"Pancho Villa"

Doroteo Arango Arámbula

(5.6.1878 - 20.7.1923)

[Pancho Villa]

Tabellarischer Lebenslauf
zusammengestellt von
Nikolas Dikigoros

1878
05. Juni: Doroteo Arango Arámbula wird als Sohn eines Landpächters auf einer Hacienda in San Juan del Río (Bundesstaat Durango) geboren.
(So die heute unter Historikern herrschende Meinung. Er selber behauptete später, der Sohn eines Räuberhauptmanns namens Agustín Villa gewesen zu sein. Belastbare Beweise für diese u.a. Aussagen über seine Kindheit und Jugend gibt es nicht [mehr].)
México erlebt unter Porfirio Díaz eine Epoche politischer Stabilität, materiellen Wohlstands und kultureller Blüte.

1894
Doroteo beginnt, im Eisenbahnbau zu arbeiten.
(Wie er später behauptet, gleich als "Vorarbeiter". Das ist nicht nur wegen seines Alters unwahrscheinlich, sondern auch, weil er quasi Analfabet war.)
"Nebenbei" verdient er sich seine ersten Sporen als Viehdieb und Räuber.

1902
Doroteo wird bei einem seiner Überfälle geschnappt und vor Gericht gestellt. Er entgeht jedoch einer Verurteilung durch "freiwilligen" Eintritt in die Femdenlegion Armee von Durango.

1902
Doroteo tötet einen Vorgesetzten und flieht auf dessen Pferd nach Chihuahua. Dort nimmt er den Namen "Francisco Villa" an.
(Angeblich führt er auch schon den Spitznamen "Pancho"; nach anderen Quellen schimpft man ihn dagegen "Cucaracha [Küchenschabe]" :-)

1907
Die von den USA ausgehende Weltwirtschaftskrise trifft México hart. Mißernten und Lebensmittelknappheit führen zu Unzufriedenheit der Bevölkerung, Bauernunruhen und Arbeiterstreiks.

1909-1911
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1911
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März: Eine Revolution bricht aus.* Der unter Arbeitern und Bauern gleichermaßen populäre Räuberhauptmann Emiliano Zapata - ein Mestize aus Morelos - gewinnt mit seiner Bande gut ausgebildeter desertierter Soldaten erste Schlachten gegen die Regierungstruppen.


Daraufhin schließen sich weite Teile des Landes der Revolution an.
November: Nachdem Díaz ins Exil gegangen ist, erklärt sich der zwielichtige sefardische Millionärserbe Franciso Madero zum neuen Präsidenten; ihm schließt sich Villa an.


Dichtung und Wahrheit: Maderos Machtergreifung in Propaganda (links) und Realität (rechts)

1912
Zapata ruft zum Sturz Maderos auf; der Bürgerkrieg geht weiter.

1913
Februar: General Victoriano Huerta erklärt sich zum Präsidenten.
Madero wird festgenommen, entweicht jedoch aus der Haft und wird auf der Flucht erschossen.


März: Venustiano Carranza, Maderos Ex-Stellvertreter und Gouverneur von Coahuila, erklärt Huerta für abgesetzt und sich selber zum neuen Staatschef. Vorübergehend verbündet er sich mit Villa, Zapata und dem "Arbeiterführer" Álvaro Obregón (der tatsächlich, wie Madero, Großgrundbesitzer und Millionär ist). Der Bürgerkrieg geht weiter.


Da Villa im Gegensatz zu den meisten Anhängern Zapatas lesen und schreiben kann, engagiert ihn dessen "General" Guillermo García Aragón als Adjutanten im Range eines Räuber-Hauptmanns.


1914
April: Die USA - die Waffen an die Carranza-Allianz liefern - besetzen die mexikanischen Häfen Veracruz und Tampico (Das spricht sich übrigens richtig "Tampieko" aus, nicht "Tämmpiko" :-), über die Huerta britische Waffen importierte.
Juli: Nach mehreren militärischen Niederlagen dankt Huerta ab und flieht außer Landes.
August: Die Allianz der Huerta-Gegner zerbricht: Carranza, Obregón und ihre Marionette ihr neuer "Präsident" Francisco Carvajal kämpfen nun gegen Villa und Zapata (die ihre Aktionen nicht koordinieren, da sie auch unter einander verfeindet sind :-).
Villa wechselt ins Regierungslager und kämpft unter "General" Lucio Blanco im Süden gegen die Zapatisten, während "General" Obregón im Norden gegen Villa kämpft.


Er lernt schnell, daß der einzige Ismus, auf den es in der Politik ankommt, der Opportunismus ist.**

1915
Mai: Carranza erklärt sich zum Regierungschef und Obregón zum Kriegsminister.
Oktober: Die USA erkennen die Regierung Carranza an.
Villa wechselt zwar nicht die Seiten, aber die Fronten und kämpft nun, da Obregón nach Verlust eines Arms nicht mehr felddiensttauglich ist, unter "General" Plutarco Calles im Norden gegen Villa, der zeitweise auf US-Gebiet ausweicht - auch um dort Pferde, Waffen und Munition zu erbeuten.

1916
März: Die USA nehmen das zum Anlaß, mit 12.000 Mann in Mexiko einzumarschieren, "um Villa festzunehmen". Anführer der Invasionstruppen ist der Räuberhauptmann Brigadier John Pershing ("Nigger Jack").


Dezember: Auch das Bündnis zwischen Carranza und Obregón zerbricht. Der Bürgerkrieg geht weiter; nun kämpft jeder gegen jeden.
Villa wird zur Unterdrückung eines Aufstands der Yaqui-Indianer in Sonora eingesetzt.

1917
Februar: Die US-Truppen ziehen aus Mexiko ab - ohne Villa gefaßt zu haben -, um in den Krieg gegen Deutschland einzutreten. (Pershing trägt die Mexiko-Expedition den Oberbefehl über diesen "Kreuzzug gegen die Hunnen" ein.)


Carranza nimmt das zum Anlaß, eine neue Verfassung zu verkünden, die u.a. die Überführung aller Produktionsmittel in "Volkseigentum", vorsieht.
Man nennt das nicht "Verstaatlichung", sondern vornehmer "Nationalisierung", vielleicht weil sonst einige schon ahnen könnten, was es für "das Volk" bedeutet, wenn die Produktionsmittel eines Landes nicht mehr von Privatleuten gemanagt werden, sondern von Regierungsbonzen Staatsbeamten - obwohl es noch keine historischen Vorbilder, geschweige denn praktische Erfahrungen gibt. Mexiko ist der erste Staat mit einer marxistischen/sozialistischen/kommunistischen (oder wie immer man sie nennen will) Verfassung, lange vor der ruhmreichen Sowjet-Union. (Die erste Verfassung der UdSSR wird erst im Januar 1924, nach Lenins Tod, von Stalin verkündet. Man hat Calles und Villa als "Stalinisten" bezeichnet; man könnte aber ebenso gut Stalin als "Carranzisten" bezeichnen :-)
Vorerst steht sie freilich nur auf dem Papier.
Mai: Carranza läßt sich zum Präsidenten "wählen"; der Bürgerkrieg geht weiter.

1918
Villa wird von Carranza zum Oberst befördert.

1919
April: Zapata wird im Auftrag Carranzas in eine Falle gelockt und erschossen.
Daraufhin verbünden sich die Reste der Zapatisten mit Obregón gegen Carranza.

1920
Mai: Carranza wird gestürzt und auf der Flucht erschossen.
Juni: Adolfo de la Huerta erklärt sich zum kommissarischen Präsidenten. Er schließt Frieden mit Villa, der den Kampf aufgibt, sein Pferd gegen ein Ford-Automobil eintauscht, eine staatliche Pension als General a.D. und eine riesige Hazienda als Dotation erhält - wie es jemandem gebührt, der angeblich für die Rechte der armen Kleinbauern und gegen die reichen Großgrundbesitzer gekämpft hat.
September: Huerta schreibt Wahlen aus.
November/Dezember: Obregón erklärt sich zum Wahlsieger und neuen Präsidenten.

1923
20. Juli: Obregón läßt Villa in einen Hinterhalt locken und erschießen.

* * * * *

Nur wenige Jahre nach Villas Tod beginnt ein geradezu absurder Heldenkult um seine Person, der bis heute anhält - ausgehend von jüdischen Filmproduzenten in Hollywood. Anders als auf seinen Webseiten über Schauspieler kann und will Dikigoros diese Entwicklung hier nicht nachzeichnen - sie würde den Rahmen eines tabellarischen Lebenslaufs sprengen. Daher beschränkt er sich auf die wichtigsten Machwerke.

1936
Villa.


1937
Villa.


1938
Villa. ****


1939-1945
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1955
Villa.


1957
.

1959
Villa.


1968
Villa.******


1972
Villa.


1988
Villa.


Auf den silbernen Gedenkmünzen, die zu diesem Anlaß geprägt wurden, nahm sich das recht imposant aus (wenn man mal davon absieht, daß sich deren Nennwert im Laufe des Jahres von 100 auf 5.000 Pesos verfünfzigfachte). Diese waren jedoch nur für den Export, d.h. den Verkauf an ausländische Sammler, bestimmt. Dikigoros und seine Frau haben sie jedenfalls im Lande nie gesehen; sie erinnern nur die schmuddeligen Papierlappen zu 10.000 Pesos, für die man gerade einmal essen gehen konnte. (Als junger Soldat hatte Dikigoros im Mexiko-Urlaub nie mehr als 10 Pesos für ein Essen ausgegeben - seine Ansprüche waren freilich nie so hoch wie die seiner Frau :-)


2013
Villa.


*Heute datieren die meisten Historiker den Beginn der Revolution auf das Jahr 1910, weil da Maduro aus seinem texanischen Exil zum Sturz Díaz' aufgerufen hatte. (Aber zwischen dem Aufruf zur Revolution und deren Ausbruch ist doch noch ein kleiner - nicht nur zeitlicher - Unterschied :-) Dikigoros weiß nicht, wann genau diese Vorverlegung statt fand; er erinnert nur, daß bereits 1985 der "75. Jahrestag der Revolution" amtlich gefeiert wurde.

(Verstanden hatte er das schon damals nicht, zumal im selben Jahr auch der 175. Jahrestag der Unabhängigkeit von Spanien gefeiert wurde und für 1987 der 125. Jahrestag der Schlacht von Puebla anstand. Dazwischen hätte man doch prima den Revolutionsbeginn von 1911 feiern können - so aber ging das Jahr 1986 leer aus.)

**Über die mexikanische Revolution von 1911 und ihre "Ismen" ist viel geschrieben worden - manche meinen: mehr verwirrendes als [er]klärendes. Mag sein, aber das liegt nicht notwendiger Weise an den Schreibern - zu denen u.a. ein so kluger Kopf wie Colin Ross zählte - sondern (auch) daran, daß jene Revolution halt verworren war. Es ist so bequem, Ursachen, Verlauf und Resultate einfach zu erklären, d.h. nach dem immer gleichen Schema F. Aber einfach muß nicht immer richtig sein. Mit Sicherheit falsch ist die These der Marxisten, daß Revolutionen entstehen - womöglich gar mit "historischer Notwendigkeit" -, wenn sich die "Klasse der Ausgebeuteten" gegen die "Klasse der Ausbeuter" erhebt, weil es ihr wirtschaftlich schlecht gehe. Das kommt fast nie vor. Die meisten Revolutionen entstehen vielmehr, wenn die Oberschicht die Zügel schleifen läßt, die wirtschaftlich prosperierende Mittelschicht auch politisch an die Macht will und es ihren Vertretern gelingt, die - durchaus nicht darbende, aber unzufrieden-neidische - Unterschicht, mit welchen Argumenten und Versprechungen auch immer, gegen die Oberschicht aufzuhetzen mit dem Ziel, nach deren Sturz selber an die Macht zu gelangen.

[Cardenas macht der Unterschicht große Versprechungen]

Das Resultat ist immer gleich: Nach den mit Revolutionen, Bürgerkriegen u.ä. zwangsläufig einher gehenden Zerstörungen geht es allen schlechter, außer den neuen Herrschern - in der Regel den "starken Männern", nach denen das Volk alsbald ruft, um den Revolutionen, Bürgerkriegen etc. ein Ende zu bereiten. Aber beide Erklärungsversuche passen weder auf die mexikanische noch auf die chinesische Revolution von 1911, weil sie einen wesentlichen Aspekt außer acht lassen, den man früher den "völkischen", heute lieber mit einem vermeintlich vornehmeren und weniger "belasteten" Fremdwort den "ethnischen" nennt: Weder Mexiko noch China haben eine heterogene Bevölkerung, darüber können weder die Gleichschaltungsversuche der Spanier seit dem 16. Jahrhundert noch die der Kommunisten seit Mitte des 20. Jahrhunderts hinweg täuschen - und früher hatten sie die noch viel weniger. Die "Räuberhauptmänner" in Mexiko und die "Warlords" in China waren keine "starken Männer", sondern eher zufällige Anführer unterschiedlicher Stämme (z.B. der Yaqui in Sonora und der Maya in Yucatán), die nach Unabhängigkeit von der Zentralmacht strebten. Auch an sich im ganzen Land populäre Gestalten wie Zapata und Villa behaupteten sich nur regional (ersterer im Süden, letzterer im Norden). Eigentlich kann man gar nicht von der Revolution sprechen, sondern nur von vielen unkoordinierten Revolutiönchen und Aufständen, die letztlich allesamt in Strömen von Blut erstickten. Die Zahl der Bürgerkriegs-Opfer ist nie genau ermittelt worden; Schätzungen schwanken zwischen 1,5 und 3 Millionen, zuzüglich ca. 700.000 Toten in der anschließenden "Guerra Cristera". Damit hätte Mexiko einen prozentual höheren Bevölkerungsverlust gehabt als jede am parallel statt findenden Ersten Weltkrieg beteiligte Nation. (In absoluten Zahlen forderten der chinesische Bürgerkrieg und der Stalin'sche "Holodrom" wohl noch deutlich mehr Opfer; aber wie viele genau wurde auch dort nie ermittelt.)

***Ca. 650 Millionen Euro nach der Währungsreform von 2002. Das klingt nicht viel, wenn man die heutigen Gewinne der Ölgesellschaften kennt. Und wenn man dann noch liest, daß Mexiko nach dem Ersten Weltkrieg der zweitgrößte Erdöl-Produzent und der größte Erdöl-Exporteur der Welt war, macht man sich leicht falsche Vorstellungen. Mexiko war der zweitgrößte Ölproduzent (nach den USA), weil die Ölfelder in Venezuela, Nordafrika und am Persischen Golf entweder noch nicht entdeckt oder noch nicht erschlossen waren. (Man förderte damals Öl in Niederländisch-Indien, in Rumänien, in Ungarn und selbst in der Lüneburger Heide. Über die damalige Ölproduktion in der UdSSR gibt es keine verläßlichen Zahlen.) Mexiko war der größte Öl-Exporteur, weil es selber noch kaum Erdöl [ver]brauchte: Es gab weder private Kraftfahrzeuge noch Ölheizungen noch eine nennenswerte Industrie. Und die Erlöse waren, verglichen mit heute, geradezu lächerlich gering: Eine Tonne Rohöl kostete nach Einsetzen der Weltwirtschaftskrise von 1929 weniger als einen US-$; der Umsatz brach denn auch um sage und schreibe 80% gegenüber den Höchstständen in den 1920er Jahren ein. Wobei "Umsatz" nicht mit "Gewinn" zu verwechseln ist: Die Exploration in Mexiko erforderte beträchtliche Investitionen, nicht bloß eine "Anschubfinanzierung", sondern sie verursachte auch hohe laufende Kosten (viel höhere als z.B. in den arabischen Ländern). Kurzum: Für große "Gewinnbeteiligungen" war kein Raum.

****Auch hier das gleiche Spiel wie bei der Revolution: Die Streikenden litten nicht etwa Not, sondern sie waren die mit Abstand bestbezahlten Arbeiter Mexikos, ja Mittelamerikas. Man liest heute oft, daß die lediglich "Gleichstellung" verlangten und daß die Ölgesellschaften ihnen im Durchschnitt nur halb so viel zahlten wie den Ausländern. Letzteres stimmt, lag aber einfach daran, daß jene Ausländer dem Management angehörten, während die Mexikaner Arbeiter waren. Es soll schon mal vorkommen, daß die letzteren weniger verdienen als die leitenden Angestellten - nicht nur in Mexiko und nicht nur im Ölgeschäft. Nach der Verstaatlichung wurde den Arbeitern nicht etwa die Lohnerhöhung gewährt, für die man sie vorgeblich hatte streiken lassen; vielmehr wurde ihnen der Lohn um 30% gekürzt. Wer jetzt noch streikte, wurde fristlos entlassen; Streikposten wurden ohne viel Federlesen erschossen.

*****In den offiziellen Verleihungslisten fehlen die Jahrgänge 1955-1957. Der Stalin-Friedenspreis wurde bis 1954 als solcher verliehen, ab 1958 als "Lenin-Friedenspreis". Die Preisträger vor 1958 wurden später aufgefordert, ihre Medaillen und Urkunden zurück zu geben zum Austausch gegen solche mit Lenins Bild und Namen. Wer davon Gebrauch machte oder nicht oder doch ist unbekannt - so auch im Fall von Villa.

******Das gleiche Spiel zum Dritten: Noch nie hat eine Schüler- oder Studentenrevolte in irgendeiner Weise zur Verbesserung der Bildung oder der Berufsaussichten der Betreffenden beigetragen. Im besten Fall blieb die Obrigkeit hart und verwies die Krawallmacher von der Anstalt. Wenn nicht, wurde allenfalls eine Erleichterung der Zulassung oder der Prüfungen erreicht und damit eine Zunahme der Schüler und Studenten bzw. Absolventen. Dies führte aber wiederum zu einer schlechteren Ausbildung und verschlechterten Berufsaussichten auch für die besseren Schüler und Studenten. Massenuniversitäten und ein zahlreiches Proletariat arbeitsloser Akademiker sind Übel, die Hand in Hand gehen - so auch in Mexiko.


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