Links und Rechts (Teil 2)

Von Dieter Grillmayer

Im ersten Teil dieses Aufsatzes wurde anhand historischer Beispiele (Rousseau, Robespierre, Marx, Kommunismus, Neomarxismus, Neue Linke) das Menschenbild der Linken und seine Auswirkungen auf die Politik vorgestellt sowie der Ire Edmund Burke als Vertreter eines rechten Menschenbildes genannt.

Im Gegensatz zu Rousseau ist bei Burke nicht von einer ursprünglichen Güte und Vollkommenheit des Menschen die Rede, und in den Augen Burkes ist der Mensch auch kein unbegrenzt veränderbares, kein unbegrenzt emanzipierbares („e manu cipere“ = aus der - schützenden - Hand entlassen) Wesen. „Ich muss die Dinge sehen; ich muss die Menschen sehen. ... Pläne müssen für Menschen gemacht werden. Wir können nicht daran denken, Menschen zu machen und die Natur an unseren Plan zu binden.“

Ein drittes Zitat Burkes kann als Begründung für die in Teil 1 beschriebenen, für die heutige Gesellschaft signifikanten Phänomene, insbesondere die Orientierungslosigkeit, dienen: „Das Unternehmen, alle Meinungen und Lebensregeln auf einmal auszurotten, ist allemal ein gewagtes Spiel, wobei der Verlust gar nicht zu berechnen ist. Der Mensch wird dadurch augenblicklich in ein unbekanntes Meer geworfen, wo er ohne Kompass umherirrt, wo er nicht Klippe, nicht Hafen mehr unterscheidet.“

Zusammenfassung

„Rechtes“ Weltverständnis, wie es sich von Edmund Burke bis Konrad Lorenz und Sir Karl Popper spannt, ist von der Überzeugung geprägt, dass in Staat und Gesellschaft niemals Vollkommenheit, niemals letzte Harmonie möglich ist, und zwar aus ontologischen Gründen.

Es ist daher sehr oberflächlich, „rechts“ mit grundsätzlichem Beharrungswillen gleichzusetzen, während „links“ sehr wohl für einen grundsätzlichen Fortschrittsglauben steht. Im Kern geht es um einen Gegensatz in der Einschätzung von Machbarkeit aufgrund unterschiedlicher Menschenbilder: Während der „Rechte“ von einem an antropologischen Grundlagen, an Vernunft und Erfahrung orientierten Menschenbild ausgeht und Veränderung nur im Rahmen der vorgegebenen Möglichkeiten anstrebt, lässt der „Linke“ solche Grenzen nicht gelten und hält jedwede Manipulation des Menschen für möglich und gerechtfertigt, wenn es um das Ziel einer idealen Gesellschaft, der Errichtung des Paradieses auf Erden geht.

Dazu entgegnete Sir Karl Popper in einer Sendung im Deutschen Fernsehen dem Neomarxisten Herbert Marcuse folgendes: „Von allen politischen Ideen ist der Wunsch, den Menschen vollkommen und glücklich zu machen, vielleicht am gefährlichsten. Der Versuch, den Himmel auf Erden zu verwirklichen, produziert stets die Hölle.“

Und der Verhaltensforscher und österr. Nobelpreisträger Konrad Lorenz , schon von Berufs wegen für jeden überzeugten „Linken“ ein rotes Tuch, antwortet dem ihn polemisch angreifenden Erich Fromm in seinem 1973 erschienenen Buch „Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit“ wie folgt: „Der Irrglaube, dass man dem Menschen, richtige ‘Konditionierung’ vorausgesetzt, schlechterdings alles zumuten, schlechterdings alles aus ihm machen kann, liegt den vielen Todsünden zugrunde, welche die zivilisierte Menschheit gegen die Natur, auch gegen die Natur des Menschen und gegen die Menschlichkeit begeht.“

Rechtsfaschismus und Linksfaschismus

Diese Aufarbeitung der Links-Rechts-Problematik muss natürlich alle in fassungsloses Staunen versetzen, welche die poltische Diskussion der Gegenwart, vor allem in Deutschland und in Österreich, verfolgen und die Wirklichkeit nach Anzahl und Lautstärke der Wortmeldungen beurteilen. Hierzulande ist es den (selbsternannten) Linksintellektuellen gelungen, mit Hinweis auf die rechtsfaschistische Hitlerdiktatur und mit Parolen wie „Wehret den Anfängen!“ alles „Rechte“ mit negativen Inhalten zu belegen, von „rückständig“ über „faschistoid“ bis „neonazistisch“. Der Fanatismus, mit dem von diesen linken, medienbeherrschenden Kreisen der Kampf gegen alles „Rechte“ seit gut zehn Jahren geführt wird, erklärt sich für mich vornehmlich aus dem Frust über das Scheitern des marxistischen Großversuchs in der Sowjetunion und ihren Vasallenstaaten.

Unbestritten birgt auch ein „rechter“ Standpunkt Gefahren in sich: Erstens, dass die Möglichkeiten nicht ausgeschöpft werden, welche dem Menschen von Natur aus zur Erreichung eines kulturellen (und damit auch sozialen) Fortschritts offen stehen, und zweitens, dass die Lebensverhältnisse im Tierreich als Maßstab genommen werden und insgesamt eine allzu biologistische Sichtweise Platz greift. Unter kultivierten Menschen ist natürlich unbestritten, dass sich der Mensch vom Tier ganz wesentlich durch seine Fähigkeit unterscheidet, Kulturleistungen mannigfacher Art zu vollbringen und das Zusammenleben in Gemeinschaften humaner zu organisieren als das sonstwo in der belebten Natur der Fall ist.

Ein Beispiel: Gleichheit ist etwas, das in der Natur nicht vorkommt, und das die Natur auch nicht anstrebt, ganz im Gegenteil. Der Begriff „human“ ist daher genau richtig, wenn es um die Obsorge für den von Natur aus Schwächeren und die Herstellung von mehr Gleichheit unter den Menschen geht. Dass diesem Bemühen aber Grenzen gesetzt sind, das will ein eingefleischter „Linker“ nicht wahr haben, und wenn er es mit Gewalt versucht, dann endet das im Chaos und/oder im Totalitarismus. Ein extremer „Rechter“ wiederum kann mit Gleichheit überhaupt nichts anfangen, er beruft sich auf die Natur, das Ausleseprinzip, das „fressen oder gefressen werden“.

Stramme Rechtsausleger ordnen den Nationalsozialismus mit Hinweis darauf, dass er ja ein „Sozialismus“ war, links ein, und damit ist für sie die Welt in Ordnung, denn alles Totalitäre ist also links. Dem ist allein schon mit dem Hinweis auf die Einstellung zur Gleichheit zu widersprechen. In der „NS-Volksgemeinschaft“ galt uneingeschränkt das Leistungsprinzip, allerdings „jeder an seinem Platz“. Für Minderleister, Schwache und Kranke hatte das System wenig übrig. Die Diktatur erwuchs nicht aus dem Versuch, mehr Gleichheit zu verwirklichen, sondern Kritik zu unterdrücken an dem Versuch, das Staatsvolk wie eine riesige Tierherde zu organisieren, mit Führerprinzip, strengen Hierarchien und dem Recht des Stärkeren, auf nationaler wie internationaler Ebene. Auch die NS-Rassenideologie hat einen biologischen Hintergrund, verselbständigte sich aber, wie jede Ideologie, rasch und abseits jeder Wissenschaftlichkeit.

Gläubige Linksbewegte leugnen im Gegenzug jede Verbindung von „links“ mit Diktatur und Gewalt, Linksfaschismus ist für sie ein Widerspruch in sich. Diese Sichtweise ist aber durch historische Fakten leicht zu falsifizieren.

Der Begriff „Faschismus“ leitet sich bekanntlich von den „fasces“ ab, die im alten Rom den Konsuln und Prätoren als Zeichen ihrer Amtsgewalt, als Ausdruck ihres „Rechtes zu züchtigen und zu töten“, von den Liktoren vorangetragen wurden. Bei diesem Machtsymbol handelt es sich um ein Beil, dessen Stiel von einem Rutenbündel eingefasst wird.

Allgemein bekannt ist, dass sich die von Benito Mussolini (1883 - 1945) nach dem ersten Weltkrieg ins Leben gerufene Bewegung das Beil mit dem Rutenbündel als Symbol auserkoren hat und aus diesem Grund als Italienischer Faschismus in die Geschichte eingegangen ist. Weniger bekannt ist bereits, dass Mussolini ursprünglich Marxist war und dass seine Politik neben nationalistischer Großmannssucht und diktatorischer Machtausübung durchaus auch von klassenkämpferischen Zügen geprägt war. Damit kann der Italienische Faschismus zumindest nicht als lupenreiner Rechtsfaschismus gelten.

Eine große Überraschung dürfe aber - auch für geschichtlich Bewanderte - die Tatsache darstellen, dass das Beil mit dem Rutenbündel, das Symbol für Gewalt und Terror, noch zwei anderen, eindeutig linken Bewegungen als Markenzeichen gedient hat: Einmal war dieses Symbol (nebst der Aufschrift „Liberté-Egalité-Fraternité“) das offizielle Wappen der Französischen Revolution von 1789, und zweitens enthielt das erste Wappen der Sowjetunion 1918 neben Hammer und Sichel sowie der Aufschrift „Arbeiter aller Länder vereinigt euch“ gleich zwei faschistische Beile mit dem Rutenbündel. Da der Begriff „Faschismus“ von nichts anderem als von diesem Symbol herrührt, ist es wohl mehr als vermessen, den Faschismus einzig und allein den „Rechten“ in die Schuhe schieben zu wollen.

 


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Verwendete Literatur:

DER GROSSE BROCKHAUS und MEYERS NEUES LEXIKON, beide Ausgaben aus 1979

Norbert Burger: „Was heißt rechts?“, Aufsatz in „Österreich und die deutsche Nation“, Aula-Verlag, Graz 1985

Klaus Hoff: „Rechts und Links - nur ein Streit um Schlagworte?“, Manuskript eines am 27. Jänner 1994 in Dornbirn gehaltenen Vortrags.

Holger Schleip: „Rassismus und Antirassismus“, Aufsatz in GENIUS-Lesestücke, Folge 4/2001

Erich Glück: „Augen auf und durch - die Woodstock Generation“, Trauner-Verlag, Linz 2002

Werner Kunze: „Die 68er - und kein Ende?“, Aufsatz in „GENIUS-Lesestücke, Folge 4/2002


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