Woher kommt der Hass auf Macron?

von Markus C. Kerber* (Achse des Guten, 29. Januar 2022)

Kürzungen, Links und Anmerkungen: Nikolas Dikigoros

Als die Gelbwestenbewegung ihren Unmut lostrat, konnte selbst das ferne Ausland unschwer erkennen, wie es um den politischen Konsens in Frankreich bestellt ist. Was als ein Protest gegen die steuerlich veranlasste Erhöhung der Spritpreise begonnen hatte, weitete sich schnell zu einer umfassenden Vertrauenskrise des politischen Systems aus. Einher mit dieser Krise zwischen Franzosen mit beschränktem Einkommen und der politischen Führung des Landes nahm die politisch motivierte Gewalt bürgerkriegsähnliche Züge an. Macron erschien darauf im Fernsehen, machte einen Kotau vor den Protestierenden, gelobte mehr Bescheidenheit und verordnete einige soziale Wohltaten, die das Defizit der öffentlichen Finanzen und den Bruttoschuldenstand sprunghaft ansteigen ließen.

Mittlerweile ist das Unverhältnis zwischen dem französischen Wahlmonarchen Macron und der Mehrheit der französischen Bevölkerung auch intellektuell thematisiert worden. In der Gazette Esprit thematisierte Joël Roman die Gründe der zunehmenden Ablehnung von Macron durch weite Teile der französischen Bevölkerung. Die beiden Journalisten Domenach und Szafran schreiben gar ein Buch mit dem Titel "Macron: Warum so viel Hass?"

Macron ließ daraufhin erklären, dass er sich aus dem Hass seiner Gegner nichts mache und unbeirrt sein Programm fortsetze. (Anm. Dikigoros: Na klar - was scheren den schon die dummen Wähler? Die Stimmenauszählung wird ja eh manipuliert!) Fakt ist, dass nicht einmal Giscard d'Estaing, der mit immerhin 47 Jahren in das Präsidentenamt einzog, derart schäumende Abneigung auf sich gezogen hatte. Die Franzosen mochten ihn aufgrund seines Snobismus, seines großbürgerlichen Lebensstils sowie seiner kaum zu kaschierenden Hochnäsigkeit gegenüber einfachen Leuten nicht besonders. Dies erklärte teilweise, dass man ihm ein zweites Mandat 1981 verweigerte. Bürgerkriegsszenen hatte Giscard nie provoziert.

Macron, der mit nur 39 Jahren ein Amt betrat, das über Machtbefugnisse verfügt, die in der westlichen Welt einzigartig sind, tat dies unter dem großen Beifall jener politischen Kräfte, die das Land anderenfalls unter der Chefin der Nationalen Front, Marie Le Pen, am Abgrund und als Paria der internationalen Gemeinschaft gesehen hätten. Doch schnell stellte sich heraus, dass die Nähe Macrons zu internationalen Technokraten sowie zu den Repräsentanten des Börsenkapitalismus und dem Fernsehsender BFM Teil eines geschickt angelegten Werbefeldzugs war, mit dem sich der blutjunge Kandidat als nach allen Seiten offener Modernisierer des Landes geriert hatte, indes das junge Gesicht des alten Pariser Elitenkartells wurde.

Tiefgreifende Reformen sind seit 2017 - das bestreiten auch seine Freunde nicht - ausgeblieben. Gewiss, eine kleine Reform ("réformette") des anachronistischen Statuts der französischen Eisenbahner, der SCNF, ist ihm gelungen. Auch hat er - mehr kosmetisch als strukturell - Arbeitsmarktreformen angeschoben. Die große Reform der unübersichtlichen Alterssicherungssysteme in Frankreich mit Dutzenden von Sonder-Regimen, die sich nur aufgrund von steuerlichen Zuschüssen über Wasser halten können, wurde von Macron - zu seiner eigenen Erleichterung - abgebrochen, als die Covid-Krise ausbrach. Seitdem regiert Macron zunehmend autokratisch und reagiert auf Kritik an den zum Teil zentralistisch-repressiven Covid-Maßnahmen mit Publikumsbeschimpfungen.

"Je vais les emmerder [Ich werde Ihnen das Leben schwer machen]" (Anm. Dikigoros: Falsch Übersetzung. Richtig wäre: "Ich werde sie in die Scheiße stoßen!") hat er gegenüber den Impfgegnern gesagt und damit jede Form des Dialogs mit Kritikern der bislang in Frankreich nicht besonders erfolgreichen Corona-Politik beendet. Die Franzosen reagieren auf diese Form von Publikumsbeschimpfung zum einen mit Erstaunen, weil sie unflätige Ausdrucksweisen für unvereinbar mit dem Amt des Staatspräsidenten halten, zum anderen mit gewalttätigen Straßenaktionen. (Anm. Dikigoros: Die Gewalt ging aber nicht von den Demonstranten aus, sondern von den bewaffneten Organen des Regimes.) So hatten die Impfgegner und prinzipiellen Kritiker der Corona-Politik endlich ihr Fressen gefunden. Sie reagierten, indem sie öffentlich gegen den Präsidenten skandierten "On va l'emmerder [Wir werden ihm das Leben sauer machen]" (Anm. Dikigoros: s.o.)

Straßendemos gehören zu Frankreich wie Käse und Wein. Dies hängt auch mit der Neigung der Franzosen zusammen, ihren Unmut lauthals kundzutun. Wären Gegner Macrons nicht so zerstritten, wäre es ein Leichtes, diesen jungen, unpopulären Autokraten gegen sein eigenes Volk auszuspielen. Hinzu kommt, dass sich Macron auch in anderem Zusammenhang Äußerungen erlaubt hat, die an seiner diplomatischen Zurechnungsfähigkeit zweifeln lassen.

Dazu gehört der Ausspruch, dass die NATO klinisch tot sei. Selbst forcierte Interpretationsbemühungen seiner engsten Freunde vermochten den kommunikativen Flurschaden nicht zu verhindern. Es blieb ein Nachgeschmack. Wie kann der Staats-Chef einer Atommacht über das eigene Militärbündnis derartige Unmutsäußerungen tätigen? Macron ist angezählt, und die französische Demokratie hat mehr denn je ein Legitimitätsproblem: Die Pariser Oligarchie - dazu gehört Macron - hat das Volk längst verloren.


*Dr. jur. Markus Kerber ist Professor für Finanzwirtschaft an der TU Berlin, Gründer von www.europolis-online.org. Der Autor absolvierte 1984/85 die Ecole Nationale d'Administration (Promotion über Denis Diderot)


LESERPOST
(ausgewählt und z.T. leicht gekürzt von Dikigoros)

Regina Lange (29.01.2022)
[...] Die Franzosen sind bewundernswert, weil sie ihren Unmut, ohne wenn und aber, auf die Straße tragen. Wenn hier hundert Leute gegen dies Corona-Regimes auf die Straße gehen, kommen 300 Polizisten, Antifa und anderes linkes Gesocks, um es zu verhindern! Die französische Antifa würde nie auf die Idee kommen als Schlägertrupp für die Regierung zu fungieren. Schlimm genug, dass ich mich hier lobend über französische Linksextremisten äußern muß!

J. Ambrosius (29.01.2022)
"Je vais les emmerder" ist als Kraft-Ausdruck schon eine Nummer härter als "das Leben sauer machen". "Tu m'emmerdes" heißt soviel wie "Du kotzt mich an!" Es hat eine starke abwertende Bedeutung dem anderen gegenüber. Also bedeutet seine Aussage etwas zwischen "euch extrem nerven" und "euch anscheißen", was es ja eben auch wörtlich übersetzt bedeutet. Natürlich ist diese seine Einstellung gegenüber dem Volk schon vorher spürbar gewesen - jetzt ist es handfest. Und genau daher kommt der Zorn der Leute. [Anm.: Dieser Leserbrief erspart es Dikigoros, hier einen eigenen Kommentar zur verharmlosenden Falschübersetzung des Herrn Professors aus Berlin zu schreiben.]

Steffen Huebner (29.01.2022)
"Die Pariser Oligarchie – dazu gehört Macron – hat das Volk längst verloren." Das ist klar, ist wie in Deutschland. Die eigentliche Frage aber ist: An wem? Die Franzosen werden die nächste Marionette wählen, die ihnen mittels Agitprop empfohlen wird. Machen die selben Fehler, wie die Deutschen. [Anm.: Da muß Dikigoros in aller Form widersprechen. "Das Volk" hat schon beim letzten Mal nicht Macron gewählt, sondern LePen. Die für letztere abgegebenen Wahlstimmen sind jedoch tonnenweise vernichtet worden - noch nie zuvor war der Anteil der "gültigen" so niedrig. Und so wird es im Zweifel auch 2022 wieder laufen - an den Wahlurnen läßt sich eine Diktatur nicht stürzen! PS: In der Tat ist es auch 2022 wieder so geommen. Aber um R.L. zu zitieren: Schlimm genug, daß die Alternative zu "Ödipussi" Macron eine ausgesprochene Deutschenhasserin wie Marine LePen wäre!]

Michael Riepen (29.01.2022)
Man sollte die manipulative Unart des linken Mainstream-Journalismus nicht übernehmen, Ablehnung und Kritik als Hass zu bezeichnen. Das ist diskursfeindlich, lenkt von Argumenten ab und pathologisiert den Kritiker.

Gus Schiller (29.01.2022)
Wenn Macron gehasst wird, liegt das allein an ihm. [...] Er kann froh sein, wenn sie ihn nur abwählen.


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