Milliardengrab Ostdeutschland

SUBVENTIONEN - 13 Jahre nach der Wiedervereinigung fällt
die Bilanz über die wirtschaftlichen Fortschritte verheerend aus

BERLIN. Der Osten hängt auch 13 Jahre nach der Wiedervereinigung noch am Tropf des Westens. Im Jahr 2003 flossen nach jüngsten Berechnungen der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute 116 Mrd Euro von West nach Ost. Das ist weit mehr als der Solidaritätszuschlag mit rund 10 Mrd Euro pro Jahr einbringt.
Zieht man die in Ostdeutschland erhobenen Steuern an den Bund in Höhe von 33 Mrd Euro ab, bleiben immer noch Nettotransfers von 83 Mrd Euro oder 4,6% der westdeutschen Wirtschaftsleistung. Jedes Jahr. Das entspricht rund einem Drittel des Bundeshaushalts.
Ein Drittel der ostdeutschen Wirtschaftsleistung und mehr als ein Viertel der Binnennachfrage im Osten wird mit Geldern aus dem Westen bestritten. Konkret: Fast jeder dritte Euro, der zwischen Rostock und dem Erzgebirge für Waren und Dienstleistungen ausgegeben wird, kommt aus dem Westen - 75 Cent davon waren geschenkt, 25 Cent geliehen.

Nur 13 Prozent fließen in Investitionen.

Was Ökonomen dabei insbesondere Sorgen bereitet, ist die Verwendung der Mittel. Denn nur rund 13% des gesamten Transfervolumens (rund 15 Mrd Euro) fließen in Investitionen, also in den Aufbau eines Kapitalstocks, mit dessen Hilfe die ostdeutsche Wirtschaft eines Tages auf eigenen Beinen stehen könnte. "Auffällig ist die Betonung der konsumtiven Infrastruktur in ostdeutschen Kommunen", schreibt der Chef des Münchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn. "Es ist bemerkenswert, wie viele Spaßbäder, Tennishallen, Golfplätze und Erlebnisparks es gibt und wie gepflegt die öffentlichen Anlagen der Städte sind."

Aber nicht nur Sinn warnt, dass die Gelder, die in den Konsum und andere Annehmlichkeiten fließen, aus ökonomischer Sicht besser in die "produktive Infrastruktur" geflossen wären, um attraktive Standorte für Firmen zu schaffen.
Dass die geliehenen Milliardensummen weitgehend wirkungslos verpuffen, beklagen auch die großen Wirtschaftsforschungs-Institute in ihrem "2. Fortschrittsbericht": "Zunehmend erweist sich die bisherige Strategie, durch massive Hilfen an die Unternehmen den Aufbau Ost zu fördern, als unwirksam", heißt es dort.
Noch mehr Bauchschmerzen als die Unternehmens-Subventionen bereiten Ökonomen jedoch die Sozialtransfers. Sie machen mit 45% fast die Hälfte der Gesamtzahlungen aus. Für aktive Arbeitsmarktpolitik, also Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und Strukturanpassungsmaßnahmen, flossen 2003 rund 10 Mrd Euro nach Ostdeutschland. Hinzu kommen 8 Mrd Euro für Arbeitslosenhilfe und 10 Mrd Euro für Arbeitslosengeld. Den Bundeszuschuss für ostdeutsche Rentner taxiert das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) auf weitere 10 Mrd Euro. Viel Geld, aber das Urteil der Forscher fällt vernichtend aus: "ABM haben weder auf individueller noch auf regionaler Ebene einen zusätzlichen, über die Teilnahme an den Maßnahmen hinausgehenden positiven Effekt auf die Beschäftigung", heißt es im Fortschrittsbericht Ost weiter.
Die Experten raten der Politik zu einer Kürzung der Mittel oder zumindest zu einer Finanzierung über Steuergelder, damit die steigenden Lohnnebenkosten in der Arbeitslosenversicherung nicht auch den Arbeitsmarkt im Westen weiter belasten.
Sinn kommt zu einem eindeutigen Urteil: "Wenn Deutschland heute der kranke Mann Europas ist, so liegt das auch an der Transfer-Ökonomie, die es sich in den neuen Ländern leistet." Die Experten lassen keinen Zweifel: Der Aufbau Ost, den der ehemalige Bundeskanzler Kohl in 3 bis 5 Jahren bewältigt sah, ist in weiten Teilen gescheitert.
Und es wird nach aller Voraussicht noch weitere Jahrzehnte dauern, bis der Osten auf eigenen Beinen steht. Aber auch das scheint keinesfalls gesichert. Für Sinn hat sich längst ein zweiter Mezzogiorno herausgebildet, jenes Gebiet zwischen Neapel und Sizilien, das seit Jahrzehnten nicht auf die Füße kommt. [Das ist falsch; richtig müßte es heißen: "seit Jahrhunderten..." Anm. Dikigoros] Der Aufbau Ost, der zu Beginn sehr dynamisch anfing, ist trotz aller Hilfen seit 1997 zum Stillstand gekommen. Im Vergleich mit den alten Ländern fällt der Osten seither wieder zurück. Woran liegt es, dass der Osten auf der Stelle tritt? Auch hier fällt der Befund der Experten eindeutig aus: Während die gesamtwirtschaftliche Produktivität keine 60% des Westniveaus erreicht hat, liegen die effektiven Einkommen inzwischen fast auf Westniveau (92%).

Dramatische Erhöhung der Lohnkosten

"Es kann kein Zweifel bestehen, dass die dramatische Erhöhung der Lohnkosten, die zudem in solch kurzer Zeit statt fand, die zentrale Ursache der ostdeutschen Probleme ist", resümiert Sinn. Für Unternehmen besteht abgesehen von öffentlichen Zuschüssen nur wenig Anreiz, sich niederzulassen. Geringere Lohnkosten, so das Urteil der Ökonomen, hätten indes einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil geschaffen, und ein zweites Wirtschaftswunder hätte Realität werden können. So aber hinkt die Wirtschaftsleistung weiter hinterher, die Arbeitslosigkeit bleibt etwa doppelt so hoch wie im Westen. "Insgesamt leben die neuen Bundesgebiete weit über ihre Verhältnisse", kritisiert Sinn. (NRZ)

01.01.2004    PETER HAHNE

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