Steht Indonesien vor einer Hungerrevolution?

Indonesien-Information Nr. 2-3, 1998 (Wirtschaft)

Beobachter warnen seit langem davor, daß die Leidensfähigkeit und Geduld vieler Indonesier in der derzeitigen ökonomischen und politischen Krise rasch zur Neige geht, wenn die Mägen leer sind. Immer mehr Menschen können sich den Kauf des Grundnahrungsmittels Reis nicht mehr leisten. Was tut die Regierung, um eine Hungerrevolution abzuwenden?

Seit Anfang des Jahres hat sich die Versorgungslage von Teilen der indonesischen Bevölkerung in vielen Landesteilen zum Teil dramatisch verschlechtert. Parallel zum Absinken immer größerer Teile der Bevölkerung unter die Armutsgrenze als Folge der politischen und wirtschaftlichen Krise hat sich die Anzahl der von Hunger bedrohten Menschen in Indonesien von 1,5 Mio im April auf 7,5 Mio im August erhöht /FEER, 27.5.98; AFP, 2.9.98/. Daß diesen Angaben eher konservative Schätzungen zugrunde lagen, zeigt die von Ernährungsminister A.M. Saefuddin im September veröffentlichte schockierende Zahl von 17 Mio Familien (bzw. 68 Mio Personen), die sich nur noch eine Mahlzeit pro Tag leisten könnten und somit von Hunger und Mangelernährung bedroht sind /Reuters 15.9.98/. Allein in Zentral- und Ost-Java, den beiden bevölkerungsreichsten Provinzen Indonesiens, leben mittlerweile 17,5 Mio Menschen in dieser prekären Situation. Vor dem Hintergrund ausbleibender Signale zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ist es verfehlt zu glauben, daß damit bereits die Talsohle erreicht ist. So warnte Minister Saefuddin bereits im September davor, daß die Nation noch vor der nächsten Reisernte im Januar dem Problem einer paceklik (Lebensmittelknappheit, bzw. Zeit in der alles teuer wird) gegenüberstehen könnte /AP, Reuters, 15.9.98/. Wenige Tage später erklärte er dem Parlament, daß sich in 150 der insgesamt 308 Regierungsbezirke bereits Engpässe in der Nahrungsmittelversorgung abzeichnen, und 53 Regierungsbezirke schon erhebliche Versorgungsprobleme aufweisen. 25 der 27 Provinzen sind mittlerweile von Lebensmittelknappheit betroffen (im Vergleich: vor der Reisernte im April waren es nur 15 Provinzen) /Straits Times, 22.9.98/.

Diese Zahlen machen dreierlei deutlich: Erstens ist die ökonomische Krise längst nicht mehr nur als Währungs-, Banken- oder Schuldenkrise zu denken, sondern ist mittlerweile ein Jahr nach Ausbruch in vollem Umfang landesweit auf den größten Teil der Bevölkerung durchgeschlagen (die Umkehrung des sogenannten "trickle-down-effects"). Wie zu erwarten war, folgt dem ökonomischen Absturz und der politischen Lähmung der Eliten zur Ergreifung wirksamer Gegenmaßnahmen unmittelbar die soziale Krise. Durch den Verlust der Kaufkraft, Inflation und Massenarbeitslosigkeit ist die Verarmung und Marginalisierung von großen Bevölkerungssegmenten innerhalb weniger Monate rasch fortgeschritten. Die Preise für Reis, dem Grundnahrungsmittel vieler Indonesier und insbesondere auf Java, der mit 100 Mio Menschen besiedelten Hauptinsel Indonesiens, haben sich innerhalb von 12 Monaten mehr als verdreifacht (von Rp 800-1.200 im vergangenen Jahr auf bis zu Rp 4.000). In Abwesenheit staatlicher sozialer Sicherungssysteme kommen immer mehr Menschen zwangsläufig in die Lage, daß sie aus der Geldökonomie herausfallen, sich damit nicht mehr die benötigten Grundnahrungsmittel leisten können und hungern. Dabei sind diejenigen Bevölkerungssegmente am stärksten exponiert, die keine Möglichkeit zur Subsistenzproduktion haben oder in traditionellen Sicherungssysteme integriert sind (landlose Familien, städtische Arme).

Zweitens sind mittlerweile die Versäumnisse und falschen politischen Weichenstellungen im Agrarsektor der vergangenen 30 Jahre offen zutage getreten. Bereits in der letzten Ausgabe der Indonesien-Information (7. Jahrg./Nr.1) hat Watch Indonesia! die Aussage der Direktorin des UNO-Welternährungsprogrammes WFP, "der Nahrungsmittelnotstand in Indonesien sei kein strukturelles Problem", vehement kritisiert und die Gründe erläutert, warum das Rekorddefizit in der nationalen Reisproduktion und die Verfehlung des nationalen Ziels der Selbstversorgung mit Reis keineswegs nur auf die Folgen des Wetterphänomens El Nino zurückzuführen ist. In den letzten Monaten hat sich für viele Reisbauern ein verhängnisvoller Teufelskreis aufgetan, der auf das Versagen des High-Input Landbaus in Krisensituationen zurückzuführen ist. Reisbauern, denen von internationalen Agrarexperten der FAO und anderen multilateralen Schlauberger-Institutionen sowie von den landwirtschaftlichen Beratern der Regierung jahrelang die Vorzüge der Grünen Revolution gepredigt wurden - d.h. Anbau von Hochertragssorten unter Verwendung von Kunstdüngern - können sich infolge gestiegener Preise den Kauf von Kunstdünger und Pestizide nicht mehr in der für den High-Input-Reisanbau erforderlichen Menge leisten.

Folge: Trotz sehr günstiger klimatischer Bedingungen in der letzten Reisanbauperiode zwischen April und August konnte nur eine enttäuschende Ernte eingefahren werden. Auf den durch den Hochertragsanbau mit Kunstdüngern über Jahrzehnte ausgelaugten Böden sind die Hektar-Erträge vielfach gesunken. In einem Hauptreisanbau-Gebiet in West-Java, wo die Bauern sogar ganz auf Kunstdünger für den Reisanbau verzichteten, kam es zu totalen Ernteausfällen, in anderen Gegenden wurden Reisernten durch Schädlinge vernichtet. Ungenügendes Kapital für Produktionsmittel - geringere Flächenerträge und Reisernten - geringere Einkommen der Bauern - weiter sinkendes Kapital für Düngerzukauf - zunehmendes Zutragetreten des Verlustes der Bodenfruchtbarkeit und weiter sinkende Reisernten: dies könnte die wahrscheinliche Projektion einer kontinuierlichen Abwärtsspirale in der Reisproduktion für die kommenden Jahre sein. Da andere in der Vergangenheit geschehenen Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft irreversibel sind - z.B. wurden bis 1997 40 % der Reisanbaufläche in Java (dem Hauptanbaugebiet für Naßreis) für nicht-agrarische Nutzungszwecke (Siedlungsfläche, Golfplätze, Straßenbau) umgewandelt, ist damit zu rechnen, daß Indonesien das nationale Ziel der Selbstversorgung mit Reis auf Jahre hinaus nicht wieder erreichen wird. Zeitgleich zur sozialen Krise ist eine Erzeugungskrise im Landwirtschaftssektor getreten. "Whatever Suharto had done to enhance Java is now unraveling," kommentiert der in Jakarta lebende renommierte Agrarökonom H.S. Dillon. Tatsächlich deutet sich an, daß Indonesien wie in den 70er Jahren wieder zu einem der Hauptimporteure von Reis wird, der bis zu 1/4 der weltweiten Reisernte zur Sicherstellung des Nahrungsmittelbedarfes benötigt. Aufgrund der schlechten Augusternte mußte der Importbedarf für Reis für das Jahr 1998/99 bereits von 3,5 Mio t auf 4,1 Mio t korrigiert werden /Antara, 27.9.98/.

Als dritter wichtiger Faktor haben sich in den letzten Monaten die mangelnde politische Problemlösungsfähigkeit und Defizite im Krisenmanagement des polititschen Establishments klar manifestiert. Neben der sozialen Krise und der Erzeugungskrise (als Folge des wirtschaftlichen Absturzes) wird das Politikmanagement selbst immer mehr als Ursache für die Defizite in der Nahrungsmittelversorgung identifiziert. Politische Beobachter schließen eine Hungerrevolution nicht aus, wenn sich die Reisversorgung für weitere Teile der Bevölkerung gravierend verschlechtert. Dann sind auch die Tage der Übergangsregierung von Habibie gezählt. Einen Vorgeschmack darauf lieferten die erstmals in größerem Umfang wiederaufflammenden Demonstrationen im August und September in Jakarta, Medan und Surabaya, in denen Studenten und verzweifelte Hausfrauen die Senkung der Reispreise oder den sofortigen Rücktritt von Habibie forderten. Es blieb nicht nur bei Demonstrationen und Protesten, sondern im selben Zeitraum wurden in mehreren Regionen in Java und West-Kalimantan Lagerhäuser, Reismühlen, Lebensmitteltransporte, Shrimp-Farmen, Geflügelzuchthöfe und Geschäfte geplündert. Wie groß die Not unter der Bevölkerung mittlerweile ist, wird jedoch fast noch mehr an den weniger spektakulären Beispielen deutlich:

- in einigen Regionen haben Menschen begonnen Gras und Blätter zu essen (dies war in Java das letzte Mal der Fall in den politisch wirren 60er Jahren)
- in den Großstädten haben Menschen überall auf unbebauten Grundstücken mit dem Anbau von Nutzpflanzen begonnen
- Abfälle und Speisereste aus Hotels, Kantinen und Restaurants, die früher zur Tierproduktion verwendet wurden, werden nun von Straßenhändlern als "Billignahrungsmittel" verkauft
- Entsolidarisierung macht sich in der Gesellschaft breit, was sich unter anderem an einer rasch steigenden Kriminalitätsrate äußert. Taschendiebstähle und Streitereien nehmen zu, Bettler fragen nicht mehr sondern fordern; Bauern müssen ihre Reisfelder und Fischteiche bewachen, die sonst nachts abgeerntet oder leergefischt werden.

Vor diesem Hintergrund steigen die Befürchtungen, daß das Land in Chaos und Anarchie versinkt. Nach dem Zeitplan der Habibie-Regierung sind es noch 7 Monate bis zu den angekündigten Parlamentswahlen. Diese Zeitrechnung ist jedoch bereits heute in den Augen der Hungernden Makulatur: Angesichts leerer Mägen lautet ihre Botschaft an die Regierung: Die Reformen sind zu langsam und verfehlen offensichtlich ihre Wirkung! Der Glaube an die Regierung ist auf den Nullpunkt gesunken, Ärger und Frustration akkumulieren sich: Indonesien wird erneut zum Pulverfaß.

Dabei ist sowohl in Indonesien selbst wie auch auf internationaler politischer Ebene die ausreichende Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung schon frühzeitig als Schlüssel für die Aufrechterhaltung der Stabilität und der Abwendung weiterer Unruhen und Chaos benannt worden. Bereits im Frühjahr haben Experten der Food and Agricultural Organisation (FAO) und des WFP (World Food Programme) ein internationales Hilfsprogramm auf die Beine gestellt, das Indonesien mit Kredithilfe, Spenden, Konzessionen und gezielter Nahrungsmittelhilfe unterstützt. Allein Japan, Thailand, Vietnam und Taiwan leisteten Nahrungsmittelhilfe in Höhe von 900.000 t Reis, kleinere Kontingente wurden als Spenden geliefert (Japan: 50.000 t, Thailand: 5.000 t, Vietnam: 10.000 t, Singapur: 21.000 t) /Antara, 27.9.98/. Trotz des hohem Haushaltsdefizites und des Sparzwangs hat der IWF die Subventionierung von Reis und Palmöl in den Juni-Verhandlungen nach dem Präsidentenwechsel ausdrücklich gebilligt. Zu dieser Maßnahme besteht auch gar keine Alternative, denn auch der IWF hat zwischenzeitlich erkannt, daß ein Land mit Hungerrevolten kaum als favorisierter Standort für ausländische Investoren in Frage kommt. Weder die Regierungen in der Region noch der Industriestaaten haben ein Interesse, daß Indonesien durch eine Hungersnot weiter politisch destabilisiert wird. Kürzlich gab daher IWF-Direktor Hubert Neiss bekannt, daß weitere US$ 6 Mrd an internationalen Krediten speziell unter dem Aspekt zur Verhinderung sozialer Unruhen an Indonesien (d.h. Subventionierung von Reis, Food-for-Work Programme, Verteilung und zusätzliche Reisimporte) gewährt würden. Das Geld kommt vom Pariser Klub der Industriestaaten (USA; EU; Japan), weitere Staaten (Australien, Neuseeland) haben bilaterale Kredithilfe zugesagt /South China Morning Post, 12.9.98/.

Paradoxerweise hat die breite internationale Unterstützung zur Überwindung der Versorgungskrise jedoch den Druck auf die Habibie-Regierung erhöht. Die Regierung sieht sich nämlich immer größerem innenpolitischen Rechtfertigungszwang ausgesetzt, warum trotz derart breiter internationaler Unterstützung die Situation in Indonesien immer prekärer zu werden scheint. Früher vorgebrachte mögliche Erklärungen können nicht mehr herangezogen werden: weder der IWF noch El Nino taugen mehr als Entschuldigungen. Habibie selbst hat bei seinem Amtsantritt erklärt, sich mit der gebotenen Vordringlichkeit um die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung zu kümmern. Vier Monate später richtet sich der Fokus von Bevölkerung und Kritikern immer mehr auf die Maßnahmen staatlichen Krisenmanagements, die eine Reihe von Angriffspunkten für den Vorwurf des Versagens bieten:

(1) Effizienzprobleme der staatlichen Verteilungslogistik auf der Makroebene

Als eines der Hauptprobleme werden Logistikprobleme benannt. Unter Suharto war der Reishandel und die Verteilung über die als notorisch ineffizient und korrupt bekannte staatliche Behörde BULOG monopolisiert. Das Monopol für Reistransporte über den Seeweg lag bei der Salim Group, dem von Suhartos Freund Liem Soei Liong geführten Konzern. Erst Anfang September, aufgeschreckt durch die zunehmenden Plünderungen, wurde im Rahmen eines 7-Punkte Planes der Regierung der Reisimport liberalisiert und für private Investoren geöffnet. BULOG wurde angewiesen, sofort große Mengen von Reis mittlerer und niedriger Qualität auf dem Markt verfügbar zu machen, um eine Senkung der Reispreise herbeizuführen. Für besonderes Aufsehen sorgten kürzlich aufgedeckte spektakuläre Fälle von Korruption auf der Leitungsebene von BULOG: Verantwortliche für die Auslieferung von stark verbilligtem Reis gestanden, große Mengen der dafür vorgesehenen Kontingente mittels gefälschter Auslieferungsscheine zurückgehalten zu haben, um diese später zu höheren Marktpreisen an private Händler zu verkaufen.

(2) Privatisierung zur falschen Zeit

Auf Drängen des IWF hat die Regierung das Monopol von BULOG gekappt und den Reishandel liberalisiert. Dabei wurden Überlegungen des Ministers für Kooperativen, Adi Sasono, berücksichtigt, den Reishandel zu dekonzentrieren und dabei in die Hände von Kooperativen sowie mittleren und kleineren Unternehmen zu verlagern. Ein Nebenaspekt dabei: Das von ethnischen Chinesen dominierte Netz von Groß- und Zwischenhändlern sollte auch für Pribumis (eingeborene Indonesier) stärker zu geöffnet werden. Kritiker wenden ein, daß diese Form der Liberalisierung - obwohl prinzipiell richtig - schlicht zur falschen Zeit kommt. Grund: die zahlreichen neu gebildeten Kooperativen und Kleinhändler zeigen sich ganz marktgerecht und im Sinne des IWF mehr am Profit orientiert als an der ausreichenden Versorgung der Bevölkerung. Begleiterscheinungen der Privatisierung des Reishandels sind daher das Horten von Reis sowie die Spekulation /Asiaweek, 25.9.98/.

(3) Verteilungsprobleme auf der Mikroebene des Logistiknetzes durch die Angriffe auf chinesische Händler

Ein Großteil des Händlernetzes (Groß- und Zwischenhandel, Verbrauchermärkte) befinden sich traditionell in den Händen von Händlern chinesischer Herkunft. Seit den Angriffen auf chinesische Händler und deren Geschäfte während und nach den Mai-Unruhen ist der Handel erheblich gestört (z.B. Flucht von Händlern ins Ausland). Selbst Regierungsvertreter in Jakarta geben mittlerweile offen zu, daß die Reparatur des Händlernetzes bisher fehlgeschlagen ist.

(4) Dualismus von Preisen

Der Preis von subventioniertem Reis in Indonesien liegt wesentlich unter den internationalen Handelspreisen. Folge: Es existiert ein starker Anreiz für Händler und Schmuggler, trotz Exportverbotes und Versorgungskrise Reis ins Ausland zu exportieren. Beispiel Süd-Sulawesi: Nach Java die größte Reisanbauregion in Indonesien, dort kaufen Händler den Reis direkt von Bauern und exportieren ihn nach Singapur oder Malaysia /South China Morning Post, 2.9.98/. Auch Reis von Kalimantan wird direkt auf dem Landweg nach Malaysia geschmuggelt. Absolut menschenverachtend angesichts der Situation vieler ihrer Landsleute ist jedoch die Geldgier einiger Staatsdiener und Händler, die sich das Preisgefälle zwischen Inlands- und Auslandsmarkt dahingehend zu nutze machten, daß sie importierten und staatlich subventionierten Reis gleich wieder in das Ausland exportieren.

(5) Unterentwickelte Krisenwahrnehmung und "business-as-usual" auf der politischen Ebene und im Verwaltungsapparat

Wie zu Beginn der ökonomischen Krise oder der Waldbrände zeigt der staatliche Verwaltungsapparat und die politische Führung eine erstaunliche Immunität gegenüber der frühzeitigen Wahrnehmung der Anbahnung einer Krisensituation und den daraus folgenden notwendigen Beschlüssen. Laut Dr. Rizal Ramli, Direktor des Econit-Institutes, war das Kabinett weder korrekt informiert über die rasch schwindenden Reisbestände noch über die aktuelle Preisentwicklung auf dem Reismarkt. Bei Kabinettsbeschlüssen zu Krisenmaßnahmen schienen manche "Minister mehr darauf zu achten, daß die Vergabe von Importaufträgen oder Versicherungspolicen in die Hände ihrer Cronies gelangten" als echtes Interesse an einer schnellen Beilegung der Krise zu zeigen. Ramli kritisierte weiterhin, daß die Regierung die Prioritäten nicht richtig ordnet /Kompas, 16.9.98/. Ins gleiche Horn stößt der bekannte politische Kommentator Wimar Witoelar: "Habibie versucht es jedem recht zu machen, aber er vergißt das Regieren. Es gibt keine politische Führung" /The Dallas Morning News, 23.9.98/. Der Generaldirektor des nationalen Schiffahrtsverbandes warf der Regierung mangelnde Transparenz und Verzögerung hinsichtlich von Reisimporten auf dem Seeweg vor /Reuter, 16.9.98/.

In bemerkenswerter Kontinuität zur alten Regierung scheint "Prävention" auch in der neuen Regierung ein Fremdwort zu sein. Gehandelt wird erst, wenn Probleme, Mißstände und Skandale bereits unübersehbare Dimensionen angenommen haben (sozusagen, wenn der Eisberg schon den Rumpf der Titanic aufgeschlitzt hat). Dann werden überstürzt und zielsicher die Auswirkungen der Probleme anstatt die Ursachen mit Sofortmaßnahmen therapiert. Nur so läßt sich das Vorgehen der Regierung beschreiben, als erst nach dem Ausbruch neuerlicher Unruhen, Plünderungen und Demonstrationen die Regierung Anfang September einen 7-Punkte Aktionsplan verabschiedete. Bestandteil dieses Planes sind außer den bereits genannten Maßnahmen die Befreiung von Reis von der Mehrwertsteuer, aktiveres Vorgehen von BULOG bei Reisaufkäufen von Bauern sowie Schutzgarantieen für Lagerhäuser, Reismühlen und -transporten /AFP, 11.9.98/. Als Reaktion auf die sich verschärfende Situation hat die Regierung weiterhin kürzlich die Ausweitung eines Hilfsprogrammes beschlossen, das stark subventionierten Reis direkt an Bedürftige ausgibt, die sich den zu Marktpreisen gehandelten Reis nicht leisten können. Statt wie bisher 2 Mio Menschen soll das Programm noch im September bis zu 7,5 Mio Menschen mit stark verbilligtem Reis (Rp 1.000 pro kg) versorgen. Für jede bedürftige Familie soll die Versorgung mit mindestens 10 kg Reis/Monat sichergestellt werden. Vorsorglich hat die Regierung angekündigt, das Hilfsprogramm könne auf bis zu 15 Mio Menschen ausgeweitet werden.

Daß sich selbst diese Maßnahme schon bald als ungenügend erweisen könnte, zeigt ein Blick auf die Prognosen der International Labor Organisation (ILO). Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie sollen bis Ende des Jahres 50% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, bis Ende 1999 sogar 140 Mio Menschen /Asiaweek, 25.9.98/. Somit wird sich die Zahl der Bedürftigen, die mit verbilligten Reis zu versorgen sind, weiter erhöhen. Zarkasih Nur, Fraktionsvorsitzender der Vereinigten Entwicklungspartei, PPP, deutet die Konsequenzen an, wenn sich die Nahrungsmittelversorgung nicht verbessert: "Für viele Indonesier ist Reis eine Sache von Leben und Tod. Um zu überleben, werden sie auch vor Plünderungen nicht zurückschrecken". Hungersnöte und mehr soziale Unruhen würden jedoch die dringend notwendige wirtschaftliche Konsolidierung und den politischen Demokratisierungsprozeß, d.h. die Problemlösung, weiter verzögern. Schon heute tauchen bei Demonstrationen von Studenten in Jakarta Transparente auf: "Die Menschen brauchen keine politischen Parteien, sondern etwas zu essen". So bildet die Reisversorgung das Damoklesschwert, daß unbarmherzig über das weitere politische Schicksal von Präsident Habibie entscheiden wird: "It (rice) is this very issue that will determine whether he (President Bacharuddin Habibie) can proceed or fall," meint Budy Hadjono von der Demokratischen Partei, PDI /IPS, 17.9.98/. Im Falle einer Hungerrevolution steht jedoch nicht nur Habibies Schicksal auf dem Spiel, sondern das der ganzen Nation.

Dies erklärt, warum neuerdings darüber nachgedacht wird, die Sicherstellung der Reisversorgung der Armee zu überantworten. Sie wird von vielen als die einzige Institution angesehen, welche die hierzu notwendige logistische Infrastruktur besitzt. Sollte die Armee diese Aufgabe zur Abwechslung einmal bewältigen ohne in die eigene Tasche zu wirtschaften, könnte sie als willkommener Nebeneffekt ihre gegenwärtigen Imageprobleme als "Unterdrückungsarmee" lösen. Asiaweek führt als Vergleich die Rolle der chinesischen "Volksbefreiungsarmee" bei der Bekämpfung des kürzlichen Hochwassers in China an /2.10.98/. Fest steht auf alle Fälle, daß Habibie bei der Bekämpfung der Versorgungskrise mehr Flagge zeigen muß.


Soekarno Watch Indonesia! e.V. Mao Tse-tung