DIE VERDEUTSCHUNG WAGNERS
IM GLOBALEN KULTURKAMPF

Der Standort Deutsche Staatsoper berei-
tet sich auf die Berliner Republik vor

von Jochen Baumann (Jungle World, 15. April 1998)

Keine Kunstgattung scheint konservativer als die Oper. Sie sperrt sich sowohl durch das musikalische Material als auch durch ihren Zweck, der Erbauung, Selbstverständigung und Selbstvergewisserung des Bürgertums zu dienen, gegen Neuerungen. Die Oper als Konsumgut des Bürgertums aber war auch nie frei vom Imperialismus der Warenwelt, der durch die Anpassung an den Geschmack des Publikums und durch subtile Anpassung an den Zeitgeist in sie hineinregiert.

Bei der deutschen Oper, einst spät erfunden zum Zwecke der Verdrängung der als zu leicht und nicht tiefsinnig genug empfundenen italienischen, legte das Publikum schon im 19. Jahrhundert allerdings nicht nur Wert darauf, daß am Schluß auch geheiratet werde und sich damit die Tragödie oder Komödie auch moralisch lohnte, sondern auch darauf, daß deutsches Wesen ergründet werde.

Beides bieten die "Meistersinger" von Richard Wagner in der neuen Inszenierung von Harry Kupfer an der Deutschen Staatsoper Unter den Linden. Das tradierte Gegenspiel von Kultur und Zivilisation, das es den frühen sich als Deutsch denken wollenden leichter machte, sich ohne Staat als Nation zu denken, erlaubte der deutschen Nationalkultur des 19. Jahrhunderts weit unvermitteltere Griffe ins mythische Repertoire als der ausländischen Konkurrenz.

Richard Wagner ist ein klassisches Beispiel für diese Verschlingung von nationalistischer Mythologie und marktkonformer Produktion, lohnte sich für den konformistischen Rebellen und Staatsmusikanten seine Tätigkeit des Komponierens doch erst dann so richtig, nachdem er sich von seinem jüdischen Förderer Meyerbeer "emancipirt" und sich gleichzeitig dem kulturellen Werden des deutschen Staates verschrieben hatte. Da wird der Antisemitismus leicht zur "normalen Pathologie".

Unter dem Tagungsmotto "Was deutsch und echt ... - Mythos, Utopie, Perversion" tagte begleitend zur Aufführung und der benachbarten Ausstellung zu den "Mythen der Nationen" (Jungle World, Nr.14/98) in der Staatsoper Unter den Linden an drei Tagen der ersten April-Woche ein wissenschaftliches Symposium. Der Anklang an Richard Wagners "Meistersinger" im Titel war gewollt, eignet sich doch Wagner wie sein ungleicher Zwillingsbruder Nietzsche bestens dazu, mythologischen Schwulst und den für die Oper notwendigen Bezug zum Mythos, utopistische Bildergewalt und utopischen Gehalt akademisch sauber zu sondieren. Aktuell ist er allemal: in der Opernwelt jagt als deutsches kulturelles Exportprodukt von New York über Tokio und verschiedene europäische Städte eine "Ring"-Inszenierung die andere.

Für das Jahr 2002, pünktlich zum Umzug der letzten Regierungsabteilungen nach Berlin, muß es dann der komplette Wagner sein. Auch die deutsche Opernwelt ist nach dem 1989 ausgerufenen "Ende der Geschichte" von neuer nationaler Sinnsuche erfüllt, und dies in einem internationalen Kontext. Deutsche Tiefe und deutsches Wesen als neuer Exportschlager der Außenhandelsmacht Nr. eins in einem Zeitalter der ökonomischen, politischen und kulturellen Internationalisierung? Da muß eine Exportbürgschaft her, die beglaubigt, daß Deutsches und Echtes nicht unbedingt nur reaktionär und rückschrittlich, sondern auch modern und universal sein kann.

Vernünftig die Forderung, den nationalistischen und antisemitischen Gehalt Wagnerscher Werke nicht an ihnen alleine und ihrer Genese zu untersuchen, sondern auch an ihrer Wirkung und Rezeption, wie es Thomas S. Grey, Musikwissenschaftler an der Stanford University anhand der Bühnenbilder zu Wagners "Meistersingern" herausstellte. Deutlich wird, daß bereits bei Wagner, nicht nur in der Rezeption, die Frage, was deutsch sein soll, auf "Feindseligkeit gegen andere" gegründet ist. Die häufig als Karikatur des Jüdischen interpretierte Figur des Beckmesser im 3. Akt der "Meistersinger" sei allerdings nicht antisemitisch, selbst auf dem Nürnberger Parteitag der NSDAP sei in Leni Riefenstahls Inszenierung der "Meistersinger" die Figur nicht antisemitisch, d.h. als Jude dargestellt worden.

Für Nike Wagner, die derzeit in der FAZ die Wagnersche Familiengeschichte publiziert, dient die deutsche Ideologie bei Wagner eher als "Gleit-und Schmiermittel", um Geld von Förderern zu akquirieren und um eigene ästhetische Interessen durchzusetzen. Wagner habe eher auf deutschen Geist als auf den deutschen Staat gesetzt, er sei ideologisch einfach ein Opportunist gewesen. Nach der Eröffnung des Nibelungentheaters in Bayreuth 1876 erst habe sich die ideologisch-nationalistische Grundlage bei Wagner verselbständigt. Aufklärung wurde bei ihm nun als Gegen-Aufklärung mit den Mitteln des Mythos betrieben, nur eine konsequente "Entdeutschung" Wagners nach 1945 habe sein Werk als weiterhin aufführbar retten können.

Der Theaterwissenschaftler Dieter Borchmeyer wehrte sich am vehementesten gegen eine weitere Entdeutschung Wagners, dieser müsse vielmehr als konkreter Utopist und als Neuerer der deutschen Kultur, als radikaler Gestalter einer "ästhetischen Weltordnung", gerade in den "Meistersingern" und im "Ring", wieder angeeignet werden. Das entscheidende Problem für Wagner sei, daß es Politik überhaupt gebe, behauptete dagegen Udo Bermbach, Politikprofessor in Hamburg. Die "Meistersinger" forderten eine Ästhetisierung der Politik aus dem Volksgeist heraus, eine "Gefühlswerdung des Verstandes", das schillere politisch in den Faschismus hinüber.

Edward W. Said, Orientalist an der Columbia University, wollte statt dessen den "Diskurs über die Nation" vom Nationalismus trennen und meinte, Wagner sei mißinterpretiert worden. Seine Frage: "Was ist deutsch?", die suchend mit Ähnlichkeit und Differenz spiele, sei in der Rezeption beantwortet worden mit: "Das ist deutsch!" Wagner selber habe allerdings den Fehler gemacht, ohne Auseinandersetzung mit anderen Kulturen die Frage nach dem Deutschen gestellt zu haben. Damit habe er die falsche Antwort auf die Frage präformiert. Eine Hybridität der Kulturen sei mit Wagner nicht denk- und erfahrbar, dieser sei in Text und Musik nationalistisch.

In der Abschlußdiskussion des Symposiums war es Edward Said, der die Unsinnigkeit der Identitätssuche des professoralen Bürgertums - nationale Identität sei "einfach nötig" (Borchmeyer); die Frage, was deutsch sei, sei harmlos (Danuser); Gespräch über Nation sei wichtig, Nation als Selbstwahrnehmung problematisch (Münkler) - aufzeigen konnte. Er habe viele Identitäten, gerade im Kulturellen sei es widersinnig, weiterhin eurozentristisch oder gar deutsch-nationalistisch von Nationalkulturen zu reden. Das Bemühen seiner Kollegen ging in die Gegenrichtung: dem Nationalen in der Kultur, insbesondere in der Musik, wurde von Borchmeyer, Daniel Barenboim und Herfried Münkler eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt.

Nichtdeutsche Kunst in der Figur des Beckmesser wird der deutschen, modernen Kunst in Gestalt des Dichter-Schusters Hans Sachs in den "Meistersingern" gegenübergestellt. Mit dem Arrangement der Schlußszene plädiert Regisseur Kupfer für die eigene deutsche Kunst im Zeitalter der Internationalisierung. Kupfer meint, daß die Deutschen es nicht mehr nötig hätten, sich für die "Meistersinger" zu entschuldigen, der ganze Wagner soll es sein, da darf der Beckmesser, der Gegenspieler des modernisierungswilligen Hans Sachs, auch eine krumme, bucklige Gestalt sein, eine Brille tragen und die Nase eingeschlagen bekommen vom deutschen Volk, bevor er endgültig aus seinem Kreise ausgestoßen wird und am Ende alleine vor dem fallenden Vorhang und der Rampe steht.

Deutlich wird, auch musikalisch effektiv untermalt, daß ein neues geläutertes Deutschland diejenigen ausgrenzen muß und darf, die sich seiner Erneuerung in den Weg stellen.Gemeckert werden darf eben nicht bei der Erneuerung der deutschen Kunst, die sich für nichts mehr entschuldigen muß, weil sie als deutsch und echt gegen die Amerikanisierung steht. Da darf sich auch am Schluß das Volk donnernd zu seinen Führern bekennen. Intendant Georg Quander zeigt ganz unironisch, wohin die Reise gehen soll: "Wir haben diesen Standort mitten im Regierungsviertel" - diesen will er für ein neues "Großbayreuth" nutzen.

Nicht nur das unkritische Touristenpublikum fühlte sich angesprochen. "Der tosende Applaus, dem man immer noch etwa nach den 'Meistersingern' begegnen kann; die Selbstbestätigung des Publikums, die es aus Wagner heraushört, hat immer noch etwas von dem alten virulent Bösen" des Wagnerschen Nationalismus und Nationalsozialismus, schrieb Adorno anläßlich der Aufführung von "Tristan und Isolde" bei den Berliner Festwochen 1963. Anläßlich der Festwochen 1998 hätte er sich wohl deutlicher ausgedrückt: Vor nationaler Begeisterug trampelnde und verzückte kurzrasierte Burschenschaftler in der Uraufführung sind Ausdruck davon, daß Fans der deutschen Oper wieder unvermittelt zu deren deutschem Gehalt stehen wollen.

Eine seit Nietzsche bekannte Kritik an der Leitmotivtechnik Wagners, speziell im "Ring", die parallel zum Bühnengeschehen auf Vergangenheit und Zukunft verweist, und die Nietzsche in die Worte faßte, diese Musik drücke aus, die Deutschen seien von vorgestern und von übermorgen, hätten aber noch kein Heute, trifft auch gleichsam negativ auf die Aufführung der "Meistersinger" in Berlin und deren Rezeption zu.

Die "Meistersinger" werden als das positive, utopische, demokratische Werk und damit als Gegenstück zu der pessimistischen Tetralogie des "Ring des Nibelungen" rezipiert, das mit der "Götterdämmerung" im Untergang der Menschheit endet. Nicht nur Regisseur Harry Kupfer, der gleichzeitig an der komischen Oper Wagners "Rienzi" inszeniert, das im Nationalsozialismus problemlos als Allegorie des Aufstiegs der NSDAP und als Vergottung des Volkstribuns Hitler inszeniert werden konnte und seitdem berechtigt in den Archiven verstaubte, will dafür sorgen, daß das Nationale wieder positiv besetzt werden kann und deutsche Kultur eine Zukunft hat.

Mit Gewalt will man sich nun ein deutsches Heute schaffen, positiv zu einer weichgespülten Form der Nation im globalen Kulturkampf stehen. Guter Europäer, dienstbarer Untertan der neuen effektiveren Souveränität will man sein und gleichzeitig auf sein nationales Erbe nicht verzichten, bietet dieses doch für die neue nationale Elite die Legitimation für ihren Anspruch, auch in Europa eine beherrschende Rolle zu spielen. Daß in Berlin eine neue Wagner-Welle begonnen hat, daß nun wieder der ganze Wagner einschließlich der von der Verbindung mit dem Nationalsozialismus nicht mehr zu trennenden Opern gespielt wird, zeigt die Sehnsucht des Bürgertums nach Schicksal und Tiefe, nach einer durchgängig positiv besetzten Nationalkultur und nach innerer Einheit. Der behäbige Opernbetrieb will seinen Beitrag zur deutschen Behauptung im Zeitalter der "Globalisierung" - so das von den meisten Teilnehmern am Symposium fast mit Ekel gebrauchte Wort - leisten.

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