"Wie lange dauert eine Zugfahrt von Amsterdam nach Enschede?" - "Bereitet man Tee mit heißem oder kaltem Wasser zu?" Ab morgen müssen sich Einwanderungswillige in den Niederlanden einem Test stellen, den die umstrittene Ministerin Rita Verdonk angeordnet hat. Ihr deutscher Kollege Wolfgang Schäuble ist begeistert.
Amsterdam - "Regeln sind Regeln" lautet der Leitspruch von Rita Verdonk. Und
dass sich im einst so toleranten Holland der Wind seit einiger Zeit gedreht hat,
mussten zuletzt auch die Fußballfans in den Niederlanden lernen. Denn ihre
Ministerin für "Vreemdelingzaken" (Integration) weigert sich, dem für Feyenoord
Rotterdam spielenden und aus der Elfenbeinküste stammenden Torjäger Salomon
Kalou einen niederländischen Pass zu geben. Selbst das Bitten von Bondscoach
Marco van Basten, der den farbigen Stürmer gerne bei der WM in Deutschland
einsetzen würde, hat noch nichts geholfen.
Ähnlich hart blieb die
"eiserne Rita" von der rechtsliberalen Regierungspartei VVD, als sie die
18-jährige Schülerin Taida, die aus dem Kosovo stammt, kurz vor ihrem Abitur des
Landes verwies. Sie hatte falsche Angaben gemacht, als sie versuchte, noch eine
befristete Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen.
Doch ab morgen wird der
Kurs gegen Ausländer in den Niederlanden noch verschärft. Denn dann tritt ein
neues Gesetz in Kraft, das von Einwanderungswilligen verlangt, sich im Land
ihrer Herkunft einem Test zu stellen, in dem nach Normen und Werten im
Polderland gefragt wird. In 138 Ländern haben die Niederländer in Botschaften
und Konsulaten Räume eingerichtet, in denen gegen Zahlung von 350 Euro eine
Prüfung abgelegt werden kann. Die Antworten nimmt kein Beamter, sondern ein
Sprachcomputer entgegen.
"Wer war Wilhelm von
Oranien?"
Getestet wird nicht nur, ob der Einwanderungskandidat
Holländisch sprechen kann. Es werden auch Fragen gestellt wie: "Wer war Wilhelm
von Oranien?", "Bereitet man Tee mit heißem oder kaltem Wasser zu", "Wie lange
braucht ein Zug von Amsterdam nach Enschede?" oder "In welchen Müll gehört
Frittierfett?"
Vorbereiten auf den Test und das Leben im einst so
liberalen Land hinter den Deichen können sich die Einwanderer mit einem Buch,
das es in 14 Sprachen gibt, und mehreren CD-Roms, die auch Videoaufnahmen
enthalten. Weil dabei nackt badende Frauen und Schwule zu sehen waren, die sich
in der Öffentlichkeit küssen, kam es zu Protesten von Muslimen. Seitdem gibt es
eine keusche und eine unkeusche Version - beide kosten stolze 63,90
Euro.
Dass der neue Einwanderungstest vor allem mögliche Immigranten
abschrecken soll, bestreitet Verdonk. Es gehe darum, neue Bürger wirklich zu
integrieren. "Wer den Test besteht, ist herzlich willkommen", sagt die
50-Jährige, die früher auch stellvertretende Gefängnisdirektorin in Rotterdam
und Abteilungsleiterin des Inlandsgeheimdienstes war.
"Wir waren lange zu
naiv", sagt sie aber auch und meint damit die frühere Toleranz im Polderstaat.
Doch seit der Ermordung des Rechtspopulisten Pim Fortyn und des Filmemachers
Theo van Gogh werden die gesellschaftlichen Probleme nicht mehr verschwiegen.
"Die Zeit des Teetrinkens ist vorbei", meint Verdonk.
Die etwa eine
Million Muslime im Land spüren den Wandel schon jetzt. Polizisten gehen härter
gegen "Hangjongeren", auf den Straßen herumhängende Jugendliche, vor, die oft
aus Familien marokkanischer oder surinamesischer Herkunft stammen. Es wird
diskutiert, arbeitsunwillige Jugendliche in Kasernen umzuerziehen.
Verdonk plädiert auch bereits dafür, dass in der Öffentlichkeit nur noch
Holländisch gesprochen wird. Sie griff damit den "Rotterdam-Kodex" auf, den die
dortigen Stadtväter ihrer aus 160 Nationen stammenden Bevölkerung als
Benimmregel empfahl: Mann und Frau seien gleich zu behandeln, Andersgläubige,
Ungläubige und Homosexuelle zu achten.
Auftritte mit kugelsicherer
Weste
Seitdem die Ministerin vorschlug, den Frauen das
Tragen der Burka zu verbieten, wird sie wie ihre islamkritische Parteifreundin
Ayaan Hirsi Ali von Bodyguards bewacht. Bei öffentlichen Auftritten trägt sie
eine kugelsichere Weste. Verdonk ließ auch das Mindestalter für die Zuwanderung
auf 21 Jahre anheben. Auch so soll der Import von jungen Ehepartnern aus Marokko
oder der Türkei und die Familienzusammenführung erschwert werden. Fast 90
Prozent der in den vergangenen Jahren aus diesen Ländern Eingewanderten reisten
aus diesem Grund ein. Rund eine Million Muslime gibt es in den Niederlanden.
Bei den Kommunalwahlen in der vergangenen Woche protestierten viele der
Bürger ausländischer Herkunft auf ihre Weise gegen die neue Politik der
Mitte-Rechts-Regierung des christdemokratischen Ministerpräsidenten Jan Peter
Balkenende. Die Regierungsparteien CDA, VVD und D66 wurden von den Linksparteien
geschlagen. Laut einer Wahlanalyse stimmten 80 Prozent der Einwanderer für die
Opposition. In den Jahren zuvor hatten sie sich nur in geringer Zahl an der Wahl
beteiligt.
Auf ihren deutschen Kollegen hat Rita Verdonk dagegen mächtig
Eindruck gemacht. "Wir können hier von den Niederlanden lernen", sagte
Bundesinneminister Wolfgang Schäuble kürzlich nach Gesprächen mit der
Holländerin. Ausdrücklich lobte der CDU-Politiker ihre neuen Gesetze: "Das ist
im Prinzip das, was wir auch verwirklichen wollen und verwirklichen werden."