Prof. Dr. Wiebke Walther lehrt Arabistik und Islamkunde an der Universität Tübingen. Ihr Buch "Die Frau im Islam" erschien erstmals 1980 in Leipzig und Stuttgart und wurde ins Englische, Französische und Polnische übersetzt; die letzte überarbeitete Neuauflage erschien 1997 in Leipzig. Für ihr orientalistisches Gesamtwerk als Forscherin und Übersetzerin erhielt sie 1988 den Friedrich-Rückert-Preis der Stadt Schweinfurt.
Nichts scheint die kulturellen Unterschiede zwischen den westeuropäischen und den islamischen Gesellschaften so deutlich zu markieren wie die Stellung der Frau, sichtbar an Kleidung und Kopftuch auch auf unseren Straßen. Wie sieht der Koran Wesen und Rolle der Frau, was ist an späteren Auslegungen hinzugekommen, welche rechtlichen Regelungen trifft die Scharî'a, das Islamische Recht? Welche Entwicklungen haben sich hier vollzogen, nicht zuletzt in der Begegnung mit europäischem Denken? Red.
Manches ist spätere Zutat, durch Koran und Scharî'a nicht zu begründen
"Ihr o ihr Menschen, wir erschufen euch Mann und Weib und machten euch
zu Stämmen und Geschlechtern, dass ihr einander kennen möchtet. Fürwahr,
der edelste von euch ist der Gottesfürchtigste von euch: denn Gott ist
weis' und kundig."So übertrug der deutsche Dichter und Orientalist
Friedrich Rückert im 19. Jahrhundert Vers 13 der 49. Sure des
Korans.1 Andere Schöpfungsberichte des Korans lassen den aus
der Genesis bekannten Mythos von der Erschaffung der Frau aus dem Mann als
dem Ersterschaffenen (aus Ton oder einem Samentropfen, auch einem
Blutklumpen, etwa Sure 23:12-14) erkennen. Sure 7:189
sagt:2
"Und Er ist es, der euch aus einer einzigen Seele
erschaffen hat und der aus ihr ihren Partner/zweiten Teil erschaffen hat,
damit er bei diesem Ruhe finde/wohne."
Eva kommt als die Verführerin
Adams und Schuldige an des Menschen Mühsal auf Erden im Koran noch nicht
vor, denn auch dieser Mythos lief im Alten Orient in Varianten um. Laut
Koran verführte der Satan (später in Gestalt der Schlange) mit der
Verheißung ewigen Lebens beide, von dem Baum zu kosten, den als einzigen
ihnen Gott verboten hatte, weil sie sonst zu Unrecht Tuenden, zu Tyrannen
würden (7:18-24). Als sie ihre Blöße erkennen und sich bedecken, verstößt
Gott sie aus dem Paradies und setzt als Strafe ewige Feindschaft zwischen
ihnen. Später nimmt er aber ihre von Adam initiierte Reue gnadenvoll an
und gewährt ihnen die Erde zu einem zeitweiligen Aufenthalt und zur
Nutznießung.
Erst etwa vom 2/3. islamischen Jahrhundert an drang,
vermutlich über die christliche Askese, die Geschichte von Eva als
gefährlicher Verführerin, die das Frauenbild von Judentum und Christentum
jahrhundertelang geprägt hat, aufgezeichnet in Genesis 3:1-24, in den
Islam ein. Von nun an gibt es in legendär-historischen Texten ein stetig
wachsendes Strafregister für Eva und den Teufel, der sie zum Ungehorsam
gegen Gott bewog. Weibliche biologische Spezifika wie Menstruation,
Schwangerschafts- und Wochenbettbeschwerden werden zu Evas Strafen ebenso
gezählt wie bald auch koranische Satzungen zum Ehe- und Scheidungs-, zum
Zeugen- und Erbrecht, außerdem soziale Phänomene der
Geschlechterhierarchie, die sich historisch herausgebildet
hatten.3 Das heißt auch, dass man damals zugab, dass diese
Bestimmungen für Frauen nachteilig waren, sie als Bestrafung aller Frauen
für die Unbotmäßigkeit ihrer Urmutter gegenüber Gott bewertete und mit
einem aus dem Alten Testament übernommenen Mythos rechtfertigte. In
neuerer Zeit werden sie von orthodoxen Muslims verteidigt und mit Gottes
Wohlwollen den Frauen gegenüber begründet.
Die Position der Frau im
Islam ist spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eines
der interkulturell ebenso wie innerkulturell strittigsten Themen generell.
Hier kann es nur überblicksweise und konzentriert auf die Kernländer des
Islams, also den arabischen Raum, den Iran und die Türkei, dargestellt
werden.4 Im subsaharischen Afrika, in Ost- und Südostasien
haben regionale Sonderentwicklungen stattgefunden, auf die hier nicht
eingegangen werden kann. Manches, was das Leben von Frauen in islamischen
Ländern bis heute stark tangiert, etwa die besonders im Sudan und in
Ägypten (hier trotz eines Verbots aus den 50er-Jahren) praktizierte
Mädchenbeschneidung, auch der Jungfräulichkeitskult, der im gesamten
Mittelmeerraum verbreitet ist, also die Norm, dass ein junges Mädchen
jungfräulich in die Ehe zu gehen hat, ist im Islamischen Recht, der
Scharî'a, nicht festgelegt. Ohnehin war und ist es eine Vielfalt von
unterschiedlichen historischen, regionalen, sozialen und individuellen
Faktoren, in die das Leben von Frauen in islamischen Ländern (wie das in
anderen Kulturen) eingebunden war und ist.
Im Kult formal gleich gestellt
Im Kult ist die Frau dem Mann formal gleich gestellt. Mehrere Verse des
Korans wenden sich an Männer und Frauen gleichermaßen. Zuerst genannt
werden allerdings immer die Männer, etwa, wieder in der Rückert'schen
Übertragung:"Fürwahr, ergebne Männer und ergebne Fraun, gläubige Männer
und gläubige Frauen, andächtige Männer und andächtige Frauen, worttreue
Männer und wort-treue Frauen, geduldige Männer und geduldige Frauen,
demüthige Männer und demüthige Frauen, almosenspendende Männer und
almosenspendende Frauen, fastende Männer und fastende Frauen, und ihren
Sinnentrieb behütende Männer und behütende Frauen und Gottes häufig
denkende Männer und gedenkende Frauen; Gott hat bereitet ihnen
Barmherzigkeit und großen Lohn" (33:35).
Im Arabischen beeindruckt der
Vers durch die stakkatoartige Reihung sich reimen-der femininer
Pluralendungen bei kurzen Reimgliedern.
Die religiösen Pflichten, also
das Glaubensbekenntnis, das fünfmalige tägliche Gebet in Richtung Mekka,
das Fasten im Monat Ramadân, die Almosensteuer und die Pilgerfahrt nach
Mekka wenigstens einmal im Leben, gelten für Männer und Frauen. Während
der Menstruation und im Wochenbett ist die Frau aber - wie Kranke,
Reisende und Kinder - vom Fasten befreit. Sure 2:222 bezeichnet die
Menstruation als "Leiden" und gebietet den Männern, sich während dieser
Tage von ihren Frauen fern zu halten. Die Hadîth-Literatur hat diese
Vorschriften erweitert: Frauen in diesem Zustand dürfen die Moschee nicht
betreten, den Koran nicht anrühren, allenfalls zum Schutz gegen den Satan
ein oder zwei Verse aus ihm rezitieren. Während der Pilgerfahrt dürfen sie
in dieser Zeit am rituellen Umlauf um die Ka'ba (Tawâf) nicht teilnehmen.
Erst die "große Reinigung" nach diesen Tagen hebt die Verbote
auf.5 Die Vorstellung von der kultischen Unreinheit
menstruierender Frauen, möglicherweise aus Tabuvorstellungen über die
Magie des Blutes6 erwachsen, existierte schon im altarabischen
Heidentum, und es gibt sie in anderen Religionen und Kulturen, auch bei
den Kirchenvätern. Anders als im Judentum hat der Verstoß gegen diese
Reinheitsgebote im Islam keine Bestrafung im Diesseits zur Folge. Doch
führten sie etwa vom 2/3. islamischen Jahrhundert an zur Bewertung der
Frau als religiös mangelhaftem Wesen.
Dies fand ebenso schon in die
kanonischen Hadîth-Sammlungen Eingang wie die Debatten darüber, ob eine
Frau das Haus verlassen dürfe, um in der Moschee zu beten. Da heißt es
einerseits, dass Muhammeds Frauen auch in stockdunkler Nacht in die
Moschee gingen, andererseits wird empfohlen, sie sollten sie so früh
verlassen, dass sie von den männlichen Gläubigen nicht hinterher noch zu
einem Gespräch eingeholt werden könnten. Ohnehin sollen Männer und Frauen
getrennt voneinander beten, die Frauen entweder auf einer Galerie oder im
hinteren Teil der Moschee, den sie durch einen eigenen Eingang betreten.
Das galt aber auch jahrhundertelang für den Kirchenbesuch im Vorderen
Orient. In orthodoxen Synagogen beten Männer und Frauen ebenfalls räumlich
getrennt. Wenn andere Traditionen dem Mann befehlen, er solle seiner Frau
auf ihre Bitte hin erlauben, in der Moschee zu beten, so wird deutlich,
wie sehr die Frau der Autorität ihres Mannes unterstand.
Die
Pilgerfahrt darf eine Frau nur in Begleitung ihres Mannes oder eines nahen
männlichen Verwandten, in neuerer Zeit auch in der anderer Frauen
unternehmen. Die Geschlechtertrennung ermöglichte es Frauen in größeren
Harems, als Vorbeterinnen zu fungieren. Heute werden in muslimischen
Ländern Frauen für spätere religiöse Funktionen in Frauengruppen
ausgebildet.
Unterschiedliche Freuden im Paradies für Männer und Frauen?
Der Koran verheißt das Paradies Männern und Frauen, etwa
9:71f.:
"Die gläubigen Männer und Frauen sind untereinander Freunde.
Sie gebieten das Rechte und verbieten das Verwerfliche, verrichten das
Gebet und entrichten die Abgabe und gehorchen Gott und seinem Gesandten.
Siehe, Gott wird sich ihrer erbarmen. Gott ist mächtig und weise. Gott hat
den gläubigen Männern und Frauen Gärten versprochen, unter denen Bäche
fließen und in denen sie ewig weilen werden, und gute Wohnungen in den
Gärten von Eden."
Allerdings zeichnen andere Koranverse und stärker
noch spätere Paradiesesbilder Geschlechtsunterschiede bezüglich seiner
Freuden. Der Mann werde dort "geläuterte Partnerinnen" finden, heißt es
Sure 2:25, 3:15 und 4:57, aber auch:
"Wir geben ihnen (den Männern)
großäugige (Jungfrauen) zu Partnerinnen" (44:54), "gleich wohlverwahrten
Perlen" (56:22). Diese werden in der Traditionsliteratur mit den
"geläuterten Partnerinnen" identifiziert. Dass für eine Frau der Zugang
zum Paradies nicht nur von der Einhaltung religiöser Gebote, sondern
wiederum von der Unterwerfung unter die Autorität ihres Mannes abhängig
gemacht wird, wird ebenfalls aus einem Hadîth deutlich:
"Wenn eine
Frau ihre fünf Gebete verrichtet, ihren Monat fastet, ihre Scham hütet und
ihrem Mann gehorcht, dann sagt man ihr: ,Betritt das Paradies, durch
welches Tor du willst!"
Es waren sicher Frauenfeinde, die Muhammed,
schon der kanonischen Hadîth-Literatur zufolge, die Worte in den Mund
legten:"Ich stand am Tor des Paradieses. Da waren die meisten, die
eintraten, Männer. Und ich stand am Tor zur Hölle. Da waren die meisten,
die eintraten, Frauen."
Das wird u. a. so begründet:
"Frauen, die
alles verraten, wenn sie jemandem etwas anvertrauen, zu hartnäckig sind,
wenn sie bitten, und undankbar, wenn man ihnen etwas schenkt."
Bekannte Koraninterpreten der Reformbewegungen vom ausgehenden 19.
Jahrhundert an deuten die sinnlichen Freuden, die der Koran und mehr noch
die spätere Hadîth-Literatur den Gläubigen im Paradies verheißen,
allegorisch und begründen dies mit der Metaphernfreude des Arabischen. Das
Entzücken, das die Paradiesjungfrauen den Gläubigen bringen, sei mit
irdischer Vorstellungskraft nicht zu begreifen, gelte aber jedenfalls für
Männer und Frauen gleichermaßen. 7
Mädchenbildung
Nach dem Ersten Weltkrieg
eröffneten sich in islamischen Ländern auch für Frauen und Mädchen nach
und nach Möglichkeiten zum Erwerb höherer Bildung. Ab den zwanziger Jahren
des letzten Jahrhunderts wurde in arabischen Ländern und im Iran auch
Frauen der Zugang zu einem Universitätsstudium eröffnet. Das Foto zeigt
iranische Mädchen, die in einer im Mausoleum des verstorbenen Ayatollah
Khomeni in Teheran eingerichteten Schule unterrichtet werden. Die unter
den Kopftüchern hervorschauenden Haare der Schulmädchen scheinen die
Annahme zu bestätigen, dass sich im Iran die Verhältnisse in Bezug auf die
staatlich verordnete Zwangsverhüllung leicht liberalisieren.
Die Vorrangstellung des Mannes vor der Frau
Der Koran vertritt die auch aus dem Judentum und dem
Christentum8 bekannte, im gesamten Vorderen Orient verbreitete
Doktrin von der Vorrangstellung des Mannes vor der Frau, die ja bereits im
Schöpfungsmythos des Alten Testaments deutlich wird:
"Die Männer stehen
über den Frauen, weil Gott die einen vor den anderen bevorzugt hat und
weil sie von ihrem Vermögen (für die Frauen) ausgeben. Die rechtschaffenen
Frauen sind demütig ergeben und bewahren das, was geheim gehalten werden
soll, da Gott es geheim hält," sagt Sure 4:34.
Wenn Adel Th. Khoury den
Anfang mit "Die Männer haben Vollmacht und Verantwortung für die Frauen"
übersetzt, so ist das eine modernere Interpretation. Aber eine
emanzipierte heutige Frau wird wohl immer Vollmacht und Verantwor-tung für
sich selbst übernehmen, sich nicht als "Mündel" eines Mannes fühlen
wollen. Islamische Reformtheologen seit etwa 1900 deuten die hier
formulierte Überlegenheit des Mannes als seine größeren Körperkräfte.
Jedenfalls wird die Hegemonie des Mannes hier einmal als gottgegeben,
zum anderen als ökonomisch bedingt charakterisiert. Das letztere ist
sicher bis heute nahezu weltweit Realität. In einem Vers, der sich auf die
Scheidung oder Verstoßung bezieht, 2:228, heißt es:
"Und sie (die
Frauen) haben Anspruch auf dasselbe, was ihnen (den Männern) obliegt. Aber
die Männer stehen eine Stufe über ihnen."
Beide Verse wurden in den
Korankommentaren jahrhundertelang mit denselben Phänomenen begründet, die
sich in den Strafregistern für die ungehorsame Eva finden, mit
Menstruation und Wochenbettbeschwerden, mit den für die Frau ungünstigeren
Bestimmungen zum Islamischen Familienrecht und Erscheinungsformen der
Geschlechterrollen, etwa dass es keine Prophetin und keine Sultanin gebe
(bis es vom 13. Jahrhundert an vereinzelt Herrscherinnen gab), eine Frau
keinen Turban tragen dürfe, am Freitagsgebet nicht teilnehme u. a. m. In
den USA lebende und wirkende muslimische Feministinnen meist nicht
arabischer Herkunft interpretieren den zweiten dieser Verse heute als nur
auf die Verstoßung zu beziehen. Den ersten dieser Verse analysieren sie,
indem sie eine Präposition, durchaus zulässig, m. E. sogar besser als die
traditionelle Deutung, anders umsetzen:
"Die Männer haben Verantwortung
für die Frauen mit dem zu tragen, womit Gott sie ihnen gegenüber
ausgezeichnet hat, und mit dem Vermögen, das sie für sie ausgeben."
Sie
sehen in dem, womit Gott die Männer den Frauen gegenüber ausgezeichnet
hat, den doppelten Anteil am Erbe, den ihnen der Koran zugesteht. Damit
seien sie den Frauen gegenüber, denen Gott eine andere biologische Aufgabe
erteilt hat als ihnen, nämlich die, Mütter von Kindern zu werden, zur
Fürsorge, zum Unterhalt verpflichtet.9
Erst der Koran
gesteht der Frau, vorislamische Bräuche reformierend, und anders als das
jüdische Familienrecht, ein generelles Erbrecht zu. Doch erbt sie nach
Sure 4:11 nur jeweils die Hälfte eines ihr im Verwandtschaftsverhältnis
zum Verstorbenen gleichgeordneten männlichen Erben. Das wird schon länger
mit den finanziellen Verantwortlichkeiten des Mannes begründet, die eine
Frau nicht hat. Tatsächlich ist der Mann allein für den Unterhalt seiner
Familie verantwortlich, und es gibt, jedenfalls theoretisch, keine
Gütergemeinschaft in der Ehe.
In bestimmten Rechtsfällen dürfen laut
Koran, wiederum im Unterschied zum jüdischen Recht und generell zur
vorislamischen Zeit, Frauen als Zeugen fungieren. Das heißt, wenn kein
zweiter männlicher Zeuge auffindbar ist, können zwei Zeuginnen einen Mann
ersetzen. Das wird von frommen Muslimen und Musliminnen heute damit
begründet, dass Gott es den Frauen, die durch Haushalt und Kinder oft
abgelenkt seien, leicht machen wollte. In frauenfeindlichen Hadîthen seit
dem 2/3. islamischen Jahrhundert führte es zur Schlussfolgerung, dass
Frauen intellektuell defizitär seien. In späteren Darstellungen des
"Ersten Fehlers", wie der christliche "Sündenfall" im Arabischen heißt,
gehört dies, wie die Verfügungen zum Erbrecht, zu Gottes Strafen für Eva.
Spätere Korankommentare reihen beides unter die in Sure 4:34 formulierte
"Überlegenheit" des Mannes über die Frau.
Die Adaption des
jüdisch-christlichen Mythos von der Erschaffung Evas aus einer Rippe Adams
mündete in Hadîthen wie diesem:
"Behandelt die Frauen gut! Die Frau ist
eine Rippe, also krumm. Und der krummste Teil der Rippe ist der obere
(sicher der Kopf, die Mentalität, W. W.). Wenn du versuchst, sie gerade zu
biegen, zerbrichst du sie. Wenn du sie aber so lässt, wie sie ist, bleibt
sie krumm. So behandelt die Frauen gut!"
Dies lässt sich als eine
widerwillig-wohl-wollende Anerkennung einer weiblichen Identität deuten,
die "mann" nicht ändern kann und deshalb mit guter Behandlung hinnehmen
soll: Die Frau als die Andersartige, anders geartet als der Mann, der sich
für den Normalfall hält. Goethe machte übrigens daraus im "West-Östlichen
Diwan":
"Behandelt die Frauen mit Nachsicht!"10 Jedenfalls
hat es im Islam weder Hexenverfolgungen gegeben, vielleicht aus der
Akzeptanz der "Fleischeslust", ja der Freude an ihr zu erklären, noch die
zunächst ironisch begonnene Debatte darüber "Ob die Weiber Menschen seyn
oder nicht", die männliche Vertreter beider Kirchen im christlichen
Mitteleuropa im 16. und 17. Jahrhundert erhitzte.11
Mehrehe oder Einehe des Mannes?
Der Koran als wichtigste Quelle des Islamischen Rechts bettet den Vers,
der jahrhundertelang zur Rechtfertigung der Ehe eines Mannes mit mehr als
einer Frau diente, in einen Bedingungssatz im Umfeld der gerechten
Behandlung von Waisen ein:
"Und wenn ihr fürchtet, gegenüber den
Waisen nicht gerecht zu sein, dann heiratet, was euch an Frauen beliebt,
zwei, drei oder vier. Wenn ihr aber fürchtet, sie nicht gleich zu
behandeln, dann nur eine, oder was ihr an Sklavinnen besitzt. Das bewirkt
eher, dass ihr euch vor Ungerechtigkeit bewahrt" (4:3).
Muhammed selbst
war als Waise aufgewachsen und handelte oft als der Anwalt
Unterprivilegierter. Vers 129 dieser 4. Sure, die den Namen "Die Frauen"
trägt und viele soziale Bestimmungen enthält, stellt fest:
"Ihr werdet
es nicht schaffen, die Frauen gleich zu behandeln. Ihr mögt euch noch so
sehr bemühen."
Daraus haben muslimische Reformtheologen seit etwa 1900
das Gebot der Einehe abgeleitet. Soziale Umstände zu Lebzeiten Muhammeds -
nach den Kämpfen der Muslims gegen ihre Gegner waren Witwen und Waisen zu
versorgen - hätten damals die Mehrehe notwendig gemacht.
Tatsächlich
gab es die Ehe eines Mannes mit mehreren Frauen im gesamten Vorderen
Orient schon vor dem Islam. Muhammed selbst heiratete nach dem Tod seiner
ersten Frau Chadîdscha, der er in einer Einehe verbunden gewesen war,
hinter einander zwei Witwen gefallener Muslims. Dass er mit insgesamt neun
Frauen verheiratet war, gehörte in den Augen seiner Umgebung sicher zu
seinem Prestige als religiös-politischem Oberhaupt einer Gemeinde, das er
in Medîna wurde. Seine Ehen dienten sichtlich auch dem Ziel, den
Zusammenhalt in der jungen Gemeinde zu festigen. Die einzige Jungfrau
unter seinen Ehefrauen war Â'ischa, die Tochter eines seiner ersten
Anhänger, des späteren ersten Kalifen Abu Bakr, die bald seine
Lieblingsfrau wurde. Dass sie historischen Texten zufolge 9 Jahre alt war,
als sie zu ihm zog, und Muhammed über 50, war unter den Umständen der Zeit
nicht ungewöhnlich.
Da spätere Satzungen verfügten, dass ein Mann jeder
seiner Ehefrauen einen eigenen Haushalt oder doch wenigstens einen eigenen
Raum in seinem Haus einzurichten hatte, wurde die Mehrehe in der
städtischen Gesellschaft das Privileg Wohlhabender. Allerdings konnte und
kann in all den muslimischen Ländern, in denen sie bis heute trotz der
Kritik der Frauenorganisationen gestattet ist, ein Mann zu seiner
kinderlosen oder durch zahlreiche Schwangerschaften gealterten Frau eine
zweite Frau dazu heiraten. Dies geschieht öfter auf dem Land, wo die Frau
sehr stark auch Arbeitskraft sein muss. Dass diese zweite Frau dann meist
von der ersten Frau aus einer sozial niedriger stehenden Familie
ausgesucht wird, ist sozialkritischen Werken der modernen Literaturen des
Iran und arabischer Länder zu entnehmen.
Staatliche Reformgesetze können Jahrhunderte alte Bräuche nur allmählich beseitigen
Unter den arabischen Ländern hat nur Tunesien 1956, bald nach dem
Amtsantritt von Präsident Bourguiba, die Polygynie gesetzlich verboten.
Andere Länder haben sie durch Zusatzbestimmungen im Zuge von Reformen der
Scharî'a seit den 20er Jahren und stärker seit den 50er Jahren des 20.
Jahrhunderts erschwert Die Türkei hat 1926 unter Atatürk das damalige
Schweizer Zivilrecht en bloque übernommen. Sie hat sich aber der Realität
der weiterhin, besonders auf dem Land, praktizierten "Imâm-Ehe" insofern
anpassen müssen, als acht Amnestiegesetze zwischen 1935 und 1981 die
Legitimität der aus solchen Ehen entstandenen Kinder bestätigen mussten.
"Imâm-Ehen" wurden zusätzlich zur standesamtlich registrierten und
offiziell allein gestatteten Einehe geschlossen. Im Iran wurden die
Reformgesetze des letzten Schahs von 1967 und 1976 zu Ehe und Scheidung
unmittelbar nach der "Iranischen Revolution", 1979, außer Kraft gesetzt.
Die Scharî'a ist hier wieder uneingeschränkt gültig. Da im Iran die
Zwölferschia Staatsreligion ist, ist auch die Mut'a, die "Ehe auf Zeit",
die nur die Schia gestattet, wieder möglich. Ein Schi'it kann zusätzlich
zu seiner Ehefrau oder auch "nur" eine "Ehe auf Zeit" eingehen, d.h., auf
der Grundlage eines Ehevertrages eine Frau für eine im Vertrag festgelegte
Zeit (von wenigen Stunden bis zu 99 Jahren) heiraten, meist mit weniger
Pflichten und Verantwortlichkeiten als in der üblichen Ehe. Ideologen der
Iranischen Revolution rechtfertigen dies als eine Erleichterung angesichts
der ansonsten strengen Bestimmungen des Islamischen Eherechts, auch als
Notwendigkeit nach dem Iranisch-Irakischen Krieg 1980-88, der viele
Männerleben kostete, also, wie jeder Krieg, einen Frauenüberschuss zur
Folge hatte.12
Der Koran gebietet die Ehe (24:32). Sie ist
laut Sure 4:21 "eine feste Verpflichtung" des Mannes gegenüber der Frau,
aber kein Sakrament wie in der römisch-katholischen Kirche nach längeren
Debatten endgültig erst seit dem Konzil von Trient 1545-69. Sure 4:22f.
legt fest, welche Verwandtschaftsverhältnisse eine Ehe ausschließen. Die
Ehe mit einer/einem Ungläubigen ist verboten. Ein Muslim darf eine
Christin oder Jüdin heiraten, weil beide Religionen als "Schutzreligionen"
gelten. Das Umgekehrte war untersagt, da man voraussetzte, dass die Kinder
der Religion des Vaters folgen. Dort, wo eine Reform dies seit einiger
Zeit möglich macht, etwa im Irak, wird ein solches Paar, selbst in der
gebildeten städtischen Oberschicht, oft sozial ausgegrenzt.
Materielle
Voraussetzung für eine Ehe ist der Machr, "die Morgengabe", die nach Sure
4:4 der Mann der Frau als Geschenk zu überreichen hat. Dass er Gegenstand
von Verhandlungen zwischen den Vertragspartnern für eine Ehe, das ist der
Walî der Braut, meist ihr Vater oder ein naher Angehöriger, und dem
Bräutigam und seinen nahen männlichen Verwandten vor dem Abschluss des
zivilen Ehevertrags wurde, wissen wir. Er wurde schon früh zum Symbol für
das Sozialprestige der Braut und auch ein Mittel für Eltern, die Ehe ihrer
Tochter mit einem ihnen unerwünschten, vielleicht ärmeren, jungen Mann zu
verhindern. Schon in der Traditionsliteratur gibt es Empfehlungen, ein
Vater solle seine Tochter einem armen, aber rechtgläubigen Bewerber für
seine Korankenntnisse (als Machr) zur Frau geben. Tunesien hat bei der
Reform des Familienrechts die Höhe des Machr auf einen symbolischen
geringen Betrag fixiert. Doch wird hier wie auch anderswo deutlich, dass
staatliche Reformgesetze nicht sofort jahrhundertelang verwurzelte Bräuche
beseitigen können. Das gewohnheitsmäßig zusätzlich zum Machr der Braut vom
Bräutigam zu überreichende Geschenk wurde nun als gesetzlich unberührt
Verhandlungsgegenstand.
Eine gesetzliche Gütergemeinschaft gibt es in
der islamischen Ehe nicht. Die Frau kann also theoretisch über ihr in die
Ehe eingebrachtes Vermögen frei verfügen. Sie ist unterhaltsberechtigt,
aber nicht -verpflichtet. Dass sie in den ärmeren Schichten der
Bevölkerung, vor allem auf dem Land, immer mit gearbeitet hat, soweit es
Kinder und Schwangerschaften zuließen, kann als selbstverständlich
angenommen werden. In städtischen Haushalten hat sie oft durch Heimarbeit
zum Familieneinkommen beigetragen.
Ein Ehealter wurde, meist schon aus
demographischen Gründen, erst in Reformgesetzen zum Familienrecht vor
allem in den Ländern fest- und relativ hoch angesetzt, denen die
Bevölkerungsexplosion zur sozialen Gefahr wird. In diesen Ländern wird
auch für Familienplanung offiziell geworben, denn sie ist im Islam
generell zulässig. Da die Jungfräulichkeit schon bald nach Muhammeds Tod
als wertvollstes Gut einer Braut galt, wurden Mädchen in islamischen
Ländern sehr jung, manchmal schon vor der ersten Menstruation, und oft mit
wesentlich älteren Männern verheiratet. Diese Frühverheiratung von Mädchen
ebenso wie die Verlobung von Vetter und Kusine bald nach ihrer Geburt, gab
es aber auch bei arabischen Christen und Angehörigen anderer
Religionsgemeinschaften des Vorderen Orients.
Eheliche Beziehungen
Zu den ehelichen Beziehungen sagt der Koran (30:21):
"Und zu Seinen
Zeichen gehört, dass Er euch aus euch selbst Gattinnen erschaffen hat,
damit ihr bei ihnen wohnt (oder Ruhe findet). Und Er hat zwischen euch
Liebe und Barmherzigkeit gesetzt. Darin sind Zeichen für Leute, die
nachdenken."Das arabische Wort für "Barmherzigkeit, Gnade, Mitleid"
übrigens ist eine Ableitung derselben Wurzel, von der das Wort für
"Gebärmutter, Mutterleib" stammt. Dass Gott "der Barmherzige, der
Allerbarmer" ist, zieht sich formelhaft versichernd durch den
Koran.
Vers 34 der 4. Sure, oben für die vom Koran festgelegten
Geschlechterrollen zitiert, enthält darauffolgend die Weisung: "Ermahnt
diejenigen, von denen ihr Widerstand befürchtet, und entfernt euch von
ihnen in den Schlafgemächern und schlagt sie! Wenn sie euch (wieder)
gehorchen, dann wendet nichts Weiteres gegen sie an! Gott ist erhaben und
groß!"
Das heißt, für eine widerspenstige Frau gab es eine sich
steigernde Dreierreihung von Strafen: Ermahnen, sexuelle Enthaltsamkeit
des Mannes (dem Polygynie generell erlaubt war) ihr gegenüber, Schläge.
Gegen dieses Koranwort wurde aber schon früh und durch die Jahrhunderte in
der Traditions- und generell in religiöser Literatur
polemisiert:
"Warum schlägt einer von euch seine Frau (manchmal: "wie
einen Sklaven oder ein Pferd") und will sie am selben Abend umarmen?!"
Zur Relativierung: Das Allgemeine Preußische Landrecht, in Preußen
rechtsverbindlich bis 1894, konstatiert in § 701:
"Wegen bloß
mündlicher Beleidigungen oder Drohungen ingleichen wegen geringerer
Thätlichkeiten sollen Eheleute gemeinen Standes nicht geschieden
werden."
In der Fassung von 1794 fehlt diesem Satz bezeichnenderweise
noch die soziale Einschränkung. Opfer wie Akteure solcher "Thätlichkeiten"
dürften meist eindeutig zu benennen (gewesen) sein.
Muslimische
Feministinnen in den USA sehen in den Schlägen, die hier als äußerstes
Strafmaß empfohlen werden, wenn eine Frau die gebotene Intimität ihrer Ehe
nicht wahre (so deuten sie das Vorhergehende), eine Einschränkung
gegenüber dem in vorislamischer Zeit üblichen Brauch oder eher der
Verpflichtung, eine Frau in solch einem Fall zu töten, d. h. dem auch
heute noch gelegentlich vorkommenden "Ehrereinwaschen" durch das Blut der
Frau.13 Mir ist allerdings kein Bericht, keine Überlieferung
bekannt, die diesen grausamen Brauch für die vorislamische Zeit als üblich
bestätigten.
Im folgenden (4:35) verfügt der Koran, dass bei
Zerwürfnissen zwischen Eheleuten je ein Schiedsrichter aus seiner und
ihrer Familie bestellt wird: "Wenn sie sich aussöhnen wollen, wird Gott
ihnen Eintracht schenken. Gott weiß Bescheid und hat Kenntnis von
allem."
Scheidung
Auch wenn aus den zahlreichen koranischen Verfügungen zum Talâq, der
Verstoßung, auch Freisetzung oder Scheidung der Frau, deutlich wird, dass
der Koran hier vorislamische Bräuche zugunsten der Frau reformierte, ist
es bezeichnend, dass die Reformen des Familienrechts im 20. Jahrhundert
stark auf diesem Gebiet ansetzen. In der Traditionsliteratur heißt
es:
"Unter den erlaubten Dingen ist der Talâq das, was Gott am
verhasstesten ist."
Das Islamische Recht kennt die vier wertenden
Kategorien "Empfohlen, erlaubt, verwerflich, verboten".
Tatsächlich
ist nach der Scharî'a ein Mann jederzeit und ohne Angabe von Gründen, ohne
Hinzuziehung eines Richters, ja in ihrer Abwesenheit, berechtigt, seine
Frau zu verstoßen. Er muss(te) "nur" eine bestimmte Formel - hier gibt es
Varianten in der Wortwahl - dreimal hintereinander zu einer Zeit
aussprechen, in der die Frau nicht menstruierte. Dann muss(te) sie sein
Haus verlassen und zu ihrer Familie zurückkehren. Diese Form des Talâq
gilt als "verwerflich". Doch gab es sie. Im Normalfall hat der Mann die
Formel jeweils im Abstand von 4 Wochen in einer Zeit zu äußern, in der die
Frau nicht menstruiert. Verbindlich wird sie erst beim dritten Mal. Durch
den Koran eingeführt wurde die "Wartezeit" der Frau. Sie muss vor einer
Neuheirat drei Perioden warten, damit deutlich wird, ob sie ein Kind
erwartet. In diesem Fall kann der Mann sie auch gegen ihren Willen
zurücknehmen (2:228), soll sie aber gut behandeln. Die Wiederheirat einer
Geschiedenen war und ist im Islam - im Gegensatz etwa zum jüdischen,
katholischen und anglikanischen Eherecht - sehr leicht.
Legte der Mann
einen Eid ab, sich seiner Frau 4 Monate lang sexuell zu enthalten, und
hielt den Eid ein, war die Frau ebenfalls verstoßen (2:226). Wollte der
Mann nach einem übereilt geäußerten Talâq seine Frau wiederheiraten, dann
durfte er das nur, wenn sie inzwischen mit einem anderen Mann verheiratet
war und von diesem verstoßen wurde (2:230). Das sollte wohl den Mann vor
affektbedingter Voreiligkeit schützen.
Frauen hatten im vorislamischen
Arabien und haben im Islam die Möglichkeit, sich durch die Rückgabe der
Brautgabe "freizukaufen". In den Ehevertrag konnten/können Schutzklauseln
aufgenommen werden, meist die, dass ein Teil, oft der größere, der
Brautgabe, vom Mann erst bei einer Verstoßung zu entrichten ist, außerdem,
dass die Frau unter bestimmten Umständen, etwa wenn der Mann eine zweite
Frau dazuheiraten wollte, auch wenn er sie schlug, die Scheidung von ihm
fordern konnte. Generell hat nach der Mehrheit der vier Rechtsschulen die
Frau das Recht, vom Richter die Scheidung zu verlangen, wenn sie
nachweisen kann, dass ihr Mann länger abwesend, zum Unterhalt nicht in der
Lage, inhaftiert, geistesgestört oder impotent ist. In Reformen zum
Familienrecht meist seit den 50er Jahren wird festgelegt, dass eine
Scheidung grundsätzlich vor Gericht zu erfolgen hat, dass ein Mann, der
eine zweite Frau dazuheiraten will, die erste darüber zu informieren und
vor Gericht nachzuweisen hat, dass er zum Unterhalt einer zweiten Frau
fähig ist. Frauen haben mehr Rechte, eine Scheidung zu verlangen, im Iraq
etwa seit der Novelle von 1978 auch bei Untreue des Mannes. Ob sie es tun,
hängt vom Sozialstatus einer Geschiedenen ab. Unzulänglich geregelt ist
bis heute in den meisten Ländern das Unterhaltsrecht für eine Geschiedene.
Das Sorgerecht für Söhne, bis sie sieben Jahre alt sind, bei Mädchen
bis zur Pubertät, hat die Frau. Heiratet die Frau wieder, fällt es an den
Vater, der ohnehin der Vormund bleibt.
Verhüllungs- und Keuschheitsgebote
Die "Kopftuchfrage" spielt in allen europäischen Ländern, in denen
Muslime in größerer Zahl leben, eine wichtige Rolle. Die beiden
Koranverse, die bis heute zur Begründung der Verschleierung dienen,
gebieten tatsächlich eine züchtige Verhüllung, nicht den Schleier.14 Sure
33:59 wendet sich an Muhammed:
"O Prophet, sag deinen Gattinnen und
deinen Töchtern und den Töchtern der Gläubigen, sie sollen etwas von ihrem
Überwurf über sich herunterziehen. Das bewirkt eher, dass sie (als ehrbare
Frauen) erkannt und dass sie nicht belästigt werden."
Sure 24:30 trägt
ihm ein Keuschheitsgebot für die männlichen Gläubigen auf:
"Sprich zu
den gläubigen Männern, sie sollen ihre Blicke senken und ihre Scham
bewahren. Das ist lauterer für sie."
Der folgende Vers gebietet
dasselbe für die Frauen, erweitert es aber: "... und ihren Schmuck nicht
offen zeigen mit Ausnahme dessen, was (ohnehin) sichtbar ist, und ihren
Schal über ihren Halsausschnitt schlagen und ihren Schmuck nicht offen
zeigen, nur ihren Ehegatten, ihren Vätern, ihren Söhnen, ihren
Stiefsöhnen, ihren Brüdern, den Söhnen ihrer Brüder und ihrer Schwestern,
ihren Frauen, ihren Sklavinnen, den männlichen Bediensteten, die keinen
Trieb (mehr) haben, den Kindern, die die Blöße der Frauen nicht beachten.
Sie sollen ihre Füße nicht aneinanderschlagen, damit man gewahr wird,
welchen Schmuck sie verborgen tragen!" (Gemeint sind sicher klirrende
Fußringe).
Arabische Historiker vom 3. islamischen Jahrhundert an
berichten, dass sich die Frauen von Mekka zu Muhammeds Lebzeiten nicht
verschleierten, wohl aber die von Medîna. Tatsächlich stammen beide Verse
aus Muhammeds medinensischer Zeit. Im Zweistromland und im Iran, Regionen,
in die sich der Islam nach Muhammeds Tod schnell ausbreitete, trugen
Frauen der höfisch-städtischen Ober- und Mittelschichten traditionell
einen Schleier. So wurde die Verschleierung für Frauen dieser Schichten
bald in allen islamischen Ländern üblich, im übrigen auch für Jüdinnen und
Christinnen, die oft andersfarbige Schleier zu tragen hatten. Auf dem
Land, auch bei den Beduininnen und generell bei körperlicher Arbeit ist
die Verhüllung sicher nie so streng praktiziert worden. Für Frauen, "die
sich zur Ruhe gesetzt haben und nicht mehr zu heiraten hoffen, ist es kein
Vergehen, wenn sie ihre Kleider ablegen, ohne dass sie jedoch ihren
Schmuck zur Schau stellen. Und besser für sie wäre, dass sie sich dessen
enthalten" (24:60).
Im übrigen wird auf späteren iranischen und
türkischen Miniaturen der Prophet Muhammed mit einem sein gesamtes Gesicht
verhüllenden Tuch dargestellt.
Mit oder ohne Kopftuch
Außer der
Religionszugehörigkeit bestimmten und bestimmen viele unterschiedliche
historische, regionale, soziale und individuelle Faktoren das Leben
islamischer Frauen. Unterschiede zu Westeuropa zeigen sich am deutlichsten
in der Kleidung, insbesondere durch das Kopftuch. Da sich jedoch
islamische Frauen auch untereinander in Erscheinungsbild und Auftreten
deutlich voneinander unterscheiden, stellt sich die Frage des Frauenbildes
im Koran und seiner Abgrenzung zu später hinzu getretenen Regelungen und
Vorstellungen. Zwar vertritt der Koran die Doktrin der Vorrangstellung des
Mannes vor der Frau, doch sind manche der das Leben von Frauen in
islamischen Ländern bis heute stark berührenden Einschränkungen weder
durch den Koran, noch das islamische Recht, die Scharî'á, zu begründen.
Die gesellschaftliche Position der islamischen Frau ist nicht nur
interkulturell, sondern auch innerkulturell ein heftigst umstrittenes
Thema. Bild einer Straßenszene in Freiburg. Foto: dpa-Fotoreport
Harem und Geschlechtertrennung
Das Wort Harem geht auf das arabische Harîm zurück, abgeleitet von der
Wurzel h-r-m "verboten, tabuisiert, heilig sein" und ist über das
Türkische ins Deutsche gelangt. Es bezeichnet den Ort eines Hauses, an dem
sich dessen Frauen aufhielten, also die Ehefrau(en) eines Mannes, seine
Mutter, seine Töchter, unverheiratete Schwestern und deren Sklavinnen,
auch, solange es die Sklaverei gab, also meist bis ins ausgehende 19.,
beginnende 20. Jahrhundert, die Sklavinnen des Mannes.
Nach
traditioneller islamischer Vorstellung ist der Mann als Familienvorstand
für die Wahrung der Ehre seiner weiblichen Angehörigen verantwortlich.
Diese Ehre kann in ihnen und durch sie am stärksten verletzt werden. So
hatten jahrhundertelang zum Harem eines Hauses außer dem Ehemann und Vater
nur dessen Söhne, die ihre Frauen in ihn einbrachten, männliche Verwandte
und Diener Zutritt, die für eine Ehe nicht infrage kamen. Diese Teilung
der Häuser in "Männer-" und "Frauenregionen" gab es aber in der
städtischen Gesellschaft auch bei Christen und Juden. Allenfalls ein
männlicher Arzt durfte einen Harem betreten, bis ein Medizinstudium für
Frauen offiziell gestattet war. Das war z. B. in der Türkei 1899, in
Deutschland erst ein Jahr später der Fall.
Höfische Harems, die bei
Europäern ganz besonders die Vorstellung von sinnlicher Üppigkeit geweckt
haben, existierten bereits im Alten Orient. Sie waren jahrhundertelang
Statussymbol und wurden von Eunuchen und Frauenbataillonen streng bewacht.
Im übrigen gab es dort unter den Frauen, meist Sklavinnen nichtarabischer
Herkunft, hierarchische Rangordnungen und Aufgabenverteilungen ähnlich wie
in den Teilen der Paläste, die den Männern vorbehalten waren.15
Ehefrauen, Lieblingssklavinnen und vor allem die Mutter des jeweiligen
Herrschers konnten, etwa bei der Dynastie der Abbasiden in Bagdad und
später den Osmanen in der Türkei, erhebliche Macht ausüben. Sie verfügten
auch meist über beträchtliche finanzielle Mittel, mit denen sie religiöse
und karitative Bauten errichten ließen.
Als religiöse Rechtfertigung
der Geschlechtertrennung dienten Koranverse, die wiederum zunächst
Muhammeds Frauen betrafen:
"Und wenn ihr die Frauen des Propheten um
etwas bittet, dann tut das hinter einem Vorhang. Das ist reiner für euer
Herz und ihr Herz" (33:53).
Vers 55 derselben Sure nennt die
männlichen Angehörigen einer Frau, für die das nicht gilt. Diese wie
andere Verse der 33. Sure lassen deutlich konkrete Bezüge zum Leben
Muhammeds erkennen. Die arabische historische Literatur beschreibt die
Situation, eine sehr menschliche im Leben des Propheten, die zu diesem
"Vorhangvers" führte. Jedenfalls entwickelten sich die muslimischen
Gesellschaften des Vorderen Orients, und dies wiederum stark nach
altorientalischem Vorbild, zu Männer- und
Frauengesellschaften.16
Dass die Angehörigen der anderen
Reli-gionsgemeinschaften des Vorderen Orients davon mitgeprägt wurden, ist
selbstverständlich.
Eine positive Sicht der Sexualität
"Die beste Ehefrau ist die, die ihre Scham in Keuschheit bewahrt und
ihrem Mann in Sinnenlust zugetan ist", konstatiert ein auf den
Schwiegersohn Muhammeds und vierten Kalifen Alî zurückgeführter
Hadîth.
Der Koran gebietet den Männern:
"Eure Frauen sind für euch
ein Saatfeld. Geht zu eurem Saatfeld, wo immer ihr wollt! Und schickt (für
euch) etwas Gutes voraus!" (2:223)
Der Islam ist eine Religion, die die
menschliche Sexualität voll bejaht, allerdings nur in der Ehe, für den
Mann, solange es die Sklaverei gab, auch die Beziehungen zu seinen eigenen
Sklavinnen, und sehr stark unter dem Gesichtspunkt der Dominanz des
Mannes. Eine Frau darf sich, schon frühen Hadîthen zufolge, ihrem Mann
nicht verweigern, sonst fluchen ihr die Engel bis zum Morgengrauen, sie
darf es nicht, selbst wenn sie auf dem Rücken eines Kamels
sitzt.
Andererseits wird dem Mann, der ja für die Wahrung der Ehre
seiner Frau verantwortlich ist, in einem so wichtigen Werk wie al-Ghazâlis
(st. 1111) "Neubelebung der Religionswissenschaften", das auch ein "Buch
der Ehe" enthält, zur Pflicht gemacht, seiner Frau sexuelle Erfüllung
zuteil werden zu lassen, so oft sie diese braucht. Der Autor gibt auch
Empfehlungen, wie er das zu tun habe, mit zärtlicher Vorbereitung. Ein
Mann, der mit mehreren Frauen gleichzeitig verheiratet war, hatte seine
Nächte gerecht auf seine Frauen aufzuteilen. Nur wenn er eine Jungfrau
dazuheiratete, sollte er ihr sieben Nächte nach der Hochzeit widmen, einer
deflorierten Frau lediglich drei. Sure 4:129 wurde allerdings oft im
Hinblick auf das sexuelle Begehren bezogen, das ein Mann nicht für alle
seine Ehefrauen gleichmäßig empfinden könne. Muhammeds Vorliebe für
Â'ischa, die seine anderen Frauen durch den Verzicht auf Nächte mit ihm
zugunsten Â'ischas respektierten, diente als Begründung und Hinweis.
Doch die Bestrafung außer- und vorehelicher Sexualität
Jede außer- und voreheliche Beziehung zwischen einem Mann und einer
Frau, auch, solange es die Sklaverei gab, zwischen einem Mann und einer
Sklavin, die ihm nicht gehörte, gilt nach dem Koran als Zinâ', oft mit
"Unzucht" übersetzt, und unterliegt strenger Bestrafung für beide. Nach
Sure 24:2 besteht die Bestrafung in 100 Peitschenhieben vor Zeugen. Damit
wurde Vers 15 der 4. Sure korrigiert. Später wurde aus dem jüdischen Recht
die Steinigung vor Zeugen übernommen, also letztlich die Todesstrafe mit
öffentlicher Ächtung. Allerdings müssen vier vollgültige männliche Zeugen
den Akt glaubwürdig bestätigen können, wenn sie nicht selbst hart bestraft
werden wollen. Daran ist diese Bestrafung oft gescheitert. Die
Rahmengeschichte von 1001 Nacht erzählt, wie ein König straffrei an seiner
ehebrecherischen Frau Selbstjustiz übte, etwas, was schon aus dem Alten
Orient überliefert wird.
Aus der modernen Literatur mehrerer arabischer
Länder, auch aus Meldungen arabischer Zeitungen, wird deutlich, dass bis
heute, vor allem auf dem Land, ein junges Mädchen, das in den Verdacht
gerät, seine Jungfräulichkeit ohne eine Heirat verloren zu haben,
traditionellen Ehrvorstellungen zufolge vom nächsten männlichen Verwandten
getötet werden muss. Das Thema des "Ehrereinwaschens" der Familie durch
das Blut des beschuldigten Mädchens - der Mann geht frei aus - aus
kritischer Sicht, auch aus der des Bruders, der sich gegen den ihm von
älteren weiblichen Verwandten auferlegten Mord heftig sträubt, zieht sich
durch die arabische Prosa und Poesie des 20. Jahrhunderts. Diese
Grausamkeit ist Urf, "Gewohnheitsrecht", nicht islamische
Vorschrift.
Ansonsten sind die Literaturen der Länder des Vorderen
Orients bis in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts reich an
Liebesgedichten, auch Erzählungen über die udhritische, die Liebe derer,
"die", nach Heinrich Heine, "da sterben, wenn sie (unerfüllt) lieben",
ebenso wie an leidenschaftlichen Liebesgedichten männlicher Dichter auf
Frauen wie auf junge Männer. Hier wird oft religiöse Sprache zur Metapher
für sinnliche. Und es gab schon früh die Gattung der Mudschún-Literatur,
der "obszönen" Literatur, die in Dichtung wie Prosa ebenso derb wie offen
war. Prostitution galt zwar als verboten, doch hat es sie wohl fast immer
und überall gegeben.17
Frauen zu Lebzeiten Muhammeds und im frühen Mittelalter
Dass es im vorislamischen Arabien, besonders bei den Beduinen, vorkam,
dass neugeborene kleine Mädchen lebend im Wüstensand vergraben wurden, ist
dem Koran zu entnehmen, der dies unter Androhung von Strafen beim jüngsten
Gericht strikt verbietet (16:58f.; 17:31). Er rügt Männer, die ein
finsteres Gesicht ziehen, wenn ihnen gesagt wird, sie hätten eine Tochter
bekommen. Der Koran macht auch den Grund für den Unmut deutlich: Furcht
vor Not und Schande. Unter den harten Lebensbedingungen der Beduinen, die
sich als Nomaden von der Jagd und der Wanderweidewirtschaft ernährten,
konnten Mädchen als überflüssige Esser gelten, die zur Stärke des Stammes
nichts beizutragen hatten.
Das im Koran verwendete Wort für das
Lebendbegraben, wa'ada, wird in arabischer sozialkritischer Literatur seit
dem Beginn des 20. Jahrhunderts auch für die Verbannung der Frau ins Haus
von der Pubertät an, ihren Ausschluss aus der Öffentlichkeit, d. h. auch
von allen inzwischen geschaffenen und noch zu schaffenden
Bildungsmöglichkeiten, verwendet.
Dass Frauen in Mekka zu Lebzeiten
Muhammeds stark und selbständig sein konnten, beweist seine erste Frau
Chadîdscha, die als reiche Kaufmannswitwe ein Handelsunternehmen leitete.
Sie trug dem 15 Jahre jüngeren Muhammed, der in ihren Diensten stand,
durch eine Vermittlerin die Ehe an. Sie gab ihm, der als Waise
aufgewachsen war, psychischen Rückhalt, als er sich von Gott, Allâh, zum
Propheten berufen fühlte und gegen die Anfeindungen reicher Mekkaner seine
ersten Verkündigungen vortrug. Vermutlich konnte sie von ihm verlangen,
dass er, solange sie lebte, keine andere Frau dazuheiratete. Sie war die
einzige seiner Frauen, die ihm Kinder gebar - bis auf die Koptin Maria,
deren Söhnchen kurz nach der Geburt starb. Auch Muhammeds Vetter und
Schwiegersohn Alî, der Mann seiner Tochter Fâtima, wurde erst nach Fâtimas
Tod polygyn. Es heißt, Muhammed habe von ihm verlangt, dass er zu
Lebzeiten Fâtimas keine andere Frau neben ihr hatte.
Â'ischa,
Muhammeds Lieblingsfrau, die bei seinem Tod 18 Jahre alt war,
wird als Quelle vieler Überlieferungen über seine Sunna genannt, d. h.,
seine Art zu leben, sich zu verhalten, die zum "schönen Vorbild" für die
Muslims über die Jahrhunderte wurde. Hier finden sich auch viele nicht im
Koran fixierte Weisungen für Frauen. Dass sie aber 656 im ersten
Bürgerkrieg der Muslims, der sogenannten "Kamelschlacht" nahe Basra,
genannt nach dem Kamel, auf dem sie ritt und nach dem Vorbild
alt-arabischer Frauen ihre Partei anspornte, die dann gegen Alî, den
späteren vierten Kalifen und Stammvater der Schi'iten, verlor, hat zu
ihrer Verdammung bei den Schi'iten geführt. Es wurde jedoch auch von
männlichen sunnitischen Autoren bis ins 20. Jahrhundert für ein
Pauschalurteil über die fehlende politische Begabung von Frauen "genutzt".
Konservative muslimische Autoren begründen hiermit den dringenden Rat,
Frauen sollten sich von Politik und Öffentlichkeit fernhalten.
Generell war es sicher für Frauen aus den städtischen Mittel- und
Unterschichten normal, sehr jung verheiratet zu werden, in das Haus der
Eltern ihres Mannes zu ziehen und möglichst viele Kinder, besonders Söhne,
zu bekommen. In diesen Schichten war die Ehe eines Mannes mit einer Frau
üblich, öfter mit seiner Kusine, auch mit einer Sklavin, die im Haus
seiner Eltern groß geworden, ihm also bekannt war. Im Fall einer Ehe von
Vetter und Kusine bleibt natürlich auch das Vermögen in der Familie. Bis
heute behält in den arabischen Ländern die Frau meist den Namen ihres
Vaters, in dessen Familie sie im Fall einer Verstoßung
zurückkehrt.
Koran und Traditionsliteratur sind, ausgehend von der
Vorrangstellung des Mannes, betont familienfreundlich. Dem Mann, der Gott
darum bittet, er möge ihm Freude an seinen Frauen und Kindern schenken,
wird das Paradies verheißen (25:74f. u. ö.). Eine besondere Verehrung für
die Mutter ist schon aus der frühen Hadîth-Literatur ablesbar. Hadîthe
weisen darauf hin, dass aus kleinen Mädchen Mütter, Schwestern, Tanten
würden, d. h., Frauen wurden über ihre Zugehörigkeit zu ihren männlichen
Familienangehörigen definiert. Und diesen wurden sie als nahe Verwandte
besonders ans Herz gelegt.
Spätere Überlieferungen lassen eine Verschlechterung der Position erkennen
Die umfangreiche Traditionssammlung von al-Muttaqi al-Hindi (st. 1567),
in der sich spätere Auffassungen und Entwicklungen in Hadîthe eingekleidet
finden, d. h., sie werden auf Muhammed zurückgeführt und somit für die
Gläubigen allgemein verbindlich gemacht, wenn auch abgestuft hinsichtlich
der Glaubwürdigkeit der Überlieferer, enthält die kurzen Reimworte: "Lob
sei Gott, Töchter ins Grab zu legen, ist ein Segen!"
Über die
unterschiedliche Erziehung, die man den Geschlechtern zuteil werden lassen
sollte, heißt es hier:
"Ein Sohn hat seinem Vater gegenüber das Recht
darauf, schreiben, schwimmen und Speer werfen zu lernen und stets gut
ernährt zu werden", aber:
"Lehrt sie, die Mädchen/Frauen, nicht
schreiben, lehrt sie spinnen und die Sure ,Das Licht'!" (die 24. Sure, die
die Strafen für Zinâ', und später ein Keuschheits-/Verhüllungsgebot
enthält).
Für Jungen sei die 5. Sure, "Der Tisch", besonders
einprägenswert. Sie enthält die Gebetsordnung und rituelle Gebote über das
Jagen, Schlachten, über Speisen, das Verbot des Glücksspiels und von
Alkohol, auch Aussagen über das Verhältnis der Muslims zu Juden und
Christen u. a. m.. Ein später Hadîth sagt aber auch: "Wer für drei Töchter
zu sorgen hat, ihnen eine gute Erziehung zuteil werden lässt, sie
verheiratet und ihnen Gutes tut, dem gebührt das
Paradies!"18
All das zeigt, dass mehrere Töchter (auch
Schwestern) für einen Familienvater unter den damaligen Lebensbedingungen
als eine belastende soziale Verpflichtung galten, die er im Sinne der
Töchter/Schwestern human erfüllen sollte. Dafür wurden ihm, wie einem
Märtyrer, Gottes Lohn, die Freuden des Paradieses, versprochen.
Weibliche Gelehrte, Herrscherinnen
Dass Töchter aus Gelehrtenfamilien oft (durch Familienangehörige)
dieselbe Ausbildung erhielten wie Söhne, dass es vom 14. Jahrhundert an
weibliche Hadîth-Gelehrte gab, dass arabische biographische Lexika des
Mittelalters eigene Abschnitte über bekannte Frauen enthielten, die
freilich weitaus geringer an Zahl waren als bekannte Männer, zeigt, dass
Frauen im sozialen Leben eine Rolle spielen konnten, die über die der im
Verborgenen wirkenden Ehefrau, Hausfrau und Mutter hinaus ging.
Die
Königin von Saba, später heißt sie Bilqîs, erscheint im Koran (27:15-44)
als mächtige Herrscherin, die sich, wie es einer Frau zukommt, der
Weisheit und Macht des rechtgläubigen Salomo (Sulaimân) beugt. Von
späteren islamischen Miniaturmalern wird sie als Frau auf dem Thron eines
Feen- und Dämonenreichs phantasiereich und farbenfroh dargestellt. Im Zuge
der Frauenemanzipation ist heute in manchen arabischen Ländern, etwa dem
Libanon, der Name Bilqîs für Mädchen recht beliebt. Aber die
Traditionsliteratur enthält den (angeblichen) Ausspruch Muhammeds:
"Ein
Volk, das seine Angelegenheiten einer Frau anvertraut, wird nie Erfolg
haben." Doch es gab vereinzelt und meist kurzzeitig Herrscherinnen in
verschiedenen Dynastien, auch machtbewusste Mütter, die im Namen ihrer
minderjährigen Söhne regierten.
Listige und kluge Frauen in der arabischen Literatur
Die Geschichte von der listigen Dalîla in 1001 Nacht, die Ausschnitte aus einem langen Volksroman desselben Titels enthält, eigentlich Dalîla, die Trickdiebin, ist m. W. der einzige Gaunerroman der Weltliteratur, dessen Heldin eine Frau ist. Er zeigt, wie eine Frau aus dem Volk, der städtischen Gesellschaft von Bagdad, in die sich Züge des Kairos der Mamlukenzeit mischen, sich gemeinsam mit ihrer schönen Tochter Zainab, "der Gaunerin", voller List und Tücke und offensichtlich zur kollektiven Schadenfreude der männlichen Erzähler ebenso wie eines vermutlich durchgängig männlichen Auditoriums gegen eine dominante und korrupte Männergesellschaft durchsetzt. "Listen der Ohnmacht" nennt dies die europäische Sozialgeschichtsforschung. Es gibt noch einen anderen langen arabischen Volksroman, dessen Heldin eine Frau ist, eine Amazone, die Frömmigkeit, Tapferkeit und Tüchtigkeit vereint, Dhât el-Himma. Scheherazâd, die berühmte Erzählerin von 1001 Nacht, die heutigen arabischen Schriftstellern und Schriftstellerinnen zur Symbolgestalt für weibliche Klugheit und Kreativität geworden ist, hat in den verschiedenen Ausformungen dieses berühmten Werks der Weltliteratur unterschiedliche Gestalten angenommen: Von der ursprünglichen klugen und gebildeten Erzähltherapeutin, die einen königlichen Frauenhasser kuriert, ihm während dieser Zeit auch einen Sohn schenkt, zur Mutter dreier Söhnchen, die sie diesem Frauenhasser in 1001 Nächten oder auch Tagen heimlich geboren hat, in der spätesten, der ägyptischen Fassung. Der König erlässt ihr gnädig die Todesstrafe, die er nun endlich an ihr vollstrecken lassen wollte, da ihn besonders ihre letzte Geschichte ungemein gelangweilt habe, als sie ihm plötzlich seine ihm bis dahin gänzlich unbekannten männlichen Nachkommen vorführt. Natürlich ein Trick des Erzählers, der aber die Grundhaltung erkennen lässt: Nicht die Klugheit und Bildung der Scheherazâd retten ihr hier das Leben und heilen den kranken König, sondern ihre Treue und vor allem die Tatsache ihrer Mutterschaft von so vielen Söhnen, wie eine Frau in 1001 Nächten empfangen und gebären kann.19
Die Auseinandersetzungen mit Europa zwangen zum Überdenken überlieferter Positionen20
Die Konfrontation mit den expandierenden Kolonialstaaten Frankreich und
England seit Beginn des 19. Jahrhunderts, in der Türkei bereits früher,
zwang die einheimischen Machteliten, die ihre Positionen wahren wollten,
ebenso wie die damals kleine Schicht der Intellektuellen zum Überdenken
der eigenen Situation.21
Die Auseinandersetzung mit dem
überkommenen Erbe einerseits, mit dem zunächst vor allem aus Westeuropa
einströmenden neuen Gedankengut, etwa dem der Französischen Revolution,
andererseits, hatte in längeren und vielschichtigen Prozessen
Umstrukturierungen, Reformen, meist von oben, also durch die jeweilige
Regierung, und Neuerungen zur Folge. In der Wirtschaft löste die
Industrialisierung mit ihren sozialen Folgeerscheinungen allmählich
Manufakturen und häusliche Produktion ab. Die Einführung des Buchdrucks,
zunächst, seit dem 17. Jahrhundert, durch kleine Pressen bei christlichen
Gemeinden für deren konfessionelle Schriften, dann in der Türkei durch den
ungarischen Konvertiten Ibrahîm Müteferrika 1727, in Ägypten um 1824, im
Iran 1825, in Tunis 1842, in Libyen 1866, im Irak 1869, im Nordjemen 1877,
1882 im Hedschas, 1922 in Jordanien, 1928 in Bahrein wurde eine Basis für
die Popularisierung von Bildung. Er machte nicht nur das Kursieren von
Büchern, sondern auch die Gründung von Zeitungen und Zeitschriften
möglich, die aktuelle Themen, schon aus Zensurgründen vorwiegend
soziokulturelle, nicht politische, debattierten, stärker seit ca. 1870.
Adaptierende Übersetzungen, zunächst besonders aus dem Französischen,
vermittelten bisher unbekanntes Wissen, dann auch neue literarische
Formen, die über andere Lebens- und Denkweisen informierten.
Ausbildungseinrichtungen nach europäischen Vorbildern zunächst für
Militärs, Verwaltungsbeamte, Mediziner wurden gegründet. Das Schulwesen
wurde insgesamt langsam erweitert, säkularisiert und ausgebaut.
Mädchenschulen
Für die erste staatliche "Berufsschule" für Frauen, eine 1832 gegründete Hebam-menschule in Kairo, wurden 1836 die Schülerinnen unter äthiopischen (also wohl christlichen) Sklavinnen und Waisenmädchen rekrutiert, denn ein muslimischer Familienvater hätte es als unehrenhaft empfunden, eine seiner Töchter zur Ausbildung dorthin zu schicken. Den Schülerinnen wurde ein Ehemann, ausgewählt aus Absolventen einer mittleren medizinischen Fachschule, versprochen, zudem lebenslang eine Wohnung und ein Esel als Transportmittel. Die erste staatliche Mädchenschule wurde in Ägypten 1873, noch gegen starke Widerstände konservativ-muslimischer Kreise gegründet,22 im Irak, um nur einige Beispiele zu nennen, 1898, in Teheran 1918, in Bahrein 1928, in Shardja in den Emiraten 1955, in Saudi-Arabien 1956, in Oman 1970 mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht. Mädchen-schulen christlicher Missionen gab es in verschiedenen Städten und Regionen schon länger vorher. Die Alliance Israélite Universelle eröffnete 1864/65 die erste Knaben-, 1893 die erste Mädchenschule für die Bagdader jüdische Gemeinde. Christliche wie jüdische Schulen pflegten die damalige französische Form der Mädchen- wie der Knabenbildung.
Frauenzeitschriften und -organisationen
Die ersten Frauenzeitschriften erschienen in Ägypten seit 1892. Die
1910 gegründete erste iranische Frauenzeitschrift hatte den
programmatischen Titel Wissen. Nach 1900 gründeten Frauen aus
Oberschichtfamilien Wohltätigkeits- und Bildungs-vereine. Die ersten
politischen Frauen-organisationen wurden nach dem Ersten Weltkrieg ins
Leben gerufen. Sie kämpften für Reformen des Islamischen Familienrechts
und für politische Rechte von Frauen. Meist erst nach dem Ersten Weltkrieg
begannen Frauen aus dieser Schicht, den Schleier abzulegen.
Als der
Schah des Iran 1936 die Verhüllung gesetzlich verbot, verließen viele
Frauen das Haus nicht mehr. Auch Männer aus unteren sozialen Schichten
taten dies, weil sie nicht unverhüllten Frauen begegnen wollten. Ein
jahrhundertelang gewahrtes Schamgefühl für das Gesicht ist nicht durch ein
Gesetz sofort zu beseitigen. 1941 musste der Sohn und Nachfolger des
Schahs das Gesetz annullieren, das im übrigen an der sozialen Ungleichheit
von Mann und Frau nichts geändert hatte.
Seit Ende der Siebzigerjahre stärkere Tendenz zur Verhüllung
Seit den ausgehenden 70er Jahren hat die Tendenz zur Verhüllung, wenn auch regional und schichtenspezifisch unterschiedlich, wieder zugenommen. Sie wird heute auch von emanzipierten Frauen islamischer Länder oft als Zeichen ihrer soziokulturellen Identität und als Schutz gegen sexuelle Belästigung, besonders in männerdominierten Berufsbereichen, gewählt und verteidigt. Dies ist auch eine Begründung junger europäischer oder in Europa lebender Musliminnen für das Kopftuch, verbunden oft mit dem Tragen langer, die Körperformen kaschierender Gewänder. Dass die Formen der Verhüllung sehr unterschiedlich sein können, vom oft kleidsamen mehrfarbigen Kopftuch, farblich auf die übrige Garderobe abgestimmt, bis zum schwarzen oder auch weißen, das gesamte Haar und den Stirnansatz verhüllenden Tuch zu sackartiger schwarzer Kleidung, bewusst enterotisierend, zeigt individuelle Entscheidungsmöglichkeiten und Lebenshaltungen. Bei sehr jungen Mädchen und Frauen mag der Familienvater, auch der ältere Bruder diese Entscheidung erzwingen. Emanzipierte Frauen im Iran zur Schahzeit haben übrigens aus Opposition gegen eine ihnen zu forciert erscheinende Säkularisierung nach westlichen Vorbildern ostentativ den Tschador, den schwarzen Umhang, angelegt. Als er von der Mollah-Regierung 1979 zur Pflicht gemacht wurde, demonstrierten sie dagegen und waren dann die ersten, die ihre Stelle im Regierungsdienst verloren.
Reformen des Familienrechts
Auch Reformen des Familienrechts wurden nach und nach, abhängig vom politischen System des jeweiligen Landes und basierend zunächst auf den jeweils für Frauen günstigsten Bestimmungen der vier Rechtsschulen, verfügt, stärker nach der Gründung unabhängiger Nationalstaaten in den 50er Jahren des 20. Jahr-hunderts. Libyen machte 1977 den Koran zur Grundlage der Gesellschaft, führte aber später Modifikationen zum Ehealter, zur Polygynie und zum Scheidungsrecht zugunsten der Frau ein. Saudi-Arabien erklärte 1992 den Koran zur Verfassung des Landes. Der Iran führte 1979 die Scharî'a unverändert wieder ein, der Sudan tat dies 1983 und erklärte 1991 auch das islamische Strafrecht wieder für verbindlich. Die Türkei dagegen trennte sich 1926 unter Atatürk durch die Einführung des Schweizer Zivilrechts vom Islamischen Recht. Es sind immer wieder die Frauenorganisationen der jeweiligen Länder, die seit der Gründung von Nationalstaaten oft mit der jeweiligen Regierung zusammenarbeiten, die weitere Reformen zugunsten der Frauen fordern und mit unterschiedlichem Erfolg durchsetzen. Natürlich ist dafür stets die Zustimmung der obersten religiösen Autoritäten notwendig. Vieles ist Interpretationsfrage, aber Weisungen des Korans zu modifizieren, bereitet Schwierigkeiten.
Bessere Bildungschancen für Frauen
Die Möglichkeiten zu höherer Schulbildung für Mädchen wurden allmählich, variierend von einem Land zum anderen, nach dem Ersten Weltkrieg geschaffen. In vielen arabischen Ländern und dem Iran wurde ein Studium für Frauen erst von den 20er/30er Jahren an, abhängig vom jeweiligen politischen System und der Gründung säkularer Universitäten, teilweise auch erheblich später, möglich Von dieser Zeit an vergaben einzelne Länder Stipendien an Frauen zum Studium in Europa. Dass an den neu gegründeten Universitäten im Vorderen Orient auf Grund der jahrhundertelang gewohnten Geschlechtertrennung Hemmungen im Verhalten der Studenten wie des männlichen Lehrpersonals gegenüber Studentinnen zu überwinden waren, lassen Schriftsteller dieser Generation aus Ägypten ebenso wie dem Iran erkennen. An der traditionsreichen islamischen As'har-Universität in Kairo wurden in den 30er Jahren die ersten Studienkurse für Mädchen eingerichtet. 1962/3 wurde eine bis heute existierende Mädchenfakultät gegründet. In Saudi-Arabien gibt es heute neun Universitäten, auch mit weiblichem Lehrpersonal, an denen strikte Geschlechtertrennung herrscht. Die männlichen wie die weiblichen Analphabetenraten waren in den letzten 15 Jahren stark rückläufig. Natürlich bringen seit einigen Jahrzehnten andere Informationsmöglichkeiten, vor allem TV und Transistorradio, auch Analphabet/inn/en und Menschen mit geringen Bildungschancen andere Welten und Lebensformen ins Haus. Dass TV- und Radioprogramme ebenso wie die Auswahl an Video-Filmen in Ländern mit autoritären Regierungen, etwa in Libyen, staatlich gesteuert werden, versteht sich beinah von selbst.
Frauen islamischer Herkunft in der deutschen
Politik |
Berufliche und politische Chancen
Mit der Schaffung von Bildungsmöglichkeiten für Frauen wurden weibliche
Lehrkräfte gebraucht, d. h., Frauen erhielten berufliche Chancen bis hin
zur Professorin. Sie erhielten sie natürlich auch in frauentypischen
Bereichen wie als Ärztin oder Schwester auf Frauen- und Kinderstationen.
Die Türkei garantierte mit der Einführung des Schweizer Zivilrechts 1926
Frauen das Recht auf eine Berufstätigkeit, auch auf die Beamtenlaufbahn.
1922 eröffnete die erste türkische Ärztin ihre Praxis in Istanbul, 1927
die erste Rechtsanwältin, 1930 gab es die ersten Richterin, 1932 die erste
Staatsanwältin. An türkischen Universitäten lehren heute prozentual mehr
Professorinnen als in Deutschland. Generell ist die Berufstätigkeit von
Frauen, die zunächst hart erkämpft werden musste, heute in vielen Ländern
normal geworden, aber doch abhängig von der wirtschaftlichen,
demographischen und politischen Situation des jeweiligen Landes. Im
konservativ islamischen Saudi-Arabien dürfen Frauen zwar nicht Auto
fahren, aber es gibt Banken und andere Einrichtungen mit rein weiblichem
Personal nur für Frauen, schon weil man auf Gastarbeiter nach und nach
verzichten möchte.
Die erste arabische Ministerin wurde 1959 im Irak
für das Ressort Landwirtschaft tätig. Seit den 70er Jahren gibt es in den
Ländern, die Progressivität demonstrieren wollen, wenigstens eine
Ministerin, meist für ein Ressort, das als frauentypisch gilt, etwa in
Ägypten seit 1962 "Soziale Angelegenheiten", in Syrien seit 1980 "Kultur".
Ins Zentralkomitée der PLO wurde 1980 eine Frau aufgenommen. Die Zahl der
Länder ohne Ministerin ist allerdings höher: der Iran, die Emirate,
Kuweit, Saudi-Arabien, der Jemen, Jordanien, der Libanon, Libyen, Marokko.
Farrokrou Parsa, iranische Erziehungsministerin von 1968 bis 1978, wurde
nach dem Sturz des Schahs 1979 angeklagt, Korruption und Prostitution im
Land verbreitet und Krieg gegen Gott geführt zu haben, und im Alter von 69
Jahren hingerichtet. Im heutigen iranischen Parlament sind Frauen durch
Witwen oder andere Angehörige führender Staatspolitiker vertreten. Die
Türkei, die sich in ihren Verfassungen seit 1928 als laizistischer Staat
definiert, gestand 1930 Frauen das aktive Wahlrecht zu. Seit 1933 konnten
sie in den Senat, seit 1934 in das Große Parlament gewählt werden. In den
meisten arabischen Ländern erhielten Frauen das aktive Wahlrecht erst in
den 50/60er Jahren und nach Auseinandersetzungen mit hohen religiösen
Autoritäten. In Kuwait, einem Land mit einem hohen Anteil gut
ausgebildeter Frauen und einer starken Frauenorganisation, haben Frauen
bis heute nicht das Wahlrecht. Im ägyptischen Parlament gab es 1957 die
ersten zwei Parlamentarierinnen (von insgesamt 360 Parlamentariern).
1982/83 waren von 390 Parlamentariern 35 Frauen. Ähnlich ist der
Prozentsatz heute in der Türkei. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik
Deutschland wurde die Zehnprozenthürde im Bundestag 1987 überschritten, in
Österreich 1983.
Frauenpower durch weibliches Schreiben
Zwar gab es bereits in vorislamischer Zeit Dichterinnen, berühmt ist
al-Chansâ' für ihre Trauergedichte auf ihre gefallenen Brüder, und es gab
vereinzelt durch die Jahrhunderte Dichterinnen, arabische, persische und
türkische. Es gab auch höfische Sängerinnen und Musikerinnen, diese
durchgängig als hochgebildete Sklavinnen. Aber dass Frauen aus
vorderorientalischen Ländern Gedichte, Novellen und Romane schreiben und
veröffentlichen, ihre Gefühle, die Situation von Frauen aus intimer und
meist kritischer Sicht beschreiben, begann stärker erst seit den
50er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Besonders in den Niedergangszeiten der
islamischen Länder dominierte das patriarchalische Machtwort: Saut
al-Mar'a Aura "Die Stimme der Frau ist etwas schamvoll zu Verbergendes".
Der Bait at-Tâ'a, "Das Haus des Gehorsams", war das, was der Frau zukam.
Heute und nun schon seit einigen Jahrzehnten erheben mutige Frauen aus
vorderorientalischen Ländern ihre Stimme, bzw. nützen ihre Feder/ihren PC
auch als Journalistinnen und Wissenschaftlerinnen mit Forschungen zur
Situation von Frauen in islamischen Ländern in Vergangenheit und
Gegenwart. Dass es hier zu divergierenden Meinungen kommt, ist wohl kaum
vermeidbar. Dies ist auch von den Herkunfts- wie den heutigen
Aufenthaltsländern der Verfasserinnen und von ihren Lebenserfahrungen
abhängig. Die Standpunkte reichen von mutiger, harscher Kritik wie bei der
Ägypterin Nawâl al-Sa'dâwi (geb. 1931) oder der Marokkanerin Fâtima
Mernissi (geb. 1941) bis zur Stützung fundamentalistischer Positionen wie
bei der Ägypterin Zainab al-Ghazâli (geb. 1917)23. Muslimische
Feministinnen, wie die in den USA wirkenden Pakistanerinnen Amina Wadud
und Riffat Hassan24 betonen emanzipatorisch fordernd die
generelle Frauenfreundlichkeit des Korans, Muhammeds und des frühen Islams
gegen jahrhundertelang vertretene männlich-chauvinistische
Interpretationen und Standpunkte.
Vom Islam (in seinen
unterschiedlichen Ausprägungen) unmittelbar betroffen sind allemal
diejenigen, die in islamischen Ländern, in einer vorwiegend muslimischen
Umgebung leben. Aber auch hier können die Lebensumstände sehr verschieden
sein: In der über Jahrzehnte säkular geprägten Türkei gibt es heute junge,
gebildete, religiös orientierte Akademikerinnen, die gegen das
Kopftuchverbot bei allen staatlichen Einrichtungen angehen. Im Iran
dagegen scheint sich in Bezug auf die staatlich verordnete
Zwangsverhüllung einiges leicht zu liberalisieren.
Wie sich die
Verhältnisse weiterentwickeln, bleibt abzuwarten. In einigen Ländern, etwa
Syrien und Jordanien, ist eine jüngere Generation von Staatsführern mit
Ehefrauen, die ihre akademische Ausbildung in westeuropäischen Ländern
erfahren haben, angetreten. Einem wachsenden Potential an gebildeten
jüngeren Frauen generell steht eine nicht zu übersehende Verelendung
breiter Schichten in den wirtschaftlich schwachen Ländern, wachsende
Arbeitslosigkeit, besonders der Jugend, die in manchen Ländern über die
Hälfte der Bevölkerung ausmacht, und wirtschaftliche Unterentwicklung
entgegen. Die politische Bandbreite reicht vom konservativ-islamischen,
reichen Königreich Saudi-Arabien und den Emiraten mit dem, was Fâtima
Mernissi als den "Petro-Islam" bezeichnet,25 bis hin zur
säkularisierten Republik Türkei oder Ägypten als dem bevölkerungsreichsten
arabischen Land mit längeren säkular orientierten Tendenzen religiöser
Toleranz einerseits, erstarkenden fundamentalistischen Strömungen
andererseits. Afghanistan unter der Tâlibân-Regierung ist offensichtlich
zum fanatischsten konservativ-islamischen Staat überhaupt geworden und
lässt sich so von Medienvertretern, die ein Feindbild Islam aufbauen
wollen, als das Paradebeispiel für die Rückständigkeit und
Frauenfeindlichkeit des Islams generell gut nutzen.
Fußnoten
1 Zitiert nach der Ausgabe Würzburg 1995, hgb. v. Hartmut Bobzin, mit erklärenden Anmerkungen von Wolfdietrich Fischer. Das Original erschien postum 1888 zu Rückerts 100. Geburtstag. Rückert hat nur übersetzt, was ihm gefiel und poetisch genug erschien.
2 Wo nicht anders angegeben, Koranzitate nach der Übersetzung von A. Th. Khoury, Gütersloh 1987 (GTB 783), gelegentlich, wie hier, mit leichten Überarbeitungen durch mich anhand des arabischen Original-texts.
3 Vgl. dazu: W. Walther, Mythen über das erste Menschenpaar, den Sündenfall mit seinen Folgen und die Konstituierung menschlichen Lebens in der islamisch-arabischen Literatur, in: Forschungsforum Orientalistik. Berichte aus der Otto-Friedrich-Universität Bamberg 2(1990), S. 9-17.
4 Ausführlicher in: W. Walther, Die Frau im Islam, in: Peter Antes u. a., Der Islam. Religion - Ethik - Politik. Stuttgart, Berlin, Köln 1991, S. 98-124.
5 Vgl. G. H. Bousquet, Hayd, in: The Encyclopedia of Islam, New Ed., Bd. 3 (1986), S. 315.
6 Vgl. Kathleen O'Grady, Menstruation, in: Serenity Young (ed.), Encyclopedia of Women and World Religion, New York 1999, Bd. 2, S. 649ff. Die hier formulierte Behauptung, der Koran leite die Erschaffung des Menschen aus Menstruationsblut ab, ist allerdings falsch.
7 Vgl. L. Gardet, Djanna, in: EI2 (Anm. 5), Bd. 2(1983), S. 447ff.
8 Vgl. z. B. Epheser 5, 22ff, 1. Korinther 11, 3ff., 1. Timotheus 2, 11ff, 1. Petrus 3, 1-7.
9 Vgl . Maysam J. al-Faruqi, Self-Identity in the Qur'an and Islamic Law, in: G. Webb (ed.), Windows of Faith, Syracuse 2000, S. 92.
10 Vgl. das ganze Gedichtchen, bei dem Goethe sich auf eine Übertragung des österreichischen Orientalisten Joseph v. Hammer-Purgstall stützt, in:W. Walther (Anm.3), S. 9.
11 Vgl. dazu: Elisabeth Gössmann (Hgb.), Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht, München 1988, und den in W. Walther, Die Frau im Islam, 3. neu bearb. Aufl., Leipzig 1997, S. 229, Nr. 112, genannten Titel, der E. Gössmann offensichtlich nicht vorlag .
12 Vgl. dazu: Shahla Haeri, Law of Desire. Temporary Marriage in Iran, London 1989.
13 M. J. al-Faruqi (Anm. 9), S. 93.
14 Zum Gebot für Christinnen, das Haar beim Gebet zu verhüllen, vgl.1. Korinther 11, 5f., zum Gebot an christliche Frauen, sich züchtig zu kleiden, auf "äußeren Schmuck" zu verzichten und sich ihren Männern unterzuordnen, 1. Petrus 3,3-5.
15 Vgl. zu den höfischen Harems: W. Walther, Die Frau im Islam (Anm. 11), S. 81-90.
16 Vgl. auch: W. Walther, Frauenwelten - Männerwelten im Islam, in: Universität Heidelberg. Studium Generale SS 1998. Islam - eine andere Welt? Heidelberg 1999, S. 41-56.
17 Ausführlicher im Kapitel "In der Liebe ist Süße und Bitternis", in: W. Walther, Die Frau im Islam (Anm. 11), S. 131-61.
18 Angaben der arabischen Originalquellen in: W. Walther (Anm.4), S. 122.
19 Vgl. zu den verschiedenen Fassungen der Rahmengeschichte: W. Walther, Tausendundeine Nacht. Eine Einführung, München, Zürich 1987, S. 86-94.
20 Ausführlicher bei: W. Walther, Die Frau im Islam heute, in: Werner Ende, Udo Steinbach (Hgb.), Der Islam in der Gegenwart, 4. überarb. Aufl., München 1996, S.604-29, 874-78, 932f. und im Kapitel "Wer ich bin, fragt das Selbst", in: W. Walther, Die Frau im Islam (Anm 11), S. 188-222.
21 Die widersprüchlichen Eindrücke, die die "Französische Expedition", die Besetzung Ägyptens durch die Truppen Napoleons 1798-1801, bei der Kairoer Bevölkerung hinterließ, schildert der ägyptische Historiker Al-Dschabarti als Zeitzeuge im letzten Band seines 4-bändigen Geschichtswerks, übers. v. Arnold Hottinger, Bonaparte in Ägypten, München 1983. Über den 5-jährigen Aufenthalt der ersten Studiendelegation von Angehörigen der ägyptisch-türkischen Oberschicht in Paris 1826-31 und das, was er für sein Land besonders an Bildungsinstitutionen vorbildlich fand, berichtet der Begründer der sozialen Reformbewegung in Ägypten Rifâ'a at-Tah-tâwi (1801-1873). Hier wird deutlich, wie vieles damals schockierend neu für die Ägypter war, übers. v. Karl Stowasser, Rifa'a at-Tahtawi. Ein Muslim entdeckt Europa, Leipzig, Weimar, auch München 1988.
22 At-Tahtawi verfasste zur Gründung dieser ersten staatlichen Mädchenschule ein sehr umfangreiches Buch, für das er aus der klassischen arabischen ebenso wie aus (nicht genannter) französischer Literatur schöpfte, um nicht nur die Zulässigkeit, sondern die dringende soziale Notwendigkeit von Mädchenbildung als Basis für eine andere soziale Position der Frau zu begründen. Vgl. W. Walther, Rifâ'a at-Tahtâwi - ein Wegweiser der Frauenbildung im 19. Jahrhundert, in: Marc-Edouard Enay (Hgb.) , Schuld sind die Männer, nicht der Koran, [Saanenmöser/Gstaad 2000], S. 29-42
23 Vgl. W. Walther, Islamischer Fundamentalismus und Frauenglück. Die Ägypterin Sainab al-Ghasali als Propagandistin fundamentalistischer Sozial-ethik, in: Donate Pahnke (Hgb.), Blickwechsel. Frauen in Religion und Wissenschaft, Marburg 1993, S. 273-98.
24 Vgl. z. B. Gisela Webb (ed.), Anm.9.
25 In ihrem Buch Die vergessene Macht, Berlin 1993.
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heim zu Lügen haben schöne Beine