Luise Rinser

Auszüge aus ihrem Buch "Nordkoreanisches Reisetagebuch 1980-82"

Luise Rinser und Kim Il Sung
Luise Rinser und Kim Il Sung

Luise Rinser hat in den Jahren 1980 bis 1982 dreimal mehrwöchige Reisen nach Nordkorea (Koreanische Demokratische Volksrepublik) unternommen. Sie schrieb ihre Erlebnisse und Eindrücke in ihrem "Reisetagebuch" nieder. Ihr Bericht unterscheidet sich von der übrigen ohnehin spärlichen Berichterstattung in den bürgerlichen Medien unseres Landes durch seine eingestandene Subjektivität.

"Ich möchte mit meiner Arbeit erreichen", schreibt Luise Rinser, "dass man eine Art von Sozialismus kennen lernt, die nicht nur für die Zukunft der dritten Welt entscheidend Modell ist, sondern auch uns anderen Impulse für ein mutiges Umdenken in Richtung eines möglichen Sozialismus geben kann und den blinden Glauben an einen unumgänglichen Kampf zwischen dem kapitalistischen und dem kommunistischen System abbauen hilft."

Seit März 2001 bestehen diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik. Dennoch bedeutet die Aufnahme diplomatischer Beziehungen keinesfalls das Ende der falschen und verleumderischen Berichterstattung der bürgerlichen Medien über das sozialistische Land auf der koreanischen Halbinsel.

Luise Rinsers "Reisetagebuch", aus dem wir wenige Kapitel ausgewählt haben, vermittelt anschaulich und eindringlich Kenntnisse über ein Land, das stets und bewusst im Abseits gehalten wurde.

Luise Rinser wurde 1911 geboren. Wegen ihrer Gegnerschaft zum faschistischen Hitler-Regime erhielt sie Schreibverbot, wurde verhaftet und drohte ihr das Todesurteil.

Luise Rinser ist heute Beiratsmitglied im "Internationalen Komitee für die friedliche Wiedervereinigung Koreas".

Die kleinen Könige des Landes

Sie haben ihre königlichen Paläste. Wir haben heute den Kinderpalast von Pyongyang besucht. Kinderkrippe, Kinderhort, Kindergarten, Kindertagesstätte. Ein weitläufiger Gebäudekomplex. Der Pionierpalast für die Größeren ist andernorts. Wir werden im Konferenzzimmer informiert über Entstehung und Zweck des Hauses. Diese Konferenzzimmer gleichen sich alle aufs Haar, sie sind so wie das Konferenzzimmer im Gästehaus. Auch das Konfekt und die Zigaretten sind gleich und auch die Reden.

Der große Präsident Kim Il Sung hat ... Es wird mir schon lästig, dies immer wieder zu hören. Aber stimmt es nicht? Wer anders als er hat sich so um die Kind gekümmert? Wer sonst hat dieses Haus und alle Kinderpalast, im Land einrichten lassen? Wer sonst als er gibt große Summen aus der Staatskasse für die Jugend? Wer als er ... Man kann tatsächlich in diesem Land nichts berichten ohne zu sagen: Das hat der große Präsident gemacht.

Man könnte das Prädikat "groß" weglassen, aber das würde wenig ändern. Selbst wer nur sagt "Kim Il Sung" oder "der Präsident", spricht das mit Respekt und Liebe aus.

Willy Brandt hat mir erzählt, dass bei einer Sitzung in Genf der nordkoreanische Delegierte jedes Mal sich leicht vom Sitz erhob, sooft er den Namen des Präsidenten aussprach. Konfuzianische Tradition. Warum eigentlich nicht? In einer Zeit der rüden Respektlosigkeit von Mensch zu Mensch haben Gesten, der Höflichkeit Zeichenwert und können formend wirken. Ostasiatische Formen des Umgangs haben nicht nur einen ästhetischen Wert, sondern einen moralischen. Höflichkeit ist aggressionshemmend. Man kann sich nicht in Parlamentsdebatten unflätig beschimpfen, wie es bei uns üblich geworden ist, wenn man sich bei der Nennung des Namens eines Gegners vom Sitz erheben muss. Ich stelle mir vor, wie einer unserer Parlamentarier sagt: "Sie Rentenbetrüger, Sie moralisch Unqualifizierter ..." und sich dabei höflich verbeugt. Die koreanische Höflichkeit ist zwar nicht immer das, was Goethe mit Herzenshöflichkeit bezeichnet, die der Liebe verwandt sei, aber sie schafft immer eine Atmosphäre der Freundlichkeit, der Menschlichkeit. "Freundlichkeit" scheint mir überhaupt ein Grundzug des nordkoreanischen Lebens zu sein. Ich beobachte diese Freundlichkeit auch beim Umgang meiner Begleiter, der Funktionäre, mit den Küchenmädchen und unserm Fahrer. Der Grundsatz der Gleichheit in dieser Demokratie wird praktisch gelebt.

Ehe wir die Räume des Kinderpalastes betreten dürfen, müssen wir die Schuhe ausziehen, weiße Mäntel umlegen und die Hände desinfizieren.

Die Kinder haben es hier gut. Besser könnten sie es nicht haben. Sie haben ihre Ärztinnen, ihre Untersuchungen, ihre Pflegerinnen, ihre ausgebildeten Kindergärtnerinnen. Eine Unmenge Personal. Ein beliebter Beruf. Ich sehe aber nur Frauen. Die jungen Männer scheinen nicht geneigt, Kindergärtner zu werden. Emanzipiert sind sie nicht, scheint mir.

In jedem Raum des Hauses geschieht anderes: hier lernen die Achtjährigen europäische Notenschrift und vom Blatt singen, dort improvisieren sie auf kindgemäßen Instrumenten ähnlich jenen des Orff-Schulwerks, hier ist Geographie-Unterricht, der den etwas Größeren spielerisch die Grundkenntnisse von Land und nationaler Geschichte beibringt, und in wohlgesetzter Rede das Gelernte wiederzugeben, ein kleines Mädchen spricht fließend frei wie eine Dozentin, aber mit tänzerischen Gesten über die Agrarprodukte, ein Junge doziert weiter, alle kommen dran, und alle reden sehr natürlich und mit Anmut. Jedoch: ich glaube nicht, dass sie spontan reden, das alles klingt so auswendig gelernt, so eingedrillt, so im alten Lern-Schul-Stil, und ich frage mich, ob diese Kinder selbständig denken lernen oder ob man ihnen nur Kenntnisse überstülpt. Lernen sie kritisch denken? Werden sie nicht nur bei jeder Gelegenheit politisch indoktriniert von klein auf?

"Kommunismus ist Umgestaltung des Menschen", sagt Kim Il Sung. Aber ist Umgestaltung gleich Heranbildung zur Selbständigkeit, oder gleich Programmierung zum Kollektiv-Denken? Das ist die Frage.

Im Augenblick sind diese Kinder schlechthin glücklich. Sie haben alles, was sie wünschen können: ein Hallenschwimmbad, ein Solarium, Turn- und Spielgeräte, Musikinstrumente, Malsachen, freundliche Betreuung, gutes, Essen aus unvergifteter heimischer Erde. Niemand schlägt sie, niemand schreit sie an, niemand läßt sie unbeaufsichtigt auf der Straße, ihre Mütter holen sie nachmittags ab, oder, wenn sie weiter entfernt Arbeitsplatz haben, übers Wochenende, die Familie ist im zuhanden, und Kameradschaft ist überall. Welchen Preis zahlen sie für ihr Glück? Ich meine nicht, wie viel Geld sie da bezahlen müssen: alles ist selbstverständlich kostenlos, die ganze Erziehung von der Kinderkrippe bis zur Universität oder Fachhochschulreife ist ganz und gar kostenfrei, das zahlt alles der Staat. Womit finanziert er das, da die Bürger kein Steuern zahlen? Das ist eine andre Frage. Ich meine mit Preis das Opfer des selbständigen kritischen Denkens, die allzu große und willfährige Anpassung, den allzu freundlichen Gehorsam Gibt es hier nicht eine Art langfristiger, unauffälliger Gehirnwäsche? Aber wo gibt es die nicht. Nur die Inhalte sind verschieden. Wir im Westen werden indoktriniert mit dem Dogma vom Fortschritt, vom hohen Wert des Besitzes, von der Notwendigkeit des Kriegführens und der Rüstung, von der Gefahr des Kommunismus und jeder Form von Sozialismus. Gibt es Erziehung zur Freiheit des Denkens, Redens, Handelns? Was wir tun und nicht tun dürfen, lehren uns das Bürgerliche Gesetzbuch, die Polizei und die Kirchen. Mir wird hier bewusst, wie sehr wir programmiert sind, so sehr, dass selbst ich das Gute, das ich hier mit eigenen Augen sehe, nur mit höchstem Misstrauen betrachten kann.

Die Kinder hier sind ganz unbefangen in unsrer Gegenwart. sind es gewöhnt, besucht zu werden. Sie mögen das. Sie wollen auf dem. Arm getragen und gestreichelt werden, sie sind zärtlich, sie haben von Menschen nichts Böses erfahren u erwarten darum nichts anderes als Güte. Sie leben im Urvertrauen. Das unterscheidet sie grundsätzlich von den Kindern im Westen. "Geh nicht mit dem fremden Onkel", "nimm nichts von fremden Leuten, es könnte vergiftet sein", lass dich nicht ansprechen und nicht berühren von andern Leuten, es gibt böse Menschen, die dich mitnehmen und umbringen", "es gibt Sexualverbrecher" ... Hier in Nordkorea gibt es diese Rede und diese Erscheinungen nicht. Müssen aus so positiv erzogenen Kindern nicht gute Menschen werden?

Jetzt fällt mir auf, wie wenig Polizei es in der Stadt zu sehen gibt außer den Verkehrspolizisten, die meist weiblich sind und ernstem Gesicht den kaum vorhandenen Verkehr eher mäßig interessiert beobachten als regeln. Keine heulenden Polizei Einsatzwagen. Keine Polizeiknüppel. Auch keine Strafzettel an Autos.

Herr Chang erzählt mir, dass ein japanischer Journalist im Hotel sich darüber beschwerte, dass er sein Zimmer nicht absperren könne, es habe weder Schlüssel noch überhaupt ein Schloss. Aber warum wolle er abschließen? Nun, weil gestohlen werden könnte. Der Hoteldirektor war tief beleidigt. "Weder in meinem Hotel noch im ganzen Land brauchen wir Schlösser und Schlüssel."

Und Kindesmisshandlungen und Vergewaltigungen sind undenkbar. Eltern oder Lehrer, die ein Kind ohrfeigen, werden bestraft. Kind in Nordkorea sein!

Dorf-Erfahrungen

"Mit der Erziehung, die er für die wichtigste Aufgabe des Gesetzgebers ansah, fing er ganz von vorne an und richtete sein Augenmerk auf Eheschließung und Kinderzeugung ... Die Knaben gab er nicht in die Hände von gekauften oder gemieteten Pädagogen, noch durfte jeder seinen Sohn aufziehen wie er wollte, sondern er nahm selbst alle, sobald sie sieben Jahre alt waren, zu sich und teilte sie in Gruppen ein, in denen sie miteinander aufwuchsen, erzogen und gewöhnt wurden, beim Spiel wie bei ernster Beschäftigung immer beisammen zu sein. Als Führer der Gruppe wählten sie selbst denjenigen, der sich durch Klugheit und Kampfesmut auszeichnete. Auf ihn blickten sie und unterwarfen sich seinen Strafen, so dass die Erziehung wesentlich in der Übung des Gehorsams bestand ..."

PLUTARCH

Herr Chang hat mir einen Übernamen gegeben, der auf deutsch heißt: Frau "Was-tun-wir-morgen?"

Man mag hier diesen Eifer nicht, mit dem ich Informationen sammle. Nicht als sei man unwillig, sie mir zu geben. Nur: warum diese Eile?

Schauen Sie die Leute an, sagt Herr Chang. Die laufen nie, und die Arbeiter auf den Feldern, die überanstrengen sich nie, auch bei der Reispflanzung nicht, sie setzen sich immer wieder hin, der Präsident will, dass die Leute in Ruhe und Freude arbeiten, ohne Nervosität. Aber gut: was wollen Sie morgen sehen?

Eine Dorfschule und eine Dorfklinik, bitte.

Wir fahren also über Land. Ein heißer Tag. Es hat lange nicht geregnet, wir fahren in Staubnebeln, hinter denen rot die Sonne steht. Aber auf den Straßen gehen Scharen von Menschen, viel Jugend, sie gehen zur Feldarbeit, hier wird nicht Reis, sondern Mais gepflanzt, also ins Trockene, nicht in Schlammfelder. Keine angenehme Arbeit. Ich bitte den Kameramann, das zu filmen. Er tut es ungern. Das gebe ein ungutes Bild von Nordkorea, meint er. Ich widerspreche ihm. Also filmt er ein weites Feld mit Pflanzern hinter Staubschleiern.

Die Klinik gehört zu einem Dorf, das, Dach an Dach, in eine flache Talmulde geduckt ist. Fünfzig Häuser wie überall bilden das Dorf. Diese Dörfer scheinen alt, aber sie wurden fast alle nach dem Krieg gebaut, also nach einem Plan. Aber wie bringen die Nordkoreaner es zuwege, dass das Ganze keinen öden Siedlungscharakter hat, da doch die Häuser alle sich gleichen? Die geschweiften Dächer mit den Giebelschnitzereien schaffen, den Eindruck lebendiger Bewegung. Man sollte ähnliche Lösungen auch bei uns im Westen finden. Die Ausschließlichkeit der Verwendung gerader Linien und scharfer Kanten, ist schlecht, die Natur kennt sie nicht, sie stören also in der Landschaft, sie schaffen böse Disharmonie.

Das Dorf ist wie ausgestorben. Alle sind auf den Feldern. Nur, Kinder sind da, sie sind in der Kinderkrippe und im Kindergarten, gut betreut. Dort bekommen sie auch zu essen. Kostenlos. Den arbeitenden Frauen ist es freigestellt, ob sie zu Hause selbst kochen oder ob sie in der Gemeinschaftsküche essen wollen. Das scheint hier Prinzip zu sein: die Erleichterungen werden der Frau angeboten, aber sie wird nicht gezwungen, sie anzunehmen.

Die Klinik ist klein, sie genügt für das Dorf und seine Umgebung, und für leichtere Fälle. Fünfzehn Kilometer entfernt ist die Klinik der Kreisstadt, wo operiert werden kann. Hier behandelt man die ortsüblichen Krankheiten: Erkältungen und Rheuma. Die Klinik hat fünf Räume. Zwei sind jetzt besetzt. ein alter Mann mit Blasenkatarrh, ein andrer mit Halsentzündung. Es gibt drei Ärzte, einer ist auf Station, die andern sind ambulant tätig. Dazu gibt es hier zwei Pfleger. Für die Rheumakranken gibt es zwei "Ondul"-Kammern, Räume mit der üblichen Fußbodenheizung, wo die Patienten auf dem warmen Boden liegen. Im Badezimmer bekommen sie Kräuterbäder, zum Trinken reinigende Tees.

In der Apotheke der Klinik hängen Bündel getrockneter Pflanzen, in unzähligen Schubfächern fertige Medikamente, alle rein pflanzlich. Der Arzt wiegt sie auf einer empfindlichen kleinen Waage. Er sagt, es sei ein Irrtum, zu meinen, pflanzliche Medikamente könnten "einfach so" gegeben und genommen werden, denn auch ihre Wirkung hängt von der Dosierung ab, zu kleine Dosen seien unwirksam, zu große können gefährlich sein, man bekommt daher auch Naturheilmittel nur auf ärztliches Rezept und nach ärztlicher Untersuchung.

Gibt es keine chemischen Medikamente?

Doch, wenige, es gibt für schwere Fälle Antibiotika wie Penicillin, aber man vermeidet sie nach Möglichkeit. Unsre gesamte Medizin hier ist weniger auf Behandlung vorhandener Krankheiten abgestellt als auf Vorbeugung. Wir führen viele Pflichtuntersuchungen durch. Die Kinder werden sehr häufig untersucht, die Schwangeren ebenso, die Frauen überhaupt jedes halbe Jahr, die übrigen je nach Bedarf, wir haben eine äußerst geringe Säuglings-Sterblichkeit.

Welche Krankheiten sind hier häufig? Erkältungen. Tuberkulose? Ausgerottet durch gute Ernährung und Vorbeuge-Untersuchung. .

Lepra? In Südkorea ist sie noch häufig, ich war dort in einer Leprastation.

Wir haben keinen einzigen Fall, auch Malaria nicht, auch venerische Krankheiten nicht, und Krebs wird im Frühstadium erkannt.

In Südkorea sträuben sich die Bauern besonders entlegener Gegenden, einen Arzt aufzusuchen und moderne Medikamente zu nehmen, sie halten viel mehr vom Schamanen und Zauberer, selbst Ärzte holen in verzweifelten Fällen den Medizinmann.

Ja, das gibt es hier auch, aber die unentwegte Aufklärung ist wirksam, und im übrigen wissen wir, was aus der Kunst der Schamanen für die moderne Medizin entnehmbar ist. Wir halten viel von Naturheilkunde. Wir kennen siebenhundert Heilkräuter. Hier in unserm kleinen Vorgarten haben wir einige der gebräuchlichsten.

Wo bekommen die Frauen ihre Kinder? In der Klinik natürlich.

Wird bei der Geburt Akupunktur angewendet?

Kaum, die Frauen bringen ihre Kinder auf ganz natürliche Weise zur Welt. Bei Operationen natürlich wenden wir Akupunktur an.

Wie verläuft das Medizinstudium?

Ich habe an einer medizinischen Fachhochschule studiert, vier Jahre. Um Facharzt zu werden, studiert man länger. Es gibt viele medizinische Hochschulen. An der Universität Pyongyang, der einzigen Universität im Land, wird Medizin nicht gelehrt. Wir haben keinen Ärztemangel. Sehr viele Frauen studieren Medizin.

Wer bezahlt die Ärzte?

Der Staat natürlich. Wir haben ein festes Monatseinkommen.

Ich denke an den Westen, an unsre Ärzte, und Zahnärzte, und wie sie kassieren und sich Luxusvillen bauen, und wie ungründlich viele sind, und was für Herren und Despoten in den Kliniken, und wie lange ein normaler Patient auf ein Klinikbett warten muss und wie unfreundlich man vielerorts behandelt wird. Ich denke auch an die Sowjetunion, wo die Privilegierten schon einen Privatarzt wählen und bezahlen können, denn die Kassenärzte sind ihnen zu schlecht. Wo auf Erden ist Gleichheit und Gerechtigkeit?

Ich interessiere mich natürlich für den Stand der Psychiatrie in Nordkorea. Der Arzt gibt zu, dass er darüber nichts wisse. Er habe nie mit psychischen Krankheiten zu tun, nicht einmal mit Neurologie, das ist Sache der großen Kliniken und der Fachärzte. Aber einmal habe er einen Fall von Wahnsinn erlebt in diesem Dorf: ein Mann habe im Gebirge plötzlich einen Tiger gesehen, es gibt hier Tiger, und der Schock habe ihn irregemacht, er musste in die Klinik gebracht werden, da blieb er fünf Jahre, jetzt ist er als geheilt entlassen.

Ich möchte wohl wissen, ob der Mann einen echten, einen materiellen Tiger gesehen hat oder ob er eine Angstneurose hatte, die ihn einen Tiger sehen ließ, wo keiner war. Aber zu solchen Erörterungen ist jetzt und hier nicht die Gelegenheit.

Der Arzt zeigt mir seine große Kartei. Hier ist jedermann aus seinem Amtsbezirk erfasst, jede Krankheit und jede Medikation ist aufgezeichnet.

Ich frage vorsichtig nach Missbildungen und nach dem, was wir seit Hitler Euthanasie nennen: die Tötung unwerten Lebens. Der Arzt schaut mich entsetzt an. Gibt es denn das irgendwo in der Welt?

Ich habe bis jetzt keine Krüppel gesehen. Verbirgt man sie in Anstalten wie bei uns? Oh, nein, es gibt welche, aber sie leben in ihren eigenen Familien.

Mir fiel schon auf, wie blühend gesund die Leute aussehen. Die Alten freilich haben gekrümmte Rücken und sehen verhärmt aus: die Generation, die zwei Kriege und Hunger und den harten Wiederaufbau erlebte und in der Jugend keine medizinische Betreuung hatte, als die Japaner das Land besetzt hielten. Aber die Jüngeren, besonders die Kinder platzen vor Gesundheit und Lebenslust. Natürlich: Sport und Tanz von Kindheit auf, keine Drogen, kein Alkohol, gesunde unvergiftete Nahrung, keine Medikamente während der Schwangerschaft, unablässige medizinische Überwachung, und ein freundliches Zusammenleben, das schafft innere Harmonie, die sich als körperlich-seelische Gesundheit zeigt.

Nur: man raucht unmäßig viel. Ist das gesund?

Herr Chang lacht. Ein Laster müssen wir doch haben dürfen oder?

Jetzt will die Frau "Was-tun-wir-morgen" noch eine Dorfschule sehen. Herr Chang hat den Besuch schon vorbereitet. Aber viel Zeit zu Sondervorbereitungen war nicht, also werde ich die Schule wohl in ziemlich alltäglichem Zustand sehen. Keine Musterschule. Sie liegt in der ländlichen Stille, etwas entfernt von einem Dorf. Eine Volksschule, Grundschule, vier Klassen, für Knaben und Mädchen, aber keine Ko-Edukation, wie ich erfahre. Warum nicht? Der Schulleiter, noch sehr jung, erklärt es mir: Knaben müssen anders erzogen werden als Mädchen, denn sie haben einen anderen Charakter, eine andere Mentalität. Knaben müssen mutiger sein, Mädchen zarter. Nun, sage ich, als Partisaninnen waren Mädchen und Frauen genauso mutig wie Männer, oder etwa nicht?

Aber jetzt ist nicht Krieg. Nun, lassen wir´s dabei bewenden.

Die Schule hat über dreihundert Schüler, je vierzig in einer Klaue, und zwölf Lehrpersonen, davon zehn weibliche. Der Lehrberuf, so sagt der Schulleiter, eignet sich sehr gut für das weibliche Geschlecht. Das alte Rollenspiel also, denke ich, und ich denke daran, wie die kleinen Nordkoreanerinnen, nicht anders als die Mädchen in Südkorea, dazu erzogen werden, weiblich zu sein, sich hübsch zu machen, sich anmutig zu bewegen, leise zu sprechen.

Ich sage: Hat die nordkoreanische Frau nicht volle Gleichberechtigung? Lebt sie in einem sozialistischen Land nicht emanzipiert?

Mit dieser Frage fühlt sich der Schulleiter überfordert.

Wir gehen durch das Schulgebäude. Aus den Klassenzimmern höre ich den Unterricht: hier wird gesungen zur miserablen Begleitung einer Ziehharmonika, dort wird im Chor gelesen, dort liest ein Mädchen den andern aus einem Buch vor. Wir treten ein. Wie diszipliniert die Kinder sind! Erschreckend. Keines hebt den Kopf vom Buch, keines blickt nach uns. Die Wunschkinder einer reaktionären Lernschule, einer reaktionären Gesellschaft, einer autoritären Regierung. Ich sehe keine Lehr- und Lernmittel. Kein Zeichen selbständiger schöpferischer Arbeit. Eine Lehrerin spricht etwas vor, die Kinder sprechen nach. Ich, einmal Lehrerin gewesen, bin bestürzt. Da sitzen intelligente Kinder, die später mitverantwortlich sein werden für den Staat. Aber vielleicht, so denke ich ketzerisch aufsässig, vielleicht gehört es zu den Grundsätzen eines totalitären Staates, die Kinder zum Sprechen und Nachsprechen zu erziehen statt zum kritischen Denken. In Gedanken schreibe ich einen Brief an den Präsidenten Kim Il Sung. "Herr Präsident, in Ihrer Ideologie ist von Selbständigkeit die Rede, Selbständigkeit in der Wirtschaft, in der Verteidigung, in der Staatsphilosophie. Aber was Sie hier zulassen oder anordnen, das ist das Gegenteil von Selbständigkeit, das ist altmodischer Schuldrill. Brauchen Sie nicht selbständig, kritisch denkende Staatsbürger? Las ich nicht, dass Sie ein Volk von Intellektuellen heranbilden wollen? Was verstehen Sie unter einem Intellektuellen? Gehört zur Intellektualität nicht Kritik-Fähigkeit? Wäre es nicht gut, Sie würden, Ihre Professoren an pädagogische Hochschulen im Westen schicken, um moderne Methoden zu lernen?"

Aber da stocke ich. Haben wir im Westen denn moderne Methoden? Wir hatten sie einmal. Wir hatten in den zwanziger Jahren die Zeit der schöpferischen Pädagogik, der Arbeitsschule anstelle der Lern- und Drillschule. Aber heute? Lernen unsre jungen Leute nicht auch nur für die Schule, für das Examen? Und hat die Arbeits- und Denkschule meiner Zeit die Jugend wirklich kritikfähig gemacht? Hat sie gelernt, über Hitler nachzudenken oder über den Kommunismus? Ich bin verwirrt. Hier stimmt etwas nicht, aber dort auch nicht. Das gesamte Schulsystem in der zivilisierten Welt stimmt nicht mehr,

Ich wende mich jetzt lieber dem Positiven hierzu: Strafe gibt es nicht. Wehe, wenn ein Lehrer ein Kind schlüge! Es gibt nur positive Anreize zur schulischen Leistung und zum Wohlverhalten. Im Korridor hängen Tabellen mit Zahlen bei den Namen der Schüler. Man bekommt Sterne für Freundlichkeit im Verhalten, für besondere Hilfsbereitschaft, für sportliche Leistung, für besonderen Eifer in der Aufzucht von Kleintieren (es gibt hinter der Schule Kaninchenställe).

Sonderbar: die Kindergärten sind vorbildlich, nach dem Modell der Montessori geführt. Warum sind die Schulen im Rückstand? Aber darf ich so rasch urteilen? Ich fürchte jedoch, ich habe recht: hier ist Nordkorea wirklich im Rückstand.

Ich bemerke auch, dass, ganz im Gegensatz zu den prunkvollen Stadtkindergärten, diese Dorfschule schäbig ist. An verschiedenen Stellen, fehlt der Deckenverputz, die Wände haben Flecken schön ist kein Raum, außer dem Festraum, indem die Kinder politischen Unterricht bekommen und nationale Feiern mitmachen. Da hängt das große farbige Bild Kim Il Sungs, und die Kinder singen: "Wir sind glücklich, wir leben im Paradies", und das stimmt, denn hier gibt es keine "Schüsselkinder", keine Verwahrlosung, kein Abschieben unerwünschter Kinder in Heime, keine Jugendkriminalität, keine Kindesmisshandlung, keine Sexualverbrechen an Kindern, keine Schülerselbstmorde. Ich sehe mich gezwungen zu denken, dass unsre antikommunistischen, rechtskonservativen Parteien im Westen Nordkorea zum Modell nehmen müssten, wenn sie eine so brave Jugend wollen. Ich habe Lust, laut zu lachen über die Absurdität unsrer ideologischen Streitereien. Ich denke sogar für einen Augenblick, ob die Demokratie wirklich die beste aller Regierungsformen ist.

Die Kinder hier haben ihr Glück einem einzigen Mann zu verdanken. Er hat ihnen dieses Kinderparadies geschaffen. Ihm allein sind sie Dank schuldig. Wem sollten die Kinder im Westen danken? Dem Staat? Wer ist das? Wer ist "die Regierung"? Wer sorgt für die Kinder des Volks? Die Eltern, die Steuern zahlen und hohe Studiengelder, und die nicht einmal wissen, ob ihre Kinder dann einen Arbeitsplatz bekommen. Ein Staat, der nicht imstande ist, Kindergärten und Tagesstätten für Kinder berufstätiger Mütter einzurichten, ein reicher Staat ... Ketzerische Gedanken? Sind sie unberechtigt?

Und was eigentlich geben wir unsern Kindern mit auf den Lebensweg? Sind wir imstande, ihnen Gemeinschaftsgeist zu vermitteln, wir Egoisten? Und was sagen wir, wenn unsre Kinder nach dem Sinn des Lebens fragen?

Aber diese Kinder hier werden einseitig indoktriniert mit sozialistischen Ideen.

Nun: werden unsre Kinder nicht indoktriniert mit Parolen wie "Fortschritt" und "Konsum" und "Wohlstand" und mit Partei-Programmen? Ist das besser als die Ideologie Kim Il Sungs, die wenigstens nicht allein auf materielle, sondern wesentlich auf geistige Werte zielt? Hier gilt wirklich das Sein und nicht das Haben.

Ich stellte dem Schulleiter einige Einzelfragen. Vor allem interessierte mich, ob die Eltern ein Mitbestimmungsrecht haben. Es gibt einen Elternbeirat und es gibt jedes halbe Jahr eine Elternversammlung. Hier wird den Eltern über den Stand der Schüler berichtet. Mir wird klar, dass die Eltern dabei passiv sind. Ein Mitspracherecht haben sie nicht. Jedenfalls nicht in wichtigen Fragen. Aber: wie weit reicht das Mitspracherecht bei uns im Westen? Hat man die Eltern gefragt, ob es ihnen recht sei, dass ihre Kinder, statt in die nahe Dorfschule zu gehen, eine Stunde im Bus fahren müssen zur nächsten Gesamtschule? Haben unsre Eltern mitzureden bei Fragen der Unterrichtsgestaltung und der Prüfungsmethoden? Wird nicht auch bei uns alles "von oben her" bestimmt? Bilden wir uns vielleicht nur ein, in einer freien Demokratie zu leben? Angesichts der Verhältnisse in Nordkorea wird man aus gewohnten Denkbahnen gerissen. Man sieht vieles in Frage gestellt, was man als einfach gegeben hinnahm. Das ist sehr heilsam. Sehr gut ist das, wenn man Vorurteile überprüfen, muss. Aber sehr unbequem ist es und bisweilen verwirrend., Man muss aber den Mut haben, sich immer wieder einmal verwirren zu lassen, um dann die Welt mit neuen Augen zu sehen.

Auf der Rückfahrt nach Pyongyang besuchen wir das Pionierlager in Wonsan. Pioniere werden die Kinder mit neun Jahren und bleiben es fünf Jahre lang. Das Lager, ein großer Gebäudekomplex, liegt sehr schön in einem Park am Meer. Vor dem Haupthaus ein kleiner künstlicher See mit vielen Booten: die Kinder haben Ruderkurs. Auf einem freien Platz üben Mädchen einen Volkstanz und singen dazu. In den Lagern sind, im Gegensatz zur Schule, Knaben und Mädchen beisammen. Das Prinzip ist mir nicht einsichtig. Die Kinder, die hier zusammen sind, kommen aus dem Norden des Landes, aus dem Gebirge, für sie ist das Meer das große Neue. Die Kinder von der Küste sind im Gebirge, und für sie ist dort die neue Erfahrung. Es gibt auch Lagerzeiten, in denen. Kinder aus der Stadt mit Kindern vom Dorf beisammen sind. So lernen sie alle Land und Leute kennen. Früher war es ein Privileg für die Tüchtigsten, ins Lager, geschickt zu werden, heute ist es Teil der allgemeinen Erziehung. Jeder Schüler ist einmal im Jahr im Lager. Sie treiben Sport, sie singen und musizieren, sie wandern, sie lernen Zeltbauen und wie man sich bewährt, wenn man ohne jede Hilfe Erwachsener beim Wandern in Schwierigkeiten gerät. Sie bekommen nebenbei auch Unterricht. Man zeigt mir Räume mit Sammlungen aller Gesteinsarten, die es hier gibt, und mit allen Meerestieren, allen Schlangen, allen Vögeln und Küstentieren, und mit Landschaftsmodellen. Es gibt auch einen Raum für Vorträge. Man sagt mir, dass Kinder hier Kinder unterrichten. Leider wurde mir nicht erklärt, wie das vor sich geht. Vielleicht müsste ich meine Ansicht der Lern- und Drillschule korrigieren.

Jedenfalls sind die Pioniere hier selbstverantwortlich für den Zustand des Lagers. Ich sehe Buben beim Putzen der Schlafsäle und Mädchen beim Kontrollieren der Betten. Die Räume sind hübsch. Man sagt mir, dass das nicht immer so war. Der Präsident habe bei seinem Besuch gesagt, es sei recht ungemütlich und nicht kindgerecht hier. Da habe man sich bemüht, es besser zu machen. Mit Erfolg, wie ich sehe.

Zur Besichtigung des Lagers wird mir ein kleiner Pionier zugeteilt, ein reizender Zwölfjähriger. Er trägt auf der Uniform drei Sterne. Kein Rangabzeichen, sondern eine Art Orden für besondere Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Ich hätte ihm gern noch einen Stern aufgenäht: für seine angeborene oder anerzogene Fähigkeit, zugleich ein sehr disziplinierter Pionier und ein liebes Kind zu sein. Ein Zwölfjähriger, der seine kleine Hand in die meine schiebt, um mich zu führen, wie er seine Großmutter führen würde, und der nach einem kleinen Zögern mir meine Umhängetasche abnimmt, um sie mir zu tragen. Ich versuche mir einen deutschen Hitlerjungen vorzustellen, der das getan hätte. Undenkbar. Ein winziges Symptom, nicht gering zu schätzen: hier bleibt ein Mensch immer Mensch, ein menschenliebendes Wesen, auch wenn es eine Uniform trägt, und die Disziplin dient dazu, dass man die natürliche Trägheit und den Egoismus leichter überwindet. Ihr Ziel ist nicht der gedrillte angriffsbereite Soldat, sondern der Mensch, der sich so im Griff hat, dass er ganz natürlich den Gemeinnutz über den Eigennutz stellt.

Wie machen es denn die Nordkoreaner, dass sie spartanisch erziehen und die Kinder doch Kinder sein lassen, liebe zutunliche Kinder wie dieser Bub, der mich zum Schluss umarmt und endlos unserm Auto nachwinkt? Er hat mir übrigens feierlich das rote Dreieckstuch der Pioniere umgebunden und mich zum Ehrenpionier erklärt.

Mir fällt ein Satz Kim Il Sungs ein: "Mit Geld kann man nicht lachen, aber mit Kindern."

Im buddhistischen Kloster

Christen also gibt es noch in Nordkorea. Gibt´s auch noch Buddhisten? Natürlich: sie sind, wie die Christen, in der Volksversammlung vertreten, und es herrscht ja Religionsfreiheit.

Ich möchte ein buddhistisches Kloster besuchen. Ich stelle es' mir so vor wie jenes in Südkorea, in dem ich eine so eindrucksvolle Begegnung mit dem Abt hatte. Wie finden sich Buddhisten mit dem nordkoreanischen Sozialismus zurecht? Die südkoreanischen leben, soviel ich verstanden habe, in der inneren Emigration. Sie sind geduldet, der faschistische Staat hält sie für ungefährlich und benützt sie als Hüter der alten Tempelgüter, die zur nationalen Kultur gehören.

Wir fahren über Land nordwärts. In einem Gebirgstal, das in unsern Alpen sein könnte, liegt ein Kloster. Die Anlagen. sind schön gehalten. Auch hier sind Klöster und Tempel nationales Kulturgut. Aber während in Südkorea die Klöster Ausflugsziele für Schulkinder und Touristen sind, und tagsüber von Menschen überschwemmt, liegt dieses Kloster hier wie ausgestorben. Die Tempel sind verschlossen. Gibt es denn keine Mönche hier? Herr Chang geht sie suchen. Er findet einen. Der kommt freundlich herbeigeeilt. Ich grüße ihn mit der gehörigen Geste, ich verbeuge mich. Der Mönch ist überrascht: ich bin die, einzige, die das tut. Meine Begleiter nehmen den Mann offenbar nicht als buddhistischen Mönch, sondern als Museumswärter. Auch auf mich wirkt der Mann nicht wie ein buddhistischer Mönch. Er ist an die Sechzig und hat ein eher grobes Gesicht, jedenfalls ein bäuerliches, und ich finde keine Vergeistigung, nur jene Freundlichkeit, die alle Nordkoreaner geigen. Er ist einer von den drei Mönchen, die hier leben, lauter alte Männer. In den Bergen hoch oben, sagt der Mönch, gibt es noch Einsiedler. Wovon leben die Mönche?

Der Staat zahlt sie wie jeden Staatsbürger. Sie werden bezahlt dafür, dass sie die "National-Heiligtümer" instand halten. Sie sind also, gesellschaftlich gesehen, Angestellte wie alle Museumswärter.

Wurden sie nie verfolgt wie die Christen?

Nein, natürlich nicht, denn sie haben nichts zu tun mit dem importierten amerikanischen Christentum. Sie gehören hier her, und, so sagt der Mönch, wir waren auch immer gute Patrioten wir haben das bewiesen: -im 16. Jahrhundert gab es einen berühmten Mönch, der ein großer Held war, er versammelte fünftausend Mönche und zog mit ihnen in den Krieg gegen Japan. Der Präsident war schon hier, sagt der Mönch stolz, und er hat diesen Mönch zum Nationalhelden erklärt.

Aber, sage ich, Buddhisten dürfen doch nicht töten!?

Schon, sagt der Mönch, aber wenn viele Menschen unter einem Unterdrücker leiden und wenn es kein anderes Mittel zur Befreiung gibt, dann darf man Gewalt anwenden.

Das ist auch ein Satz aus der westlichen Theologie der Revolution. Auch die Christen, sage ich, dürfen nicht töten, und sie taten und tun es doch, und es kann auch bei ihnen eine erlaubte Handlung sein.

Ich fühle mich plötzlich sehr traurig: was ist Religion, unsre und diese und jede, wenn sie "im Ernstfall" ihre Grundprinzipien aufgibt und wenn die politische Realität sich als stärker erweist als die Lehre der Stifter? Ist Religion doch nur ein Überbau, der das Wesen des Menschen nicht trifft? Ich hätte jetzt gern einen Gesprächspartner, der meine Trauer teilte. Herr Kim könnte der Partner sein, aber dazu müssten wir eine gleiche Sprache sprechen. Wenn er wenigstens Englisch könnte. Selten habe ich so, stark gefühlt, was Sprache ist: wo sie fehlt, ist ein Hohlraum, eine Wüste. Nur manchmal treffen sich Herrn Kims wissende Augen mit den meinen, und dann werden Blicke beinahe Worte. Ich bin fast überzeugt, dass Herr Kim, einer der Chefideologen, ein homo religiosus ist. Er sagt auf meine Frage, warum es keine jungen Mönche gibt: Aber es gibt viele junge Menschen, die den Buddhismus studieren.

Gibt es dafür, einen Lehrstuhl an der Universität, allenfalls innerhalb der Geschichte?

Nein, aber innerhalb der Buddhistischen Bewegung, die auch in der Volksversammlung vertreten ist, können sie buddhistische Studien treiben. Es gibt ja auch noch Bibliotheken mit alten buddhistischen Schriften. Hier im Kloster gibt es eine solche, der Mönch zeigt sie stolz: alte hölzerne Druckstöcke noch in chinesischer Schrift, also aus der Zeit vor der Einführung der koreanischen Hangulschrift im 16. Jahrhundert.

Eines der Gebäude ist kein Museum, sondern doch wohl noch ein Tempel. Ich ziehe die Schuhe aus und bitte, vor der Buddha-Statue ein Räucherstäbchen anzünden zu dürfen. Der alte Mönch ist überrascht, er freut sich, meine atheistischen Begleiter finden das "höflich" von mir. Ich sage ihnen, dass es mehr ist als ein Akt der Höflichkeit: ich verehre das Göttliche, wo es sich zeigt und in welcher Gestalt auch immer.

Herr Kim fragt mich, was ich darüber denke, wenn ein Mensch sich von der Welt zurückzieht. Ich sage: Dann kommt die Welt zu ihm. Ich sage es, scherzhaft und deute auf unsre kleine Gesellschaft. Aber ich habe das Gefühl, als sei Herr Kim lebhaft an derartigen unzeitgemäßen Fragen interessiert. Ich kann ihn mir gut vorstellen als buddhistischen Gelehrten und Frommen in einer Einsiedelei. Er ist höherer politischer Funktionär in der Abteilung für die friedliche Wiedervereinigung Koreas. Kein Mensch, kein Volk ist auf eine einzige Formel festzulegen. Das ist tröstlich. Herr Chang, viel jünger als Herr Kim, sagt: Man darf nicht desertieren; nur Politik zählt.

Alle jungen Menschen hier haben die Hände voll zu tun mit dem Aufbau, der Weiterführung der sozialistischen Revolution. Was soll Religion hier, was soll der Buddhismus hier bei einem Volk, das sein nationales Selbstbewusstsein, in Jahrzehnten brutaler Fremdherrschaft verloren, sucht und aufbaut, das an das irdische Paradies des Sozialismus, des "Kommunismus" unverbrüchlich glaubt, und dem alles Leben handfeste politisch-gesellschaftliche Realität ist? Kein Schatten eines Zweifels, keine Notwendigkeit der Sinn-Frage, kein Bedürfnis nach Göttern, kein Raum für den Gedanken an ein Nachher. Jetzt und hier wird gelebt, gearbeitet und geglaubt. Weltverzicht? Das wäre Verrat. Und überhaupt: was soll das eigentlich bedeuten? Warum sich zurückziehen aus dieser Welt, die so schön ist?

Von weiter unten aus dem Tal kommt Musik. Sie war als Unterströmung schon den ganzen Morgen da. Jetzt ist der Wind umgesprungen und die Musik wird sehr laut. Aber sie tut nicht weh: alte Volksmusik, heiter, hübsch. Sie soll die Arbeiter positiv stimmen, die dort unten ein großes Erholungsheim bauen. Für das arbeitende Volk, sagt Herr Chang. Arbeiter sind wir alle, wir haben die klassenlose Gesellschaft, vergessen Sie das nicht, wir sind ein Volk von Arbeitern.

Später ziehe ich mich zurück ins Gästehaus, aber dann gehe ich wieder aus, allein, ich habe das Bedürfnis, allein zu sein. Neben dem Gästehaus finde ich ein kleines verschlossenes Holztempelchen, das war einmal die Zelle eines Mönchs, glaube ich. Ich setze mich auf die überwachsenen Steinstufen davor. Über mir sind die Zweige eines blühenden Kirschbaums, daneben eine, strenge hohe dunkle Kiefer. Hier hört man keine Musik, nur den Wind und -das Rauschen des Bergbachs. Ich denke nach über die Einengung des Lebens auf die Aktion, auf Politik, ich denke nach über den Verzicht auf "Metaphysik", über die Unsensibilität fürs Numinose, den konsequenten Ausschluss der Sinnfrage. Kann man leben ohne nachzudenken darüber, wohin das führe, im Individuellen, im Allgemeinen? Wozu all die Anstrengung des Lebens, und was ist mit dem Leiden, welcher Platz wird dem zugewiesen in der nordkoreanischen, Philosophie? Wird diese Frage wie die Sinnfrage überhaupt nur einfach "verdrängt", oder stellt sie sich gar nicht? Muss man sie eigentlich stellen? Man stellt sie seit Jahrtausenden und hat keine Antwort gefunden, die uns "alles erklärt". Nach dem Sinn fragen, heißt das nicht: Zeit verschwenden? Ist nicht das Leben selbst die Antwort auf die Sinnfrage? Man lebt, man liebt einander, man arbeitet, man zeugt, gebärt, erzieht Kinder, man sät und erntet, man erlebt den Wechsel der Jahreszeiten, man feiert Feste - genügt das nicht? Aber muss nicht Kim Il Sung oder mein Herr Kim, der Nachdenkliche, sich einmal fragen, woraufhin sie zielen? Auf das Glück des Volkes? Aber sie, wissen, dass nichts dauert, also auch nicht der Friede und nicht das Glück. Was dann? Braucht man nicht doch das, was man Religion nennt? Aber was ist das denn? Es ist das Gefühl, eingebettet zu sein in einen Sinn-Zusammenhang. Und haben das die atheistischen Nordkoreaner nicht in hohem Maße? Sie sind keine Materialisten, durchaus nicht. Was sind sie dann?.

Jenseits des Mäuerchens taucht ein Mensch auf, ein sehr junger Soldat, er sieht mich nicht, er pflückt sorgfältig ein paar Blümchen, dann blickt er auf und sieht den blühenden Kirschbaum und bleibt stehen, hingerissen, selbstvergessen, glücklich lächelnd. Was denkt, was fühlt er? Offenbart sich ihm das Göttliche und damit DER SINN in diesem Baum? WAS ist Atheismus ...?

Nordkoreas Gefängnisse

Was macht ein totalitärer Staat mit seinen Oppositionellen? Schon voriges Jahr brachte ich die Sprache darauf und hörte als Antwort, es gebe keine politischen Verbrecher, also keine Gefängnisse für solche. Was es gebe, seien Häuser für Umerziehung. Ich schrieb darüber in meinem ersten Reisebericht, stieß damit im Westen auf Skepsis und begann selbst zu zweifeln: Was waren die Umerziehungshäuser? Man sagte nicht: Lager; man sagte Häuser. Das macht schon einen Unterschied, dennoch nahm ich mir vor, bei der nächsten Reise darauf zu bestehen, genaues darüber zu hören und so ein Haus zu besichtigen. Würde man es mir erlauben?

Solange Rudolf Bahro bei mir war, überhörte man meine Bitte. Das ist also die Methode, einem etwas abzuschlagen ohne Begründung, so dachte ich in westlicher Skepsis. Aber ich irrte: ich war nur dem Fehler aller westlichen Besucher, besonders der kurzatmigen Journalisten, verfallen, nicht warten zu können. Auch begriff ich nicht sogleich, dass man mir, aber nicht Bahro, solche Wünsche erfüllen mochte, man kannte ihn zu wenig, und er kam immerhin aus der sowjetisch gebundenen DDR, wenn auch emigriert. Sobald er abgereist war, hörte ich, dass wir eines der Umerziehungshäuser besuchen würden. Tatsächlich fuhren wir dann aufs Land im Norden der Hauptstadt, wo das Haus steht. Wir waren zu dritt: Kim der Lehrer, Kim der Dolmetscher und ich. Die beiden hatten das Haus nie gesehen. Ich war, so sagte man mir, der erste Ausländer, der den Wunsch, ein Gefängnis zu sehen, geäußert habe.

Wir sehen schließlich vor uns ein zweistöckiges Haus inmitten von Wiesen und Feldern. Das müsste, meinte Kim, das gesuchte Haus sein. Es sieht aus wie eine Jugendherberge. Meine westlichen Vorstellungen von Gefängnis wollen nicht dazu stimmen. Keine Mauer, keine Wachttürme, kein Stacheldraht, kein Gitter vor den Fenstern. Auf der Auffahrtsstraße arbeiten Frauen, sie schaufeln den Reis zum Trocknen von einer Stelle zur andern. Keine schwere Arbeit. Sie tragen Nummern auf ihren Jacken. Sträflinge also. Sie senken die Köpfe, sie schämen sich. Eine Frau nähert sich, eine Aufseherin wohl, sie ist freundlich und entspricht nicht dem westlichen Typ von Aufseherinnen. Sie weiß nichts von unserm Besuch, sie holt den Direktor, der auch nichts weiß. Schon denke ich genau wie westliche Kollegen denken: Aha, da hat man mich, hintergangen. Weit gefehlt: es ist nur die Erlaubnis vom Justizministerium noch nicht eingetroffen. Ein Telefongespräch mit Pyongyang bringt die Erlaubnis. Mir ist´s recht, dass man überrascht ist, so konnte man nichts schönen für den westlichen Besucher. Ich sehe also den Alltag dieses Hauses. Ist es ein Gefängnis? Ja und nein. Ja, denn die Leute sind inhaftiert. Nein, denn es gleicht in nichts den Gefängnissen andrer Länder, die ich kenne.

Es gibt keine Einzelzellen, man schläft zu zehnt oder zwölft in einem Schlafsaal, man liegt, wie es in ganz Korea üblich ist, auf Matratzen, die dem ondulgeheizten Fußboden aufliegen, an den Fenstern keine Gitter, die Korridore ohne Gittertüren. Auch zwischen dem Trakt für Männer und dem für Frauen kein Gitter, nicht einmal eine verschließbare Tür. Wem auch würde es einfallen, die unsichtbare Schranke zu überschreiten?

Eine lange Unterredung mit dein Direktor, der ein Vatertyp ist, warmherzig, freundlich, offen, um so offener, als er zum ersten Mal mit einem ausländischen Besucher spricht. Er antwortet unbefangen auf jede meiner Fragen.

Für welche Vergehen ist man hier inhaftiert?

Für Diebstähle, für fahrlässige Schädigung des Betriebs, für anhaltende Faulheit, für wiederholtes unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit.

Und für Mord?

Mord? Aber das kommt doch nie vor; nicht einmal von Totschlag weiß ich.

Todesstrafe gibt es also nicht, oder?

Er wehrt entsetzt ab. Was denken Sie! (Soviel ich weiß, gibt es die Todesstrafe noch, doch wird sie seit langem nicht mehr verhängt.)

Aber lebenslänglich?

Oh nein! Die gesetzliche längste Strafdauer ist ein Jahr, aber jeder Häftling hat es selbst in der Hand, wann er entlassen wird.

Wie das?

Im Tagesraum sehe ich Wandtafeln mit graphischen Darstellungen. Jeder Häftling hat seine Zeichnung: drei verschiedenfarbige Türmchen, eines für Arbeitsleistung, eines für Fortschritt im Unterricht (Kenntnis und Verständnis der Juche-Ideologie), und eines für gutes Betragen, wobei Hilfsbereitschaft am wichtigsten ist, Wer seine Türmchen aufgefüllt hat, kann als umerzogen gelten und wird entlassen. Er kehrt in seinen Betrieb zurück, wo ihm aus der Strafzeit keinerlei Nachteile erwachsen. Man wird nicht diskriminiert, man hat Fehler begangen und gebüßt, das ist alles.

Aber was für Leute sind das hier, ich meine, aus welcher Bevölkerungsschicht kommen sie?

Aus verschiedenen, aber die meisten sind Arbeiter. Und wenn nun Betriebsleiter Fehler begehen?

Sie werden abgesetzt und müssen an andrer Stelle als Arbeiter von unten beginnen, meist in einem Betrieb fern von dem, in dem sie Fehler machten. Das ist eine harte Strafe.

Und (ich wage mich weiter vor) wenn es höhere Funktionäre sind?

Die haben wir nicht hier und ich weiß nicht, was mit ihnen geschieht. Aber ich meine, wer weiter oben steht, wird sich doch wohl seiner Verantwortung bewusst genug sein!

Und wenn es politische Verbrecher sind? Politische Verbrecher? Was meinen Sie damit?

Leute, die gegen die Politik Kim Il Sungs sind. Solche gibt es doch wohl, oder?

Das weiß ich nicht, aber ich denke, dass man sie wegen Kritik am Regime nicht einsperrt. Man hat ja das Recht, zu sagen, was einem nicht passt, dafür haben wir die Volksvertretung.

Dabei lasse ich es bewenden, nehme mir aber fest vor, das Thema ein andermal zur Sprache zu bringen, bei der nächsten Reise ganz sicher.

Was ich dieses Mal noch erfahre: Isolationshaft gibt es nicht, Folter ist ausgeschlossen, körperliche sowieso, aber auch seelische. Es gibt keine Besuchssperre, keine Briefzensur, keine Schläge, kein Anschreien, keine Demütigungen.

Ich denke an meine eigene Gefängniszeit unter Hitler, aber auch an alle Strafgefangenen in bundesdeutschen Gefängnissen, ich denke an Stammheim. Und da redet man in der Westpresse von einer finsteren Diktatur in Nordkorea?

Hier ist man sehr darauf bedacht, dass die Häftlinge nicht desintegriert werden; darum ist die Haftzeit kurz und human und ohne negative Folgen, und darum wird das Briefschreiben gefördert, ist die Post nicht zensiert und sind Besuche nicht überwacht. Der Gefangene bleibt Glied der Gesellschaft und muss möglichst rasch wieder ins normale Arbeitsleben eingegliedert werden.

Wie verläuft der Gefängnistag?

Acht Stunden Handarbeit in Garten und Feldern und bei den Tieren, zwei Stunden Unterricht, dann Freizeit im Tagesraum, mit Fernsehen und Spielen.

Der Direktor sagt: Der große Führer Kim Il Sung sagt, man dürfe Menschen nicht durch Strafen entmutigen, sondern müsse mit Argumenten überzeugen und mit beispielhafter Haltung. Angst ist das schlechteste Erziehungsmittel. Unterdrückung erzeugt Hass und Widerstand. So handelt er selbst, also handeln auch wir so.

Ich sehe, dass die Aufseher und der Direktor keinen Revolver tragen.

Wozu brauchen wir einen? Wenn ein Häftling wegläuft!

Aber es läuft ja keiner weg, jeder büßt einsichtig seine Schuld, und wohin sollten sie auch entlaufen? Und vor allem: wir dürfen doch nicht schießen, was denken Sie! Man schießt nur im Krieg, und wir hoffen, dass wir nie wieder dazu gezwungen werden.

So also sieht ein nordkoreanisches Gefängnis aus. Warum kann ein deutsches, hüben und drüben, oder sonst eines auf unsrer Erde nicht ebenso aussehen? Warum: weil in keinem andern Land das Gesetz der Milde herrscht, das nicht Strafe will, sondern Erziehung, und weil kein anderes Volk aus dem Geist der Gemeinschaft lebt, der verlangt, dass man sein Bestes gibt und dem Staat keinen Schaden zufügt und dass man der Revolution nicht in den Rücken fällt. Darum. Weil wir im Westen zwar von Humanität reden, aber gegenteilig handeln. Und schließlich: weil wir keinen Kim Il Sung haben als vorbildliche Vaterfigur. Und auch, weil wir individualistische Europäer sind, die nach zwei Jahrtausenden Christentum noch immer nicht wissen, was das ist: christlich denken und handeln.

Etwas aber fiel mir auf dieser zweiten Reise als Negativum auf: Einige der Funktionäre, die ich kennen lernte, zeigen eine ständige Angst, Fehler zu machen, eine Haltung, die mich an die Sündenangst konservativer Christen erinnert. Man fürchtet nicht die staatliche Justiz und die Strafe, sondern das Urteil des eigenen sozialen Gewissens. Man fürchtet, vor den Forderungen der Revolution zu versagen. Man fürchtet gewiss nicht Kim Il Sung, aber den Liebesentzug, sozusagen, wobei man selbst sich das Urteil spricht. Es ist eine Form immerwährender Selbstkontrolle und Selbstzensur, die wirksamer ist als jede Kontrolle und Zensur von außen und oben. Immer wieder höre ich, wenn ich mich für Dienste bedanke: Aber das ist doch meine Pflicht! Man erfüllt seine Pflicht jedoch nicht zähneknirschend, sondern im Bewusstsein, damit der Revolution zu dienen und dem großen Vater, dem Über-Ich, der das kollektive Gewissen darstellt. Seit meinem Besuch in diesem Gefängnis beurteile ich alle Länder nach dem Stand ihrer Gefängnisse, sie spiegeln aufs genaueste den Geist und die Politik des betreffenden Landes.

Stammheim paßt nicht nach Nordkorea, Als ich mit Bahro zusammen im "Diamantgebirge" (Kumgangsan) war, sahen wir in einem Dorf eine große bunte Bildtafel mit Darstellungen, aus denen wir nicht klug wurden, alte Weiblein mit Reisigbündeln, Pilzsammler, Fischer, Soldaten, Holzfäller, und auch ein Hirschgeweih. Das, so sagte man uns, sind die Tarnungen der südkoreanischen Spione. Bahro und ich lachten laut heraus: Sie kommen als Hirsche? Es ist nicht zum Lachen: tatsächlich wurden Spione gefunden, welche Tierfelle trugen und so sich durch die Wälder schlichen.

Was macht Nordkorea mit den Spionen? Schickt es sie, wenigstens sie in Lager?

Keineswegs; man verhört sie, jedoch ohne Folter; wenn sie die ~ gewünschten Informationen preisgeben, werden sie nach Südkorea zurückgeschickt. Denn was sollte man mit unnützen Essern und mit Feinden und Saboteuren im Land? Es kam jedoch schon oft vor, dass es Südkoreaner vorzogen, in Nordkorea zu bleiben und statt das gefährliche Leben eines Spions im Dienste letztlich der ungeliebten USA zu führen, ein ungefährliches und nützliches im Dienste des Brudervolks zu beginnen.

Diese Information muss ich ungeprüft hinnehmen, doch scheint sie mir nicht unwahrscheinlich. Ich könnte der Sache nachgehen, stünde es mir wirklich dafür und hätte ich genügend Zeit; verbieten würde es mir niemand.

Alles in allem: der Gefängnisdirektor sagt voller Stolz, als sei es sein persönliches Verdienst, die Zahl der Straffälligen gehe von Jahr zu Jahr zurück. Im Lauf der letzten Jahre sei sie um die Hälfte vermindert, daran sehe man, wie der Geist der Revolution sich auswirke.

Als ich bei meinem Treffen mit Kim Il Sung das Thema Justiz zur Sprache bringe, die Frage der Oppositionellen noch ausklammernd, erklärt er mir seine Stellung zum Strafvollzug, und er tut es, indem er mir eine Geschichte erzählt, die mir schon meine Begleiter mit Vergnügen erzählt hatten. Er habe kürzlich eine militärische Einheit besucht und sich nach dem Stand der Disziplin erkundigt. Der Obere erklärte schuldbewusst, er habe drei Fälle von Verletzung der Dienstpflicht zu melden. Der erste Fall: Ein Soldat habe sich während einer Übung von der Truppe entfernt, um sich mit seinem Mädchen zu treffen. Der zweite: Ein Soldat habe von einem Feld Maiskolben gestohlen. Der dritte: einer habe sein Gewehr wiederholt nicht geputzt. Kim Il Sung sagte: Der letztere Fall muss bestraft werden, denn ein Soldat muss die Waffe sauber halten, das ist Dienstvorschrift. Die Sache mit dem Mais trifft aber dich, denn wenn der Soldat Mais stiehlt, so heißt das, dass er ein Bedürfnis nach Frischnahrung hat, und du befriedigst es nicht. Also keine Verletzung der Dienstvorschrift. Und was den andern Fall betrifft, mein Lieber, da muss ich dich fragen, ob du nie jung und verliebt warst, und warum du nicht so bist, dass ein Soldat dich zu bitten wagt, die Truppe für eine halbe Stunde zu verlassen.

Mir scheint, ich wisse für dieses Mal genug und könne die weiteren Fragen aufs nächste Jahr verschieben; sie bleiben aktuell.

Der Nachfolger

Warum nur wirbelt die Frage, wer Kim Il Sungs Nachfolgersein wird, soviel Staub auf in der Weltpresse? Weil man Nordkorea etwas am Zeug flicken will, wo immer man kann, und es wird als Negativum gesehen, dass der Nachfolger Kim Jong Il sein soll, der älteste Sohn des Präsidenten. Was geht´s uns an? Man sagt, Kim Il Sung wolle eine Erbdynastie einrichten. Angesteckt von der Westpresse, beschließe ich, der Frage skeptisch nachzugehen.

Es ist reiner Zufall, dass ich 1981, auf der zweiten Reist, irgendein Fischerhaus nach meiner Wahl besichtigend, dort an der Wand einen Buntdruck von Kim Jong Il sehe. Aha, denke. ich, so weit ist man also schon in der Nachfolgerfrage. Da fällt mein Blick auf die Wand gegenüber, und da hängt das Bild Kim Il Sungs. Man ist vorsichtig, denke ich, man bereitet die Sache langsam vor.

In einem andern Haus sehe ich die Bilder der beiden nebeneinander hängen, in einem andern nur das Bild Kim Il Sungs, und in einem andern einen Buntdruck mit den beiden vereint. Da in diesem Lande nichts zufällig ist, sondern alles einem Plan und einer Order folgt, muss ich annehmen, dass der Bildgeschichte eine Methode zugrunde liegt. Meine Frage: Ist derjenige, der nur das Bild Kim Il Sungs hängen hat, ein Gegner Kim Jong Ils? Ist der, welcher nur das Bild Kim Jong Ils hat, ein Gegner Kim Il Sungs? Und ist der, welcher das Bild mit den beiden hat, mit der Nachfolge durch Kim Jong Il einverstanden, weil es Kim Il Sung so will? Dies meine Frage an meine Begleiter. Sie merken nicht, worauf ich ziele und was ich kritisiere, sie antworten unbefangen, dass für sie die Frage der Nachfolge praktisch gelöst sei, wenngleich es verfrüht sei, sie überhaupt zu stellen. Offiziell sei sie ja auch noch gar nicht gestellt. Ob sie mit Kim Jong Il als Nachfolger zufrieden wären? Warum sollten wir es nicht sein? Weil man Ihnen den Nachfolger in beschlossener Sache vorsetzt, statt es Ihrer Wahl zu überlassen. Wäre kein andrer Mann fähig zur Nachfolge?

Kim Jong Il ist der Fähigste. Er gehört der jüngeren Generation an. Wenn er wirklich die Nachfolge antritt, so wird er immer noch jung sein und es wird bei uns keine Überalterung in Staat und Partei geben wie in der Sowjetunion. Es ist gut, dass wir einen Nachfolger zumindest ins Auge gefasst haben: Es wird nicht so gehen wie in Jugoslawien, wo seit Titos Tod keiner da ist, der in seinem Sinne weiterarbeitet. (Übrigens gibt es andere Länder mit Familiennachfolge, wie zum Beispiel Indien, worüber sich niemand aufregt.)

Einer meiner jungen Begleiter sagt: Ich habe mit Kim Jong Il ein der Universität in Pyongyang studiert; er hat Politologie studiert und Philosophie, und er ist ausnehmend gescheit, Außerdem ist er ein sehr guter Pianist. Und er war immer ein guter Kommilitone. Nie hat er seine Position als Sohn des Präsidenten ausgenützt. Er war immer nur einer von vielen, aber der beste.

Webt Ihr jetzt schon eine Legende um ihn? fragt ich boshaft. Sie verstehen mich nicht.

Ich sehe einen Filmstreifen mit Kim Jong Il. Er ist um eine Spur kleiner als sein Vater und scheint ein musischer Mensch zu sein. Er ist, so scheint es, weicher als der Vater. Er hat ja auch kein Partisanendasein hinter sich. Als er 7 Jahre alt war, starb seine Mutter, später heiratete Kim Il Sung wieder. Der Sohn, als der Älteste, lag dem Vater natürlich sehr am Herzen, und er zog ihn bald nach der Beendigung des Universitätsstudiums zu politischen Aufgaben heran. Mir scheint sicher und auch legitim, dass er ihn als Nachfolger in Betracht zieht.

Was regt den Westen daran so auf? Dass ein Vater seinen Sohn zum Nachfolger will? Dass diese Absicht undemokratisch ist, da von oben herab bestimmt? Weil es das Bild der Diktatur bestätigt? Weil dieser Diktator selbst noch über seinen Tod hinaus regieren will?

Wenn nun aber dieser Kim Jong Il nicht in erster Linie Sohn des Vaters ist, sondern tatsächlich der fähigste junge Mann im Staat? Wenn er der Verlässlichste ist? Wenn er die stetige ruhige Entwicklung der Politik Kim Il Sungs garantiert? Wenn damit das Risiko einer Abweichung von der Linie vermieden werden kann? Wenn das Volk ihn wirklich will? Wenn die Bestimmung des Präsidenten dem Volkswillen entgegenkommt? Warum schließt der Westen diese Möglichkeit aus? Ich sehe das anders, zumal ich weiß, dass ein Volk, das zwar den Konfuzianismus, als zur Feudalperiode gehörig, ablehnt, aber dennoch zumindest unbewusst von ihm bestimmt wird, es natürlich und gut findet, wenn, wie von alters her, der älteste Sohn die Nachfolge, des Vaters in der Familie antritt. Warum nicht auch in der Volksfamilie?

Ergänzung zur Frage des Nachfolgers, 1982

Kurz vor meiner Abreise las ich in der Weltpresse, es gebe in Nordkorea starke Spannungen zwischen Kim Il Sung und seinem Sohn aus erster Ehe einerseits und seiner zweiten kinderlosen Frau andererseits. Kinderlos? Sie hat drei Kinder zwischen zehn und zwanzig Jahren. Und Spannungen hinsichtlich der Nachfolge? Sollte sie den Sohn aus erster Ehe zugunsten eines ihrer Kinder ausschalten wollen? Absurd, denn die Kinder sind alle zu jung. Oder sollte sie für sich selbst die Nachfolge anstreben? Sie hat keinerlei politische Ambitionen, sie hat auch keine Stellung in der Regierung oder in der Partei, sie erscheint selten in der Öffentlichkeit, sie leitet eine Frauenorganisation. Die ganze Sache ist absurd. Was soll bezweckt werden mit dieser Nachricht? Man konstruiert vorsorglich einen Fall Jiang Quing (Tschiang Tsching), eine Analogie zur "Viererbande" in China nach Mao Tse-tungs Tod, Aber warum? Wozu? Die Sache ist durchsichtig. Indem man eine Rivalität behauptet, stellt man Kim Il Sungs Position in Frage und damit die Zukunft Nordkoreas. Der Zweck dieser Lüge: Südkorea zu verunsichern und es vor der Wiedervereinigung zu warnen, da es unliebsame Überraschungen geben werde.

Mißtrauen zu säen ist eine übliche Taktik. Jedoch: sie steht auf Flugsand. Kim Il Sungs Stellung ist sicher, und sicher Nordkoreas Zukunft, ob nun Kim Jung Il Nachfolger sein wird oder ein andrer, Was mich wundert: Obwohl nach wie vor die Bilder der beiden "Führer" in den Häusern hängen, spricht man nicht von der Nachfolge. Vermutlich deshalb, weil die Sache nicht mehr diskutiert zu werden braucht. Oder aber, weil es koreanischem Takt widerspricht, mit Reden vom Nachfolger auf Kim Il Sungs Alter anzuspielen, was übrigens wirklich verfrüht ist, denn Kim II Sung ist kein "greiser Präsident", wie im "Spiegel" zu lesen war, sondern trotz der siebzig Jahre ein energiegeladener gesunder Mann mit ungebrochener Vitalität. Man spricht in Nordkorea sehr viel von Kim Jong Il und seinen Leistungen. Ich kann die Ergebnisse seiner Arbeit sehen. Dort, wo vor zwei Jahren eine Ansammlung von rasch gebauten Nachkriegshäusern war, erhebt sich jetzt ein ganz neues Stadtviertel mit Hochhäusern. und modernen Wohnungen, deren jede vier Zimmer hat, Einbauküche, Bad, Kühlschrank, Zentralheizung, und bereits möbliert vor Einzug der Bewohner.

Ich sah einige dieser Wohnungen, sie sind so, dass man wünscht, alle Arbeiter der Welt wohnten so. Tatsächlich wohnen hier vorwiegend Arbeiter, und zwar bevorzugt solche aus der Schwerindustrie. Mein Dolmetscher, Akademiker, sagt, seine Wohnung sei weniger gut, aber bald werde auch er eine neue haben. Überall wird gebaut und überall wird kurzerhand alte Bauwerk abgerissen, um Platz zu schaffen für neues. Und die Mieten für die neuen Häuser, sind sie hoch? Mieten? Hier in Nordkorea zahlt niemand Miete, die Häuser gehören doch dem Volk, man zahlt nur elektrischen Strom und Gas, doch kostet beides wenig. Das bringt mich auf die Frage der Steuern. Ich schrieb im ersten Bericht, hier gebe es keine Steuern. Meine Behauptung stieß im Westen auf mitleidiges Lächeln oder bestenfalls auf die neugierig-ungläubige Frage, wie das der nordkoreanische Staat denn mache, er brauche doch Steuergelder. Natürlich, er braucht sie, aber er hat seine eigene Methode, sie zu erheben: er zieht sie vom Einkommen ab; das erspart nicht nur die Kosten für eine aufgebauschte Finanzverwaltung, sondern verhindert die Demoralisierung durch die Versuchung zur Hinterziehung von Steuern.

Grundstücks- und Bauspekulation gibt es nicht, und niemand braucht Angst zu haben, aus der Wohnung geworfen zu werden; das gibt ruhige Sicherheit und Geborgenheit, wie denn alles auf diese Geborgenheit zielt.

Außer den Wohnhäusern entstanden unter Kim Jong Ils Leitung einige schöne und zweckmäßige offizielle Bauten, so die große Staatsbibliothek, der neue Sportpalast, das Triumphtor und einer der schönsten modernen Plätze, die ich je sah: der Platz der Juche, welcher der Bibliothek gegenüber auf der anderen Seite des Flusses Taedong liegt: eine Riesenterrasse mit Blumenbeeten, Bäumen und Wasserspielen rings um die hohe Säule mit der Juche-Flamme. Voriges Jahr war hier noch nicht einmal ein Bauplatz. Dass diese Arbeit in der Rekordzeit von knapp einem Jahr geleistet werden konnte, ist. der Stolz des Volks: hier haben alle mit Hand angelegt; auch, mein Dolmetscher hat hier in allen seinen freien Stunden geholfen. Natürlich ohne Bezahlung: es war eine Ehre mitzuhelfen, sagt er. Das Bewusstsein, dass allen alles gehört, ist schon überwältigend, und die Erfahrung, dass hier Geld wirklich keine Rolle spielt, beschämt den westlichen Menschen, der alles nur für Geld tut, da er nicht weiß, wofür sonst er sich anstrengen soll.

Kim Jong Ils Werk ist auch die Landgewinnung an der Westküste. Hier wird, indem aus einem Bergwerk die sonst landschaftsstörende Schlacke mit dem Förderband angefahren und ins Meer geschüttet wird, eine große neue Anbaufläche gewonnen. Die Idee mit der Schlacke auf dem Förderband ist Kim Jong Ils Einfall, wie er denn überhaupt eine Reihe praktischer Einfälle hatte. Offiziell wurde ihm vorn Parlament die Leitung des Bauwesens übertragen, doch gilt seine besondere Sorge der Kultur und den Künstlern, vor allem interessiert er sich für Filmkunst, und durch seine Anregung entstanden einige sehr schöne Filme, die sehr wohl mit den besten westlichen Filmen konkurrieren können hinsichtlich der Technik, der Regie, der Qualität der Schauspieler. Hinsichtlich des ethischen Gehalts sind sie überlegen. Es gibt keine Pornofilme und keine Gewaltfilme. Das Humane ist es, was dargestellt wird. Sie stehen auch durchaus nicht alle im Dienst der Revolutionsidee, ihr politisch-erzieherischer Gehalt ist immanent, nicht aufgetragen.

Da Kim Jong Il ein musischer junger Mensch ist, wird er auf dem Gebiet der Kultur einige Öffnungen schaffen; doch wäre es falsch zu denken, es gebe grundsätzliche Änderungen. Dass während meines Aufenthalts die Komposition "Gwangju" des exilierten, vielmehr aus der Heimat vertriebenen Südkoreaners und Bundesdeutschen Isang Yun in Pyongyang aufgeführt wurde (der erste Versuch, das koreanische Ohr an westliche Musik zu gewöhnen), ist vielleicht auch durch Kim Jong Ils Fürsprache möglich geworden. Allerdings liegt das Stück durchaus auf der Linie der Politik Kim Il Sungs selbst. Kim Jong Il ließ mir sagen, er habe einige meiner ins Koreanische (Seoul) übersetzten Bücher gelesen und sehr viel Gefallen daran gefunden, auch wenn sie ganz anders sind als die nordkoreanische Literatur.

Übrigens werde ich dieses Mal immer wieder korrigiert, wenn ich von Kim Jong Il als dem SOHN spreche. Das sei ganz unwichtig und im Grunde zufällig. Kim Jong Il sei nicht SOHN, sondern GENOSSE. Ich nehme das zur Kenntnis und verstehe es.

Wie kam Kim Jong Il zu seiner Stellung, die er also nicht seinem Sohnsein verdankt, sondern seinen Fähigkeiten?

Er begann als einfaches Parteimitglied, wurde dann Mitarbeiter im Zentralkomitee der Arbeiterpartei, dann Mitglied des Präsidiums, im Politbüro des Zentralkomitees und gleichzeitig Sekretär im ZK. Von sich reden machte er bereits in den Jahren 1966/67, in der Zeit der inneren Spannung, als sich eine Tendenz zum Revisionismus breit zu machen drohte, das heißt, als noch vorhandene und wieder auftauchende konservative Kreise eine wenigstens teilweise Rückkehr zum Privateigentum und zum Privatunternehmertum forderten und also die Revolution in ihrem Fortschreiten hindern wollten. Damals war es der noch sehr junge Kim Jong Il, der diese Tendenz zum Kapitalismus bekämpfte und dafür sorgte, dass die Parteilinie eingehalten wurde. So wenigstens erzählt man mir, und ich habe keine Ursache, daran zu zweifeln, auch nicht daran, dass Kim Il Sung Bedenken äußerte, als das Politbüro des ZK 1974 den erst Dreißigjährigen ins Präsidium wählte; er sei doch zu jung für diese Stellung. Aber man hielt Kim Il Sung lachend entgegen, dass er dann selbst auch viel zu jung war, die Regierung Nordkoreas zu übernehmen - als Zwanzigjähriger. Es gab bei der Wahl nur eine einzige Gegenstimme: die Kim Il Sungs, Wie ernst der Protest gemeint war, weiß ich nicht. Sicher ist, dass das Volk innerhalb und außerhalb von Regierung und Partei den jungen Mann liebt. Man spricht von ihm als dem "geliebten Führer" in Unterscheidung zum "großen Führer", zwei Wörter, die bei uns in der Bundesrepublik so großen Anstoß erregen. Zu Unrecht: es ist ein Sprachproblem. Im Koreanischen gibt es keinen genau entsprechenden Ausdruck für das, was im Englischen so sachlich LEADER heißt und was im Deutschen so negativ besetzt ist, seit Hitler sich "Führer" nennen ließ. Mag das Wort "Führer" auf Kim Il Sung anwendbar sein: auf Kim Jong Il ist es nicht anwendbar und wird es nicht angewandt. Im Koreanischen heißt "der große Führer Genosse Kim Il Sung" (phonetisch übertragen): "winae han surjong Kim Il Sung dong dzi", wobei "dong dzi" Genosse heißt. Kim Jong Il aber heißt: "inae hanum dzido dza Kim Jong Il dong dzi". Das Wort Führer kommt also nicht vor, aber in der deutschen Übersetzung heißt es: "der geliebte Führer Kim Jong Il". Würden wir davon absehen, nicht gerade "Führer" zu sagen, sondern Leader, wäre eine Peinlichkeit ausgeräumt.

Ich habe mich daran gewöhnt, hundertmal am Tag zu lesen und zu hören: " der große Führer Kim Il Sung" und "der geliebte Führer Kim Jong Il". Ich habe begriffen, dass ich in Korea bin, also im Fernen Osten und dass es mir nicht gut ansteht, die Koreaner in ihrem Lebens- und Sprechstil korrigieren. Man ist hier ungemein, höflich, ja formell. So sprechen sich meine Begleiter nicht mit Vornamen und mit du an, sondern mit ihren Titeln: Genosse Vorsitzender, Genosse Sekretär. Nur allerengste Freunde kennen das Du. Ich bemerke auch, dass man Personen ohne Titel dennoch eine Art Titel beilegt, der, einmal erfunden, bleibt: das freundliche Fräulein Tscha, das geschickte Fräulein Tschang.

Mich stört auch nicht mehr, was voriges Jahr Rudolf Bahro so lächerte beim Empfangsessen: dass derjenige, der von Kim Il Sung spricht, sich leicht vom Sitz erhebt; auch Willy Brandt fand das komisch übertrieben, als bei einer Sitzung in Genf die Delegierten Nordkoreas sich so erhoben, wenn sie von ihrem Präsidenten sprachen. Aber ich verstehe das: es ist ein Rest jahrtausendealter konfuzianischer Erziehung zur Ehrfurcht vor dem Höhergestellten, und es ist Ausdruck jene inneren Anmut, die allen Koreanern eigen ist. Vor allen Dingen aber ist es das Zeichen des tiefen Respekts, den die Nordkoreaner ihrem Präsidenten entgegenbringen. Nordkoreanische Kinder werden früh zur Höflichkeit erzogen, und sie üben sie mit Grazie und Selbstverständlichkeit. So hat mich dieses Mal wieder sehr erfreut, als ein zwölfjähriger Schüler der Kadettenschule (in der nur Kinder aufgenommen worden, deren Eltern bei Arbeitsunfällen oder beim Militär, sterben) mir die Handtasche trug und mich am Arm führte. Immer wieder fällt mir auf, wie rüpelhaft wir im Westen sind. Hätten wir, denke ich, doch einen Politiker, bei dessen Nennung wir vor Begeisterung und Ehrfurcht aufstünden!

Noch einmal etwas zum Personenkult

An diesem Wort hakt sich der Westen fest, als sei dies der Schlüssel zum Verständnis der nordkoreanischen Politik, die berechtigte Ursache zur Verzögerung der Aufnahme diplomatischer Beziehungen etwa der Bundesrepublik zu Nordkorea und der Beweis dafür, dass Nordkorea eine finstere Diktatur sei, kurzum der einzige wahre Grund für die vorsichtige oder ablehnende Haltung Nordkorea gegenüber.

Welches Spiel wird da gespielt?

Was hat eigentlich der Personenkult in Nordkorea mit Nordkoreas Außenpolitik zu tun? Kann ein nach innen diktatorischer Staat nicht eine gute Außenpolitik machen?

Natürlich ist das westliche Insistieren auf dem "Personenkult" nichts als psychologische Hetze.

Ich habe mich hart auseinandergesetzt mit dem auch mir missfälligen Kult um Kim Il Sung. Aber ich habe endlich begriffen, was das wirklich ist.

Natürlich bezieht sich der "Kult" auf die konkrete Person Kim Il Sungs: die großen Tafelbilder stellen ihn dar, die Kolossalstatuen tragen sein Gesicht, die Lobeshymnen nennen seinen Namen und alles, was mit ihm zu tun hat, ist sakrosankt.

Jedoch: dieser Mann ist dem Volk weit mehr als eine individuelle Figur, er ist das Über-Ich des ganzen Volks. In ihm erkennt und ehrt das Volk sich selbst. Er ist die Personifizierung der Seele Koreas. Der Kult gilt scheinbar seiner Person, er gilt aber weit mehr dem Volk selbst, er gilt der Idee, deren Repräsentant er ist. Natürlich verehrt das Volk auch seine Person, und mit Recht, denn er war es, der aus Schutt und Asche 1953 einen Staat aufbaute, in dem jeder Arbeit, Brot, Wohnung, Altersversorgung, kostenlose Bildungsmöglichkeit und kostenlose Gesundheitsfürsorge hat. Mehr noch: er hat dem Volk seine nationale Identität gegeben, die es im Lauf der fast vierzig Jahre dauernden japanischen Kolonialherrschaft, das heißt Unterdrückung verloren hatte. Wirklich: Grund genug, den Mann zu verehren.

Ein westdeutscher Journalist schrieb, Nordkorea sei ein "künstlicher Staat" und Kim Il Sung betrachte sich als "seinen Schöpfer".

Frage: Gibt es einen "natürlichen Staat"? Sind nicht alle Staaten künstliche Gebilde, durch menschlichen Willen und meist mit Gewalt errichtet?

Weitere Frage: Wann wurde der künstliche Staat Nordkorea errichtet? Wann ist der künstliche Staat DDR und, der andere, Bundesrepublik, entstanden? Nordkorea entstand bei der Teilung Koreas durch die Mächte, die auch Deutschland teilten. Wieso aber wird nur Nordkorea (und nicht auch Südkorea) als "künstlicher" Staat bezeichnet? Und wie könnte demnach Kim Il Sung sich als dessen Schöpfer bezeichnen?

Hat, wie ein andrer westdeutscher Journalist schreibt, Kim Il Sung den Kult seiner Person selbst so "irrwitzig" aufgebaut? Gewiss hat er nichts getan, ihn zu verhindern, und gewiss hat er ihn gefördert, aber nur aus politischen Gründen: das Volk muss in ihm das einigende Prinzip sehen, es muss auf Schritt und Tritt an ihn erinnert und auf ihn ausgerichtet werden. Er selbst aber wird davon nicht berührt. Er ist eine Nummer zu groß, um eitel oder gar größenwahnsinnig zu sein. Er ist die Vernunft in Person und er benutzt alle erlaubten Mittel, sein Volk in der Einheit zu halten.

Er ist sehr einfach in seinem Verhalten. Alle Ovationen nimmt er mit etwas melancholischer Freundlichkeit entgegen. Sagt man ihm Respektvolles über seine Erfolge, so sagt er gelassen: "Das hat mein Volk geschaffen, das ist das Werk der Arbeiter."

Und er meint es so.

"Meine Politik ist denkbar einfach und durchschaubar", sagte er mir bei meinem letzten Besuch.

Er selbst ist so einfach nicht. Aber nicht, als sei er doppelbödig. Doch ist er weit komplizierter, als man denkt. Hielt ich ihn im ersten Jahr für einen Bauern- und Partisanentyp, im zweiten Jahr für einen gelassenen selbstbewussten Staatsmann, so lernte ich ihn beim dritten und längern Zusammensein kennen als einen sensiblen, zu leiser Schwermut geneigten Mann, der viel gebildeter ist, als ich in meinem westlichen eurozentrischen Bildungshochmut angenommen hatte. Alles in allem. er ist ein MENSCH, und diesem Eindruck kann sich kein Besucher entziehen, ob er die Politik mag oder nicht. Mir fiel auf der dritten Reise ins Auge, dass der 70. Geburtstag Kim Il Sungs keineswegs dazu geführt hat, dass man neue Bildtafeln und Statuen

aufgestellt hätte. Alles Neue ist sach- und ideebezogen: der Triumphbogen, der Platz der Juche-Idee, die neuen schönen Parkanlagen. Am Geburtstag war Kim Il Sung auf dem Land zur Arbeit; nur zu einem Festessen, das die Partei ihm gab, kam er in die Stadt. Die Geschenke, die aus aller Welt eintrafen, schickte er, wie immer, ins "Museum der Freundschaft", das Eigentum des Volks ist. Kein Erbe Kim Il Sungs wird über diese Kostbarkeiten verfügen.

Ein westdeutscher Journalist schrieb, man könne Kim Il Sung einen "weisen Tyrannen am Ende der Welt" nennen.

Abgesehen davon, dass Tyrannis und Weisheit ein Widerspruch in sich selbst ist und dass Korea nur scheinbar am Ende der Welt liegt und vielmehr ein gefahrenreicher Treffpunkt weltweit wichtiger Interessen und Mächte ist, kann man Kim Il Sung nicht einen Tyrannen nennen. Er ist aber weise im Sinne des Konfuzius: "Der Meister ist milde, einfach, ehrerbietig, mäßig und nachgiebig."

Das Wort MILDE kann im Westen Skepsis und Ironie wecken. Man erinnert sich an die Verfolgung der Christen im Koreakrieg (darüber schrieb ich im Kapitel "Land ohne Gott"), man erinnert sich einiger Hinrichtungen Oppositioneller und einiger Konzentrationslager. Man vergißt dabei nur, dass die Zeit der Gewalt längst vorbei ist. Das letzte Lager wurde vor zwanzig Jahren aufgelöst. Es gibt heute kein Lager mehr.

Glaube ich das? Ich las doch in Kim Il Sungs Schriften, dass die Revolution nicht beendet sei und die Gefahr des Revisionismus auch heute noch bestehe, also gibt es doch immer noch oder wieder eine Opposition, oder nicht?

Ich stelle diese Frage an Kim Il Sung in einem Augenblick privater menschlicher Nähe und Offenheit seinerseits. Nur unser junger Dolmetscher war Zeuge des Gesprächs.

Herr Präsident, Sie lasen den Aufsatz aus der "Welt", den ich mitbrachte? Man hat ihn Ihnen übersetzt. Darin steht, Sie haben mindestens acht Lager, in die Oppositionelle ohne Prozess kämen und die sie nur als Tote wieder verließen. Ich bitte Sie, mir die Wahrheit zu sagen! Ich bin bereit, darüber zu schweigen, wenn Sie wollen. Sie wissen, dass ich mein Wort halte.

Er sagt: Sie haben mich das schon letztes Jahr gefragt, und ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt. Warum glauben Sie mir nicht?

Ich glaube Ihnen, aber der Westen glaubt es nicht.

Ich habe amnesty international angeboten, mein Land frei zu bereisen. Die Zentrale in London, das erfuhr ich nach meiner Rückkehr, lehnte ab mit der Begründung, dass, fände die Delegation kein Lager, die negative Auskunft als Propaganda für Nordkorea ausgelegt werden könne. Eine seltsame, Argumentation. Aber, so kann man einwenden, wie soll man Lager finden, wenn man nicht weiß, wo sie sind?

Nun: Eine südkoreanische Nachrichten-Agentur in Tokio hat seinerzeit eine Landkarte herausgegeben, in der die Lager eingezeichnet sind. Das wäre ein Anhaltspunkt. Allerdings stammt die Karte aus der Zeit vor zwanzig Jahren, und die in der "Welt" veröffentlichte Nachricht stammt ebenfalls aus jener Zeit.

Ich habe keine Lager mehr in meinem Land, sagt Kim Il Sung. Ich hatte Lager. Ich habe auch töten müssen. Der Aufbau des Landes forderte Opfer. Das ist vorbei. Das Land ist konsolidiert, und verkraftet Oppositionelle. Im übrigen haben Sie letztes Jahr ein Haus gesehen, in dem Leute umerzogen werden, die auf die eine oder andere Art der Revolution schaden.

Nein, ich habe nur ein normales Gefängnis gesehen, kein Lager.

Aber wir haben nichts anderes!

Herr Präsident, mein Vorschlag: Richten Sie in allen Ländern eine Pressestelle ein, welche erlogene Nachrichten sammelt und sofort dementiert!

Bitte, besprechen Sie das mit meinem Minister für auswärtige, Angelegenheiten. Und noch einmal: Ich bekämpfe den Revisionismus, nicht aber Menschen, die ihn vortragen. Die versuche ich zu überzeugen davon, dass sie irren.

Ich hatte auf meiner dritten Reise viel Gelegenheit, mit Kim Il Sung sozusagen unter vier Augen zu sprechen. Der Dolmetscher übersetzte flink und auch offensichtlich genau, selbst wenn ihm meine Fragen bisweilen Pein machten, da man dort derart direkte Fragen nicht stellt. Kim Il Sung aber antwortete ohne zu zögern.

Der Präsident hatte mich eingeladen, eine Woche mit ihm an der mandschurischen Grenze zu verbringen, um zu sehen, wie er mit den Menschen dort lebe. Ich begleitete ihn zu Kindern, zu Theatergruppen, zu Arbeiterchören, zu Landarbeitern, ich war mit ihm auf der großen Versuchsfarm auf 1300 Metern Höhe, wo die Sommer nur knapp drei Monate dauern, so dass eigentlich kein Getreide ausreifen kann. Ich sah mit den Augen meiner Bauerngroßmutter, wie prächtig das Getreide stand, Weizen und Gerste, und ich wunderte mich: auf Tafeln stand jeweils der Tag der Aussaat, es waren Tage Ende April. Jetzt war Anfang August, und das Getreide war fast schnittreif. Es ist das Ergebnis langer Versuche mit Kreuzungen. Ich sehe auch große Kartoffelfelder, als sei ich irgendwo in Deutschland. Hier in Korea ist aber Reis das Volksnahrungsmittel, oder nicht?

Doch, aber Reis braucht Wasser und Wärme, hier oben fehlt beides. Also bauen wir Kartoffeln an, und die Leute haben sich daran gewöhnt, sie zu essen. Hier oben werden auch rapsähnliche ölgebende Pflanzen angebaut und Ginseng, die kostbare Heilpflanze. Früher wuchs sie wild im Gebirge, jetzt züchtet man sie. Schon sind die ersten Pflanzen sechs Jahre alt, sieben ist das richtige Alter zur Ernte. Nordkorea wird damit jenem Herrn Mun Konkurrenz machen, der, ehemaliger KCIA-Mann, nach den USA ausgewandert, uns bekannt als der Gründer der unheilvollen Mun-Sekte, bisher das Weltmonopol auf Ginseng hatte und damit ungeheuer reich wurde, und der, ganz logisch, scharfer Gegner aller sozialistischen Bestrebungen und vor allem Nordkoreas ist. Seine Sekte hat mit Religion nichts zu tun, sie steht rein politisch im Dienst des Antikommunismus der USA.

Es ist, ich erlebe es, wirklich so, dass der Präsident nicht vom Grünen Tisch aus regiert, sondern zum Volke geht und an der Basis Anregungen gibt und Rat empfängt. Was dann in Pyongyang als verbindlicher Plan ausgearbeitet wird, ist das Ergebnis der Beratungen Kim Il Sungs mit Fachleuten und Arbeitern.

Ich sehe auch, dass seine Leute ihn lieben, und das nicht etwa auf Anordnung. Allerdings stört mich wieder einmal die allzu große Ehrerbietung, obschon ich weiß, dass dies das Erbe des Konfuzianismus ist. Ich darf eben nicht mit westlichen Augen schauen.

Ich möchte nicht zur Legendenbildung um Kim Il Sung beitragen, doch muss ich, um sein Porträt zu zeichnen, einige Anekdoten erzählen, die Charakteristisches über ihn aussagen. Sie sind wahr: Bei einem Essen hatten er und ich uns so lebhaft unterhalten, dass der Dolmetscher nicht dazu kam, auch nur einen Bissen zu essen. Kaum waren wir im Gästehaus zurück, klingelte das Telefon, der Präsident selbst rief den Chef des Hauses an: Gebt dem armen Lee etwas Gutes zu essen, er stirbt vor Hunger.

Oder: als er die neue Staatsbibliothek besuchte, betrachtete er missbilligend die Tische im Leseraum: Habt ihr nicht gedacht, dass unsere Jugend viel größer ist als frühere Studentengenerationen? Hier müssen sie sich zu tief über die Tisch beugen, das schadet Augen und Rücken, die Tischplatten müssen verstellbar sein.

Oder: als zum ersten Mal ein ehemaliger nordkoreanischer exilierter evangelischer Pastor seine Heimat besuchte, wurde er von Kim Il Sung zum Essen eingeladen. "Herr Pastor, Sie es doch gewöhnt, vor dem Essen zu beten?" Der Pastor war verwirrt. Der Atheist fordert ihn zum Beten auf? Er fasste sich und sprach folgendes Gebet, das mir Kim Il Sung ein Jahr darauf mit seltsamer Rührung wiederholte: "Gott, segne diese Speisen, segne die Erde, die sie hervorbrachte, segne die Menschen, welche die Erde bearbeiten, und segne den Mann, der es diesen Menschen möglich macht, ihre Erde in Frieden und mit Erfolg zu bearbeiten."

Ein Akt der Höflichkeit beiderseits, und doch mehr als das: Nordkorea hat Religionsfreiheit verfassungsmäßig garantiert und stellt nur eine Bedingung: Die Ausübung der Religion darf nicht wieder, wie unter amerikanischem Einfluss, konterrevolutionäre Absichten verfolgen, genau gesagt: Es darf nicht wieder sein, dass unter dem Mantel einer westlichen Kirche der Kapitalismus einschleicht, wie es schon einmal war.

Kim Il Sung, der weise Tyrann am Ende der Welt... Er demonstriert, dass ein totalitärer Staat keine Tyrannis sein muss, sondern, soweit es die Umstände erlauben, demokratische Freiheiten gestatten kann.

Dass man von Korea als einem Land am Ende der Weit redet, erscheint absurd angesichts der Tatsache, dass es zur Schwelle für viele Länder der Dritten Welt geworden ist. Sie lernen dort, wie man sich politisch unabhängig macht ohne Krieg, ohne folgenschwere Gewaltrevolution, ohne mit andern und andersartig regierten Staaten in Feindschaft zu geraten. Sie lernen dort eine neue Art von Sozialismus kennen, die keinem vorgegebenen Modell folgt, sondern sich auf landeseigener Grundlage entwickelt.

Dort, am Ende der Welt, wird eine neue Solidarität der Arbeiter vieler Länder erarbeitet. Dorthin reisen Fachleute aus aller Welt, dort war 1981 der Weltkongress für die Agrarpolitik der blockfreien Länder der Dritten Welt. Dort waren zu offiziellen Staatsbesuchen in den letzten Jahren die Staatspräsidenten von Tansania, Madagaskar, Kongo, Botswana, Sambia, Zimbabwe, Mozambique, Angola, Burundi, Ägypten, Somalia, Zaire, Senegal, Namibia, Togo, Uganda, Mali, Seychellen, Bangladesch, Guinea, Burma, Rwanda, Malta, Sahara, Guyana, Frankreich (Mitterrand), Rumänien, Nepal, Sahara, DDR (Honecker) und der Präsident ohne Land, Arafat. Regierungsdelegationen kamen aus der VR China (zuletzt 1981) ,Iran (1981), Sri Lanka, Kuwait, Thailand, Pakistan, Jordanien, Malaysia und vielen anderen.

Außerdem kamen und kommen die Vorsitzenden der sozialistischen, sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien vieler Länder, darunter häufig japanische Sozialisten so gut wie Kommunisten, es kommen Parteiführer aus Indien, Yemen, Laos, Syrien, aus der VR Kamputschea (Kambodscha), Marokko, Algerien, Sierra Leone, Peru, Bolivien, Belgien, Dänemark, Norwegen, Finnland, Kuba, Ecuador, Schweden, Österreich, Griechenland, Portugal, Spanien, Italien, Gabun, Neuseeland, Nicaragua, Frankreich und so fort.

Aus verschiedenen Ländern, kapitalistischen wie sozialistischen, kommen Delegationen zum Studium wirtschaftlicher Probleme und zum Studium der Juche-Ideologie.

In einigen Ländern, darunter Österreich, gibt es an Universitäten bereits Institute zum Studium der Ideen Kim Il Sungs,

Auf seinen Reisen in den Westen traf sich Kim Il Sung mit seinem Freund Tito, mit Indira Gandhi, mit Breschnew, und beim Begräbnis Titos auch mit Willy Brandt, in dessen Ideen er mehr Verwandtes findet als in denen kommunistischer Ideologen.

Nach Nordkorea kam auch Kurt Waldheim, die Wiedervereinigung besprechend, und auch Stephan Solarz, Mitglied der US-Regierung. Es kam auch der Präsident der World Federation of Trade Unions. Zahlreiche Journalisten-Organisationen wählen Pyongyang als Tagungsort.

Dies alles in dem Land am Ende der Welt.

Der Präsident des ZK der Mozambique-Befreiungs-Front schrieb über seinen Besuch in Nordkorea (dies als eines er vielen Urteile auswärtiger Politiker): "Je mehr man die REALITÄT Nordkoreas kennt, desto tiefer ist man beeindruckt. Dieses Land ist ein Modell für uns, weil es ein Volk zeigt, das voll fähig ist, die Nachwirkungen der Kolonialzeit und der imperialistischen Aggression zu überwinden und einen unabhängigen, freien, blühenden Staat aufzubauen."

Es fällt auf, dass unter den Besuchern der letzten Zeit einige Staaten fehlen: Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Sowjetunion und die DDR. Der Ostblock verzeiht es Kim Il Sung nicht, dass er sich selbständig machte und einen Kommunismus eigener Art aufbaute. Dafür ist neuerdings die VR China wieder vertreten, was auf eine vorsichtige Annäherung deutet. (1982 war Kim Il Sung selbst in der VR China, und neuerdings verbessern sich auch die Beziehungen zur Sowjetunion.)

Dass aus der Bundesrepublik noch kein offizieller Besuch kam (Eppler war dort als inoffizieller Vertreter der SPD und als jener der FDP), diese Distanzierung ist nur dann befremdlich, wenn man vergisst, dass die Bundesrepublik immer noch amerikanisch besetztes Gebiet ist und weithin den Anordnungen der USA unterstellt. Dass die USA gerade Nordkorea für tabu erklärt, während sie China und die Sowjetunion als Besuchsländer für die Bundesrepublik akzeptiert, beweist, welche Rolle sie diesem kleinen Land am Ende der Welt zuschreibt: Es könnte ja den Geschmack an einer neuen Form von Sozialismus wecken.

Kim Il Sung verfolgt beharrlich seinen Weg. 1982 schrieb er: "Die Arbeiterpartei Koreas wird weiterarbeiten am Aufbau einer friedlichen neuen Welt, in der alle Völker frei sind von Beherrschung und Unterwerfung, in fester Einheit, mit den Völkern der sozialistischen und blockfreien Länder und den fortschrittlichen Menschen der Welt unter dem Banner der Idee der Unabhängigkeit und Selbständigkeit."


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