Mißhandelt und in Heime gesteckt

von André Anwar (Focus, 23. Sept. 2005)

(Anmerkungen von Nikolas Dikigoros)

Die Kinder der „Deutschenmädels“ – Norwegen
arbeitet eines seiner dunkelsten Kapitel auf.

„Verdammte Deutschjungen! Fahrt zurück nach Deutschland, wir wollen euch nicht mehr sehen“, schreit ein älterer Norweger in einem Osloer Café einer Gruppe von 60-jährigen Männern zu, die ihr ganzes Leben in Norwegen verbracht haben und deren einzige Schuld darin besteht, im Zweiten Weltkrieg von deutschen Soldaten gezeugt worden zu sein.

Vor allem in den älteren Generationen des Königreichs, die durch die deutschen Besatzungstruppen enormes Leid erfahren mussten, herrscht auch heute noch eine weit verbreitete Deutschenfeindlichkeit. Ihre Wut ließen sie nach dem Krieg an Norwegerinnen, die sich mit Deutschen einließen – im Volksmund abfällig als „Tysketöser“ (Deutschenmädels) bezeichnet – und deren Kindern aus.

Mit dem Feind eingelassen

Nach dem Willen des norwegischen Sozialministeriums soll nun Schluss mit der letzten rechtlichen Diskriminierung dieser Frauen sein. Es geht um die Kriegsrente, die „normale“ norwegische Witwen der entsprechenden Generationen in Anspruch nehmen dürfen – Frauen aber, die sich im Krieg mit dem deutschen Feind einließen, bisher nicht ausgezahlt wird, auch wenn sie nach dem Krieg mit Norwegern verheiratet waren.

Erst mehrere Jahrzehnte nach Kriegsende, nachdem der Hass auf die Deutschen allmählich zu versickern begann, sind die Norweger bereit, das Thema aufzuarbeiten.

Verhaftung, Arbeitslager, Heim

Die Mütter waren damals junge Mädchen, die sich einfach in deutsche Soldaten verliebt hatten, ohne jegliche politische Gesinnung. Nach Kriegsende wurden 14.000 dieser Frauen verhaftet. 5000 wurden ohne Rechtsprozesse für über ein Jahr in Zwangsarbeitslager gesteckt.

Rund 10.000 Kinder sind in der Besatzungszeit aus den deutsch-norwegischen Verhältnissen entstanden. Dies geschah in den seltensten Fällen durch Zwang, weil Vergewaltigungen bei der deutschen Wehrmacht in Norwegen, im Gegensatz zu den Verhältnissen an der Ostfront, mit der Todesstrafe geahndet wurde. [Anm.: Hier irrt Anwar. Auch an der Ostfront wurden Vergewaltigungen mit der Todesstrafe geahndet - jedenfalls auf deutscher Seite; Dikigoros' Vater hat eine solche standrechtliche Hinrichtung persönlich mit erlebt. Umgekehrt galt das selbstverständlich nicht, d.h. die Russen - aber auch die US-Amerikaner und die Franzosen - erlaubten ihren Soldaten die Vergewaltigung italienischer und deutscher Frauen ausdrücklich, in sowjetischen Tagesbefehlen wurde sie sogar dazu aufgerufen.]

Nach dem Abzug der deutschen Truppen wurden viele der Kinder in Heime für geistig zurückgebliebene gesteckt, misshandelt und oft systematisch sexuell ausgenutzt – denn sie galten als völlig rechtlos.

In Schränke eingesperrt

Auch heute gibt es in Norwegen noch Frauen die nicht wissen, wo sich ihre damals verschleppten Kinder befinden. „Ich musste mich übergeben, als ich die ersten Erzählungen zu hören bekam“, sagt Tor Brandacher, der in der norwegischen Öffentlichkeit bekannt wurde, weil er sich seit 18 Jahren damit beschäftigt, die Übergriffe durch Interviews systematisch ans Licht zu bringen, Medien zu informieren und Schadensansprüche an den norwegischen Staat zu stellen.

„Ein Teil der Kinder wurde in einem Kinderheim in Haugesund untergebracht, wo sie in ihren Kleiderschränken eingesperrt wurden. Das Essen bestand aus Überresten von Fischen und Kartoffeln, welche die Kinder vom Boden auflecken mussten. Die Aufpasserinnen zwangen die kleinen Köpfe zwischen ihre Beine um sich sexuell zu befriedigen“, sagt er.

Kinder durch die Straßen gejagt

In einem anderen Kinderheim soll es gängig gewesen sein, dass die Kinder regelmäßig durch die Straßen getrieben wurden, so dass die Bewohner sie schlagen und verspotten konnten. „Einer der Interviewten berichtete, dass er als Kind bei Pflegeeltern im dunklen Keller leben musste. Wenn die Pflegeeltern richtig Spaß haben wollten, legten sie ihn in eine Tonne auf der Außenterasse und verrichteten ihr Geschäft auf ihm.“

Angst vor Rückkehr der Nazis

Der menschenverachtende Umgang mit den halbdeutschen Kindern, der durch die norwegische Regierung nach dem deutschen Truppenabzug unterstützt wurde, wird neben der furchtbaren Erfahrungen, die Norweger durch deutsche Soldaten erleben mussten [Welche Erfahrungen sollten das gewesen sein? Es ist nicht ein einziger Fall überliefert, den man als "furchtbar" klassifizieren müßte, insbesondere nicht im Vergleich zu dem, was Deutschland ab 1945 durch alliierte Besatzungssoldaten erleben mußte, Anm. Dikigoros], auch darauf zurück geführt, dass man sich davor fürchtete, dass diese Kinder bei einer Rückkehr der Nazis als inländische Armeereserve benutzt werden könnten. Deshalb wurden sie, ähnlich dem Nazi-Jargon, als „Untermenschen“ klassifiziert, weil den Müttern starke Charakterschwächen nachgesagt wurden, die sie ihren Kinder vererbt hätten.


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