Guido Giacomo Preparata

Die Einschwörung Hitlers

Wie Britannien und Amerika das Dritte Reich verursacht haben (Teil 3)

Quelle
Conjuring Hitler: How Britain and America Made the Third Reich
Von Guido Giacomo Preparata
Taschenbuch Verlag: Pluto Press (5. August 005)
Sprache: Englisch ISBN-10: 074532181X ISBN-13: 978-0745321813


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Conjuring Hitler: How Britain and America Made the Third Reich
Dt : Die Einschwörung Hitlers: Wie Britannien und Amerika das Dritte Reich verursacht haben [Auszug]

3. Das Herzland, der Halbmond und der Albtraum der Britischen Geopolitik

Als 'Herzland’ galt hypothetisch ein im Zentrum Eurasiens gelegenes Gebiet, das durch seine Lage mit den Rohstoffen und Arbeitskräften Eurasiens ausgestattet wäre. Auf diese Weise würden eine uneinnehmbare Festung und eine fürchterliche Macht entste­hen. Als 'Halbmond' galt ein virtueller Halbbogen, der eine Reihe von Inseln umfasste, nämlich Amerika, Großbritannien, Australien, Neuseeland und Japan. Diese Seemächte überwachen die eurasische Landmasse, um jede Tendenz der Zusammenballung der Macht des Herzlandes zu entdecken und nötigenfalls zu verhindern.

Diese Ausdrücke wurden von den Vorkämpfern der Geopolitik geprägt. Es handelt sich dabei um eine neumodische wissenschaftliche Disziplin, die an der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert entstanden ist. An ihrer Oberfläche bestand sie aus einer syste­matischen und halbgebildeten Zusammenführung von Geographie, einfacher Logistik, Wirtschaftskunde und machiavellistischer Geheimnistuerei, wie sie vom Delphischen Orakel ausgeübt wurde. Ihr Grundgedanke war die Übertragung individueller menschli­cher Lebensweisen auf die Dynamik sozialer Gebilde: Die Abbildung des organischen, triebhaften, natürlichen Lebens auf das politische Leben von Nationen.[1] Aus diesem Grund wollte die Geopolitik wahrscheinlich in klaren Begriffen enthüllen, was die politi­sche Tagesordnung einer gewissen Macht zu einem bestimmten Zeitpunkt hätte gewesen sein können. Diese enthüllenden und einflussreichen Überzeugungen wurden von Sir Halford Mackinder (1861-1947) während der Zeit entworfen, als das deutschfeindliche Komplott geplant wurde. Mackinder war Professor an der London School of Economics und wurde mit seinem 'The Geographical Pivot of History' (Der Geographische Angel­punkt der Geschichte) überschriebenen Aufsatz in der Zeitschrift The Geographical Jour­nal der Royal Society aus dem Jahr 1904 zu einem der Väter der Geopolitik in England. Dieser Artikel veranschaulicht in unmissverständlichen Worten den Charakter der kom­menden Engagements.

Mackinder führte die Alternativen vor Augen und zählte die Möglichkeiten des Spie­les auf. Es handelte sich um ein öffentliches Dokument, das eine einfache Geschichte erzählt. Sein Duktus bot eine treffende Darlegung der Politik des britischen Common­wealth, und im Anschluss an dieses, der Politik seines geistigen Erben, des Amerikani­schen Empires: Tatsächlich wurde die internationale Politik der US-Regierung bis heute nahtlos und widerspruchslos im Geist der Visionen Mackinders geführt. Um 1900 stand die Schrift an der Wand.

„Die Vorstellung von Eurasien, die wir damit bekommen, ist die einer ununter­brochenen Landmasse, die im Norden vom Eis, und überall sonst vom Meer ein­geschlossen wird, Sie bemisst sich auf 21 Mio. Quadratmeilen oder mehr als das Dreifache des Gebietes von Nordamerika, dessen zentrales und nördliches Gebiet etwa neun Mio. Quadratmeilen umfasst, oder mehr als das Zehnfache des Gebie­tes von Europa. Es verfügt über keine brauchbaren Wasserwege zum Ozean, es ist andererseits, wenn man vom subarktischen Wald absieht, im Allgemeinen für den Verkehr von Reiter- und Kamelkarawanen sehr günstig. Im Osten, Süden und Westen des Herzlandes bilden Randzonen einen riesigen Halbmond, der für den Schiffsverkehr zugänglich ist. Entsprechend ihrer physikalischen Gestaltung unterscheidet man vier dieser Regionen, und dabei ist es nicht unerheblich zu bemerken, dass sie im Allgemeinen mit den Einflussbereichen der vier großen Religionen, dem Buddhismus, Brahmanismus, Islam und Christentum zusam­menfallen. ... Großbritannien, Kanada, die Vereinigten Staaten, Südafrika, Austra­lien und Japan bilden nun einen Ring außen vorgelagerter, inselartiger Stellungen der See- und Handelsmächte. Diese sind für die Landmächte Europas unerreich­bar. ... Der Raum im russischen Reich und in der Mongolei ist so gewaltig und seine Möglichkeiten hinsichtlich der Bevölkerung, der Weizen-, Baumwoll-, Treibstoff-, und Metallproduktion so unübersehbar groß, dass sich daraus unver­meidlich eine riesige mehr oder weniger eigenständige Wirtschaftswelt bilden dürfte, die für den Seehandel unerreichbar ist ... In dem Gesamtgebiet nimmt [Russland] die zentrale strategische Position ein, wie sie Deutschland in Europa innehat. Russland kann nach allen Seiten ausschlagen und ist im Norden geschützt. Die volle Entwicklung seiner modernen Eisenbahnmobilität ist nur noch eine Frage der Zeit ... Das Überkommen des Kräftegleichgewichts zugunsten des Achsenstaates führt zu dessen Expansion über die Randzonenländer Eurasiens hinaus und würde die Verwendung der riesigen kontinentalen Mittel für den Flot­tenbau erlauben. Damit wäre das Weltreich in Sichtweite gerückt. Das könnte ge­schehen, wenn sich Deutschland mit Russland verbünden sollte. Die Bedrohung durch eine solche Entwicklung sollte daher Frankreich in ein Bündnis zu den See­mächten bringen, und damit würden Frankreich, Italien, Ägypten, Indien und Korea zu ebenso vielen Brückenköpfen werden, über die die Marine von außen Armeen versorgen könnte, um die verbündeten Achsenstaaten zu zwingen ihre Landstreitkräfte einzusetzen und sie davon abzuhalten, ihre ganze Kraft auf die Flotten zu konzentrieren.“[2]15

Dies lässt erkennen, dass das moderne Ringen um die Weltherrschaft mehr und mehr durch die Eindrücke des britischen Albtraums vorangetrieben wurde. Die bedrohlichen Erkenntnisse waren die folgenden:

1.   Großbritannien fürchtete am allermeisten das mögliche Auftauchen eines 'Herz­landes' oder 'Achsenstaates' im Zentrum einer Landbastion hinter unüberwindlichen Eisbarrieren, bewehrt mit unzugänglichen Küsten und inmitten eines kontinentalen Rau­mes, der von einem weit reichenden Netz von Verkehrsadern durchzogen wird. Der eisige Alptraum lässt galoppierende Kosaken, Schnellzüge und geisterhaften Hunnen über die Landstraßen Zentralasiens jagen. Die früheste Formulierung von Mackinders Plan war eher das Produkt der abgrundtiefen Feindschaft Großbritanniens gegen Russland als eine Warnung, die sich unmittelbar gegen Deutschland richtete. Anfänglich wurde das Herz­land mit den weiten Ebenen Russlands gleichgesetzt.

Nach dem ersten Weltkrieg, als Deutschland der internationalen Unterwerfung aus­gesetzt war, aktualisierte Mackinder in einer einander folgenden Reihe von Bearbeitun­gen seinen ursprünglichen Artikel aus dem Jahr 1904 zu einer Theorie. Sie blieb dem bri­tischen imperialen Muster treu und verschob nur die Achse in südwestlicher Richtung von den Steppen Sibiriens hinunter zu einer nicht eigens beschriebenen Mittellinie, die den Westen vom Osten trennt und die später mit Churchills 'Eisernem Vorhang' zwi­schen Ost- und Westeuropa zusammenfiel. Diese virtuelle Grenzlinie kann man sich als den Meridian vorstellen, der ausgehend von der Küste des Roten Meeres über Palästina zum Schwarzen Meer reicht und von dort durch den Balkan und das Baltikum weit hoch in den Norden bis nach Murmansk in Russland reicht (siehe Fig. 1). Konzeptuell ist die ‹Verwerfungslinie› die große Trennlinie, die grob gesprochen die mohammedanischen Araber im Süden und die orthodoxen Slawen im Norden von den modernen Europäern im Westen abhält.
Die Trennungslinie halbiert idealerweise das Herzland, das sich innerhalb Eurasiens befindet. Das Herzland ist die Insel der Insel. Mackinders Motto gibt das zu verstehen. Danach «regiert, wer immer das Herzland beherrscht die Weltinsel und wer diese regiert, beherrscht die Welt.»[3] Für den Nordwesten bedeutete das, dass sich Deutschland - für den Fall es findet Möglichkeiten, um die Trennungslinie zu überwinden und seine westeuropäische technologische Stärke auf dem Weg durch Russland mit der geographi­schen Unermesslichkeit des Ostens in einen Zusammenhang zu bringen - sich zum unüberwindlichen Herren der gefürchteten Festung machen und das eurasische Herzland dominieren würde.

2.               Die unmittelbare Enthüllung eines solchen Albtraumes führte dazu, dass keine Mühe gescheut werden durfte, um jede Art politischer, oder gar militärischer Koalition, die sich über das Herzland erstrecken konnte, zu sabotieren. Das begann mit einer mögli­chen deutsch-russischen Allianz. Großbritannien konnte sein Ziel am leichtesten dadurch erreichen, dass es eine Liga der Schwesterninseln zusammenbrachte, die sie dann als einen Halbmond von Seemächten zur Belagerung gegen Eurasien einsetzte. Abgesehen von der japanischen Trumpfkarte war die Seemacht durch und durch angelsächsisch. Alle herausfordernden Inseln, die Mackinder auflistet, sind ursprünglich aus Großbritannien hervorgegangen. Das gilt für Amerika mit der Fortsetzung in Kanada, die gesamte Strecke über Australien bis nach Neuseeland. – Sie alle waren weiße Siedlergebiete des Empires.

3.               Sollte es Europa, dem Nahem Osten und Zentralasien gelingen, sich zu einer festen Föderation zusammen zu tun, würden ihre vereinigten mineralischen Kohlenwasserstoff- und natürlichen Ressourcen (Öl, Getreide, Stahl, Wasser, Holz und so weiter) dieser enor­men eurasischen Liga einen Vorteil bei der Verteidigung verschafft haben, der jede län­gere Blockade der Seemächte zunichte gemacht hätte. Eurasien hätte dann einem briti­schen Embargo ad ultimo widerstehen können.

4.               Daraus folgt, dass diese Fülle des Herzlandes an Ressourcen zu seiner Verteidigung angesichts einer offenen Aggression von der See her, in den Aufbau einer eurasischen Flotte hätte umgelenkt werden können. Das vereinigte Schild des Kontinent durch Land- und Seestreitkräfte gegen den Halbmond der Feinde aus Übersee, hätte nicht nur leicht jeden Angriff vom Meer aus abgewiesen, sondern würde mit größter Wahrscheinlichkeit mit der totalen Niederlage der Seemächte und damit einhergehend mit Unterwerfung unter das hypothetische Vereinte Kommando des Herzlandes geendet haben.

5.               Das plötzliche Auftauchen des Preußischen Reichs hatte diese eurasische Schimäre zu einer greifbaren Möglichkeit werden lassen. Dieses Mal bestand die Bedrohung wirk­lich; der Große Feind konnte durch eine geniale Verbindung der russischen Vitalität mit der deutschen wissenschaftlichen Technik entstehen. Die eurasische Annäherung hätte im Vollzug einer deutsch-russischen Vereinigung im Bereich der Politik, des Militärs und der Spiritualität bestanden. Angesichts einer solchen Fusion würde sich Großbritannien aus der Sicht Mackinders auf lange Sicht in einer ohnmächtigen Lage vorfinden.

6.               Daher war die Strategie Englands kristallklar: Um das Auftauchen dieses bedrohli­chen Rivalen im Herzland zu verhindern, hatte es keine andere Alternative als das Herz­land durch eine beständige Belagerung einzudämmen. Diese sollte dadurch erreicht wer­den, dass man Keile (von den Brückenköpfen aus) in die lebenswichtigen Knotenpunkte des kontinentalen Körpers trieb. Auf diese Weise würden die Landarmeen in einem per­manenten Kriegszustand gebunden sein und ihre Generäle wären zu sehr von diesen Anstrengungen in Beschlag genommen, als dass sie ihre Aufmerksamkeit von der nötigen Dringlichkeit ablenken könnten, um eine eurasische Flotte zu bewaffnen und die frem­den Angreifer von Übersee zu vertreiben.

Der bemerkenswerte Charakter dieses Schriftstücks war, abgesehen von seinen hei­klen Vorhersagen, sein offen aggressiver Tenor. Obwohl es angesichts einer russischen Bedrohung geschrieben worden war, schien seine Argumentation anzudeuten, dass Eng­land die hinterste Widerstandslinie bevorzugen und sich Deutschland als den nächsten Gegner herausgreifen sollte, und zwar weil: 1) das Reich die dynamische Seite der deutsch-russischen Bedrohung darstellte und, 2) es viel leichter von einer Entente der Nachbarstaaten umzingelt und blockiert werden konnte. Von daher kam es anschließend zur Annäherung zwischen England und Russland, seinem bisherigen Erbfeind.

Natürlich führte das Aufwärmen der anglo-russischen Beziehungen zu keiner ständi­gen Schlichtung der eurasischen Frage. Das war ja auch gar nicht beabsichtigt. Die Ange­legenheit, so bedeutsam sie aus englischer Sicht auch war, musste gegebenenfalls von einem Brückenkopf angegangen werden. Das Bündnis mit Russland diente nur als Auf­takt zum allgemeineren, strategischen Spiel, der Zerstörung Deutschlands. England konnte und wollte möglicherweise nicht die ungeheuren Kosten überblicken, die es selbst und die Welt im Großen und Ganzen auf sich nehmen mussten, um dieses Ziel zu erreichen. Doch das Empire ließ es darauf ankommen.

Den Beweis dafür, dass die Zerstörung Deutschlands nach 1900 das Hauptziel Großbri­tanniens war, liefern die komplexen diplomatischen Aktivitäten, die England entfaltete, um den Weltkrieg auszulösen. Darauf werden wir in den nachfolgenden Abschnitten die­ses Kapitels eingehen.

In der Tat ist es eines der Grunddogmen der anglo-amerikanischen Geschichtsschrei­bung, dass Deutschland immer der unverbesserliche Angreifer der Pax Britannica gewe­sen sei.

Im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts hielt sich in Deutschland die Redensart von der Einkreisung und dem zufolge der populäre Aufruf, einen «gerechten –9 – Verteidigungskrieg» führen zu müssen, um diese 'Einkreisung' aufzubrechen. Damit ein­her ging die unverantwortliche Großtuerei der militär-industriellen und imperialen Cli­quen, allen voran Wilhelms II. Hinzu kamen die trunkenen Ansprüche vieler Nationalis­ten auf ‹Deutschlands historischer Mission› und seiner ‹Pflicht zum Kriegführen.›[4] Dergleichen wurde pauschal als unzählige und endgültige Beweise der unbestreitbaren Schuld Deutschlands, den Ersten Weltkrieg ausgelöst zu haben, zusammengetragen. Doch diese dürftigen Dinge beweisen nichts anders, als den schädlichen Einfluss eines archaischen Nationalismus in Deutschland und die völlige Verwirrung seiner führenden Kreise hinsichtlich der unmittelbar zwingenden, strategischen Aufgaben des Landes. Hält man die klare Analyse Mackinders, der schon 1904 über einen massiven präventiven Schlag gegen seinen bedrohlichen Rivalen in Eurasien nachgedacht hat, dagegen, dann schrumpft der deutsche Bombast zur Belanglosigkeit zusammen: Eine längere Konfronta­tion mit der Welt hatte niemals die Vorstellung einer isolierten, und wenig erfahrenen deutschen Regierung sein können. In Mackinders Aufsatz findet sich, wenn überhaupt, kaum ein Hinweis darauf, dass Deutschland angreifen wollte.

Deutschlands Ungebärdigkeit war kaum mehr als das Geschrei, mit dem es sich ange­sichts der eigenen Unsicherheit Mut machen wollte. Es war eher nervös als großspurig. Das Reich bereitete sich mit Lampenfieber auf den Krieg vor, munterte sich dabei selbst auf, verwünschte sein Geschick und verdammte alles, besonders den Tag, an dem es angefangen hatte, sein Schicksal auf das großartige Schachbrett zu setzen. Wenn es ihm freigestellt gewesen wäre, hätte Deutschland zweifellos niemals den ersten Schritt getan und nicht die Feindseligkeiten eröffnet: Es hatte viel zu viel zu verlieren. Deutschland musste dazu getrieben werden. In Wahrheit überstiegen seine vorgefassten Ziele, hätte sich Großbritannien aus Europa herausgehalten, niemals den Wunsch, das ‹mitteleuropäi­sche Reich der Deutschen Nation› zu festigen; das heißt, einen zuvor schon von Deutsch­land angeführten, von Russland getrennten, europäischen Zollverein zu errichten. Mit einem solchen Arrangement hätte England leben können.[5]

Fünf Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs führte US-Senator Robert Owen eine objektive Studie über die Ursprünge des Krieges durch und legte am 18. Dezember 1923 seine Erkenntnisse dem amerikanischen Volk vor: Mehrere Behauptungen der Alliierten Kriegspropaganda, nämlich dass die Entente kämpfen musste, um 1.) den Plan des Kaisers zu verhindern, die Welt gewaltsam zu unterwerfen, um 2.) die Welt für die Demokratie sicher zu machen, und um 3.) die Ideale Amerikas zu verteidigen, hielt Owen jeweils für ‹nicht wahr›, ‹absurd›, und ‹irrig.›[6] Er fand heraus:

«Weder die russische noch die französische Regierung glaubten wirklich, dass die deutsche Regierung einen aggressiven Krieg gegen sie beabsichtigte. Doch liefer­ten die militärische Bereitschaft Deutschlands und der Bombast einiger seiner Chauvinisten eine passende, aber nicht wahre Grundlage für die französische und britische Propaganda, dass die deutsche Führung eine brutale militärische Ero­berung der Welt ausgeheckt hatte. 1914 hatte Deutschland kein Grund, einen Krieg anzufangen, hatte kein Land zu beanspruchen, keine Rachegelüste und wusste, dass ein allgemeiner europäischer Krieg leicht seine Handelsmarine und seinen Handel, die sich beide rasant entwickelt hatten, zerstören könnte, und zum Verlust seiner Kolonien führen würde.»[7]

– 10 –  Den Deutschen war der ungestüme Fortschritt ihres Welterfolgs neu - ihr imperialer Besitz musste sich erst noch zur Reife auswachsen. Doch bei ihren britischen Feinden stand die Sache ganz anders.

Das Letzte, was Großbritannien in diesem frühen Stadium tun wollte, war, der Öffent­lichkeit, dem Feind oder den potenziellen Verbündeten gegenüber anzudeuten, dass es danach strebte, Deutschland durch eine ständige Belagerung zu knebeln. Stattdessen nahm es sich vor, in der Öffentlichkeit mit seinen wachsenden Auseinandersetzungen mit dem Reich so umzugehen, als handele es sich nur um Geschäftsfragen. Die Briten legten sich die verärgerte Haltung eifersüchtiger Eigentümer zu, die eifrig ihre wirtschaft­lichen Interessen gegen die Provokation des deutschen Emporkömmlings zu verteidigen versuchten.

Derartige Rechtfertigungen stellten eine ausgewachsene Travestie dar, auch wenn es sich dabei anscheinend um die bei den Historikern des siegreichen Westens bevorzugte Erklärung handelt.[8]

Doch tatsächlich deutet die tiefe Sorge und Unruhe über die Deutschen, den Verwal­tern des britischen Reiches bis dahin unbekannt, auf den epochalen Bruch in der übergrei­fenden Strategie Großbritanniens hin. Um 1904 scheint Großbritannien, wie das Muster seiner Allianzen zeigt, die umfassende Einkreisung des Herzlandes gelungen zu sein. Dazu hatte ihm das phänomenale, wenn auch halb blinde Wachstum Deutschlands wäh­rend der letzten zwei Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts die Gelegenheit geboten.

Großbritannien war von Anfang an der Angreifer, und nicht Deutschland.

Jahre später, als Wilhelm II 1916 über das unbeschreibliche Abschlachten an der Front grübelte, jammerte er in einem Brief, den er der Mutter eines gefallenen Offiziers schick­te, dass er diesen Krieg niemals gewollt habe. Damit meinte er das Gemetzel globalen Ausmasses. «Das ist genau richtig», pflichtete ihm der britische Premierminister, Lloyd George, in einer öffentlichen Antwort auf die Klage des Kaisers bei, «Der Kaiser Wilhelm hat diesen Krieg nicht gewollt. Er wollte einen anderen Krieg, einen, der es ihm erlaubt hätte, Frankreich und Russland in zwei Monaten zu erledigen. Wir waren es, die diesen Krieg, so wie er ausgefochten wird, wollten, und wir werden ihn bis zum Sieg führen.»[9]

Großbritanniens und später Amerikas Eroberungszug war unmissverständlich durch Mackinders flüchtige, aber fast orakelhafte Erwähnung der verschiedenen Brückenköpfe angekündigt worden, Brückenköpfe, die die Seemächte in das Herzland vortreiben muss­ten, um deren Armeen in einer beabsichtigten Folge unabhängiger Zusammenstöße ein­setzen zu können. Um jeden Konflikt zu isolieren, musste das Territorium, auf das man zielte, von seinen angrenzenden Gebieten abgetrennt und eigens ausgeblutet werden. Das geschah durch künstlich in die Länge gezogene Streitigkeiten, die im Namen politischer, religiöser oder ethnischer Unterschiede ausgetragen wurden. Auf diese Weise sind die Anglo-Amerikaner immer vorgegangen: In Europa, in dem sie alle gegen Deutschland (1904-45) aufgewiegelt haben; im Nahen Osten, indem sie Israel mitten ins Herz der ara­bischen Welt gestoßen haben (1917 bis heute); im Fernen Osten, indem sie China Dornen (Korea, Vietnam, und Taiwan) in die Seite gestoßen haben (1950 bis heute); und in Zentralasien, indem sie mit Hilfe Pakistans die gesamte Region durch Stammeskriege verunsichert haben, um zu verhindern, dass die Küste der Kaspischen See in den russischen Einflussbereich gerät (1979 bis heute).

Es ist wichtig festzuhalten, dass bei derartigen Eroberungsversuchen man niemals rasche Erfolge erwarten kann, sondern sie können sich über Jahre oder sogar Jahrzehnte erstrecken. Imperiale Kriegslisten betreffen Angelegenheiten, die sich sehr in die Länge ziehen. Die Befehlshaber der Weltaggression messen ihre Errungenschaften oder Misser­folge in Zeitspannen, deren Einheit die Generation ist. In einem solchen Rahmen muss die Inkubationszeit des Nationalsozialismus beurteilt werden. Sie gehorchte einem – 11 – lan­gen und komplexen Plan, um jede Möglichkeit einer deutschen Hegemonie auf dem Kon­tinent auszumerzen. Die Verwalter des Empires ließen sich dabei Zeit.



[1] Andreas Dorpalen, The World of General Haushofer, Geopolitics in Action (New York: Farrar & Rinehart, 1942), S. 52.

[2] Ebd., S. 194, 196, 198, 200. Die Hervorhebung wurde hinzugefügt.

[3] Catlo Jean, Geopolitica, (Bari: Laterza, 1995, S. 29-31)

[4] F. von Bernhardi, Germany and the Next War (New York: Longmans, Green & Co., 1914 [1911]), S.18, 25, 52, 90 ff.

[5] Niall Ferguson, The Pity of War (New York: Vintage Books, 1999), S. 169-173.

[6] Robert L. Owen, The Russian Imperial Conspiracy [1892-1914] (New York: Albert and Charles Boni, 1927), p. vii.

[7] Ebd., S. 3, 25-26.

[8] Vgl. zum Beispiel, Donald Kagan, On the Origins of War, and the Preservation of Peace (New York: Doubleday, 1995), S. 206-212.

[9] Evgheni Tarle, Breve-Storia d'Europa (Bologna: Editori Riuniti, 1959 [1928]), S. 354.

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