OPERATION  ZITADELLE

Entscheidung im dritten Anlauf

Roman Töppel zerstört Legenden um den
verlorenen Sieg vor 60 Jahren bei Kursk

Rezension von Wilfried Hoepel
(Junge Freiheit, 04. Juli 2003)

Links u. Anmerkungen: Dikigoros

Aus den Kämpfen und Schlachten des Zweiten Weltkrieges hätte die Wehrmacht eigentlich als Sieger hervorgehen müssen. Erscheint doch in der Rückschau des deutschen Stammtisches alles so einfach. In Dünkirchen hätten "wir" nur "den Engländer" nicht entkommen lassen dürfen, denn ohne seine evakuierte Expeditionsarmee wäre Churchill im Sommer 1940 friedensbereit gewesen. In Afrika fehlten dann ein oder zwei Panzerdivisionen zum Durchbruch nach Kairo. Vielleicht wäre es auch besser gewesen, unsere Fallschirmjäger nicht über Kreta abschießen zu lassen, sondern sie in den Libanon oder am besten ohne diesen Umweg sofort nach Bagdad zu bringen. Auch beim mythischen Alexanderzug durch die Donsteppe Richtung Kaukasus, "Anno 42", hätten jene paar Regimenter zusätzlich nicht schaden können, ohne die wir schlappe hundert Kilometer vor den Ölfeldern von Baku liegengeblieben sind. Doch unter all diesen "verlorenen Siegen", die deutsche Generale nach 1945 in ihren Memoiren wortreich beklagten, bringt keiner den Hochofen des Schmerzes auf solche Temperaturen wie die "Kursker Schlacht" im Juli 1943.

Deutsche Panzerwaffe nicht "zu Schlacke" verbrannt

"Kursk" ist bei Hobbystrategen und Sesselkriegern die Chiffre für ein ganzes Sortiment verpaßter Chancen. Im Kursker Bogen, einem weit nach Westen, in die Front der Heeresgruppe Mitte hineingetriebenen sowjetischen Keil zwischen den Großstädten Orel und Charkow, hätte im Sommer 1943 der Rußlandfeldzug im dritten Anlauf entschieden werden können. Vorausgesetzt, es wäre der Wehrmacht gelungen, den weit vorspringenden russischen "Balkon" in die Zange zu nehmen, ihn abzuklemmen und dabei die sowjetischen Truppenmassen zu vernichten. Bekanntlich wurde nichts daraus. Dem "Operation Zitadelle" genannten deutschen Schlachtplan blieb der Erfolg versagt. Die am 5. Juli begonnene Offensive der im Bereich der Heeresgruppe (HGr) Süd des Generalfeldmarschall Erich von Manstein angetretenen IV. Panzerarmee und der nördlich in den Bogen eindringenden 9. Armee des Generalfeldmarschalls Hans Günther von Kluge (HGr Mitte) mußte am 13. Juli abgebrochen werden. Legenden ranken sich um Planung, Verlauf und Ausgang dieser Schlacht, der für das Schicksal des Deutschen Reiches eine größere Bedeutung zuzumessen ist als "Moskau 1941" oder Stalingrad.

In der militärhistorisch-politischen Aufarbeitung der "Operation Zitadelle" und ihrer Vorgeschichte behaupten sich fünf Legenden. Erstens: Die Idee zu dieser Offensive gehe auf den dilettantischen Kriegsherrn Hitler zurück, der im Kursker Bogen gegen den Rat seiner Spitzenmilitärs die Initiative an der Ostfront zurückgewinnen wollte. [Töppel nennt als Urheber dieser Lüge ganz offen - und gut belegt - den krummen Hund Zeitzler; Dikigoros versteht nicht, warum der Rezensent dies verschweigt.] Zweitens: Allein der Führer und oberste Befehlshaber der Wehrmacht sei auch dafür verantwortlich, daß der Angriffstermin so lange verschoben wurde, bis die Rote Armee alle ihre Vorbereitungen zur Abwehr getroffen hatte. Drittens (und dies ist eine sowjetische Legende): Die größte Panzerschlacht der Weltgeschichte, die am 12. Juli 1943 südlich von Kursk, bei Prochorovka, geschlagen wurde, habe nicht nur die deutsche Offensive gestoppt, sondern die endgültige Wende an der Ostfront und damit die Entscheidung des Zweiten Weltkrieges herbeigeführt. Viertens: Hitler habe die Offensive am 13. Juli zu früh abgebrochen, Truppen nach Sizilien verlegt, wo am 10. Juli die Westalliierten gelandet waren, und so den noch möglichen Sieg im Osten "verschenkt". Schließlich fünftens, eng mit dem sowjetischen "Mythos von Prochorovska" zusammenhängend: die deutsche Panzerwaffe erlebte zwischen dem 5. und 12. Juli 1943 ihren "Schwanengesang", sie sei faktisch zerschlagen, ihr sei, wie Sowjetgeneräle es formulierten, "das Genick gebrochen" worden, oder wie Walter Warlimont feststellte, sie sei "zu Schlacke verbrannt".

Ein junger Militärhistoriker, Roman Töppel, hat sich in seiner an der TU Dresden entstandenen Dissertation [Es handelte sich nicht um eine Dissertation, sondern um eine Magisterarbeit; Töppel schrieb seine Dissertation über das Verhältnis zwischen Napoleon Bonaparte und den Sachsen, Anm. Dikigoros], die vor einiger Zeit in Kurzfassung erschien (Militärgeschichtliche Mitteilungen, Band 61/2002) [der beste Aufsatz, den Dikigoros dort je gelesen hat; er kann es sich nur durch eine Unaufmerksamkeit des Zensors erklären, daß er seinen Weg in dieses - von seinem Vater bis zu seinem Tode abonnierte - Käseblatt gefunden hat], bemüht, diesen Legenden zu Leibe zu rücken. Dies ist um so verdienstlicher, als die Kursker Schlacht bisher eine Domäne sowjetischer und angelsächsischer Forscher gewesen ist. Deutscherseits ist nur auf die 35 Jahre alte operationsgeschichtliche Studie Ernst Klinks zu verweisen, die von einer Reihe populärwissenschaftlicher und eben deshalb Legenden nur tradierender Darstellungen flankiert wird, unter denen Paul Carells "Verbrannte Erde", zumal mit ihrer zentralen These vom "Verrat" des Angriffstermins, am meisten zur Desorientierung in Sachen Kursker Schlacht beigetragen haben dürfte.

Dieses Legendenknäuel unterzieht Töppel einer historisch-kritischen Überprüfung anhand der von ihm erstmals erschlossenen Quellen im Freiburger Militärarchiv. Demnach steht nunmehr fest, daß Kursk gewiß nicht "Hitlers Offensive" war, sondern niemand anders als der "zweite Moltke", Feldmarschall von Manstein, dazu im März 1943 den Anstoß gab, den das Oberkommando des Heeres gern aufgegriffen hat. Hitler verschob dann zwar den Angriffstermin von Mai auf Juni und schließlich Juli. Dieser Eingriff stützt aber nicht die von seinen Generalen später gern vertretene These, hierin sei die Ursache für das Scheitern des Unternehmens zu suchen. Ausweislich des Kriegstagebuchs des Wehrmachtführungsstabs, das Töppel heranzieht, seien die abgekämpften deutschen Divisionen im April oder Mai gar nicht einsatzfähig gewesen. Zudem habe man im Bereich der HGr Mitte erst in einer vierwöchigen Operation starke Kräfte sowjetischer Partisanen ausheben müssen, um die massive Störung der Nachschublinien wenigstens temporär zu beseitigen.

Eingebrochen in der Domäne russischer Militärhistoriker

Als es dann "losgehen" konnte, sei eine weitere Verzögerung im Juni auch nicht deshalb eingetreten, weil Hitler gewartet habe, um die neuen Panzer vom Typ "Panther" und "Tiger" einsetzen zu können. Tatsächlich war nur die letzte Verschiebung, von Ende Juni auf Anfang Juli, dieser Erwägung geschuldet, während zuvor die bedrohliche Lage im Mittelmeerraum Hitler zögern ließ - mit guten Gründen, wie Töppel mit Blick auf eine von deutscher Seite befürchtete Balkaninvasion der Angelsachsen meint. In diesem Kontext glaubt Töppel auch gleich mit der Verrats-Legende aufräumen zu müssen. Zu überraschen seien die Sowjets ohnehin nicht mehr gewesen, da sich der Schlag gegen ihre Stellungen im Kursker Bogen für die sowjetische Führung fast lehrbuchgemäß aufgedrängt habe. Angesichts der Informationen, die ihr mittels Luftaufklärung, Agententätigkeit im besetzten Gebiet und Gefangenenaussagen zur Verfügung standen, spielte der von publizistischen Kriegsvermarktern wie Paul Carell oder Janucz Pielkalkiewicz gern präsentierte "Meisterspion im Führerhauptquartier" und der von ihm angeblich belieferte Schweizer Spionagering Rudolf Roeslers sicher "keine allein ausschlaggebende" Rolle.

Töppels quellenkritische Akribie zerstört sodann den "Mythos von Prochorovka", den die sowjetische Militärhistorie zum dramatischen Höhepunkt der Kursker Schlacht stilisierte. Um den angeblichen Sieg der eigenen Panzerverbände zu glorifizieren, schreckte man dabei auch nicht davor zurück, die Stärke des Gegners, des II. SS-Panzerkorps mit den Panzergrenadierdivisionen "Leibstandarte SS Adolf Hitler", "Totenkopf" und "Das Reich", auf 600 bis 800 Panzer zu vervielfachen. Diese imaginierten "Panther-" und "Tiger"-Rudel wurden selbstverständlich von der "ruhmreichen Roten Armee" weitgehend vernichtet. Töppel belegt dagegen, daß "Leibstandarte" und "Das Reich" mit ihren kaum 200 Panzerfahrzeugen die aufgrund krasser Fehlentscheidungen angreifenden Sowjets, die Menschen und Material rücksichtslos opferten, stoppten. Bei drei (!) eigenen Ausfällen zerstörten sie 200 russische Panzer, hatten gerade einmal 100 und keineswegs 3.500 Gefallene oder Vermißte zu beklagen (wie die Sowjets fabulierten, die selbst 3.597 Soldaten verloren) und blieben als Sieger auf dem Gefechtsfeld - wenn auch die Kräfte nicht mehr zu einem weiteren Vorstoß ausreichten.

Auch Kursker Sieg hätte Rote Armee nicht getroffen

Angesichts dieses Debakels wirke das von russischen Historikern noch heute gesungene Heldenepos, das von der "Zerschlagung der deutschen Panzerwaffe" im Kursker Bogen kündet, wie altbekanntes Moskauer Propagandagetöse, das allerdings von angelsächsischen Forschern noch verstärkt wird. Daß deutsche Militärs wie von Manstein solchen Deutungen nie widersprachen, erklärt sich aus der geschichtspolitischen Situation des "Kalten Krieges": Eine Rote Armee, die nach Kursk nur noch einen "zerschlagenen" Gegner bekämpfen mußte, durfte wohl kaum den kriegsentscheidenden Anteil am Sieg der Anti-Hitler-Koalition für sich reklamieren. Entsprechend vermochte die angelsächsische Geschichtsschreibung die Bedeutung der westalliierten Streitkräfte dann aufzuwerten.

Gerade weil die SS-Panzergrenadiere nicht geschlagen wurden, konnte von Manstein nach 1945 auch seine Version glaubwürdig vertreten, die Schlacht sei von Hitler vorzeitig am 13. Juli abgebrochen worden. Töppel wendet dagegen ein, die deutschen Kräfte hätten sich binnen einer Woche einfach erschöpft. Der SS-Erfolg im Süden, bei Prochorovska, habe von Manstein übersehen lassen, wie gefährlich sich die Lage im nördlichen Frontbogen zuspitzte, als dort die Sowjets zum Angriff übergingen. Hitler traf darum keine impulsiv-irrationale Entscheidung, als er die Offensive einstellte, sondern beugte sich Zwangsläufigkeiten der militärischen Lage. Wobei er nicht einmal ahnte, daß die Sowjets zu diesem Zeitpunkt ihre beträchtlichen Reserven noch in der Rückhand hielten.

Manstein selbst mußte zudem mit einem ängstlichen Auge stets auf die Bereitstellungen im Südabschnitt der Ostfront, am Donez und am Mius, blicken, wo die Sowjets am 17. Juli auch wirklich gegen die schwache deutsche Front vorrückten. Selbst ein Sieg bei Kursk, wie der sonst in seiner Argumentation so ausführliche Töppel etwas einsilbig vorträgt, hätte daran nichts geändert. Denn die Rote Armee wäre damit "nicht entscheidend getroffen" und die "aussichtslose strategische Lage" der Wehrmacht nicht verbessert worden. Über diese Schlußfolgerung wäre an Stammtischen allerdings noch zu spekulieren. Sie läßt also ein wenig Raum für nachträgliche Siege.


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