [Ransome] aber besaß keinen Glauben, denn in der christlichen Welt war keiner zu finden. Doch er begann, das Hassen zu lernen. Er fühlte: durch Haß bin ich zu retten." (p. 110)

Gegen Großkapital und Spekulantentum:
Lord Heston verhandelt mit dem Maharadscha von Ranchipur: ,,Ihm [Heston] war nur zu gut bekannt, daß der freundliche alte Herr ... ihn ohne weiteres aufkaufen könnte ... und zwar gegen bar und ohne dadurch ärmer zu werden. Das ist ja das Schlimme! Dieses Inders Reichtum ist etwas Konkretes, ist greifbar; er existiert nicht bloß in Form von Krediten, Aktien und Obligationen, in einem so komplizierten Finanzsystem, daß sogar Heston selber daraus zuweilen nicht klug wird. ... Den freundlichen alten Inder jedoch berühren keine Wirtschaftskrisen, keine Börsenkrachs und Fehlspekulationen; er ist von dem gigantischen, rohen, trügerischen, berüchtigten Gefüge, im Westen 'Weltwirtschaft' genannt, völlig unabhängig." (p. 135)



Bromfield hat nicht nur einen spannenden Roman geschrieben, sondern er wollte mit Sprachgewalt auch eine oder mehrere Botschaften verbreiten. Manche dieser Botschaften sind zeitlos gültig. Das Buch ist nicht nur interessant als Zeugnis eines US-amerikanischen Intellektuellen der Zwischenkriegszeit im 20. Jahrhundert. Vielleicht wird man irgendwann auch einmal die Rezeptionsgeschichte untersuchen, denn dieses Buch war in USA und Deutschland (soweit mir nachvollziehbar) ein zweimal verfilmter Bestseller:

Ist dieser Erfolg nur Bromfields solid-spannender Geschichte zu verdanken - oder auch den deutlichen Stellungnahmen gegen religiösen Fundamentalismus und Kapitalismus?

Mehr (ab)zuschreiben habe ich jetzt keine Lust. Ich habe das Buch einst in jungen Jahren geliebt. Vielleicht ist es immer noch eine angenehme Lektüre für sentimentale Globalisierungsgegner. Ansonsten hat es sich überlebt.



Und so endet der Roman:
,,Ransome sitzt mit geschlossenen Augen, kaum mehr lauschend, nichts Einzelnes mehr bedenkend, nur noch erfüllt von Staunen über die Verwicklungen und die unbegreifliche Schönheit und Grausamkeit menschlichen Daseins.
Die Sonne taucht unter den Horizont, und im gleichen Augenblick ertönt der langgezogene, einsame Schrei eines Schakals. Toms Körper krampft sich zusammen. Der Schrei war so ähnlich dem Klageschrei, der aus der sterbenden Stadt aufstieg, als die Wasser sie überfluteten. Ein zweiter Schakal heult auf, ein dritter. Dann fällt die Finsternis ein gleich einem schwarzen Vorhang, und zwischen eilenden Wolken stehen die Sterne. Sie glitzern in der gereinigten Atmosphäre wie die Diamanten der Herrscherin. Am Gartentor unter dem uralten Banyan verschwimmen die schwarzen Gestalten des Täufers und seiner Freunde in der Dunkelheit, doch die Musik der Flöte und der Trommeln tönt und tönt durch die dampfende Stille." (p. 575)


Frank Schuffert, 2001

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