Islam in Deutschland

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Das Kopftuch als Symbol

Die Stellung der Frau im Islam

von Wiebke Walther

Prof. Dr. Wiebke Walther lehrt Arabistik und Islamkunde an der Universität Tübingen. Ihr Buch "Die Frau im Islam" erschien erstmals 1980 in Leipzig und Stuttgart und wurde ins Englische, Französische und Polnische übersetzt; die letzte überarbeitete Neuauflage erschien 1997 in Leipzig. Für ihr orientalistisches Gesamtwerk als Forscherin und Übersetzerin erhielt sie 1988 den Friedrich-Rückert-Preis der Stadt Schweinfurt.

Nichts scheint die kulturellen Unterschiede zwischen den westeuropäischen und den islamischen Gesellschaften so deutlich zu markieren wie die Stellung der Frau, sichtbar an Kleidung und Kopftuch auch auf unseren Straßen. Wie sieht der Koran Wesen und Rolle der Frau, was ist an späteren Auslegungen hinzugekommen, welche rechtlichen Regelungen trifft die Scharî'a, das Islamische Recht? Welche Entwicklungen haben sich hier vollzogen, nicht zuletzt in der Begegnung mit europäischem Denken? Red.

Manches ist spätere Zutat, durch Koran und Scharî'a nicht zu begründen

"Ihr o ihr Menschen, wir erschufen euch Mann und Weib und machten euch zu Stämmen und Geschlechtern, dass ihr einander kennen möchtet. Fürwahr, der edelste von euch ist der Gottesfürchtigste von euch: denn Gott ist weis' und kundig."So übertrug der deutsche Dichter und Orientalist Friedrich Rückert im 19. Jahrhundert Vers 13 der 49. Sure des Korans.1 Andere Schöpfungsberichte des Korans lassen den aus der Genesis bekannten Mythos von der Erschaffung der Frau aus dem Mann als dem Ersterschaffenen (aus Ton oder einem Samentropfen, auch einem Blutklumpen, etwa Sure 23:12-14) erkennen. Sure 7:189 sagt:2
"Und Er ist es, der euch aus einer einzigen Seele erschaffen hat und der aus ihr ihren Partner/zweiten Teil erschaffen hat, damit er bei diesem Ruhe finde/wohne."
Eva kommt als die Verführerin Adams und Schuldige an des Menschen Mühsal auf Erden im Koran noch nicht vor, denn auch dieser Mythos lief im Alten Orient in Varianten um. Laut Koran verführte der Satan (später in Gestalt der Schlange) mit der Verheißung ewigen Lebens beide, von dem Baum zu kosten, den als einzigen ihnen Gott verboten hatte, weil sie sonst zu Unrecht Tuenden, zu Tyrannen würden (7:18-24). Als sie ihre Blöße erkennen und sich bedecken, verstößt Gott sie aus dem Paradies und setzt als Strafe ewige Feindschaft zwischen ihnen. Später nimmt er aber ihre von Adam initiierte Reue gnadenvoll an und gewährt ihnen die Erde zu einem zeitweiligen Aufenthalt und zur Nutznießung.
Erst etwa vom 2/3. islamischen Jahrhundert an drang, vermutlich über die christliche Askese, die Geschichte von Eva als gefährlicher Verführerin, die das Frauenbild von Judentum und Christentum jahrhundertelang geprägt hat, aufgezeichnet in Genesis 3:1-24, in den Islam ein. Von nun an gibt es in legendär-historischen Texten ein stetig wachsendes Strafregister für Eva und den Teufel, der sie zum Ungehorsam gegen Gott bewog. Weibliche biologische Spezifika wie Menstruation, Schwangerschafts- und Wochenbettbeschwerden werden zu Evas Strafen ebenso gezählt wie bald auch koranische Satzungen zum Ehe- und Scheidungs-, zum Zeugen- und Erbrecht, außerdem soziale Phänomene der Geschlechterhierarchie, die sich historisch herausgebildet hatten.3 Das heißt auch, dass man damals zugab, dass diese Bestimmungen für Frauen nachteilig waren, sie als Bestrafung aller Frauen für die Unbotmäßigkeit ihrer Urmutter gegenüber Gott bewertete und mit einem aus dem Alten Testament übernommenen Mythos rechtfertigte. In neuerer Zeit werden sie von orthodoxen Muslims verteidigt und mit Gottes Wohlwollen den Frauen gegenüber begründet.
Die Position der Frau im Islam ist spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eines der interkulturell ebenso wie innerkulturell strittigsten Themen generell. Hier kann es nur überblicksweise und konzentriert auf die Kernländer des Islams, also den arabischen Raum, den Iran und die Türkei, dargestellt werden.4 Im subsaharischen Afrika, in Ost- und Südostasien haben regionale Sonderentwicklungen stattgefunden, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Manches, was das Leben von Frauen in islamischen Ländern bis heute stark tangiert, etwa die besonders im Sudan und in Ägypten (hier trotz eines Verbots aus den 50er-Jahren) praktizierte Mädchenbeschneidung, auch der Jungfräulichkeitskult, der im gesamten Mittelmeerraum verbreitet ist, also die Norm, dass ein junges Mädchen jungfräulich in die Ehe zu gehen hat, ist im Islamischen Recht, der Scharî'a, nicht festgelegt. Ohnehin war und ist es eine Vielfalt von unterschiedlichen historischen, regionalen, sozialen und individuellen Faktoren, in die das Leben von Frauen in islamischen Ländern (wie das in anderen Kulturen) eingebunden war und ist.

Im Kult formal gleich gestellt

Im Kult ist die Frau dem Mann formal gleich gestellt. Mehrere Verse des Korans wenden sich an Männer und Frauen gleichermaßen. Zuerst genannt werden allerdings immer die Männer, etwa, wieder in der Rückert'schen Übertragung:"Fürwahr, ergebne Männer und ergebne Fraun, gläubige Männer und gläubige Frauen, andächtige Männer und andächtige Frauen, worttreue Männer und wort-treue Frauen, geduldige Männer und geduldige Frauen, demüthige Männer und demüthige Frauen, almosenspendende Männer und almosenspendende Frauen, fastende Männer und fastende Frauen, und ihren Sinnentrieb behütende Männer und behütende Frauen und Gottes häufig denkende Männer und gedenkende Frauen; Gott hat bereitet ihnen Barmherzigkeit und großen Lohn" (33:35).
Im Arabischen beeindruckt der Vers durch die stakkatoartige Reihung sich reimen-der femininer Pluralendungen bei kurzen Reimgliedern.
Die religiösen Pflichten, also das Glaubensbekenntnis, das fünfmalige tägliche Gebet in Richtung Mekka, das Fasten im Monat Ramadân, die Almosensteuer und die Pilgerfahrt nach Mekka wenigstens einmal im Leben, gelten für Männer und Frauen. Während der Menstruation und im Wochenbett ist die Frau aber - wie Kranke, Reisende und Kinder - vom Fasten befreit. Sure 2:222 bezeichnet die Menstruation als "Leiden" und gebietet den Männern, sich während dieser Tage von ihren Frauen fern zu halten. Die Hadîth-Literatur hat diese Vorschriften erweitert: Frauen in diesem Zustand dürfen die Moschee nicht betreten, den Koran nicht anrühren, allenfalls zum Schutz gegen den Satan ein oder zwei Verse aus ihm rezitieren. Während der Pilgerfahrt dürfen sie in dieser Zeit am rituellen Umlauf um die Ka'ba (Tawâf) nicht teilnehmen. Erst die "große Reinigung" nach diesen Tagen hebt die Verbote auf.5 Die Vorstellung von der kultischen Unreinheit menstruierender Frauen, möglicherweise aus Tabuvorstellungen über die Magie des Blutes6 erwachsen, existierte schon im altarabischen Heidentum, und es gibt sie in anderen Religionen und Kulturen, auch bei den Kirchenvätern. Anders als im Judentum hat der Verstoß gegen diese Reinheitsgebote im Islam keine Bestrafung im Diesseits zur Folge. Doch führten sie etwa vom 2/3. islamischen Jahrhundert an zur Bewertung der Frau als religiös mangelhaftem Wesen.
Dies fand ebenso schon in die kanonischen Hadîth-Sammlungen Eingang wie die Debatten darüber, ob eine Frau das Haus verlassen dürfe, um in der Moschee zu beten. Da heißt es einerseits, dass Muhammeds Frauen auch in stockdunkler Nacht in die Moschee gingen, andererseits wird empfohlen, sie sollten sie so früh verlassen, dass sie von den männlichen Gläubigen nicht hinterher noch zu einem Gespräch eingeholt werden könnten. Ohnehin sollen Männer und Frauen getrennt voneinander beten, die Frauen entweder auf einer Galerie oder im hinteren Teil der Moschee, den sie durch einen eigenen Eingang betreten. Das galt aber auch jahrhundertelang für den Kirchenbesuch im Vorderen Orient. In orthodoxen Synagogen beten Männer und Frauen ebenfalls räumlich getrennt. Wenn andere Traditionen dem Mann befehlen, er solle seiner Frau auf ihre Bitte hin erlauben, in der Moschee zu beten, so wird deutlich, wie sehr die Frau der Autorität ihres Mannes unterstand.
Die Pilgerfahrt darf eine Frau nur in Begleitung ihres Mannes oder eines nahen männlichen Verwandten, in neuerer Zeit auch in der anderer Frauen unternehmen. Die Geschlechtertrennung ermöglichte es Frauen in größeren Harems, als Vorbeterinnen zu fungieren. Heute werden in muslimischen Ländern Frauen für spätere religiöse Funktionen in Frauengruppen ausgebildet.

Unterschiedliche Freuden im Paradies für Männer und Frauen?

Der Koran verheißt das Paradies Männern und Frauen, etwa 9:71f.:
"Die gläubigen Männer und Frauen sind untereinander Freunde. Sie gebieten das Rechte und verbieten das Verwerfliche, verrichten das Gebet und entrichten die Abgabe und gehorchen Gott und seinem Gesandten. Siehe, Gott wird sich ihrer erbarmen. Gott ist mächtig und weise. Gott hat den gläubigen Männern und Frauen Gärten versprochen, unter denen Bäche fließen und in denen sie ewig weilen werden, und gute Wohnungen in den Gärten von Eden."
Allerdings zeichnen andere Koranverse und stärker noch spätere Paradiesesbilder Geschlechtsunterschiede bezüglich seiner Freuden. Der Mann werde dort "geläuterte Partnerinnen" finden, heißt es Sure 2:25, 3:15 und 4:57, aber auch:
"Wir geben ihnen (den Männern) großäugige (Jungfrauen) zu Partnerinnen" (44:54), "gleich wohlverwahrten Perlen" (56:22). Diese werden in der Traditionsliteratur mit den "geläuterten Partnerinnen" identifiziert. Dass für eine Frau der Zugang zum Paradies nicht nur von der Einhaltung religiöser Gebote, sondern wiederum von der Unterwerfung unter die Autorität ihres Mannes abhängig gemacht wird, wird ebenfalls aus einem Hadîth deutlich:
"Wenn eine Frau ihre fünf Gebete verrichtet, ihren Monat fastet, ihre Scham hütet und ihrem Mann gehorcht, dann sagt man ihr: ,Betritt das Paradies, durch welches Tor du willst!"
Es waren sicher Frauenfeinde, die Muhammed, schon der kanonischen Hadîth-Literatur zufolge, die Worte in den Mund legten:"Ich stand am Tor des Paradieses. Da waren die meisten, die eintraten, Männer. Und ich stand am Tor zur Hölle. Da waren die meisten, die eintraten, Frauen."
Das wird u. a. so begründet:
"Frauen, die alles verraten, wenn sie jemandem etwas anvertrauen, zu hartnäckig sind, wenn sie bitten, und undankbar, wenn man ihnen etwas schenkt."
Bekannte Koraninterpreten der Reformbewegungen vom ausgehenden 19. Jahrhundert an deuten die sinnlichen Freuden, die der Koran und mehr noch die spätere Hadîth-Literatur den Gläubigen im Paradies verheißen, allegorisch und begründen dies mit der Metaphernfreude des Arabischen. Das Entzücken, das die Paradiesjungfrauen den Gläubigen bringen, sei mit irdischer Vorstellungskraft nicht zu begreifen, gelte aber jedenfalls für Männer und Frauen gleichermaßen. 7

Mädchenbildung

Nach dem Ersten Weltkrieg eröffneten sich in islamischen Ländern auch für Frauen und Mädchen nach und nach Möglichkeiten zum Erwerb höherer Bildung. Ab den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde in arabischen Ländern und im Iran auch Frauen der Zugang zu einem Universitätsstudium eröffnet. Das Foto zeigt iranische Mädchen, die in einer im Mausoleum des verstorbenen Ayatollah Khomeni in Teheran eingerichteten Schule unterrichtet werden. Die unter den Kopftüchern hervorschauenden Haare der Schulmädchen scheinen die Annahme zu bestätigen, dass sich im Iran die Verhältnisse in Bezug auf die staatlich verordnete Zwangsverhüllung leicht liberalisieren.

Die Vorrangstellung des Mannes vor der Frau

Der Koran vertritt die auch aus dem Judentum und dem Christentum8 bekannte, im gesamten Vorderen Orient verbreitete Doktrin von der Vorrangstellung des Mannes vor der Frau, die ja bereits im Schöpfungsmythos des Alten Testaments deutlich wird:
"Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott die einen vor den anderen bevorzugt hat und weil sie von ihrem Vermögen (für die Frauen) ausgeben. Die rechtschaffenen Frauen sind demütig ergeben und bewahren das, was geheim gehalten werden soll, da Gott es geheim hält," sagt Sure 4:34.
Wenn Adel Th. Khoury den Anfang mit "Die Männer haben Vollmacht und Verantwortung für die Frauen" übersetzt, so ist das eine modernere Interpretation. Aber eine emanzipierte heutige Frau wird wohl immer Vollmacht und Verantwor-tung für sich selbst übernehmen, sich nicht als "Mündel" eines Mannes fühlen wollen. Islamische Reformtheologen seit etwa 1900 deuten die hier formulierte Überlegenheit des Mannes als seine größeren Körperkräfte.
Jedenfalls wird die Hegemonie des Mannes hier einmal als gottgegeben, zum anderen als ökonomisch bedingt charakterisiert. Das letztere ist sicher bis heute nahezu weltweit Realität. In einem Vers, der sich auf die Scheidung oder Verstoßung bezieht, 2:228, heißt es:
"Und sie (die Frauen) haben Anspruch auf dasselbe, was ihnen (den Männern) obliegt. Aber die Männer stehen eine Stufe über ihnen."
Beide Verse wurden in den Korankommentaren jahrhundertelang mit denselben Phänomenen begründet, die sich in den Strafregistern für die ungehorsame Eva finden, mit Menstruation und Wochenbettbeschwerden, mit den für die Frau ungünstigeren Bestimmungen zum Islamischen Familienrecht und Erscheinungsformen der Geschlechterrollen, etwa dass es keine Prophetin und keine Sultanin gebe (bis es vom 13. Jahrhundert an vereinzelt Herrscherinnen gab), eine Frau keinen Turban tragen dürfe, am Freitagsgebet nicht teilnehme u. a. m. In den USA lebende und wirkende muslimische Feministinnen meist nicht arabischer Herkunft interpretieren den zweiten dieser Verse heute als nur auf die Verstoßung zu beziehen. Den ersten dieser Verse analysieren sie, indem sie eine Präposition, durchaus zulässig, m. E. sogar besser als die traditionelle Deutung, anders umsetzen:
"Die Männer haben Verantwortung für die Frauen mit dem zu tragen, womit Gott sie ihnen gegenüber ausgezeichnet hat, und mit dem Vermögen, das sie für sie ausgeben."
Sie sehen in dem, womit Gott die Männer den Frauen gegenüber ausgezeichnet hat, den doppelten Anteil am Erbe, den ihnen der Koran zugesteht. Damit seien sie den Frauen gegenüber, denen Gott eine andere biologische Aufgabe erteilt hat als ihnen, nämlich die, Mütter von Kindern zu werden, zur Fürsorge, zum Unterhalt verpflichtet.9
Erst der Koran gesteht der Frau, vorislamische Bräuche reformierend, und anders als das jüdische Familienrecht, ein generelles Erbrecht zu. Doch erbt sie nach Sure 4:11 nur jeweils die Hälfte eines ihr im Verwandtschaftsverhältnis zum Verstorbenen gleichgeordneten männlichen Erben. Das wird schon länger mit den finanziellen Verantwortlichkeiten des Mannes begründet, die eine Frau nicht hat. Tatsächlich ist der Mann allein für den Unterhalt seiner Familie verantwortlich, und es gibt, jedenfalls theoretisch, keine Gütergemeinschaft in der Ehe.
In bestimmten Rechtsfällen dürfen laut Koran, wiederum im Unterschied zum jüdischen Recht und generell zur vorislamischen Zeit, Frauen als Zeugen fungieren. Das heißt, wenn kein zweiter männlicher Zeuge auffindbar ist, können zwei Zeuginnen einen Mann ersetzen. Das wird von frommen Muslimen und Musliminnen heute damit begründet, dass Gott es den Frauen, die durch Haushalt und Kinder oft abgelenkt seien, leicht machen wollte. In frauenfeindlichen Hadîthen seit dem 2/3. islamischen Jahrhundert führte es zur Schlussfolgerung, dass Frauen intellektuell defizitär seien. In späteren Darstellungen des "Ersten Fehlers", wie der christliche "Sündenfall" im Arabischen heißt, gehört dies, wie die Verfügungen zum Erbrecht, zu Gottes Strafen für Eva. Spätere Korankommentare reihen beides unter die in Sure 4:34 formulierte "Überlegenheit" des Mannes über die Frau.
Die Adaption des jüdisch-christlichen Mythos von der Erschaffung Evas aus einer Rippe Adams mündete in Hadîthen wie diesem:
"Behandelt die Frauen gut! Die Frau ist eine Rippe, also krumm. Und der krummste Teil der Rippe ist der obere (sicher der Kopf, die Mentalität, W. W.). Wenn du versuchst, sie gerade zu biegen, zerbrichst du sie. Wenn du sie aber so lässt, wie sie ist, bleibt sie krumm. So behandelt die Frauen gut!"
Dies lässt sich als eine widerwillig-wohl-wollende Anerkennung einer weiblichen Identität deuten, die "mann" nicht ändern kann und deshalb mit guter Behandlung hinnehmen soll: Die Frau als die Andersartige, anders geartet als der Mann, der sich für den Normalfall hält. Goethe machte übrigens daraus im "West-Östlichen Diwan":
"Behandelt die Frauen mit Nachsicht!"10 Jedenfalls hat es im Islam weder Hexenverfolgungen gegeben, vielleicht aus der Akzeptanz der "Fleischeslust", ja der Freude an ihr zu erklären, noch die zunächst ironisch begonnene Debatte darüber "Ob die Weiber Menschen seyn oder nicht", die männliche Vertreter beider Kirchen im christlichen Mitteleuropa im 16. und 17. Jahrhundert erhitzte.11

Mehrehe oder Einehe des Mannes?

Der Koran als wichtigste Quelle des Islamischen Rechts bettet den Vers, der jahrhundertelang zur Rechtfertigung der Ehe eines Mannes mit mehr als einer Frau diente, in einen Bedingungssatz im Umfeld der gerechten Behandlung von Waisen ein:
"Und wenn ihr fürchtet, gegenüber den Waisen nicht gerecht zu sein, dann heiratet, was euch an Frauen beliebt, zwei, drei oder vier. Wenn ihr aber fürchtet, sie nicht gleich zu behandeln, dann nur eine, oder was ihr an Sklavinnen besitzt. Das bewirkt eher, dass ihr euch vor Ungerechtigkeit bewahrt" (4:3).
Muhammed selbst war als Waise aufgewachsen und handelte oft als der Anwalt Unterprivilegierter. Vers 129 dieser 4. Sure, die den Namen "Die Frauen" trägt und viele soziale Bestimmungen enthält, stellt fest:
"Ihr werdet es nicht schaffen, die Frauen gleich zu behandeln. Ihr mögt euch noch so sehr bemühen."
Daraus haben muslimische Reformtheologen seit etwa 1900 das Gebot der Einehe abgeleitet. Soziale Umstände zu Lebzeiten Muhammeds - nach den Kämpfen der Muslims gegen ihre Gegner waren Witwen und Waisen zu versorgen - hätten damals die Mehrehe notwendig gemacht.
Tatsächlich gab es die Ehe eines Mannes mit mehreren Frauen im gesamten Vorderen Orient schon vor dem Islam. Muhammed selbst heiratete nach dem Tod seiner ersten Frau Chadîdscha, der er in einer Einehe verbunden gewesen war, hinter einander zwei Witwen gefallener Muslims. Dass er mit insgesamt neun Frauen verheiratet war, gehörte in den Augen seiner Umgebung sicher zu seinem Prestige als religiös-politischem Oberhaupt einer Gemeinde, das er in Medîna wurde. Seine Ehen dienten sichtlich auch dem Ziel, den Zusammenhalt in der jungen Gemeinde zu festigen. Die einzige Jungfrau unter seinen Ehefrauen war Â'ischa, die Tochter eines seiner ersten Anhänger, des späteren ersten Kalifen Abu Bakr, die bald seine Lieblingsfrau wurde. Dass sie historischen Texten zufolge 9 Jahre alt war, als sie zu ihm zog, und Muhammed über 50, war unter den Umständen der Zeit nicht ungewöhnlich.
Da spätere Satzungen verfügten, dass ein Mann jeder seiner Ehefrauen einen eigenen Haushalt oder doch wenigstens einen eigenen Raum in seinem Haus einzurichten hatte, wurde die Mehrehe in der städtischen Gesellschaft das Privileg Wohlhabender. Allerdings konnte und kann in all den muslimischen Ländern, in denen sie bis heute trotz der Kritik der Frauenorganisationen gestattet ist, ein Mann zu seiner kinderlosen oder durch zahlreiche Schwangerschaften gealterten Frau eine zweite Frau dazu heiraten. Dies geschieht öfter auf dem Land, wo die Frau sehr stark auch Arbeitskraft sein muss. Dass diese zweite Frau dann meist von der ersten Frau aus einer sozial niedriger stehenden Familie ausgesucht wird, ist sozialkritischen Werken der modernen Literaturen des Iran und arabischer Länder zu entnehmen.

Staatliche Reformgesetze können Jahrhunderte alte Bräuche nur allmählich beseitigen

Unter den arabischen Ländern hat nur Tunesien 1956, bald nach dem Amtsantritt von Präsident Bourguiba, die Polygynie gesetzlich verboten. Andere Länder haben sie durch Zusatzbestimmungen im Zuge von Reformen der Scharî'a seit den 20er Jahren und stärker seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts erschwert Die Türkei hat 1926 unter Atatürk das damalige Schweizer Zivilrecht en bloque übernommen. Sie hat sich aber der Realität der weiterhin, besonders auf dem Land, praktizierten "Imâm-Ehe" insofern anpassen müssen, als acht Amnestiegesetze zwischen 1935 und 1981 die Legitimität der aus solchen Ehen entstandenen Kinder bestätigen mussten. "Imâm-Ehen" wurden zusätzlich zur standesamtlich registrierten und offiziell allein gestatteten Einehe geschlossen. Im Iran wurden die Reformgesetze des letzten Schahs von 1967 und 1976 zu Ehe und Scheidung unmittelbar nach der "Iranischen Revolution", 1979, außer Kraft gesetzt. Die Scharî'a ist hier wieder uneingeschränkt gültig. Da im Iran die Zwölferschia Staatsreligion ist, ist auch die Mut'a, die "Ehe auf Zeit", die nur die Schia gestattet, wieder möglich. Ein Schi'it kann zusätzlich zu seiner Ehefrau oder auch "nur" eine "Ehe auf Zeit" eingehen, d.h., auf der Grundlage eines Ehevertrages eine Frau für eine im Vertrag festgelegte Zeit (von wenigen Stunden bis zu 99 Jahren) heiraten, meist mit weniger Pflichten und Verantwortlichkeiten als in der üblichen Ehe. Ideologen der Iranischen Revolution rechtfertigen dies als eine Erleichterung angesichts der ansonsten strengen Bestimmungen des Islamischen Eherechts, auch als Notwendigkeit nach dem Iranisch-Irakischen Krieg 1980-88, der viele Männerleben kostete, also, wie jeder Krieg, einen Frauenüberschuss zur Folge hatte.12
Der Koran gebietet die Ehe (24:32). Sie ist laut Sure 4:21 "eine feste Verpflichtung" des Mannes gegenüber der Frau, aber kein Sakrament wie in der römisch-katholischen Kirche nach längeren Debatten endgültig erst seit dem Konzil von Trient 1545-69. Sure 4:22f. legt fest, welche Verwandtschaftsverhältnisse eine Ehe ausschließen. Die Ehe mit einer/einem Ungläubigen ist verboten. Ein Muslim darf eine Christin oder Jüdin heiraten, weil beide Religionen als "Schutzreligionen" gelten. Das Umgekehrte war untersagt, da man voraussetzte, dass die Kinder der Religion des Vaters folgen. Dort, wo eine Reform dies seit einiger Zeit möglich macht, etwa im Irak, wird ein solches Paar, selbst in der gebildeten städtischen Oberschicht, oft sozial ausgegrenzt.
Materielle Voraussetzung für eine Ehe ist der Machr, "die Morgengabe", die nach Sure 4:4 der Mann der Frau als Geschenk zu überreichen hat. Dass er Gegenstand von Verhandlungen zwischen den Vertragspartnern für eine Ehe, das ist der Walî der Braut, meist ihr Vater oder ein naher Angehöriger, und dem Bräutigam und seinen nahen männlichen Verwandten vor dem Abschluss des zivilen Ehevertrags wurde, wissen wir. Er wurde schon früh zum Symbol für das Sozialprestige der Braut und auch ein Mittel für Eltern, die Ehe ihrer Tochter mit einem ihnen unerwünschten, vielleicht ärmeren, jungen Mann zu verhindern. Schon in der Traditionsliteratur gibt es Empfehlungen, ein Vater solle seine Tochter einem armen, aber rechtgläubigen Bewerber für seine Korankenntnisse (als Machr) zur Frau geben. Tunesien hat bei der Reform des Familienrechts die Höhe des Machr auf einen symbolischen geringen Betrag fixiert. Doch wird hier wie auch anderswo deutlich, dass staatliche Reformgesetze nicht sofort jahrhundertelang verwurzelte Bräuche beseitigen können. Das gewohnheitsmäßig zusätzlich zum Machr der Braut vom Bräutigam zu überreichende Geschenk wurde nun als gesetzlich unberührt Verhandlungsgegenstand.
Eine gesetzliche Gütergemeinschaft gibt es in der islamischen Ehe nicht. Die Frau kann also theoretisch über ihr in die Ehe eingebrachtes Vermögen frei verfügen. Sie ist unterhaltsberechtigt, aber nicht -verpflichtet. Dass sie in den ärmeren Schichten der Bevölkerung, vor allem auf dem Land, immer mit gearbeitet hat, soweit es Kinder und Schwangerschaften zuließen, kann als selbstverständlich angenommen werden. In städtischen Haushalten hat sie oft durch Heimarbeit zum Familieneinkommen beigetragen.
Ein Ehealter wurde, meist schon aus demographischen Gründen, erst in Reformgesetzen zum Familienrecht vor allem in den Ländern fest- und relativ hoch angesetzt, denen die Bevölkerungsexplosion zur sozialen Gefahr wird. In diesen Ländern wird auch für Familienplanung offiziell geworben, denn sie ist im Islam generell zulässig. Da die Jungfräulichkeit schon bald nach Muhammeds Tod als wertvollstes Gut einer Braut galt, wurden Mädchen in islamischen Ländern sehr jung, manchmal schon vor der ersten Menstruation, und oft mit wesentlich älteren Männern verheiratet. Diese Frühverheiratung von Mädchen ebenso wie die Verlobung von Vetter und Kusine bald nach ihrer Geburt, gab es aber auch bei arabischen Christen und Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften des Vorderen Orients.

Eheliche Beziehungen

Zu den ehelichen Beziehungen sagt der Koran (30:21):
"Und zu Seinen Zeichen gehört, dass Er euch aus euch selbst Gattinnen erschaffen hat, damit ihr bei ihnen wohnt (oder Ruhe findet). Und Er hat zwischen euch Liebe und Barmherzigkeit gesetzt. Darin sind Zeichen für Leute, die nachdenken."Das arabische Wort für "Barmherzigkeit, Gnade, Mitleid" übrigens ist eine Ableitung derselben Wurzel, von der das Wort für "Gebärmutter, Mutterleib" stammt. Dass Gott "der Barmherzige, der Allerbarmer" ist, zieht sich formelhaft versichernd durch den Koran.
Vers 34 der 4. Sure, oben für die vom Koran festgelegten Geschlechterrollen zitiert, enthält darauffolgend die Weisung: "Ermahnt diejenigen, von denen ihr Widerstand befürchtet, und entfernt euch von ihnen in den Schlafgemächern und schlagt sie! Wenn sie euch (wieder) gehorchen, dann wendet nichts Weiteres gegen sie an! Gott ist erhaben und groß!"
Das heißt, für eine widerspenstige Frau gab es eine sich steigernde Dreierreihung von Strafen: Ermahnen, sexuelle Enthaltsamkeit des Mannes (dem Polygynie generell erlaubt war) ihr gegenüber, Schläge. Gegen dieses Koranwort wurde aber schon früh und durch die Jahrhunderte in der Traditions- und generell in religiöser Literatur polemisiert:
"Warum schlägt einer von euch seine Frau (manchmal: "wie einen Sklaven oder ein Pferd") und will sie am selben Abend umarmen?!"
Zur Relativierung: Das Allgemeine Preußische Landrecht, in Preußen rechtsverbindlich bis 1894, konstatiert in § 701:
"Wegen bloß mündlicher Beleidigungen oder Drohungen ingleichen wegen geringerer Thätlichkeiten sollen Eheleute gemeinen Standes nicht geschieden werden."
In der Fassung von 1794 fehlt diesem Satz bezeichnenderweise noch die soziale Einschränkung. Opfer wie Akteure solcher "Thätlichkeiten" dürften meist eindeutig zu benennen (gewesen) sein.
Muslimische Feministinnen in den USA sehen in den Schlägen, die hier als äußerstes Strafmaß empfohlen werden, wenn eine Frau die gebotene Intimität ihrer Ehe nicht wahre (so deuten sie das Vorhergehende), eine Einschränkung gegenüber dem in vorislamischer Zeit üblichen Brauch oder eher der Verpflichtung, eine Frau in solch einem Fall zu töten, d. h. dem auch heute noch gelegentlich vorkommenden "Ehrereinwaschen" durch das Blut der Frau.13 Mir ist allerdings kein Bericht, keine Überlieferung bekannt, die diesen grausamen Brauch für die vorislamische Zeit als üblich bestätigten.
Im folgenden (4:35) verfügt der Koran, dass bei Zerwürfnissen zwischen Eheleuten je ein Schiedsrichter aus seiner und ihrer Familie bestellt wird: "Wenn sie sich aussöhnen wollen, wird Gott ihnen Eintracht schenken. Gott weiß Bescheid und hat Kenntnis von allem."

Scheidung

Auch wenn aus den zahlreichen koranischen Verfügungen zum Talâq, der Verstoßung, auch Freisetzung oder Scheidung der Frau, deutlich wird, dass der Koran hier vorislamische Bräuche zugunsten der Frau reformierte, ist es bezeichnend, dass die Reformen des Familienrechts im 20. Jahrhundert stark auf diesem Gebiet ansetzen. In der Traditionsliteratur heißt es:
"Unter den erlaubten Dingen ist der Talâq das, was Gott am verhasstesten ist."
Das Islamische Recht kennt die vier wertenden Kategorien "Empfohlen, erlaubt, verwerflich, verboten".
Tatsächlich ist nach der Scharî'a ein Mann jederzeit und ohne Angabe von Gründen, ohne Hinzuziehung eines Richters, ja in ihrer Abwesenheit, berechtigt, seine Frau zu verstoßen. Er muss(te) "nur" eine bestimmte Formel - hier gibt es Varianten in der Wortwahl - dreimal hintereinander zu einer Zeit aussprechen, in der die Frau nicht menstruierte. Dann muss(te) sie sein Haus verlassen und zu ihrer Familie zurückkehren. Diese Form des Talâq gilt als "verwerflich". Doch gab es sie. Im Normalfall hat der Mann die Formel jeweils im Abstand von 4 Wochen in einer Zeit zu äußern, in der die Frau nicht menstruiert. Verbindlich wird sie erst beim dritten Mal. Durch den Koran eingeführt wurde die "Wartezeit" der Frau. Sie muss vor einer Neuheirat drei Perioden warten, damit deutlich wird, ob sie ein Kind erwartet. In diesem Fall kann der Mann sie auch gegen ihren Willen zurücknehmen (2:228), soll sie aber gut behandeln. Die Wiederheirat einer Geschiedenen war und ist im Islam - im Gegensatz etwa zum jüdischen, katholischen und anglikanischen Eherecht - sehr leicht.
Legte der Mann einen Eid ab, sich seiner Frau 4 Monate lang sexuell zu enthalten, und hielt den Eid ein, war die Frau ebenfalls verstoßen (2:226). Wollte der Mann nach einem übereilt geäußerten Talâq seine Frau wiederheiraten, dann durfte er das nur, wenn sie inzwischen mit einem anderen Mann verheiratet war und von diesem verstoßen wurde (2:230). Das sollte wohl den Mann vor affektbedingter Voreiligkeit schützen.
Frauen hatten im vorislamischen Arabien und haben im Islam die Möglichkeit, sich durch die Rückgabe der Brautgabe "freizukaufen". In den Ehevertrag konnten/können Schutzklauseln aufgenommen werden, meist die, dass ein Teil, oft der größere, der Brautgabe, vom Mann erst bei einer Verstoßung zu entrichten ist, außerdem, dass die Frau unter bestimmten Umständen, etwa wenn der Mann eine zweite Frau dazuheiraten wollte, auch wenn er sie schlug, die Scheidung von ihm fordern konnte. Generell hat nach der Mehrheit der vier Rechtsschulen die Frau das Recht, vom Richter die Scheidung zu verlangen, wenn sie nachweisen kann, dass ihr Mann länger abwesend, zum Unterhalt nicht in der Lage, inhaftiert, geistesgestört oder impotent ist. In Reformen zum Familienrecht meist seit den 50er Jahren wird festgelegt, dass eine Scheidung grundsätzlich vor Gericht zu erfolgen hat, dass ein Mann, der eine zweite Frau dazuheiraten will, die erste darüber zu informieren und vor Gericht nachzuweisen hat, dass er zum Unterhalt einer zweiten Frau fähig ist. Frauen haben mehr Rechte, eine Scheidung zu verlangen, im Iraq etwa seit der Novelle von 1978 auch bei Untreue des Mannes. Ob sie es tun, hängt vom Sozialstatus einer Geschiedenen ab. Unzulänglich geregelt ist bis heute in den meisten Ländern das Unterhaltsrecht für eine Geschiedene.
Das Sorgerecht für Söhne, bis sie sieben Jahre alt sind, bei Mädchen bis zur Pubertät, hat die Frau. Heiratet die Frau wieder, fällt es an den Vater, der ohnehin der Vormund bleibt.

Verhüllungs- und Keuschheitsgebote

Die "Kopftuchfrage" spielt in allen europäischen Ländern, in denen Muslime in größerer Zahl leben, eine wichtige Rolle. Die beiden Koranverse, die bis heute zur Begründung der Verschleierung dienen, gebieten tatsächlich eine züchtige Verhüllung, nicht den Schleier.14 Sure 33:59 wendet sich an Muhammed:
"O Prophet, sag deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Töchtern der Gläubigen, sie sollen etwas von ihrem Überwurf über sich herunterziehen. Das bewirkt eher, dass sie (als ehrbare Frauen) erkannt und dass sie nicht belästigt werden."
Sure 24:30 trägt ihm ein Keuschheitsgebot für die männlichen Gläubigen auf:
"Sprich zu den gläubigen Männern, sie sollen ihre Blicke senken und ihre Scham bewahren. Das ist lauterer für sie."
Der folgende Vers gebietet dasselbe für die Frauen, erweitert es aber: "... und ihren Schmuck nicht offen zeigen mit Ausnahme dessen, was (ohnehin) sichtbar ist, und ihren Schal über ihren Halsausschnitt schlagen und ihren Schmuck nicht offen zeigen, nur ihren Ehegatten, ihren Vätern, ihren Söhnen, ihren Stiefsöhnen, ihren Brüdern, den Söhnen ihrer Brüder und ihrer Schwestern, ihren Frauen, ihren Sklavinnen, den männlichen Bediensteten, die keinen Trieb (mehr) haben, den Kindern, die die Blöße der Frauen nicht beachten. Sie sollen ihre Füße nicht aneinanderschlagen, damit man gewahr wird, welchen Schmuck sie verborgen tragen!" (Gemeint sind sicher klirrende Fußringe).
Arabische Historiker vom 3. islamischen Jahrhundert an berichten, dass sich die Frauen von Mekka zu Muhammeds Lebzeiten nicht verschleierten, wohl aber die von Medîna. Tatsächlich stammen beide Verse aus Muhammeds medinensischer Zeit. Im Zweistromland und im Iran, Regionen, in die sich der Islam nach Muhammeds Tod schnell ausbreitete, trugen Frauen der höfisch-städtischen Ober- und Mittelschichten traditionell einen Schleier. So wurde die Verschleierung für Frauen dieser Schichten bald in allen islamischen Ländern üblich, im übrigen auch für Jüdinnen und Christinnen, die oft andersfarbige Schleier zu tragen hatten. Auf dem Land, auch bei den Beduininnen und generell bei körperlicher Arbeit ist die Verhüllung sicher nie so streng praktiziert worden. Für Frauen, "die sich zur Ruhe gesetzt haben und nicht mehr zu heiraten hoffen, ist es kein Vergehen, wenn sie ihre Kleider ablegen, ohne dass sie jedoch ihren Schmuck zur Schau stellen. Und besser für sie wäre, dass sie sich dessen enthalten" (24:60).
Im übrigen wird auf späteren iranischen und türkischen Miniaturen der Prophet Muhammed mit einem sein gesamtes Gesicht verhüllenden Tuch dargestellt.

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Mit oder ohne Kopftuch
Außer der Religionszugehörigkeit bestimmten und bestimmen viele unterschiedliche historische, regionale, soziale und individuelle Faktoren das Leben islamischer Frauen. Unterschiede zu Westeuropa zeigen sich am deutlichsten in der Kleidung, insbesondere durch das Kopftuch. Da sich jedoch islamische Frauen auch untereinander in Erscheinungsbild und Auftreten deutlich voneinander unterscheiden, stellt sich die Frage des Frauenbildes im Koran und seiner Abgrenzung zu später hinzu getretenen Regelungen und Vorstellungen. Zwar vertritt der Koran die Doktrin der Vorrangstellung des Mannes vor der Frau, doch sind manche der das Leben von Frauen in islamischen Ländern bis heute stark berührenden Einschränkungen weder durch den Koran, noch das islamische Recht, die Scharî'á, zu begründen. Die gesellschaftliche Position der islamischen Frau ist nicht nur interkulturell, sondern auch innerkulturell ein heftigst umstrittenes Thema. Bild einer Straßenszene in Freiburg. Foto: dpa-Fotoreport

Harem und Geschlechtertrennung

Das Wort Harem geht auf das arabische Harîm zurück, abgeleitet von der Wurzel h-r-m "verboten, tabuisiert, heilig sein" und ist über das Türkische ins Deutsche gelangt. Es bezeichnet den Ort eines Hauses, an dem sich dessen Frauen aufhielten, also die Ehefrau(en) eines Mannes, seine Mutter, seine Töchter, unverheiratete Schwestern und deren Sklavinnen, auch, solange es die Sklaverei gab, also meist bis ins ausgehende 19., beginnende 20. Jahrhundert, die Sklavinnen des Mannes.
Nach traditioneller islamischer Vorstellung ist der Mann als Familienvorstand für die Wahrung der Ehre seiner weiblichen Angehörigen verantwortlich. Diese Ehre kann in ihnen und durch sie am stärksten verletzt werden. So hatten jahrhundertelang zum Harem eines Hauses außer dem Ehemann und Vater nur dessen Söhne, die ihre Frauen in ihn einbrachten, männliche Verwandte und Diener Zutritt, die für eine Ehe nicht infrage kamen. Diese Teilung der Häuser in "Männer-" und "Frauenregionen" gab es aber in der städtischen Gesellschaft auch bei Christen und Juden. Allenfalls ein männlicher Arzt durfte einen Harem betreten, bis ein Medizinstudium für Frauen offiziell gestattet war. Das war z. B. in der Türkei 1899, in Deutschland erst ein Jahr später der Fall.
Höfische Harems, die bei Europäern ganz besonders die Vorstellung von sinnlicher Üppigkeit geweckt haben, existierten bereits im Alten Orient. Sie waren jahrhundertelang Statussymbol und wurden von Eunuchen und Frauenbataillonen streng bewacht. Im übrigen gab es dort unter den Frauen, meist Sklavinnen nichtarabischer Herkunft, hierarchische Rangordnungen und Aufgabenverteilungen ähnlich wie in den Teilen der Paläste, die den Männern vorbehalten waren.15 Ehefrauen, Lieblingssklavinnen und vor allem die Mutter des jeweiligen Herrschers konnten, etwa bei der Dynastie der Abbasiden in Bagdad und später den Osmanen in der Türkei, erhebliche Macht ausüben. Sie verfügten auch meist über beträchtliche finanzielle Mittel, mit denen sie religiöse und karitative Bauten errichten ließen.
Als religiöse Rechtfertigung der Geschlechtertrennung dienten Koranverse, die wiederum zunächst Muhammeds Frauen betrafen:
"Und wenn ihr die Frauen des Propheten um etwas bittet, dann tut das hinter einem Vorhang. Das ist reiner für euer Herz und ihr Herz" (33:53).
Vers 55 derselben Sure nennt die männlichen Angehörigen einer Frau, für die das nicht gilt. Diese wie andere Verse der 33. Sure lassen deutlich konkrete Bezüge zum Leben Muhammeds erkennen. Die arabische historische Literatur beschreibt die Situation, eine sehr menschliche im Leben des Propheten, die zu diesem "Vorhangvers" führte. Jedenfalls entwickelten sich die muslimischen Gesellschaften des Vorderen Orients, und dies wiederum stark nach altorientalischem Vorbild, zu Männer- und Frauengesellschaften.16
Dass die Angehörigen der anderen Reli-gionsgemeinschaften des Vorderen Orients davon mitgeprägt wurden, ist selbstverständlich.

Eine positive Sicht der Sexualität

"Die beste Ehefrau ist die, die ihre Scham in Keuschheit bewahrt und ihrem Mann in Sinnenlust zugetan ist", konstatiert ein auf den Schwiegersohn Muhammeds und vierten Kalifen Alî zurückgeführter Hadîth.
Der Koran gebietet den Männern:
"Eure Frauen sind für euch ein Saatfeld. Geht zu eurem Saatfeld, wo immer ihr wollt! Und schickt (für euch) etwas Gutes voraus!" (2:223)
Der Islam ist eine Religion, die die menschliche Sexualität voll bejaht, allerdings nur in der Ehe, für den Mann, solange es die Sklaverei gab, auch die Beziehungen zu seinen eigenen Sklavinnen, und sehr stark unter dem Gesichtspunkt der Dominanz des Mannes. Eine Frau darf sich, schon frühen Hadîthen zufolge, ihrem Mann nicht verweigern, sonst fluchen ihr die Engel bis zum Morgengrauen, sie darf es nicht, selbst wenn sie auf dem Rücken eines Kamels sitzt.
Andererseits wird dem Mann, der ja für die Wahrung der Ehre seiner Frau verantwortlich ist, in einem so wichtigen Werk wie al-Ghazâlis (st. 1111) "Neubelebung der Religionswissenschaften", das auch ein "Buch der Ehe" enthält, zur Pflicht gemacht, seiner Frau sexuelle Erfüllung zuteil werden zu lassen, so oft sie diese braucht. Der Autor gibt auch Empfehlungen, wie er das zu tun habe, mit zärtlicher Vorbereitung. Ein Mann, der mit mehreren Frauen gleichzeitig verheiratet war, hatte seine Nächte gerecht auf seine Frauen aufzuteilen. Nur wenn er eine Jungfrau dazuheiratete, sollte er ihr sieben Nächte nach der Hochzeit widmen, einer deflorierten Frau lediglich drei. Sure 4:129 wurde allerdings oft im Hinblick auf das sexuelle Begehren bezogen, das ein Mann nicht für alle seine Ehefrauen gleichmäßig empfinden könne. Muhammeds Vorliebe für Â'ischa, die seine anderen Frauen durch den Verzicht auf Nächte mit ihm zugunsten Â'ischas respektierten, diente als Begründung und Hinweis.

Doch die Bestrafung außer- und vorehelicher Sexualität

Jede außer- und voreheliche Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau, auch, solange es die Sklaverei gab, zwischen einem Mann und einer Sklavin, die ihm nicht gehörte, gilt nach dem Koran als Zinâ', oft mit "Unzucht" übersetzt, und unterliegt strenger Bestrafung für beide. Nach Sure 24:2 besteht die Bestrafung in 100 Peitschenhieben vor Zeugen. Damit wurde Vers 15 der 4. Sure korrigiert. Später wurde aus dem jüdischen Recht die Steinigung vor Zeugen übernommen, also letztlich die Todesstrafe mit öffentlicher Ächtung. Allerdings müssen vier vollgültige männliche Zeugen den Akt glaubwürdig bestätigen können, wenn sie nicht selbst hart bestraft werden wollen. Daran ist diese Bestrafung oft gescheitert. Die Rahmengeschichte von 1001 Nacht erzählt, wie ein König straffrei an seiner ehebrecherischen Frau Selbstjustiz übte, etwas, was schon aus dem Alten Orient überliefert wird.
Aus der modernen Literatur mehrerer arabischer Länder, auch aus Meldungen arabischer Zeitungen, wird deutlich, dass bis heute, vor allem auf dem Land, ein junges Mädchen, das in den Verdacht gerät, seine Jungfräulichkeit ohne eine Heirat verloren zu haben, traditionellen Ehrvorstellungen zufolge vom nächsten männlichen Verwandten getötet werden muss. Das Thema des "Ehrereinwaschens" der Familie durch das Blut des beschuldigten Mädchens - der Mann geht frei aus - aus kritischer Sicht, auch aus der des Bruders, der sich gegen den ihm von älteren weiblichen Verwandten auferlegten Mord heftig sträubt, zieht sich durch die arabische Prosa und Poesie des 20. Jahrhunderts. Diese Grausamkeit ist Urf, "Gewohnheitsrecht", nicht islamische Vorschrift.
Ansonsten sind die Literaturen der Länder des Vorderen Orients bis in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts reich an Liebesgedichten, auch Erzählungen über die udhritische, die Liebe derer, "die", nach Heinrich Heine, "da sterben, wenn sie (unerfüllt) lieben", ebenso wie an leidenschaftlichen Liebesgedichten männlicher Dichter auf Frauen wie auf junge Männer. Hier wird oft religiöse Sprache zur Metapher für sinnliche. Und es gab schon früh die Gattung der Mudschún-Literatur, der "obszönen" Literatur, die in Dichtung wie Prosa ebenso derb wie offen war. Prostitution galt zwar als verboten, doch hat es sie wohl fast immer und überall gegeben.17

Frauen zu Lebzeiten Muhammeds und im frühen Mittelalter

Dass es im vorislamischen Arabien, besonders bei den Beduinen, vorkam, dass neugeborene kleine Mädchen lebend im Wüstensand vergraben wurden, ist dem Koran zu entnehmen, der dies unter Androhung von Strafen beim jüngsten Gericht strikt verbietet (16:58f.; 17:31). Er rügt Männer, die ein finsteres Gesicht ziehen, wenn ihnen gesagt wird, sie hätten eine Tochter bekommen. Der Koran macht auch den Grund für den Unmut deutlich: Furcht vor Not und Schande. Unter den harten Lebensbedingungen der Beduinen, die sich als Nomaden von der Jagd und der Wanderweidewirtschaft ernährten, konnten Mädchen als überflüssige Esser gelten, die zur Stärke des Stammes nichts beizutragen hatten.
Das im Koran verwendete Wort für das Lebendbegraben, wa'ada, wird in arabischer sozialkritischer Literatur seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts auch für die Verbannung der Frau ins Haus von der Pubertät an, ihren Ausschluss aus der Öffentlichkeit, d. h. auch von allen inzwischen geschaffenen und noch zu schaffenden Bildungsmöglichkeiten, verwendet.
Dass Frauen in Mekka zu Lebzeiten Muhammeds stark und selbständig sein konnten, beweist seine erste Frau Chadîdscha, die als reiche Kaufmannswitwe ein Handelsunternehmen leitete. Sie trug dem 15 Jahre jüngeren Muhammed, der in ihren Diensten stand, durch eine Vermittlerin die Ehe an. Sie gab ihm, der als Waise aufgewachsen war, psychischen Rückhalt, als er sich von Gott, Allâh, zum Propheten berufen fühlte und gegen die Anfeindungen reicher Mekkaner seine ersten Verkündigungen vortrug. Vermutlich konnte sie von ihm verlangen, dass er, solange sie lebte, keine andere Frau dazuheiratete. Sie war die einzige seiner Frauen, die ihm Kinder gebar - bis auf die Koptin Maria, deren Söhnchen kurz nach der Geburt starb. Auch Muhammeds Vetter und Schwiegersohn Alî, der Mann seiner Tochter Fâtima, wurde erst nach Fâtimas Tod polygyn. Es heißt, Muhammed habe von ihm verlangt, dass er zu Lebzeiten Fâtimas keine andere Frau neben ihr hatte.
Â'ischa, Muhammeds Lieblingsfrau, die bei seinem Tod 18 Jahre alt war, wird als Quelle vieler Überlieferungen über seine Sunna genannt, d. h., seine Art zu leben, sich zu verhalten, die zum "schönen Vorbild" für die Muslims über die Jahrhunderte wurde. Hier finden sich auch viele nicht im Koran fixierte Weisungen für Frauen. Dass sie aber 656 im ersten Bürgerkrieg der Muslims, der sogenannten "Kamelschlacht" nahe Basra, genannt nach dem Kamel, auf dem sie ritt und nach dem Vorbild alt-arabischer Frauen ihre Partei anspornte, die dann gegen Alî, den späteren vierten Kalifen und Stammvater der Schi'iten, verlor, hat zu ihrer Verdammung bei den Schi'iten geführt. Es wurde jedoch auch von männlichen sunnitischen Autoren bis ins 20. Jahrhundert für ein Pauschalurteil über die fehlende politische Begabung von Frauen "genutzt". Konservative muslimische Autoren begründen hiermit den dringenden Rat, Frauen sollten sich von Politik und Öffentlichkeit fernhalten.
Generell war es sicher für Frauen aus den städtischen Mittel- und Unterschichten normal, sehr jung verheiratet zu werden, in das Haus der Eltern ihres Mannes zu ziehen und möglichst viele Kinder, besonders Söhne, zu bekommen. In diesen Schichten war die Ehe eines Mannes mit einer Frau üblich, öfter mit seiner Kusine, auch mit einer Sklavin, die im Haus seiner Eltern groß geworden, ihm also bekannt war. Im Fall einer Ehe von Vetter und Kusine bleibt natürlich auch das Vermögen in der Familie. Bis heute behält in den arabischen Ländern die Frau meist den Namen ihres Vaters, in dessen Familie sie im Fall einer Verstoßung zurückkehrt.
Koran und Traditionsliteratur sind, ausgehend von der Vorrangstellung des Mannes, betont familienfreundlich. Dem Mann, der Gott darum bittet, er möge ihm Freude an seinen Frauen und Kindern schenken, wird das Paradies verheißen (25:74f. u. ö.). Eine besondere Verehrung für die Mutter ist schon aus der frühen Hadîth-Literatur ablesbar. Hadîthe weisen darauf hin, dass aus kleinen Mädchen Mütter, Schwestern, Tanten würden, d. h., Frauen wurden über ihre Zugehörigkeit zu ihren männlichen Familienangehörigen definiert. Und diesen wurden sie als nahe Verwandte besonders ans Herz gelegt.

Spätere Überlieferungen lassen eine Verschlechterung der Position erkennen

Die umfangreiche Traditionssammlung von al-Muttaqi al-Hindi (st. 1567), in der sich spätere Auffassungen und Entwicklungen in Hadîthe eingekleidet finden, d. h., sie werden auf Muhammed zurückgeführt und somit für die Gläubigen allgemein verbindlich gemacht, wenn auch abgestuft hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Überlieferer, enthält die kurzen Reimworte: "Lob sei Gott, Töchter ins Grab zu legen, ist ein Segen!"
Über die unterschiedliche Erziehung, die man den Geschlechtern zuteil werden lassen sollte, heißt es hier:
"Ein Sohn hat seinem Vater gegenüber das Recht darauf, schreiben, schwimmen und Speer werfen zu lernen und stets gut ernährt zu werden", aber:
"Lehrt sie, die Mädchen/Frauen, nicht schreiben, lehrt sie spinnen und die Sure ,Das Licht'!" (die 24. Sure, die die Strafen für Zinâ', und später ein Keuschheits-/Verhüllungsgebot enthält).
Für Jungen sei die 5. Sure, "Der Tisch", besonders einprägenswert. Sie enthält die Gebetsordnung und rituelle Gebote über das Jagen, Schlachten, über Speisen, das Verbot des Glücksspiels und von Alkohol, auch Aussagen über das Verhältnis der Muslims zu Juden und Christen u. a. m.. Ein später Hadîth sagt aber auch: "Wer für drei Töchter zu sorgen hat, ihnen eine gute Erziehung zuteil werden lässt, sie verheiratet und ihnen Gutes tut, dem gebührt das Paradies!"18
All das zeigt, dass mehrere Töchter (auch Schwestern) für einen Familienvater unter den damaligen Lebensbedingungen als eine belastende soziale Verpflichtung galten, die er im Sinne der Töchter/Schwestern human erfüllen sollte. Dafür wurden ihm, wie einem Märtyrer, Gottes Lohn, die Freuden des Paradieses, versprochen.

Weibliche Gelehrte, Herrscherinnen

Dass Töchter aus Gelehrtenfamilien oft (durch Familienangehörige) dieselbe Ausbildung erhielten wie Söhne, dass es vom 14. Jahrhundert an weibliche Hadîth-Gelehrte gab, dass arabische biographische Lexika des Mittelalters eigene Abschnitte über bekannte Frauen enthielten, die freilich weitaus geringer an Zahl waren als bekannte Männer, zeigt, dass Frauen im sozialen Leben eine Rolle spielen konnten, die über die der im Verborgenen wirkenden Ehefrau, Hausfrau und Mutter hinaus ging.
Die Königin von Saba, später heißt sie Bilqîs, erscheint im Koran (27:15-44) als mächtige Herrscherin, die sich, wie es einer Frau zukommt, der Weisheit und Macht des rechtgläubigen Salomo (Sulaimân) beugt. Von späteren islamischen Miniaturmalern wird sie als Frau auf dem Thron eines Feen- und Dämonenreichs phantasiereich und farbenfroh dargestellt. Im Zuge der Frauenemanzipation ist heute in manchen arabischen Ländern, etwa dem Libanon, der Name Bilqîs für Mädchen recht beliebt. Aber die Traditionsliteratur enthält den (angeblichen) Ausspruch Muhammeds:
"Ein Volk, das seine Angelegenheiten einer Frau anvertraut, wird nie Erfolg haben." Doch es gab vereinzelt und meist kurzzeitig Herrscherinnen in verschiedenen Dynastien, auch machtbewusste Mütter, die im Namen ihrer minderjährigen Söhne regierten.

Listige und kluge Frauen in der arabischen Literatur

Die Geschichte von der listigen Dalîla in 1001 Nacht, die Ausschnitte aus einem langen Volksroman desselben Titels enthält, eigentlich Dalîla, die Trickdiebin, ist m. W. der einzige Gaunerroman der Weltliteratur, dessen Heldin eine Frau ist. Er zeigt, wie eine Frau aus dem Volk, der städtischen Gesellschaft von Bagdad, in die sich Züge des Kairos der Mamlukenzeit mischen, sich gemeinsam mit ihrer schönen Tochter Zainab, "der Gaunerin", voller List und Tücke und offensichtlich zur kollektiven Schadenfreude der männlichen Erzähler ebenso wie eines vermutlich durchgängig männlichen Auditoriums gegen eine dominante und korrupte Männergesellschaft durchsetzt. "Listen der Ohnmacht" nennt dies die europäische Sozialgeschichtsforschung. Es gibt noch einen anderen langen arabischen Volksroman, dessen Heldin eine Frau ist, eine Amazone, die Frömmigkeit, Tapferkeit und Tüchtigkeit vereint, Dhât el-Himma. Scheherazâd, die berühmte Erzählerin von 1001 Nacht, die heutigen arabischen Schriftstellern und Schriftstellerinnen zur Symbolgestalt für weibliche Klugheit und Kreativität geworden ist, hat in den verschiedenen Ausformungen dieses berühmten Werks der Weltliteratur unterschiedliche Gestalten angenommen: Von der ursprünglichen klugen und gebildeten Erzähltherapeutin, die einen königlichen Frauenhasser kuriert, ihm während dieser Zeit auch einen Sohn schenkt, zur Mutter dreier Söhnchen, die sie diesem Frauenhasser in 1001 Nächten oder auch Tagen heimlich geboren hat, in der spätesten, der ägyptischen Fassung. Der König erlässt ihr gnädig die Todesstrafe, die er nun endlich an ihr vollstrecken lassen wollte, da ihn besonders ihre letzte Geschichte ungemein gelangweilt habe, als sie ihm plötzlich seine ihm bis dahin gänzlich unbekannten männlichen Nachkommen vorführt. Natürlich ein Trick des Erzählers, der aber die Grundhaltung erkennen lässt: Nicht die Klugheit und Bildung der Scheherazâd retten ihr hier das Leben und heilen den kranken König, sondern ihre Treue und vor allem die Tatsache ihrer Mutterschaft von so vielen Söhnen, wie eine Frau in 1001 Nächten empfangen und gebären kann.19

Die Auseinandersetzungen mit Europa zwangen zum Überdenken überlieferter Positionen20

Die Konfrontation mit den expandierenden Kolonialstaaten Frankreich und England seit Beginn des 19. Jahrhunderts, in der Türkei bereits früher, zwang die einheimischen Machteliten, die ihre Positionen wahren wollten, ebenso wie die damals kleine Schicht der Intellektuellen zum Überdenken der eigenen Situation.21
Die Auseinandersetzung mit dem überkommenen Erbe einerseits, mit dem zunächst vor allem aus Westeuropa einströmenden neuen Gedankengut, etwa dem der Französischen Revolution, andererseits, hatte in längeren und vielschichtigen Prozessen Umstrukturierungen, Reformen, meist von oben, also durch die jeweilige Regierung, und Neuerungen zur Folge. In der Wirtschaft löste die Industrialisierung mit ihren sozialen Folgeerscheinungen allmählich Manufakturen und häusliche Produktion ab. Die Einführung des Buchdrucks, zunächst, seit dem 17. Jahrhundert, durch kleine Pressen bei christlichen Gemeinden für deren konfessionelle Schriften, dann in der Türkei durch den ungarischen Konvertiten Ibrahîm Müteferrika 1727, in Ägypten um 1824, im Iran 1825, in Tunis 1842, in Libyen 1866, im Irak 1869, im Nordjemen 1877, 1882 im Hedschas, 1922 in Jordanien, 1928 in Bahrein wurde eine Basis für die Popularisierung von Bildung. Er machte nicht nur das Kursieren von Büchern, sondern auch die Gründung von Zeitungen und Zeitschriften möglich, die aktuelle Themen, schon aus Zensurgründen vorwiegend soziokulturelle, nicht politische, debattierten, stärker seit ca. 1870. Adaptierende Übersetzungen, zunächst besonders aus dem Französischen, vermittelten bisher unbekanntes Wissen, dann auch neue literarische Formen, die über andere Lebens- und Denkweisen informierten. Ausbildungseinrichtungen nach europäischen Vorbildern zunächst für Militärs, Verwaltungsbeamte, Mediziner wurden gegründet. Das Schulwesen wurde insgesamt langsam erweitert, säkularisiert und ausgebaut.

Mädchenschulen

Für die erste staatliche "Berufsschule" für Frauen, eine 1832 gegründete Hebam-menschule in Kairo, wurden 1836 die Schülerinnen unter äthiopischen (also wohl christlichen) Sklavinnen und Waisenmädchen rekrutiert, denn ein muslimischer Familienvater hätte es als unehrenhaft empfunden, eine seiner Töchter zur Ausbildung dorthin zu schicken. Den Schülerinnen wurde ein Ehemann, ausgewählt aus Absolventen einer mittleren medizinischen Fachschule, versprochen, zudem lebenslang eine Wohnung und ein Esel als Transportmittel. Die erste staatliche Mädchenschule wurde in Ägypten 1873, noch gegen starke Widerstände konservativ-muslimischer Kreise gegründet,22 im Irak, um nur einige Beispiele zu nennen, 1898, in Teheran 1918, in Bahrein 1928, in Shardja in den Emiraten 1955, in Saudi-Arabien 1956, in Oman 1970 mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht. Mädchen-schulen christlicher Missionen gab es in verschiedenen Städten und Regionen schon länger vorher. Die Alliance Israélite Universelle eröffnete 1864/65 die erste Knaben-, 1893 die erste Mädchenschule für die Bagdader jüdische Gemeinde. Christliche wie jüdische Schulen pflegten die damalige französische Form der Mädchen- wie der Knabenbildung.

Frauenzeitschriften und -organisationen

Die ersten Frauenzeitschriften erschienen in Ägypten seit 1892. Die 1910 gegründete erste iranische Frauenzeitschrift hatte den programmatischen Titel Wissen. Nach 1900 gründeten Frauen aus Oberschichtfamilien Wohltätigkeits- und Bildungs-vereine. Die ersten politischen Frauen-organisationen wurden nach dem Ersten Weltkrieg ins Leben gerufen. Sie kämpften für Reformen des Islamischen Familienrechts und für politische Rechte von Frauen. Meist erst nach dem Ersten Weltkrieg begannen Frauen aus dieser Schicht, den Schleier abzulegen.
Als der Schah des Iran 1936 die Verhüllung gesetzlich verbot, verließen viele Frauen das Haus nicht mehr. Auch Männer aus unteren sozialen Schichten taten dies, weil sie nicht unverhüllten Frauen begegnen wollten. Ein jahrhundertelang gewahrtes Schamgefühl für das Gesicht ist nicht durch ein Gesetz sofort zu beseitigen. 1941 musste der Sohn und Nachfolger des Schahs das Gesetz annullieren, das im übrigen an der sozialen Ungleichheit von Mann und Frau nichts geändert hatte.

Seit Ende der Siebzigerjahre stärkere Tendenz zur Verhüllung

Seit den ausgehenden 70er Jahren hat die Tendenz zur Verhüllung, wenn auch regional und schichtenspezifisch unterschiedlich, wieder zugenommen. Sie wird heute auch von emanzipierten Frauen islamischer Länder oft als Zeichen ihrer soziokulturellen Identität und als Schutz gegen sexuelle Belästigung, besonders in männerdominierten Berufsbereichen, gewählt und verteidigt. Dies ist auch eine Begründung junger europäischer oder in Europa lebender Musliminnen für das Kopftuch, verbunden oft mit dem Tragen langer, die Körperformen kaschierender Gewänder. Dass die Formen der Verhüllung sehr unterschiedlich sein können, vom oft kleidsamen mehrfarbigen Kopftuch, farblich auf die übrige Garderobe abgestimmt, bis zum schwarzen oder auch weißen, das gesamte Haar und den Stirnansatz verhüllenden Tuch zu sackartiger schwarzer Kleidung, bewusst enterotisierend, zeigt individuelle Entscheidungsmöglichkeiten und Lebenshaltungen. Bei sehr jungen Mädchen und Frauen mag der Familienvater, auch der ältere Bruder diese Entscheidung erzwingen. Emanzipierte Frauen im Iran zur Schahzeit haben übrigens aus Opposition gegen eine ihnen zu forciert erscheinende Säkularisierung nach westlichen Vorbildern ostentativ den Tschador, den schwarzen Umhang, angelegt. Als er von der Mollah-Regierung 1979 zur Pflicht gemacht wurde, demonstrierten sie dagegen und waren dann die ersten, die ihre Stelle im Regierungsdienst verloren.

Reformen des Familienrechts

Auch Reformen des Familienrechts wurden nach und nach, abhängig vom politischen System des jeweiligen Landes und basierend zunächst auf den jeweils für Frauen günstigsten Bestimmungen der vier Rechtsschulen, verfügt, stärker nach der Gründung unabhängiger Nationalstaaten in den 50er Jahren des 20. Jahr-hunderts. Libyen machte 1977 den Koran zur Grundlage der Gesellschaft, führte aber später Modifikationen zum Ehealter, zur Polygynie und zum Scheidungsrecht zugunsten der Frau ein. Saudi-Arabien erklärte 1992 den Koran zur Verfassung des Landes. Der Iran führte 1979 die Scharî'a unverändert wieder ein, der Sudan tat dies 1983 und erklärte 1991 auch das islamische Strafrecht wieder für verbindlich. Die Türkei dagegen trennte sich 1926 unter Atatürk durch die Einführung des Schweizer Zivilrechts vom Islamischen Recht. Es sind immer wieder die Frauenorganisationen der jeweiligen Länder, die seit der Gründung von Nationalstaaten oft mit der jeweiligen Regierung zusammenarbeiten, die weitere Reformen zugunsten der Frauen fordern und mit unterschiedlichem Erfolg durchsetzen. Natürlich ist dafür stets die Zustimmung der obersten religiösen Autoritäten notwendig. Vieles ist Interpretationsfrage, aber Weisungen des Korans zu modifizieren, bereitet Schwierigkeiten.

Bessere Bildungschancen für Frauen

Die Möglichkeiten zu höherer Schulbildung für Mädchen wurden allmählich, variierend von einem Land zum anderen, nach dem Ersten Weltkrieg geschaffen. In vielen arabischen Ländern und dem Iran wurde ein Studium für Frauen erst von den 20er/30er Jahren an, abhängig vom jeweiligen politischen System und der Gründung säkularer Universitäten, teilweise auch erheblich später, möglich Von dieser Zeit an vergaben einzelne Länder Stipendien an Frauen zum Studium in Europa. Dass an den neu gegründeten Universitäten im Vorderen Orient auf Grund der jahrhundertelang gewohnten Geschlechtertrennung Hemmungen im Verhalten der Studenten wie des männlichen Lehrpersonals gegenüber Studentinnen zu überwinden waren, lassen Schriftsteller dieser Generation aus Ägypten ebenso wie dem Iran erkennen. An der traditionsreichen islamischen As'har-Universität in Kairo wurden in den 30er Jahren die ersten Studienkurse für Mädchen eingerichtet. 1962/3 wurde eine bis heute existierende Mädchenfakultät gegründet. In Saudi-Arabien gibt es heute neun Universitäten, auch mit weiblichem Lehrpersonal, an denen strikte Geschlechtertrennung herrscht. Die männlichen wie die weiblichen Analphabetenraten waren in den letzten 15 Jahren stark rückläufig. Natürlich bringen seit einigen Jahrzehnten andere Informationsmöglichkeiten, vor allem TV und Transistorradio, auch Analphabet/inn/en und Menschen mit geringen Bildungschancen andere Welten und Lebensformen ins Haus. Dass TV- und Radioprogramme ebenso wie die Auswahl an Video-Filmen in Ländern mit autoritären Regierungen, etwa in Libyen, staatlich gesteuert werden, versteht sich beinah von selbst.

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Frauen islamischer Herkunft in der deutschen Politik
In Deutschland nehmen islamische Frauen zunehmend die Möglichkeit einer aktiven Teilnahme am politischen Leben wahr. Das Foto zeigt Aydan Özoguz, die auf Platz fünf der Kandidatenliste der SPD für die Hamburger Bürgerschaftswahl im September 2001 aufgestellt war.
Foto: dpa-Fotoreport

Berufliche und politische Chancen

Mit der Schaffung von Bildungsmöglichkeiten für Frauen wurden weibliche Lehrkräfte gebraucht, d. h., Frauen erhielten berufliche Chancen bis hin zur Professorin. Sie erhielten sie natürlich auch in frauentypischen Bereichen wie als Ärztin oder Schwester auf Frauen- und Kinderstationen. Die Türkei garantierte mit der Einführung des Schweizer Zivilrechts 1926 Frauen das Recht auf eine Berufstätigkeit, auch auf die Beamtenlaufbahn. 1922 eröffnete die erste türkische Ärztin ihre Praxis in Istanbul, 1927 die erste Rechtsanwältin, 1930 gab es die ersten Richterin, 1932 die erste Staatsanwältin. An türkischen Universitäten lehren heute prozentual mehr Professorinnen als in Deutschland. Generell ist die Berufstätigkeit von Frauen, die zunächst hart erkämpft werden musste, heute in vielen Ländern normal geworden, aber doch abhängig von der wirtschaftlichen, demographischen und politischen Situation des jeweiligen Landes. Im konservativ islamischen Saudi-Arabien dürfen Frauen zwar nicht Auto fahren, aber es gibt Banken und andere Einrichtungen mit rein weiblichem Personal nur für Frauen, schon weil man auf Gastarbeiter nach und nach verzichten möchte.
Die erste arabische Ministerin wurde 1959 im Irak für das Ressort Landwirtschaft tätig. Seit den 70er Jahren gibt es in den Ländern, die Progressivität demonstrieren wollen, wenigstens eine Ministerin, meist für ein Ressort, das als frauentypisch gilt, etwa in Ägypten seit 1962 "Soziale Angelegenheiten", in Syrien seit 1980 "Kultur". Ins Zentralkomitée der PLO wurde 1980 eine Frau aufgenommen. Die Zahl der Länder ohne Ministerin ist allerdings höher: der Iran, die Emirate, Kuweit, Saudi-Arabien, der Jemen, Jordanien, der Libanon, Libyen, Marokko. Farrokrou Parsa, iranische Erziehungsministerin von 1968 bis 1978, wurde nach dem Sturz des Schahs 1979 angeklagt, Korruption und Prostitution im Land verbreitet und Krieg gegen Gott geführt zu haben, und im Alter von 69 Jahren hingerichtet. Im heutigen iranischen Parlament sind Frauen durch Witwen oder andere Angehörige führender Staatspolitiker vertreten. Die Türkei, die sich in ihren Verfassungen seit 1928 als laizistischer Staat definiert, gestand 1930 Frauen das aktive Wahlrecht zu. Seit 1933 konnten sie in den Senat, seit 1934 in das Große Parlament gewählt werden. In den meisten arabischen Ländern erhielten Frauen das aktive Wahlrecht erst in den 50/60er Jahren und nach Auseinandersetzungen mit hohen religiösen Autoritäten. In Kuwait, einem Land mit einem hohen Anteil gut ausgebildeter Frauen und einer starken Frauenorganisation, haben Frauen bis heute nicht das Wahlrecht. Im ägyptischen Parlament gab es 1957 die ersten zwei Parlamentarierinnen (von insgesamt 360 Parlamentariern). 1982/83 waren von 390 Parlamentariern 35 Frauen. Ähnlich ist der Prozentsatz heute in der Türkei. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Zehnprozenthürde im Bundestag 1987 überschritten, in Österreich 1983.

Frauenpower durch weibliches Schreiben

Zwar gab es bereits in vorislamischer Zeit Dichterinnen, berühmt ist al-Chansâ' für ihre Trauergedichte auf ihre gefallenen Brüder, und es gab vereinzelt durch die Jahrhunderte Dichterinnen, arabische, persische und türkische. Es gab auch höfische Sängerinnen und Musikerinnen, diese durchgängig als hochgebildete Sklavinnen. Aber dass Frauen aus vorderorientalischen Ländern Gedichte, Novellen und Romane schreiben und veröffentlichen, ihre Gefühle, die Situation von Frauen aus intimer und meist kritischer Sicht beschreiben, begann stärker erst seit den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Besonders in den Niedergangszeiten der islamischen Länder dominierte das patriarchalische Machtwort: Saut al-Mar'a Aura "Die Stimme der Frau ist etwas schamvoll zu Verbergendes". Der Bait at-Tâ'a, "Das Haus des Gehorsams", war das, was der Frau zukam. Heute und nun schon seit einigen Jahrzehnten erheben mutige Frauen aus vorderorientalischen Ländern ihre Stimme, bzw. nützen ihre Feder/ihren PC auch als Journalistinnen und Wissenschaftlerinnen mit Forschungen zur Situation von Frauen in islamischen Ländern in Vergangenheit und Gegenwart. Dass es hier zu divergierenden Meinungen kommt, ist wohl kaum vermeidbar. Dies ist auch von den Herkunfts- wie den heutigen Aufenthaltsländern der Verfasserinnen und von ihren Lebenserfahrungen abhängig. Die Standpunkte reichen von mutiger, harscher Kritik wie bei der Ägypterin Nawâl al-Sa'dâwi (geb. 1931) oder der Marokkanerin Fâtima Mernissi (geb. 1941) bis zur Stützung fundamentalistischer Positionen wie bei der Ägypterin Zainab al-Ghazâli (geb. 1917)23. Muslimische Feministinnen, wie die in den USA wirkenden Pakistanerinnen Amina Wadud und Riffat Hassan24 betonen emanzipatorisch fordernd die generelle Frauenfreundlichkeit des Korans, Muhammeds und des frühen Islams gegen jahrhundertelang vertretene männlich-chauvinistische Interpretationen und Standpunkte.
Vom Islam (in seinen unterschiedlichen Ausprägungen) unmittelbar betroffen sind allemal diejenigen, die in islamischen Ländern, in einer vorwiegend muslimischen Umgebung leben. Aber auch hier können die Lebensumstände sehr verschieden sein: In der über Jahrzehnte säkular geprägten Türkei gibt es heute junge, gebildete, religiös orientierte Akademikerinnen, die gegen das Kopftuchverbot bei allen staatlichen Einrichtungen angehen. Im Iran dagegen scheint sich in Bezug auf die staatlich verordnete Zwangsverhüllung einiges leicht zu liberalisieren.
Wie sich die Verhältnisse weiterentwickeln, bleibt abzuwarten. In einigen Ländern, etwa Syrien und Jordanien, ist eine jüngere Generation von Staatsführern mit Ehefrauen, die ihre akademische Ausbildung in westeuropäischen Ländern erfahren haben, angetreten. Einem wachsenden Potential an gebildeten jüngeren Frauen generell steht eine nicht zu übersehende Verelendung breiter Schichten in den wirtschaftlich schwachen Ländern, wachsende Arbeitslosigkeit, besonders der Jugend, die in manchen Ländern über die Hälfte der Bevölkerung ausmacht, und wirtschaftliche Unterentwicklung entgegen. Die politische Bandbreite reicht vom konservativ-islamischen, reichen Königreich Saudi-Arabien und den Emiraten mit dem, was Fâtima Mernissi als den "Petro-Islam" bezeichnet,25 bis hin zur säkularisierten Republik Türkei oder Ägypten als dem bevölkerungsreichsten arabischen Land mit längeren säkular orientierten Tendenzen religiöser Toleranz einerseits, erstarkenden fundamentalistischen Strömungen andererseits. Afghanistan unter der Tâlibân-Regierung ist offensichtlich zum fanatischsten konservativ-islamischen Staat überhaupt geworden und lässt sich so von Medienvertretern, die ein Feindbild Islam aufbauen wollen, als das Paradebeispiel für die Rückständigkeit und Frauenfeindlichkeit des Islams generell gut nutzen.

 


Fußnoten

1 Zitiert nach der Ausgabe Würzburg 1995, hgb. v. Hartmut Bobzin, mit erklärenden Anmerkungen von Wolfdietrich Fischer. Das Original erschien postum 1888 zu Rückerts 100. Geburtstag. Rückert hat nur übersetzt, was ihm gefiel und poetisch genug erschien.

2 Wo nicht anders angegeben, Koranzitate nach der Übersetzung von A. Th. Khoury, Gütersloh 1987 (GTB 783), gelegentlich, wie hier, mit leichten Überarbeitungen durch mich anhand des arabischen Original-texts.

3 Vgl. dazu: W. Walther, Mythen über das erste Menschenpaar, den Sündenfall mit seinen Folgen und die Konstituierung menschlichen Lebens in der islamisch-arabischen Literatur, in: Forschungsforum Orientalistik. Berichte aus der Otto-Friedrich-Universität Bamberg 2(1990), S. 9-17.

4 Ausführlicher in: W. Walther, Die Frau im Islam, in: Peter Antes u. a., Der Islam. Religion - Ethik - Politik. Stuttgart, Berlin, Köln 1991, S. 98-124.

5 Vgl. G. H. Bousquet, Hayd, in: The Encyclopedia of Islam, New Ed., Bd. 3 (1986), S. 315.

6 Vgl. Kathleen O'Grady, Menstruation, in: Serenity Young (ed.), Encyclopedia of Women and World Religion, New York 1999, Bd. 2, S. 649ff. Die hier formulierte Behauptung, der Koran leite die Erschaffung des Menschen aus Menstruationsblut ab, ist allerdings falsch.

7 Vgl. L. Gardet, Djanna, in: EI2 (Anm. 5), Bd. 2(1983), S. 447ff.

8 Vgl. z. B. Epheser 5, 22ff, 1. Korinther 11, 3ff., 1. Timotheus 2, 11ff, 1. Petrus 3, 1-7.

9 Vgl . Maysam J. al-Faruqi, Self-Identity in the Qur'an and Islamic Law, in: G. Webb (ed.), Windows of Faith, Syracuse 2000, S. 92.

10 Vgl. das ganze Gedichtchen, bei dem Goethe sich auf eine Übertragung des österreichischen Orientalisten Joseph v. Hammer-Purgstall stützt, in:W. Walther (Anm.3), S. 9.

11 Vgl. dazu: Elisabeth Gössmann (Hgb.), Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht, München 1988, und den in W. Walther, Die Frau im Islam, 3. neu bearb. Aufl., Leipzig 1997, S. 229, Nr. 112, genannten Titel, der E. Gössmann offensichtlich nicht vorlag .

12 Vgl. dazu: Shahla Haeri, Law of Desire. Temporary Marriage in Iran, London 1989.

13 M. J. al-Faruqi (Anm. 9), S. 93.

14 Zum Gebot für Christinnen, das Haar beim Gebet zu verhüllen, vgl.1. Korinther 11, 5f., zum Gebot an christliche Frauen, sich züchtig zu kleiden, auf "äußeren Schmuck" zu verzichten und sich ihren Männern unterzuordnen, 1. Petrus 3,3-5.

15 Vgl. zu den höfischen Harems: W. Walther, Die Frau im Islam (Anm. 11), S. 81-90.

16 Vgl. auch: W. Walther, Frauenwelten - Männerwelten im Islam, in: Universität Heidelberg. Studium Generale SS 1998. Islam - eine andere Welt? Heidelberg 1999, S. 41-56.

17 Ausführlicher im Kapitel "In der Liebe ist Süße und Bitternis", in: W. Walther, Die Frau im Islam (Anm. 11), S. 131-61.

18 Angaben der arabischen Originalquellen in: W. Walther (Anm.4), S. 122.

19 Vgl. zu den verschiedenen Fassungen der Rahmengeschichte: W. Walther, Tausendundeine Nacht. Eine Einführung, München, Zürich 1987, S. 86-94.

20 Ausführlicher bei: W. Walther, Die Frau im Islam heute, in: Werner Ende, Udo Steinbach (Hgb.), Der Islam in der Gegenwart, 4. überarb. Aufl., München 1996, S.604-29, 874-78, 932f. und im Kapitel "Wer ich bin, fragt das Selbst", in: W. Walther, Die Frau im Islam (Anm 11), S. 188-222.

21 Die widersprüchlichen Eindrücke, die die "Französische Expedition", die Besetzung Ägyptens durch die Truppen Napoleons 1798-1801, bei der Kairoer Bevölkerung hinterließ, schildert der ägyptische Historiker Al-Dschabarti als Zeitzeuge im letzten Band seines 4-bändigen Geschichtswerks, übers. v. Arnold Hottinger, Bonaparte in Ägypten, München 1983. Über den 5-jährigen Aufenthalt der ersten Studiendelegation von Angehörigen der ägyptisch-türkischen Oberschicht in Paris 1826-31 und das, was er für sein Land besonders an Bildungsinstitutionen vorbildlich fand, berichtet der Begründer der sozialen Reformbewegung in Ägypten Rifâ'a at-Tah-tâwi (1801-1873). Hier wird deutlich, wie vieles damals schockierend neu für die Ägypter war, übers. v. Karl Stowasser, Rifa'a at-Tahtawi. Ein Muslim entdeckt Europa, Leipzig, Weimar, auch München 1988.

22 At-Tahtawi verfasste zur Gründung dieser ersten staatlichen Mädchenschule ein sehr umfangreiches Buch, für das er aus der klassischen arabischen ebenso wie aus (nicht genannter) französischer Literatur schöpfte, um nicht nur die Zulässigkeit, sondern die dringende soziale Notwendigkeit von Mädchenbildung als Basis für eine andere soziale Position der Frau zu begründen. Vgl. W. Walther, Rifâ'a at-Tahtâwi - ein Wegweiser der Frauenbildung im 19. Jahrhundert, in: Marc-Edouard Enay (Hgb.) , Schuld sind die Männer, nicht der Koran, [Saanenmöser/Gstaad 2000], S. 29-42

23 Vgl. W. Walther, Islamischer Fundamentalismus und Frauenglück. Die Ägypterin Sainab al-Ghasali als Propagandistin fundamentalistischer Sozial-ethik, in: Donate Pahnke (Hgb.), Blickwechsel. Frauen in Religion und Wissenschaft, Marburg 1993, S. 273-98.

24 Vgl. z. B. Gisela Webb (ed.), Anm.9.

25 In ihrem Buch Die vergessene Macht, Berlin 1993.


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heim zu Lügen haben schöne Beine