Nietzsches Übermensch

von Richard Beiderbeck

(Gesellschaft zur Demokratisierung
aller Lebensbereiche, Juli 2001)

(Links, Anmerkungen und
Bilder: Nikolas Dikigoros)

"Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch - ein Seil über einem Abgrunde", sagt Nietzsche in "Also sprach Zarathustra".

Der französische Orientalist und Religionswissenschaftler Ernest Renan schrieb im Jahr 1871 in „Träume“ über eine höher entwickelte Menschenrasse: „Es wäre dies eine Art von Göttern... Wesen, die uns zehnfach überlegen wären... An der Wissenschaft ist es, das Werk bei dem Punkt wieder aufzunehmen, bei welchem die Natur stehen geblieben ist... So wie die Menschheit aus der Tierheit hervor gegangen ist, so würde die Gottheit aus der Menschheit hervorgehen. Es würde Menschen geben, welche sich des Menschen bedienen würden, wie sich der Mensch der Tiere bedient.“

Wenn man die Darwinsche Evolutionstheorie konsequent weiterdenkt, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass der Mensch, „die Krone der Schöpfung“ auch wirklich der krönende Abschluß aller Evolution sein soll. Wenn man die Entwicklung des Menschen vom Australopithecus africanus zum Homo habilis, dann zum Homo erectus und schließlich zum Homo sapiens betrachtet, drängt sich der Gedanke auf, dass aus dem Homo sapiens einmal ein „Homo superior“ (ein „Übermensch“) entstehen könnte.

Da der Entwicklungsvorgang vom Homo erectus zum Homo sapiens etwa 1,2 Millionen Jahre benötigt hat, und da der Homo sapiens schon seit 500.000 Jahren existiert, könnte man annehmen, dass der Homo superior noch weitere 500.000 Jahre auf sich warten lässt.

Bei dieser Überlegung übersieht man aber, dass der Mensch immer mehr in die natürliche Entwicklung eingreift. Er hat bereits neue Pflanzen- und Tierrassen gezüchtet. Wird er auch neue Menschenrassen, ja neue Spezies von Menschen züchten bzw. gentechnologisch hervorbringen?

Schauen wir uns noch einmal die Zahl 500.000 Jahre an. Das die Zahl der Jahre, die der Homo sapiens bisher existiert hat. Diese Zahl gibt uns die Antwort auf die Frage „Wird der Mensch auf künstliche Weise einen höher entwickelten Menschen hervorbringen ?“. Die Antwort lautet: Mit Sicherheit wird der Mensch dies tun. Er wird es nicht in 500.000 Jahren tun, er wird es nicht in 1000 Jahren tun, sondern er wird es in den nächsten 200 Jahren tun.

Diese Zahlen zeigen auch, dass die Evolution eine dramatische, explosionsartige Beschleunigung erfahren wird. Der Mensch, dieser Zauberlehrling, wird der Natur ins Handwerk pfuschen, mehr noch, er wird die natürliche Evolution außer Kraft setzten. Er wird so schnell ganz neue Tiere und Pflanzen schaffen, dass da die Schöpferkraft der Natur einfach nicht mehr mithalten kann. Wir leben im Zeitalter der postbiologischen Evolution.

Ein anderer Aspekt ist, dass der Mensch dabei ist, nicht biologisches Leben und nichtbiologische Intelligenz zu schaffen. Eine Spezies von Robotern, die Roboter der gleichen Art baut, (sich also selbst reproduziert) könnte alle Kriterien erfüllen, die bisher nur von intelligenten Lebewesen erfüllt wurden. Der Übermensch könnte also auch ein Roboter, ein Supercomputer oder ein Computernetzwerk sein.

Der Übermensch, der auf den ersten Blick in einer unendlichen fernen Zukunft auf die Menschheit wartete, könnte also schon vor der Tür stehen. „Darum wachet ! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“ (Matthäus-Evangelium, Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen).

Im großen Plan der Evolution ist es aus der Sicht Nietzsches die Aufgabe des Menschen, seinen Nachfolger hervorzubringen, der höher entwickelt ist als er selbst. Diesem, dem Menschen überlegenen Menschen nennt Nietzsche den "Übermenschen".

Wie soll sich die Menschheit im Angesicht der Möglichkeit verhalten, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, deren Arbeit darauf hinausläuft, einen Übermenschen oder einen dem Menschen überlegenen Computer hervorzubringen ? Diese Gruppe von Menschen gibt es bereits: Es sind im weitesten Sinne alle diejenigen, die am technisch-wissenschaftlichen Fortschritt arbeiten und alle diejenigen, die durch ihre Arbeit das Geld und die Rohstoffe zur Verfügung stellen, damit der technische Fortschritt weitergehen kann.

Soll die Menschheit die Schaffung des Übermenschen bejahen und vielleicht sogar bewusst betreiben, oder soll sich die Menschheit auf den Standpunkt stellen: „Der Übermensch wird den Menschen ausrotten, so wie der Cro-Magnon-Mensch den Neanderthaler ausgerottet hat. Deshalb wehret den Anfängen!“ (Ob unsere Vorfahren den Neanderthaler ausgerottet haben oder nicht, kann man heute nicht mehr sagen; aber wer sich das Verhalten der Menschheit betrachtet, muss zu dem Schluss kommen: Wahrscheinlich haben unsere Vorfahren den Neanderthaler aktiv gejagt und vernichtet. Eine Menschheit, die den militärischen Dienstgrad eines „Jägers“ (sprich: „Menschenjägers“) hervorbringt, würde auch heute nicht zögern, den Dienstgrad eines „Neanderthaler-Jägers“ hervorbringen. Wenn der Übermensch unsere instinktiven Verhaltensweisen erben und kultivieren würde (was hoffentlich nicht der Fall sein wird), dann müsste man davon ausgehen, dass der Übermensch zum „Homo-sapiens-Jäger“ werden wird. Sicher würde er sein Ausrottungshandwerk nicht so primitiv wie die Nazis betreiben – das wäre unter seiner Würde und Erhabenheit. Vielleicht wird er uns einfach daran hindern, uns zu fortzupflanzen. In diesem Szenario könnte man sich aber auch vorstellen, dass der Homo superior sich einige Exemplare des Homo sapiens (er würde uns vielleicht „Animal sapiens“ – „kluges Tier“ nennen) im Zoo oder für wissenschaftliche Studien und Versuche hält.

Ein anderes Szenario wäre aber, dass der Übermensch ein durch und durch edler und guter Mensch ist, der gegenüber seinem Vorgänger, der ihn ja schließlich hervorgebracht hat, Gefühle der Dankbarkeit, der Zuneigung und des Mitleides empfindet. Vielleicht wird der Übermensch dem „Normalmenschen“ einen Teil unseres Planeten überlassen, wo er sein gewohntes Leben führen kann. Vielleicht wird der Übermensch dem Normalmenschen sogar helfen, ein angenehmes und glückliches Leben zu führen. Der Übermensch hätte sicher die Macht dazu. Es fragt sich nur, ob er auch den Willen dazu hätte. Denkbar wäre auch, dass der Übermensch den Normalmenschen als eine Art Hund hält – nach dem Motto: „Der Normalmensch ist der beste Freund des Übermenschen“. Der Übermensch könnte sich ja auch eine besonders angenehme und liebenswerte Variante des Homo sapiens erschaffen, welche ihr ganzes Glück darin findet, dem Übermenschen zu dienen und ihm treu und ergeben zu sein.

Denkbar wäre auch, dass der Übermensch etwa folgende Überlegung anstellt: „Der Normalmensch ist im Besitz von Massenvernichtungswaffen. Er kann jederzeit diesen Planeten in eine radioaktiv verseuchte Wüste verwandeln. Selbst wenn er keinen Atomkrieg führt, wird er diesen Planeten allmählich in eine gigantische Müllkippe verwandeln. Wenn der Normalmensch also früher später diesen Planeten ruinieren wird, wird er auch die Zukunft des Übermenschen ruinieren. Also muss der Übermensch den Normalmenschen entmachten.“

Rufen wir uns noch einmal den eingangs zitierten Satz Nietzsches ins Gedächtnis: "Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch, - ein Seil über einem Abgrunde". Heute wissen wir, was Nietzsche nur ahnte: Der Mensch ist in der Gefahr, sich selbst in den Abgrund zu stoßen, denn er ist noch in primitiven Verhaltensmustern befangen, verfügt aber schon über die Macht, seine ganze Spezies auszulöschen und unseren Planeten zu ruinieren. Allerdings dürfte der Übermensch, den Nietzsche im Sinn hat, also ein brutaler uns skrupelloser Mensch, kaum der Richtige sein, um die Erde vor der Zerstörung zu retten.

Das Abgründige am Menschen ist, dass er nicht nur sich selbst, sondern alle noch höher entwickelten Lebewesen mit sich in den Abgrund ziehen kann – einfach indem er eine Katastrophe auslöst, welche zum Untergang aller Primaten auf diesem Planeten führt. Wenn es weder Menschen noch Affen auf der Erde mehr gäbe, dann wäre die Evolution um viele Millionen Jahre zurückgeworfen.

Nietzsche sagt, der Mensch soll diese Entwicklung des Übermensche bewusst bejahen und wollen. Nietzsche liebte die Menschen nicht. Was er positiv an ihnen fand, war, dass sie untergehen und zuvor etwas Neues hervorbringen werden: den Übermenschen. Für Nietzsche ist der ideale Mensch derjenige, welcher der Wegbereiter des Übermenschen ist, obwohl er weiß, dass der Übermensch der Untergang des Menschen sein kann. Der ideale Mensch ist also derjenige, der seinen eigenen Untergang freudig begrüßt, weil er so Platz für den Übermenschen macht. Nicht „Menschheit“, sondern Übermensch ist das Ziel, sagt Nietzsche.

Der ideale Mensch im Sinne von Nietzsche ist also der Gentechnologe, der in seinem Labor am Übermenschen bastelt, obwohl er weiß, dass dieser Übermensch die heutigen Menschen vielleicht wie Ungeziefer ausrotten wird und höchstens ein paar Exemplare im Zoo halten wird.

Es gibt noch eine andere Spezies von Wissenschaftlern, die am Übermenschen arbeiten: Die Computerfachleute und Informatiker. Im Internet las ich (sinngemäß): „Projekt ‚Übermensch’ ist ein Versuch, den größten Ultracomputer der Welt zu bauen. Das Übermensch-System ist ein Beowulf-System, das geschenkte Computer von Spendern aus der ganzen Welt zu einem Supercomputer vernetzt, so dass dieses Netzwerk wie ein einziger Supercomputer arbeitet“.

Es wäre etwas natürlich naiv, aus einem Haufen vernetzter alter 386-er eine dem Menschen vergleichbare Intelligenz zu schaffen - diesen Anspruch erheben die Urheber des Übermensch- Projekts auch gar nicht. Aber der Name des Projekts lässt ahnen, in welche Richtung die Wunschträume gehen. Dennoch: es ist nicht ausgeschlossen, dass der wahre Übermensch ein Netzwerk von über die ganze Erde verteilten Computern sein wird.

Es wäre sogar denkbar, dass zwei Arten von Übermenschen einst um die Vorherrschaft auf der Erde kämpfen werden: Die durch gentechnische Manipulation gezüchteten Nachfolger des Menschen und die Supercomputer.

Lassen wir nochmals Nietzsche zu Wort kommen (in Zarathustras Vorrede): "Ich liebe den, welcher arbeitet und erfindet, dass er dem Übermenschen das Haus baue und zu ihm Erde, Tier und Pflanze vorbereite: denn er will seinen Untergang... Seht, ich bin ein Verkündiger des Blitzes, und ein schwerer Tropfen aus der Wolke: dieser Blitz aber heißt Übermensch."

Man kann aber aus folgender Passage (Zarathustra, Kapitel "Auf den glücklichen Inseln") entnehmen, dass Nietzsche die Züchtung des Übermenschen befürwortete: "Könntet ihr einen Gott schaffen? ... Wohl aber könnt ihr den Übermenschen schaffen. Nicht ihr vielleicht selber, meine Brüder ! Aber zu Vätern und Vorfahren könntet ihr euch umschaffen des Übermenschen: und dies sei euer bestes Schaffen!"

In „Der Wille zur Macht“ schreibt Nietzsche: „wäre es nicht an der Zeit, je mehr der Typus ‚Herdentier’ jetzt in Europa entwickelt wird, mit einer künstlichen und bewussten Züchtung des entgegengesetzten Typus und seiner Tugenden den Versuch zu machen?“

Für Nietzsche ist das Gegenteil des Übermenschen der "letzte Mensch". Ihm gilt die ganze Verachtung Nietzsches. Dieser letzte Mensch ist kein primitiver Proletarier, sondern ein wohlhabender Spießbürger in Spätzeit der menschlichen Entwicklung. Der letzte Mensch flieht aus dem kalten Norden in den angenehme warmen Süden. Er achtet sehr auf seine Gesundheit und vermeidet es krank zu werden. Er geht achtsam mit seinen Mitmenschen um und vermeidet es, sie zu ärgern oder zu provozieren. „Ein Tor, der noch über Steine oder Menschen stolpert !“ formuliert Nietzsche den Standpunkt des „letzten Menschen“. Der letzte Mensch arbeitet noch, aber er arbeitet nur zu seiner Unterhaltung. Man ist wohlhabend, aber nicht superreich, denn das wäre, ebenso wie Armut, zu beschwerlich. Niemand will mehr regieren, niemand will mehr gehorchen. Auch dies ist dem dekadenten „letzten Menschen“ zu beschwerlich. Nietzsche sagt: „Jeder will das gleiche, jeder ist gleich: wer anders fühlt, geht freiwillig ins Irrenhaus... Man ist klug und weiß alles, was geschehen ist...Man hat ein Lüstchen für den Tag und ein Lüstchen für die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit. 'Wir haben das Glück erfunden' - sagen die letzten Menschen und blinzeln."

Hier schildert Nietzsche eine überalterte Wohlstandsgesellschaft von Warmduschern, Schattenparkern und Dünnbrettbohrern, die sich im Winter in den Süden flüchtet.

Nietzsche ist sich bewusst, dass, wenn es auch satanische Übermenschen geben wird. Er schreibt (Zarathustra, Kapitel "Von der Menschen Klugheit"): "Wahrlich, es gibt auch für das Böse noch eine Zukunft! ... Einst werden aber größere Drachen (d.h. Teufel) zur Welt kommen. Denn daß dem Übermenschen der Drache nicht fehle, der Über-Drache, der seiner würdig ist: dazu muß noch viel heiße Sonne auf feuchtem Urwald glühn !"

Wie schon Nietzsche in der Vorrede zu Zarathustra darlegte, hofft er, daß es Menschen geben wird, welche die Entwicklung des Übermenschen fördern. Diese Menschen nennt Nietzsche die "höheren Menschen". Sie stehen im Gegensatz zu den "letzten Menschen", die Nietzsche als Pöbel betrachtet. Sehr zum Mißvergnügen Nietzsches, der wohl alles andere als ein Demokrat war, herrscht der "Pöbel": Er schreibt: "Heute nämlich wurden die kleinen Leute Herr: die predigen alle Ergebung und Bescheidung und Klugheit und Fleiß und Rücksicht und das lange Und-so-weiter der kleinen Tugenden. Was von Weibsart ist, was von Knechtsart stammt und sonderlich der Pöbel-Mischmasch: das will nun Herr werden alles Menschen-Schicksals."

Was Nietzsche als Pöbel verunglimpft, sind die normalen Bürger, die vernünftig und verantwortungsvoll ihr Gemeinwesen selbst regieren.

Nietzsche lebte in einer Zeit, in welcher der Adel und die Feudalgesellschaft durch die Bürgerliche Gesellschaft abgelöst wurde. Der Elite-Gedanke ist der Gedanke der Aristokratie. Nachdem die alte Aristokratie dem Ende ihrer Macht und Herrlichkeit entgegen ging, suchte Nietzsche eine neue Elite. Die Elite sind für Nietzsche die "höheren Menschen" - zu denen er sich selbst natürlich auch zählt. Er lehnt den Gedanken entschieden ab, daß alle Menschen gleich viel wert und gleich berechtigt.

Aus Nietzsches Sicht ist Gott tot, insofern macht für ihn der Satz "Alle Menschen sind vor Gott gleich" keine  Sinn. Ihm liegt auch nichts an Benthams Idee, daß die Politik das möglichst große Glück der möglichst großen Zahl von Menschen anstreben sollte. Nietzsche will auch nichts zu tun haben mit den Weltverbesserern: "Die Sorglichen fragen heute: ‚wie bleibt der Mensch erhalten ?’. Zarathustra fragt als der Einzige und Erste: ‚wie wird der Mensch überwunden ? Der Übermensch liegt mir am Herzen, der ist mein Erstes und Einziges, - und nicht der Mensch: nicht der Nächste, nicht der Ärmste, nicht der Leidendste, nicht der Beste."

"Wohlan! Wohlauf! Ihr höheren Menschen ! Nun erst kreißt der Berg der Menschen-Zukunft. Gott starb: nun wollen wir, daß der Übermensch lebe."

Der Aufstieg des Übermenschen bedeutet für Nietzsche den Untergang des Menschen. Aus der Sicht des Menschen ist es also etwas Böses, die Heraufkunft des Übermenschen zu fördern - so wie es der "höhere Mensch" tut. Vor diesem Hintergrund ist wohl die folgende Textpassage zu verstehen:

"Der Mensch muß besser und böser werden - so lehre ich. Das Böseste ist nötig für des Übermenschen Bestem".

Daß die "höheren Menschen" die Entwicklung des Übermenschen fördern, bringt sie im Gegensatz zu der Mehrheit, die aus den "letzten Menschen" besteht. Dies wird den "höheren Menschen" natürlich eine Menge Leiden bringen. Nietzsche lässt seinen Zarathustra sagen: "Oder ich wollte fürderhin euch Leidende bequemer betten? Oder euch Unsteten, Verirrten, Verketteten neue leichtere Fußsteige zeigen? Nein! Nein! Dreimal Nein! Immer mehr, immer Bessere eurer Art sollen zugrunde gehn, - denn ihr sollt es immer schlimmer und härter haben. So allein - so allein wächst der Mensch in die Höhe, wo der Blitz (d. h. der Übermensch) ihn trifft und zerbricht."

Für Nietzsche sind also die "höheren Menschen" die Märthyrer, die sich für den Übermenschen opfern und zum Dank dafür von ihm ausgerottet werden. Hier klingt in Nietzsches Ideen der christliche Satz an: "Das Blut der Märthyrer ist der Samen, auf dem die Kirche gebaut wird."

Gewissermaßen ist der Übermensch der Moloch, dem die Menschen geopfert werden.

Die höheren Menschen sind für Nietzsche Menschen, die sich einem Ideal opfern. Früher opferten sich die Heiligen für Gott, die zukünftigen Heiligen werden sich aus der Sicht Nietzsches für den Übermenschen opfern. Er ist an die Stelle Gottes getreten.

Der Übermensch-Gedanke Nietzsches ist das konsequente Endprodukt einer geistigen Entwicklung, die mit der Renaissance begann: Der Mensch tritt in Gegensatz zu den religiösen Autoritäten. Er besinnt sich auf sich selbst und die Kraft der Vernunft. Er befreit sich aus der selbstgewählten Unmündigkeit, wie es Kant sagt. Der nächste Schritt ist, daß Gott für nicht existent erklärt wird. Der neue Gott heißt dann z.B. „Leviathan“ (bei Thomas Hobbes). Leviathan ist der Staat, speziell der Nationalstaat [Nein - von National schreibt Hobbes nichts! Anm. Dikigoros] - auch so ein Moloch, dem Millionen von Menschen im Krieg geopfert werden. Der Mensch wird souverän, er erkennt keine andere Macht über sich an. "Tu, was Du willst, dies sei dein Gesetz" predigt dann der Satanist Aleister Crowley. Der Mensch macht sich selbst zum Gott. Das war übrigens schon in der Antike nichts Neues. Aus "Ave Caesar" wurde "Heil Hitler", und Goebbels, der "Renaissancemensch" (wie er sich selbst nannte [auch das ist falsch; nicht Goebbels, sondern Göring bezeichnete sich so, Anm. Dikigoros]) lehrte die Massen, den Führer wie einen Gott anzubeten. Da aber der Mensch doch ziemlich schäbig und ziemlich sterblich ist, kann er die Rolle Gottes schlecht spielen. Aber vielleicht wird der Mensch einmal noch viel herrlicher und vielleicht sogar unsterblich. Laßt uns also den Übermenschen schaffen! Dies ist in etwa die Gedankenkette, die sich eigentlich ganz zwingend ergibt - wenn man die Straße der Aufklärung und des Rationalismus konsequent zu Ende geht. Soll uns das mit Schrecken oder mit Hoffnung und Bewunderung für den modernen Menschen erfüllen? Vielleicht ist all dies auch der Plan Gottes. Man wird sehen.

Im Kapitel "Zucht und Züchtung" des Buches "Der Wille zur Macht" vertritt Nietzsche die Ansicht, daß der "niedere Mensch" die ökonomische Basis für die Existenz und die Taten des "höheren Menschen" liefern soll. Der niedere Mensch soll Einschränkungen der Freiheit, ja sogar ein Versklavt-werden in Kauf nehmen, damit eine höhere Art von Mensch entstehen kann.

Der niedere Mensch: das ist für Nietzsche der Massenmensch, also der durchschnittliche Mensch, ein schwacher, kränkelnder, antriebsarmer, unvollkommener, dekadenter Mensch. Der höhere Mensch ist eine neue Aristokratie - Menschen, die vor Gesundheit und Kraft strotzen, die ungewöhnlich intelligent, tatkräftig und energisch sind. Diese "höheren Menschen" sind skrupellos und gehen davon aus, daß die Normen und Moralvorstellungen der breiten Masse für sie nicht zutreffen; sie stehen über Gesetz und Moral. "Eine Kriegserklärung der höheren Menschen gegen die Masse ist nötig!" fordert Nietzsche. Kriegserklärung, das bedeutet: im Krieg ist alles erlaubt und ein Verbrechen ist kein Verbrechen, sondern nur eine Kriegshandlung.

Diese Gedanken Nietzsches führten in letzter Konsequenz zu dem, was der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, am 4. Oktober 1943 bei der SS-Gruppenführer-Tagung in Posen sagte: „Ob die andern Völker im Wohlstand leben oder ob sie verrecken vor Hunger, das interessiert mich nur insoweit, als wir sie als Sklaven für unsere Kultur brauchen, anderes interessiert mich nicht. Ob bei dem Bau eines Panzergrabens 10 000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht, interessiert mich nur in soweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird.“

So führen böse und kranke Gedanken zu bösen und kranken Taten.

Nietzsches Philosophie vom Recht des Stärkeren (den Schwachen zu versklaven und zu töten) hat einige Denkfehler: Wenn sich Individuen der gleichen Spezies gegenseitig umbringen, dient dies weder der Erhaltung noch der Höherentwicklung der Art. Darwin hat formuliert: „survival of the fitest“; also, der an seine Umgebung am besten Angepasste überlebt. Wenn das Leben der Menschen tatsächlich ein Kampf „jeder gegen jeden“ wäre, dann wären die skrupellosesten Verbrecher und Mörder die am besten angepassten Individuen. Gerade das ist aber nicht der Fall.

Obwohl Nietzsche sicher nicht gewollt hat, dass „10 000 russische Weiber an Entkräftung umfallen“, kann man ihm von der Mitschuld an den Nazi-Verbrechen nicht freisprechen. Allerdings kann er mildernde Umstände in Anspruch nehmen: er war geistig angeschlagen, wenn nicht gar schon krank, als der den „Willen zur Macht“ schrieb.

Man muß die gesamte Philosophie Nietzsches vom Übermenschgedanken her verstehen. Er hat den Übermenschen zum alleinigen Maßstab aller Wertungen gemacht. Er kam dann, ausgehend von unzutreffenden Vermutungen zu absurden Schlussfolgerungen, die andere, nämlich die Nazis, als Rechtfertigung für ihren Rassenwahn und ihre Verbrechen benutzt haben.

Nietzsches Gedankengang ist folgender: Der Sinn des Menschen ist den Übermenschen hervorzubringen. Diesem Ziel müssen sich alle anderen Erwägungen, vor allem ethische und moralische Bedenken, beugen. Dieses Ziel, den Übermenschen zu schaffen, ist so wichtig, dass jeder, der die Entwicklung des Übermenschen vorantreibt, nicht nach den gültigen Maßstäben der Moral beurteilt werden darf. Er steht, wie auch der Übermensch selbst, „jenseits von Gut und Böse“ und seine Aufgabe ist es, über die Normalmenschen zu herrschen.

Die unzutreffenden Vermutungen, die Nietzsche anstellte, sind:

Der Übermensch kann nur durch Züchtung geschaffen werden. Nietzsche wusste nichts von den modernen Technologien.

Der Übermensch wird den Menschen gnadenlos ausrotten. Dies wäre aber nur eines von vielen denkbaren Szenarien. [Eben. Wie es aussieht wird vielmehr der Untermensch den Menschen ausrotten, Anm. Dikigoros]

Der Normalmensch wird diejenigen Menschen, welche die Erschaffung des Übermenschen vorantreiben, verfolgen und bekämpfen.

Man versucht zwar zur Zeit, die Gentechnologie einer strengen Zensur zu unterziehen, die genau bestimmt, was erlaubt und was nicht erlaubt ist. Aber man ist noch weit davon entfernt, die Gentechniker und die Computerfachleute zu bekämpfen. Man wird das auch kaum tun, weil man nicht auf die Vorteile, die diese Wissenschaften bieten, verzichten will. Die Gentechnologie kann hohe Versprechungen machen: Heilung aller Krankheiten und Verlängerung des menschlichen Lebens. Dies naheliegenden und greifbaren Vorteile werden die weit in der Ferne liegende Möglichkeit, dass der Mensch von einem Lebewesen ausgerottet werden könnte, das er selbst schafft, aus dem Bewusstsein der Menschen verdrängen. Mit wird sich viel mehr vor irgendwelchen gefährlichen Mikroben fürchten, die der Gentechnologe in seinen Labor züchtet, als vor einem Übermenschen.

Der Übermensch und seine Vorläufer, die „höheren Menschen“ können sich gegen den Normalmenschen nur durchsetzten, indem sie mit brutaler Gewalt und Unterdrückung gegen ihn vorgehen. Denkbar wäre auch ein listige und „einschleichende“ Strategie, welche alle moralischen und ethischen Normen beachtet.

Es muss also nicht zum großen „Showdown“ zwischen Gegnern und Befürwortern des Übermenschen kommen. Es muß auch kein grundlegender und unüberwindlicher Interessenkonflikt zwischen Normalmensch und Übermensch bestehen; es ist nicht gesagt, dass Normalmensch und Übermensch gegeneinander in einem gnadenlosen Vernichtungskrieg ums Überleben des Stärkeren antreten müssen. Wenn der Normalmensch sich dazu anschicken würde, einen weltweiten Atomkrieg zu entfesseln, müsste ihm der Übermensch im Interesse des eigenen Überlebens in den Arm fallen. In diesem Fall würde sich der Übermensch sogar in einer Art Notwehrsituation befinden, die ihn berechtigen würde, den Menschen auszurotten. Aber das wäre eine extreme Reaktion; es würde ja schon genügen, die wenigen Kriegstreiber unter den Normalmenschen unschädlich zu machen. Wenn der Übermensch den Normalmenschen also hindern würde, den Planeten Erde zu verwüsten, wäre dies auch im Interesse des Normalmenschen. Es würde also im Grunde kein Interessenkonflikt bestehen.

Ausgehend von Falschen Annahmen kommt Nietzsche zu dem falschen Schluß, dass der Übermensch und seine Wegbereiter brutal und skrupellos sein müssen und über jede menschliche Moral erhaben sei. Niemand, auch der Übermensch nicht, ist aber über die Menschenrechte erhaben. Die Menschenrechte und die gesetzlichen Normen besagen nämlich, dass eine Gruppe von Lebewesen (es müssen keine menschlichen Lebewesen sein) ein gemeinsames Interesse haben muß, zu verhindern, dass einzelne, gefährliche Individuen die anderen töten, verletzen, versklaven oder betrügen.

Der Mensch ist leider derjenige, der den Tieren keine „Menschenrechte“ zubilligt. Er tötet und versklavt die Tiere. Nietzsche erwartet, dass der Übermensch den Menschen als Tier betrachten wird und mit dem Menschen so umgehen wird, wie der Mensch mit den Tieren umgeht. Dies ist sicher eine Fehleinschätzung. Aber dies Überlegung sollte uns nachdenklich machen. Vielleicht sollten wir mit den Tieren menschlich umgehen, damit nicht der Übermensch eines Tages doch mit uns umgeht, wie wir mit den Tieren.

Es ist zum Abschluß dieses Kapitels noch eine kleine Biographie Nietzsches:

Wer war Friedrich Nietzsche (1844 bis 1900)?

In „Dollheimers Großes Buch des Wissens“, erschienen 1938 in Leipzig, steht über Nietzsche: „Mit seiner scharfen Kritik an den entartenden Erscheinungen des Christentums... aber auch als genialer Sprachschöpfer gehört Nietzsche zu den größten Gestalten der deutschen Geistesgeschichte und zu den Kündern eines wahrhaft deutschen Lebensgefühls, das mit dem Nationalsozialismus zum endgültigen Durchbruch kam. Auch auf das faschistische Ideengut hat Nietzsche erheblichen Einfluß ausgeübt.“ Nun, das ist wohl Beifall von der falschen Seite.

In dem „Neuen Herder“, erschienen 1952 heißt es: „Nietzsche ist gänzlich unsystematisch und voll schärfster Widersprüche. In der Entscheidung für Dionysios statt für Christus, für das biologische statt für das Geistige hat sich sein leidenschaftliches Suchen nach den echten Menschheitswerten verirrt. Seine Lehre, oft vergröbert und umgebogen, hat verhängnisvoll die Entstehung einer vom Machtwillen beherrschten Staatsidee, einer den Leib verherrlichenden Mythusbildung, einer aufs Rassische bezogenen Lebensphilosophie, eines antichristlichen Irrationalismus beeinflusst. Aber auch der „neue Herder“ bescheinigt Nietzsche: „Nietzsches Denken formt sich aus in einer hinreißenden Sprachgewalt, voll echten dichterischen Pathos.“

Nietzsche wurde 1844 in Röcken in Sachsen als Sohn eines protestantischen Pfarrers geboren. Er erhielt 1869 (im Alter von 25 Jahren) einen Ruf auf den Lehrstuhl für Altphilologie an der Universität Basel, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum Doktor promoviert war. Zehn Jahre später, 1879 wurde er wegen Krankheit frühpensioniert. Den Rest seines Lebens verbrachte er in der Schweiz (bevorzugt in Sils Maria im Engadin) und in Italien. 1889 kam sein geistiger Zusammenbruch. Er wurde von seiner Schwester Elisabeth Foerster-Nietzsche gepflegt und starb 1900 in Weimar.

Als Kind war Nietzsche Klassenprimus. In Bonn begann er ein Studium der Theologie, brach es aber ab, als er zu der Überzeugung gelangt war, dass Gott „tot“ sei. Er wandte sich der Philosophie zu, besonders der Philosophie Schopenhauers. Zu den Frauen hatte er eher ein problematisches Verhältnis. In jungen Jahren steckte er sich vermutlich mit der damals unheilbaren Syphilis an (in einem Leipziger Bordell). In Leipzig lernte Nietzsche auch Wagner kennen, dessen glühender Verehrer er wurde. Als er in Basel Professor war, besuchte er Wagner öfters in Triebschen bei Luzern, wo dieser mit seiner Familie lebte. 1878 aber kam es zum Bruch zwischen Wagner und Nietzsche.

1879 mußte Nietzsche seine Professur in Basel aufgeben. Er litt an chronischen Kopfschmerzen und einem Nachlassen der Sehkraft. Von nun an vagabundierte er durch Deutschland, Italien und die Schweiz – begleitet von einer monströsen Hausapotheke. Er wurde immer einsamer. Im Jahr 1881 war Nietzsche an einem Tiefpunkt angelangt. Seit 1879 litt an Magenkrämpfen, Erbrechen, Schwindelanfällen, Migräne und quälenden Schmerzen in und über den beiden Augen. 1881 kamen noch Sprechstörungen hinzu und er erbrach sich drei Tage und drei Nächte hintereinander. Doch dann kam eine Wende zum Besseren. Er verordnete sich eine selbsterfundene Diät, machte große Spaziergänge und wechselte häufig den Aufenthaltsort. Obwohl er immer wieder neue Anfälle erlitt, erlebte er von 1881 bis 1888 einen Schaffensrausch. Seine Bücher musste er aber auf eigene Kosten herausgeben (in wenigen hundert Exemplaren, die kaum Beachtung fanden). Er verliebte sich in die junge Lou Salome (die spätere Freundin von Rilke und Sigmund Freud). Die Beziehung zerbrach aber, als er ihr einen Heiratsantrag übermitteln ließ. 1889 umarmte er in Turin klagend ein misshandelndes Pferd – dies war der Beginn seiner „geistigen Umnachtung“, möglicherweise eine fortschreitende, durch die Syphilis bedingte Gehirnlähmung. Er wurde erst von seiner Mutter, dann, als diese starb, von seiner Schwester gepflegt. Diese verwalteten seinen Nachlaß und gab seine Schriften heraus, wobei sie nicht vor allerlei Änderungen zurückschreckte. Insbesondere fügte sie antisemitische Äußerungen ein. Nietzsche selbst war kein Judenhasser, sondern eher ein Bewunderer der Juden.

Am 31. Dezember 1888 schrieb Nietzsche an Strindberg: „Ich habe einen Fürstentag nach Rom zusammenbefohlen, ich will den jungen Kaiser (Wilhelm II) füsilieren lassen.“ Unterschrift: „Nietzsche Caesar“. Am ersten Januar sprach er Freunde auf der Straße an: „Ich bin Gott“. Am 4. Januar schrieb er in einem Brief: „Nachdem sich unwiderruflich herausgestellt hat, dass ich eigentlich die Welt erschaffen habe...“ Am 5. Januar schrieb er an Jacob Burckhardt: „Lieber Herr Professor, zuletzt wäre ich sehr viel lieber Baseler Professor als Gott; aber ich habe es nicht gewagt, meinen Privat- Egoismus so weit zu treiben.“

Alarmiert durch den Brief überredete der 70-jährige Jacob Burckhardt den langjährigen Freund Nietzsches, den evangelischen Professor Franz Overbeck, von Basel nach Turin zu fahren und sich um Nietzsche zu kümmern. Dort fand ihn Overbeck. Er schreibt, „dass er in lauten Gesängen und Rasereien am Klavier, sich maßlos steigernd, Fetzen aus der Gedankenwelt, in der er zuletzt gelebt hat, hervorstieß und dabei auch in kurzen, mit einem unbeschreiblich gedämpften Tone vorgebrachten Sätzen sublime, wunderbar hellsichtige und unsäglich schauerliche Dinge über sich als den Nachfolger des toten Gottes vernehmen ließ, das Ganze auf dem Klavier gleichsam interpunktierend... wobei er „die orgiastische Vorstellung der heiligen Raserei, wie sie der antiken Tragödie zugrunde lag, auf grauenhafte Weise verkörperte“.

Mit Hilfe von Leopold Bettman, eines Hochstaplers, der sich als Psychiater ausgab, gelang es, den irren Nietzsche in den Zug nach Basel, und in Basel in die Klinik zu bringen. Bald darauf traf seine Mutter ein und brachte ihn in die Klinik nach Jena. Dort blieb er ein Jahr, und wurde dann der Obhut seiner Mutter übergeben. Also sie 1897 starb, übernahm seine Schwester die Pflege.

Nietzsche hat die Globalisierung vorhergesehen. Dies kann man dem folgenden Halbsatz entnehmen: „Haben wir erst jene unvermeidlich bevorstehende Wirtschafts-Gesamtverwaltung der Erde...“. Wenn die Welt zu einer Einheit zusammenwachsen würde, wer sollte dann die Welt regieren ? Für Nietzsche war die Antwort klar: Der Übermensch. Er schreibt (in „Der Wille zur Macht“):

„Es naht sich, unabweislich, zögernd, furchtbar wie das Schicksal, die große Aufgabe und Frage: wie soll die Erde als Ganzes verwaltet werden ? Und wozu soll „der Mensch“ als Ganzes – und nicht mehr ein Volk, eine Rasse – gezogen und gezüchtet werden?“

Wesentlich beeinflusst hat ihn auch das Wort von Charles Darwin vom „Kampf ums Dasein“. In Nietzsches Weltbild wird sich der Übermensch mit dem Normalmenschen einen Kampf ums Überleben liefern, aus dem der Übermensch, dank seiner Raubtierqualitäten, seiner Skrupellosigkeit und seiner List den Sieg davon tagen wird. Damit der Übermensch entstehen kann, so folgert Nietzsche, braucht es besondere Umstände, nämlich Gefahr und Bedrängtheit, die durch eine Auslese nur denjenigen überleben lassen, der besonders viel Phantasie und Willenskraft hat. „Sein Lebens-Wille muß bis zu einem unbedingten Willen zur Macht und zur Übermacht gesteigert werden“, sagt Nietzsche und folgert, dass „Teufelei jeder Art“ zur „Erhöhung des Typus Mensch notwendig ist“. „Eine Umkehrung der Werte... (muß) ... eine Menge im Zaum gehaltener und verleumdeter Instinkte... entfesseln...“.

Nietzsche schreibt über seinen „Übermenschen“: „Ein großer Mensch, ...was ist das ? ...er ist kälter, härter, unbedenklicher...es fehlen ihm die Tugenden...überhaupt alles, was zur „Tugend der Herde“ gehört...Er will Diener, Werkzeuge; ...er ist immer darauf aus, etwas aus ihnen zu machen...er lügt lieber als dass er die Wahrheit redet...Jene ungeheuere Energie der Größe zu gewinnen um, durch Züchtung und andererseits durch Vernichtung von Millionen Missratener, den zukünftigen Menschen zu gestalten und nicht zugrunde zu gehen an dem Leid, das man schafft und desgleichen noch nie da war.“

Nietzsche fordert eine „Moral mit der Absicht , eine regierende Kaste zu züchten“ - „die zukünftigen Herren der Erde“. Diese zukünftigen Herren der Erde und ihre Förderer müssen zunächst aber im Verborgenen bleiben und so tun, als würde ihre Moral mit der herrschenden „Herdentiermoral“ (Nietzsche) übereinstimmen. Nietzsche: „... jene Herdentier-Moral, die mit allen Kräften das allgemeine grüne Weide-Glück auf Erden erstrebt, nämlich Sicherheit, Ungefährlichkeit, Behagen, Leichtigkeit des Lebens und zu guter Letzt, „wenn alles gut geht“, sich auch noch aller Art Hirten und Leithämmel zu entschlagen hofft. Ihre beiden am reichlichsten gepredigten Lehren heißen: „Gleichheit der Rechte“ und „Mitgefühl für alles Leidende“ – und das Leiden selber wird von ihnen als etwas genommen, das man schlechterdings abschaffen muß...“. Für diese Moral hat Nietzsche nur Verachtung. Aber Hochmut kommt vor den Fall, und Nietzsche geriet, schon bald nachdem er diese Worte geschrieben hatte, in eine Lage, in welcher er auf das „Mitgefühl für Leidende“ angewiesen war.

Manchmal kann man mit Händen greifen, wie Nietzsche durch seine unseligen Gedanken den Nazis zugearbeitet und Holokaust vorbereitet, ja vielleicht bis zu einem gewissen Maß in Gang gesetzt hat. War in „Also sprach Zarathustra“ der Übermensch noch eine neue Spezies von Mensch, so trägt der Übermensch, den Nietzsche im „Willen zur Macht“ schildert, allzu menschlich-vertraute Züge. Bei Nietzsches Übermensch hat Napoleon Pate gestanden, mehr noch, Nietzsches Übermensch ist fast identisch mit einem Imperator wie Napoleon, dem er noch etwas barbarische Härte, Verschlagenheit und Blutgier eines Dschingis-Kahn oder Tamerlan beimischt – fertig ist der Übermensch. Für Nietzsches „neue, ungeheure, auf der härtesten Selbst-Gesetzgebung aufgebaute Aristokratie“ lieferten die Spartaner das Vorbild. Für seine „internationalen Geschlechts-Verbände“ und für das über lange Zeit und große Flächen ausgespannte Planen haben wohl die Habsburger oder ein französischer König wie Ludwig der Elfte das Vorbild geliefert. Insofern ist vieles, was Nietzsche hier als große geistige Neuerung und als Provokation serviert, ein alter Hut – genauso wie das indische Kastenwesen, das ihn wohl ebenfalls inspiriert hat.


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