Herbert Zachert

Am Sonntag, dem 11. November, knapp vor 18 Uhr, verstarb im Sankt-Petrus Krankenhaus in Bonn nach längerem Leiden Herr emer. Univ. Prof. Dr. Dr. h. c. Herbert Zachert. Der Verstorbene, der sein ganzes Leben der wissenschaftlichen Erforschung Japans, dem besseren Verständnis dieser Kultur und dem einander-Näherkommen unserer beiden Völker auf menschlicher Ebene gewidmet hat, hinterläßt im wissenschaftlichen, aber auch gesellschaftlichen Leben der Bundeshauptstadt, besonders jedoch im Leben des Japanologischen Seminars eine schwer zu schließende Lücke.
Der Dahingegangene wurde als Sohn eines deutsch-schwedischen Elternpaares am 28. April 1908 in Berlin geboren. Diese Stadt, in der Zachert seine Kinder- und Jugendjahre verlebte, hat ihn in seiner Menschlichkeit sehr geprägt. Wenn er auch gerne in Bonn lebte, hat er Berlin nie vergessen. In Berlin begann er im Jahre 1927 seine Studien Fächern, Japanologie bei Martin Ramming, Sinologie, Geschichte und Völkerkunde, die er dann von 1930 bis 1932 in Hamburg fortsetzte. In Hamburg wurde er von Karl Florenz, dem Begründer der deutschen Japanologie und ersten Lehrstuhlinhaber dieses Faches in Deutschland geleitet. Von Florenz erfuhr Zachert seine fundierte Ausbildung in der klassischen Sprache und traditionellen Kultur, von ihm erhielt er aber auch die vielfältigen Interessen an allem Japanischen, eine Hinwendung, die durch seine völkerkundlichen Studien, u.a. bei Thurnwald, entscheidend gefestigt wurden. lm Jahre 1932 promovierte er bei Florenz über die kaiserlichen Erlässe der Reichsgeschichte des Shoku-Nihongi. Diese Thematik aus dem alten Japan hat ihn auch später noch beschäftigt, und 1950 hat er in der Akademie der Wissenschaften zu Berlin darüber veröffentlicht. Diese sprachlich wie inhaltlich sehr schwierigen Texte, die historisch von großem Interesse sind, wurden durch Zacherts grundlegende Studien erstmals auch der europäisch-sprachigen Gelehrtenwelt zugänglich gemacht.
Nicht sehr vielen Japanologen aus Zacherts Generation war es gegönnt, das Land ihrer Studien - und wohl auch ihrer Träume und Sehnsüchte - tatsächlich zu erleben. Zachert hat diesen Traum sich aber verwirklichen können: Bald nach seiner Heirat zog er 1933 nach Japan als Deutsch-Lektor an die Oberschule (College) von Matsumoto in der Präfektur Nagano. Nagano war damals wohl noch mehr ein von der Außenwelt stärker abgeschlossenes ländliches Gebiet, und das Leben als Ausländer dort sicher nicht leicht. Dennoch oder gerade deshalb hat ihn seine achtjährige Tätigkeit in Matsumoto und sein Leben dort in einer Weise mit japanischer Sprache und Kultur, vor allem aber auch japanischer Lebensform vertraut gemacht, wie es selten einem Europäer zuteil wird. Hier in Matsumoto zeigte sich aber auch zum ersten Mal sein Geschick in der Menschenführung: der Kontakt zwischen Lehrer und Schüler, Professor und Student, ist in Japan ganz allgemein ein engerer als hier bei uns. Zachert-sensei konnte aber eine begeisterte Gruppe von Schülern um sich sammeln, die ihn bis in seinen späten Lebensabend hinein nicht vergaß und engen Kontakt mit ihm und untereinander pflegte: als er 1977 zu seinem letzten Besuch nach Japan flog, da empfingen ihn am Flughafen mehr als 200 begeisterte seiner ehemaligen Schüler, nun selbst Lehrer, Direktoren oder Botschafter (der derzeitige Botschafter Japans in Bonn, Bunroku Yoshino, ist ja ebenfalls einer dieser Zachert-Schüler aus Matsumoto).
Im Jahre 1941 erreichte ihn der Ruf an einen schwierigen Posten: Zachert wurde zum deutschen Leiter des Japanisch-Deutschen Kulturinstitutes in Tôkyö bestellt. In einer Zeit, da die Wogen der Politik hoch gingen und eine vernünftige Kulturpolitik- im Schatten des Achsen-Bündnisses kaum möglich erschien, hat Zachert in Zusammenarbeit mit Baron Takaharu Mitsui stets die langzeitlichen deutschen und japanischen Kulturinteressen in das rechte Licht rücken können. Seine spätere Sicherheit auf dem glatten Parkett im Umgang mit Persönlichkeiten der hohen Staats- und Landespolitik ging sicherlich auf diese Jahre in Tôkyô zurück. 1945 schien das alles zunächst verloren. Der Herbst dieses Jahres sah Zachert auf Hamsterfahrten nach japanischen Süßkartoffeln im Raume um das heute als internationaler Höhenkurort bekannte Dorf Karuizawa.
1947 wurde Zachert mit seiner Familie wie so viele seiner Landsleute und Kollegen nach Deutschland zwangsrepatriiert. Er stand wieder vor einem neuen Anfang. In Deutschland war 1945 zunächst jede wissenschaftliche Beschäftigung mit Japan verboten gewesen, zahlreiche wissenschaftliche Hilfsmittel waren verloren oder konfisziert. Die alte Generation der in Deutschland tätigen Japanologen in alle Winde zerstreut, versuchte Zachert in seiner Heimatstadt Berlin seine Wissenschaft - und damit auch sein Leben - neu aufzubauen. 1948 erhielt er einen Forschungsauftrag von der Akademie, 1949 wurde er dann Professor mit Lehrauftrag an der Humboldt-Universität, später 1959 dann auch Professor mit Lehrstuhl für Japanologie an der gleichen Universität.
Hatte Zachert bereits während seiner Unterrichtszeit in Matsumoto Arbeiten über die Geistesgeschichte des neuzeitlichen Japan verfaßt und publiziert, so sieht ihn nun diese Berliner Zeit an Arbeiten über die Literatur, das Nô-Drama und den Shintô. Sein besonderes Interesse aber galt der modernen japanischen Sprache und deren Unterrichtsmethode. Früchte dieser langjährigen Beschäftigung Zacherts mit der Sprache und seiner großartigen Unterrichtserfahrung sind die Veröffentlichungen des Japanischen Sprachführers und der Japanischen Umgangsprache (1960, 1904), die bis heute als knappe aber treffende und vor allem sehr gut brauchbare Unterrichtsmaterialien bei Lehrern wie Studenten, aber auch Japanreisenden gefragt sind. Dieses grundlegende Interesse am Sprachunterricht und am modernen Japan, der "Landeskunde", wie es manchmal geringschätzig genannt wird, hat Zachert oft und in sehr positivem Sinne von manchen seiner Fachkollegen unterschieden. Für ihn war Japanologie nicht Hobby japan-begeisterter Spinner, auch nicht die hohe Wissenschaft der engen Philologie, der Kenntnis klassischer Texte allein, sondern umfassende Kulturwissenschaft, und großen Wert legte er immer auf das Erfassen des gegenwärtigen Japan. So war es nicht verwunderlich, daß er 1960 dem Ruf in das in Bonn neu gegründete Seminar für Orientalische Sprachen folgte, das seinen in der Vermittlung von Sprach- und Sachkenntnissen der Länder der asiatischen Hochkulturen in der Gegenwart sieht. Dem Seminar für Orientalische Sprachen hat seit 1960 seine unermüdliche Arbeit gegolten, hier hat er bis zu seiner Emeritierung Lehrveranstaltungen gehalten und sich - zuletzt als Direktor - um den weiteren Ausbau bemüht. Auf Zachert geht etwa die Einrichtung eines koreanischen Zweiges in der Ausbildung zurück und die Herausgabe einer auf Korea bezogenen Zeitschriftserie am Seminar für Orientalische Sprachen. Daß die Struktur des Seminars für Orientalische Sprachen mit Ende des Jahres 1979 geändert wurde, sich der Bund und das Auswärtige Amt aus dein Seminar für Orientalische Sprachen zurückzogen, hat ihn noch schwerer getroffen, sah er doch darin auch die Gefahr, das moderne Asien etwas aus dem Blickfeld der deutschen Politik und des deutschen Verständnisses zu verlieren. Gleichzeitig mit seiner Berufung an das Seminar für Orientalische Sprachen wurde Zachert auch Honorarprofessor in der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität.
Japanisch und Japanologie waren hier seit dem Jahre 1930 in einer Abteilung des Orientalischen Seminars vertreten und durch die Arbeit von Zacherts Vorgängern zu einer beachtlichen Forschungsstätte ausgebaut worden. Zacherts Bemühungen selbst war die abschließende Krönung dieses Werkes beschieden: Anfang des Jahres 1966 wurde die Abteilung aus dem Verband des Orientalischen Seminars gelöst und ein selbständiges japanologisches Seminar eingerichtet, dessen erster Direktor Professor Zachert wurde. Seit dem 1. Januar desselben Jahres gehörte Zachert der Fakultät als Ordinarius an.
Zachert hat sich von Anfang an bemüht, diesem Japanologischen Seminar ein eigenes Gesicht zu geben: im Gegensatz zu manchen anderen Instituten, die sich immer wieder auf das enge Gebiet der Philologie beschränkten, baute Zachert in Bonn in Lehre und Forschung vor allem die Kulturwissenschaft, besonders jedoch Religionswissenschaft und Geistesgeschichte auf. Unterstützt wurde er dabei von mehreren Gastprofessoren von der Kokugakuin-Universität in Tôkyô. Diese seine Bemühungen und vor allem auch sein Gesamtwerk auf diesen Wissensgebieten wurde durch die Verleihung des Ehrendoktors der auf dem Gebiet der Shintô-Forschung führenden Kokugakuin-Universität im Jahre 1976, durch die Verleihung des Japanischen Ordens vom "Heiligen Schatz" III. Klasse, sowie jene des Halsordens "Order of Civil Merit" der Republik Korea gewürdigt.
Als Zachert im Februar 1977 emeritierte, schied er damit keineswegs aus seinem Wirken an der Universität: weiterhin behielt er seine bei den Studenten so beliebten Vorlesungen, seine Lektüre japanischer Zeitungen im Seminar für Sprachen, die Betreuung seiner zahlreichen Dissertanten. Noch im April 1977 konnte er Band 1 der Bonner Zeitschrift für Japanologie als ihm gewidmete Festschrift in den Räumen des Seminars entgegennehmen. 1976 hatte er in Bonn die Deutsch-Japanische Gesellschaft gegründet, deren Präsident er war und in der er ohne Unterlaß für das Verständnis Japans warb. Aus all diesen Tätigkeiten hat ihn der Tod viel zu früh für alle die ihn kannten abberufen.
Josef Kreiner
* Das Schriftenverzeichnis wurde nicht übernommen


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