Der Tod in Polen
Die volksdeutsche Passion.

Kapitel 7:
Das Massaker von Slonsk


Die große Treibjagd zieht immer weitere Kreise. Kaum hat sie sich in den alten deutschen Grenzprovinzen ausgetobt, greift sie mit gierigen Händen ins flache Land hinein. Wo eine deutsche Siedlung ist, sei es auch weit im alten Polen, springt der sengende Funke hinüber. So faßt die Flamme nach der Vernichtung des Bromberger Gebietes, nach dem Ausbrennen des ganzen Posener Landes, nach der Ausrottung des Deutschtums im Thorner Becken, Slonsk auch die dreihundert Jahre alte Siedlung im Dorf Slonsk, von einem polnischen König her mit manchen Privilegien bedacht. In diesem Dorfe, von echten Niedersachsen bewohnt, lebt nur ein einziger Pole, was konnte hier der Grund sein, wen hatten die Deutschen hier unterdrückt?

Einige Tage nach dem Geschehen am Jesuitersee erscheint im Hofe des Friedrich Elgert, des Schmiedemeisters im Dorfe Slonsk, ein Kavalleriewachtmeister mit einigen Hilfspolizisten, die auf den Armen weißrote Binden mit blauen Stempeln tragen. Elgert sitzt gerade mit den drei Söhnen beim Mittagessen, als der Wachtmeister die Tür mit schwerem Reiterstiefel aufstößt. "Was ist hier für eine Versammlung?" herrscht er die Deutschen brummig an.

"Wir sitzen gerade beim Mittag", sagt der Schmiedemeister ruhig.

"Habt ihr ein Radio, habt ihr Waffen?" fragt der Wachtmeister.

"Weder das eine noch das andere", antwortet der Schmiedemeister, öffnet die Nebentür zur Durchsuchung.

Die Hilfspolizisten stöbern alles durch, der Wachtmeister sagt schließlich deutsch: "Deine Söhne sollen sich warm anziehen, ich muß sie mit mir nehmen, sollen bei der Schwadron Pferde beschlagen..." Darauf nahmen sie die drei Söhne in die Mitte, zogen mit ihnen in Richtung Chiechozinek ab.

Am gleichen Abend kommt eine Kavalleriepatrouille ins Dorf, sie sucht in allen Häusern nach Schriften aus Deutschland. Die Ulanen ziehen jede Schublade heraus, streuen den Inhalt in die Stuben. Der Patrouillenführer steckt einen Füllfederhalter ein, die Soldaten nehmen alles Silberzeug an sich. Ein ziviler Hilfspolizist, der mit einem Jungbauern zur Schule ging, kann seinem Bekannten noch zuflüstern, daß er möglichst bald fliehen möge, da General Bortnowski befohlen habe, daß alle Deutschen auszurotten seien. Bortnowski ist der Führer der sogenannten Korridorarmee, die in den alten deutschen Provinzen steht. Da dieser Jungbauer den Rat sofort befolgte, ist er einer der wenigen Männer, die dem Massaker von Slonsk entkamen.

ChiechozinekBeim Bauern Koerber verlangt die gleiche Patrouille Hafer, läßt sechzig Kilogramm durch den Sohn nach Chiechozinek bringen, der auch nach kurzer Zeit noch heil ins Dorf zurückkehrt. Am gleichen Nachmittag kommt die Patrouille nochmals, verlangt zum zweiten Male sechzig Kilogramm Hafer, diesmal fährt der Bauer mit dem Sohne hin, von einem dunklen Angstgefühl dazu getrieben. Als sie den Hafer abgeladen haben, läßt man Sohn wie Wagen nicht wieder fort. "Du kannst jetzt gehen", sagt man zum Alten.

"Aber ich habe schon zwei Söhne im Kriege, er ist der letzte, wie soll ich die Herbstbestellung machen?" sagt der Bauer.

"Wenn er dir leid tut, kannst du selber bleiben!" ist die Antwort.

So geht er denn allein zurück, ohne die schönen Pferde, ohne den Wagen, ohne Sohn.

Beim Bauern Gläsmann erscheint ein Offizier mit einer berittenen Patrouille, verlangt auch dort die Beladung eines zweispännigen Wagens mit Hafer. Vor der Abfahrt prüft der Offizier die Papiere des Bauern wie seines Sohnes, gibt den Paß des Bauern mit dem Bemerken zurück, daß er als gedienter polnischer Soldat wohl unschuldig sei. "Also fährt der Sohn den Hafer!" setzte er unvermutet hinzu.

"Aber mein Sohn ist auch unschuldig!" ruft der Bauer beteuernd aus, von dunkler Angst umklammert.

"Unschuldig ist er vielleicht", antwortet der Offizier lächelnd, "aber ein junger Deutscher..." So fährt auch dieser Sohn davon, blickt lange zum Hof zurück.

Aus den fünf Nachbarhöfen holt diese Patrouille alle alten Männer heraus, treibt sie an den mit Hafer beladenen Wagen eines Bauern, dem frühere Patrouillen schon alle Pferde aus den Ställen holten, läßt sie den schweren Wagen im Trabe vier Kilometer nach Chiechozinek ziehen. Zu beiden Seiten reiten die Ulanen, des alten Polens ehrenreiche Reitertruppe, schlagen mit ihren Säbeln auf die Köpfe, daß bald allen das Blut über die Gesichter läuft. Fällt einer aber vor Ermattung um, denn es ist eine ganze Handvoll Achtzigjähriger darunter, so spalten sie ihm vom Pferd herab den Schädel. Nur ein Teil von ihnen erreicht das Ziel, die meisten enden schon im Staub des Weges...

* * * * *

Am gleichen Tage macht eine Kavalleriepatrouille, von drei anscheinend ortskundigen Zivilisten begleitet, im Vorbeireiten an dem Schulwesen des Lehrers Daase halt, in dem aber nur die Lehrerfrau mit ihren zwei erwachsenen Töchtern anwesend ist. Das Daasesche Anwesen hat ein geräumiges Haus, das neben der Lehrerwohnug auch eine Schule enthält, außerdem schließt sich ein großer Betsaal an, der schon fast einer kleinen Kirche ähnelt. Auf der anderen Seite kommt gleich der Friedhof, über den uralte Föhren ihre Wipfel neigen. Im Obstgarten an der Straße entlang stehen sechzig Bienenstöcke - sind es diese Stöcke, die jene Reiter zum unvermittelten Anhalten bewogen?

Nach 
der Hausdurchsuchung
Beispiel: nach der Haussuchung.
Die von 20 polnischen Soldaten verwüstete und ausgeraubte Wohnung des Raiffeisen- Geschäftsführers Symosek in Gnesen.
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Sie kommen polternd herein, fragen als erstes nach einem Radio, als zweites nach deutschen Büchern, als drittes nach versteckten Waffen. Den Radioapparat zerschlagen sie sofort mit ihren Kolben, einzelne deutsche Bücher werden auf einen Haufen gepackt, die Suche nach Waffen verläuft wie immer ergebnislos. Nach der Durchsuchung gleicht das Innere des Hause einem Kampfplatz, im Schlafzimmer sind sie mit ihren Reiterstiefeln auf den Betten umhergestiegen, in der Küche haben sie sämtliche Vorräte auf den Boden gestreut. Zudem schoben sie in ihre Taschen, was ihnen gerade in die Augen stach: Die gesamten Zloty, ein Taschenmesser, eine goldene Damenuhr.

Als sie in den ob seiner Schlichtheit rührenden Betsaal kommen, spuckt der Patrouillenführer vor dem Altartisch verächtlich aus. "Also evangelische Ketzer!" sagt er grimmig. "Dein Mann Pfarrer...?"

"Mein Mann ist Lehrer!" sagt Frau Daase leise.

Er fährt ruckhaft herum, packt sie an den Armen. "Wo ist er?" stößt er aus.

"Er wurde schon am zweiten Kriegstag weggeführt", sagt Frau Daase wieder, "zur Internierung nach dem Osten fortgebracht."

"Psyakrew!" flucht der Unteroffizier. "Das ist schon schade, aber sie werden ihn schon, auch dort werden sie ihn..."

Als letzten Raum durchsucht er das Schulzimmer, einen hellen Saal, mit seinen kleinen Kinderbänken fast lieblich anzusehen. "Und Deutsch gelehrt - natürlich - in dieser Teufelshöhle?" quetscht er durch die Zähne, spuckt wiederum aus, weit über die Bänke hinweg. "Nun, das ist jetzt vorbei für immer - kein deutsches Wort werdet ihr mehr lehren - in unserem heiligen Polenland! Nur wenige Tage noch, dann sind wir in Berlin, werden euch dort diktieren..." Er wendet sich auf dem Absatz herum, tritt wieder in die Küche. "Und jetzt mit dem Honig heraus - mindestens sechzig Pfund!"

Frau Daase neigt den Kopf, holt alle Gläser zusammen. An sechzig Pfund, das ist alles, was sie im Hause hat... Sie gibt es dennoch fast gerne, was heißt das alles demgegenüber, daß ihr Mann nicht da ist, daß er nicht in ihre Hände fiel! Und die Töchter lassen sie anscheinend in Ruhe, den Töchtern wollen diese anscheinend nichts...

Die Reiter stopfen den Honig in die Satteltaschen, reiten alsdann die Straße nach Chiechozinek zurück. Als sie an dem schönen Glockenturm vorbeikommen, der unweit des Daaseschen Hauses auf der linken Seite steht, zu dem kleinen Bethause gleichsam den Kirchturm abgibt, einem wunderbaren Holzbau aus einem früheren Jahrhundert, speit er im Vorbeireiten auch diesen noch an.

So ist Frau Daase abends fast fröhlich mit ihren Töchtern - aber sie haben sich über den guten Ausgang zu früh gefreut. Kurz vor Mitternacht dröhnt es wieder an ihrer Haustür, auf ihr Öffnen treten die drei Zivilisten vom Nachmittag herein. Der eine führt Frau Daase sofort in die Küche, heißt sie sich in eine Ecke stellen, setzt sich mit gezücktem Bajonett vor sie hin. Jeder der beiden anderen Zivilisten, von denen einer einen alten Säbel, der andere einen Browning trägt, nimmt sich daraufhin eine der beiden Töchter, geht mit je einer in ein besonderes Zimmer, der erste mit der älteren in das Schlafzimmer, der andere mit der jüngeren in die Kammer.

"Ich muß eine Leibesvisitation machen!" sagt der im Schlafzimmer. Er heißt das Mädchen sich aufs Sofa setzen, setzt sich mit ungeschicktem Gebaren dicht neben sie, beginnt sie am ganzen Leibe abzutasten, aus den Winkeln seiner Lippen tropft Speichel. Sie hält zitternd still, beginnt leise zu weinen. Plötzlich wirft er sie auf den Rücken, reißt ihr mit jähem Griff den Rock herunter. Sie wehrt sich mit allen Kräften, beginnt schrill um Hilfe zu schreien. Eine Zeitlang kämpfen sie miteinander, aber ihre Verzweiflungskraft ist ihm gewachsen. Da zieht er wütend den Browning, hält ihn ihr auf die Stirn: "Gibst du jetzt Ruhe, du Hundeblut, sonst erschieße ich dich..." Aber sie gibt auch jetzt nicht nach, wehrt jeden neuen Angriff tapfer ab. Endlich läßt er sie in Ruhe, steckt den Revolver wieder ein. "Wenn ich dich erschieße, was hab' ich schon von dir, glaubst du vielleicht, ich will eine Leiche..." lacht er höhnisch.

Daraufhin geht er in die Kammer hinüber, findet das zweite Mädchen weinend auf dem Bett, während der Zivilist sich eine Zigarette dreht. "Du mußt mir helfen", sagt er finster. "Hast mehr Glück gehabt, wie es scheint..."

Der zweite Zivilist lacht heiser auf, folgt ihm sofort ins Schlafzimmer zurück. Das Mädchen ist in die äußerste Zimmerecke geflüchtet, jetzt aber hilft ihr aller Kampf nichts mehr. Sie springen sofort auf sie zu, stoßen sie auf den Stubenboden - während einer sie am Halse würgt, daß sie vor Luftnot kraftlos wird - wirft der andere sich wütend über sie, macht sie sich mit unmenschlicher Roheit untertan...

* * * * *

Am nächsten Morgen erscheinen wieder Patrouillen, alle kommen aus Chiechozinek, wo ein höheres Kavalleriekommando seinen Standort hat. Wieder werden einige Bauern mit Fuhrwerken requiriert. Bisher ist im ganzen Dorf noch kein Schuß gefallen, dennoch wird es mit jeder Stunde von Männern leerer. Noch einige Tage lang geht es in der gleichen Weise weiter, schließlich ist im ganzen Dorfe kaum mehr ein Mann. Wo sind sie denn um Gottes willen alle hingekommen - werden sie denn niemals in ihr Dorf zurückkehren?

Sie kehren nicht zurück, werden niemals zurückkehren. Eines Tages fand man zufällig ein Massengrab, in ihm lagen achtundfünfzig Leichen aus dem Slonsker Dorfgebiet. Man fand in ihm die drei stolzen Söhne des Schmiedemeisters Elgert, ihre Gesichter waren so furchtbar zugerichtet, daß er sie nur an ihren Kleidern wiedererkannte. Einem hatte man die neuen Schuhe ausgezogen, alle waren ohne ihre warmen Wintermäntel. Man fand in ihm den jungen Koerber, den sie nicht wieder fortgelassen hatten, ihm mußten sie ins Gesicht geschossen haben, während er die Hände vor die Augen hielt, denn seine Hände waren beide durchschossen. Man fand in ihm den jungen Bauern Gläsmann, den der Offizier um seines Deutschtums willen schuldig sprach, fand neben ihm alle Söhne seiner Nachbarn, einigen von ihnen waren die Bäuche aufgeschlitzt, anderen hatte man die Augen ausgestochen. Einem jedoch hatte man die Zunge abgeschnitten, einem anderen das Herz aus der Brust gerissen.

Schließlich fand man in diesem Grabe auch die alten Männer, die den Haferwagen hatten aus dem Dorfe ziehen müssen. Es war ein Neunzigjähriger dabei, zudem viele Achtzigjährige, keiner von ihnen aber zählte unter siebzig Jahre.

So kehrten sie nur tot zurück, die Männer von Slonsk, in ihren Friedhof unter den Föhren.

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