G E I S T E R S C H I F F E

Der fliegende Holländer u. a. Geisterschiffe

von Michael Schneider

Ein Schiff kommt in einen furchtbaren Sturm. Die Passagiere geraten in Panik und flehen den Kapitän um Rettung an. Aber anstatt einen sicheren Hafen anzusteuern, stellt sich der dem Wahnsinn verfallene Seemann den Naturgewalten. Von Stund an ist er auf ewig dazu verdammt über die Meere zu segeln - so lautet die Legende vom Fliegenden Holländer.

Die Legende vom Fliegenden Holländer ist wohl die bekannteste und eine der ältesten Seemannssagen. Seit mindestens 500 Jahren taucht sie immer wieder auf - vielleicht stammt sie sogar noch aus vorchristlichen Zeiten. Es ist die warnende Erzählung von einem skrupellosen holländischen Schiffskapitän (die Bezeichnung "Fliegender Holländer" bezieht sich also auf eine Person, nicht auf das Schiff), der Gottes Zorn herausforderte und deshalb auf alle Ewigkeit dazu verdammt ist, ruhelos die Meere zu durchsegeln und jeden ins Unglück zu stürzen, der seinem Geisterschiff begegnet. Die Sage wurde zwar von zahllosen Dichtern gebührend ausgeschmückt, aber es kann sich hier nicht nur um reines Seemannsgarn handeln, mit dem sich gutgläubigen Landratten angst machen läßt: Immerhin wurde das Schiff bis ins 20. Jahrhundert hinein immer wieder gesichtet.

Eine Begegnung mit dem fliegenden Holländer bedeutete Unglück und TodManche Forscher behaupten, dass die Legende vom Fliegenden Holländer auf ein wahres Ereignis zurückgeht - aber es herrscht wenig Einigkeit darüber, was damals wirklich passiert sein soll. Um die Verwirrung komplett zu machen, taucht der Kapitän des Geisterschiffes auch noch unter den verschiedensten Namen auf- unter anderem als Vanderdekken, Van Demien oder Van Straaten. Die bekannteste Version berichtet von einem Kapitän Vanderdecken, der das Kap der Guten Hoffnung umsegelte, als sein Schiff in einen heftigen Sturm geriet. Unter den Passagieren brach Panik aus, und sie flehten den Kapitän an, einen sicheren Hafen anzusteuern. Aber der wahnsinnige Seemann lachte sie nur aus, fesselte sich ans Steuerrad und begann, gotteslästerliche Lieder zu singen. Nun bekamen es auch die Matrosen mit der Angst zu tun und sie versuchten, die Kontrolle über das Schiff zu übernehmen. Vanderdecken jedoch schleuderte den Anführer der Meuterer kurzerhand über Bord, so dass Besatzung und Passagiere fortan der Gnade Gottes ausgeliefert waren. Als Antwort auf ihre Gebete teilten sich die düsteren Sturmwolken und das Vorderdeck wurde in gleißende Helligkeit getaucht. Dann erschien eine wunderbare Lichtgestalt, die manche für den Heiligen Geist, andere für Gott höchstpersönlich hielten. Sie wandte sich an Vanderdecken und verdammte ihn dazu, bis zum Tag des Jüngsten Gerichts die Meere zu durchsegeln, immer von tobenden Stürmen begleitet und allen, die ihn sahen, Unheil zu bringen - als Strafe dafür, dass er die Stirn gehabt hatte, sich an den Qualen anderer zu ergötzen. Er dürfe sich nur noch von rotglühendem Eisen und von Gallensaft ernähren und sein einziger Begleiter sei der Kajütenjunge. Auf dessen Kopf jedoch würden Hörner wachsen, auch würde er Kiefer so stark wie die eines Tigers und eine Haut so rauh wie die eines Hundehaies bekommen. Nach diesen Worten verschwand die Lichtgestalt - und mit ihr alle Passagiere und die gesamte Besatzung. Kapitän Vanderdecken und der unglückselige Kajütenjunge waren von nun an ihrem Schicksal ausgeliefert.

So jedenfalls lautet die Legende vom Fliegenden Holländer. Möglicherweise geht sie auf die altnordische Sage von dem Wikinger Stote zurück, der den Göttern einen Ring gestohlen hatte und später auf dem Hauptmast eines pechschwarzen Geisterschiffes als Skelett inmitten lodernder Flammen aufgefunden wurde. Andere datieren die Entstehung dieser Sage auf das Jahr 1487/88 zurück, als der Portugiese Bartholomeu Diaz das Kap der Guten Hoffnung umsegelte. Dessen ans Übermenschliche grenzende Tapferkeit war von dem Biographen Luis de Camois gebührend hervorgehoben worden.

Andere Forscher stießen auf die Geschichte von zwei holländischen Handelskapitänen, deren Besatzungen im 15. Jahrhundert ein Schiffswrack sichteten, das einst im Pazifik verschwunden sein soll. Daraus hätte sich durchaus die Sage vom Fliegenden Holländer entspinnen können. Vielleicht ist sie aber auch auf die Legende eines Deutschen namens von Feikenberg zurückzuführen, der mit dem Teufel um seine Seele würfelte - und verlor. Eine ähnliche Geschichte kursiert über einen gewissen Kapitän van Straaten.

Doch es gibt noch haufenweise andere Theorien. So gab es einmal einen Kapitän namens Bernard Fokke, der dafür bekannt war, dass er sein Schiff, die Libera Nos, besonders schnell und wendig zu steuern vermochte. Einige waren wohl neidisch auf diese Fähigkeit und setzten das Gerücht in Umlauf, er stünde mit dem Teufel im Pakt. Da Fokke als abgrundtief häßlich und sehr jähzornig galt, wurde das auch bereitwillig geglaubt. Eines Tages kehrte er dann von einer Fahrt nicht zurück - und man flüsterte sich zu, dass der Teufel wohl endlich seinen Tribut gefordert hatte.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Sage vom Fliegenden Holländer auf einem tatsächlichen Vorfall beruht, wobei dieser wohl eher irdischer Natur war und weniger mit Teufelspakten und dergleichen zu tun hatte. Es kam nämlich durchaus vor, dass eine Besatzung ihr beschädigtes Schiff verließ, in dem irrtümlichen Glauben, dass es bald sinken würde - und dieses Wrack dann Wochen, Monate oder gar Jahre herrenlos umhertrieb. Das berühmteste Schiff dieser Art ist die Mary Celeste, die 1872, von Mann und Maus verlassen, im Nordatlantik gesichtet wurde. Ähnlich erging es dem Frachter Marlborough, der 1890 zwischen Australien und England spurlos verschwand und angeblich 23 Jahre später vor der Küste vor Chile gesichtet wurde. Man kann sich vorstellen, wie es den abergläubischen Seeleuten, die zudem in unbekannten Gewässern unterwegs waren, wohl zumute war, wenn vor ihnen aus dem dichten Nebel plötzlich ein verlassenes Schiffswrack auftauchte.

Die Legende vom Fliegenden Holländer bot auch Stoff für so manchen Roman. Die bekannteste Version der Geschichte findet sich wohl in August Jals Scenes de la Vie Maritime (Szenen aus dem Leben der Seefahrer). Selbst Heinrich Heine ließ sich -möglicherweise von Fitzball - von diesem Thema anregen, denn auch in den Memoiren des Herrn von Schabelwopski ist von einem Geisterschiff die Rede. Heines Roman lieferte dann zweifellos Richard Wagner die Inspiration zu seiner spannenden Oper Der Fliegende Holländer. In dieser Fassung durfte Vanderdecken allerdings alle sieben Jahre an Land um eine Frau zu finden, deren Liebe ihn von seinem Fluch befreien würde.

Im Laufe der Jahrhunderte soll das Geisterschiff des Fliegenden Holländers immer wieder gesichtet worden sein. Die früheste Aufzeichnung stammt aus der Magnalia Christi Americana, einer Kirchengeschichte von Neuengland, die Cotton Mather im Jahre 1702 verfaßte. Viele andere Beobachtungen lassen sich jedoch, wenn überhaupt, nur schwer belegen und müssen daher als Halluzinationen, Luftspiegelungen oder Visionen abgehakt werden, die höchstwahrscheinlich auf den Einfluß übermäßigen Alkoholgenusses zurückzuführen sind. Ein Augenzeugenbericht jedoch verdient besondere Aufmerksamkeit. 1881 wollen Prinz Georg, der spätere König Georg V., und dessen älterer Bruder, Herzog Albert Victor von Clarence (der übrigens heute allgemein für den berüchtigten Jack the Ripper gehalten wird), das Schiff des Fliegenden Holländers gesichtet haben.

Begegnung mit dem fliegenden HolländerAngeblich soll dieser Vorfall im Logbuch der HMS Baccante verzeichnet sein - was aber mitnichten der Fall ist. Der Bericht stammt vielmehr aus dem Werk The Cruises of her Majesty's Ship Baccante (Die Fahrten der Baccante, Schiff Ihrer Majestät), das John H. Dalton anhand der privaten Tagebücher, Briefe und Notizen der Prinzen verfasste. Zum Zeitpunkt der Logbucheintragung befanden sich die beiden Augenzeugen an Bord der HMS Inconstant, da die Baccante Ruderschaden hatte. Es wurde folgendes vermerkt: "11. Juni 1881 - Um vier Uhr morgens kreuzte der 'Fliegende Holländer' vor unserem Bug. Das Geisterschiff glühte wie von innen heraus in einem gespenstischen Rot; inmitten dieses Lichtes waren die Masten, Sparren und Segel aus 180 Meter Entfernung deutlich zu erkennen, als sie sich uns backbord voraus näherten. Der wachhabende Offizier auf der Brücke sah sie ebenso wie der Leutnant vom Achterdeck, der sofort aufs Vorderdeck beordert wurde. Als er dort ankam, war jedoch keine Spur oder irgendein Zeichen von einem Schiff mehr zu entdecken - weder in der Nähe noch fern am Horizont, obwohl die Nacht klar und die See ruhig war. Insgesamt haben 13 Personen das Geisterschiff wahrgenommen - aber ob es van Demien vom 'Fliegenden Holländer' gewesen war, oder wer auch immer, werden wir wohl niemals erfahren können. Die Tourmaline und die Cleopatra, die uns steuerbord folgten, sendeten uns Signale und fragten an, ob auch wir das rotglühende Licht bemerkt hatten. Um 10.45 Uhr stürzte der Matrose, der das Geisterschiff als erster gesichtet hatte, vom Mast. Er konnte nur noch tot geborgen werden. Um 16.15 Uhr wurde er nach Seemannsart im Meer bestattet. Er war einer der vielversprechendsten Jungmatrosen der königlichen Marine und jeder bedauerte seinen Tod. Als wir am nächsten Hafen anlegten, kam auch der Admiral ums Leben."

Etwa 13 Menschen auf der Inconstant und eine unbekannte Zahl von Augenzeugen auf den beiden Schwesterschiffen hatten das Geisterschiff wahrgenommen, aber worum es sich dabei tatsächlich gehandelt hatte, ist bis heute unbekannt. Sicher ist jedenfalls, dass es danach Todesfälle gegeben hat - wie es die Legende vom Fliegenden Holländer voraussagt.

Erstaunlicherweise will auch Karl Dönitz, Kommandant der deutschen Reichsarmee [lies: Kriegsmarine, Anm. Dikigoros] und kurzzeitig Hitlers Nachfolger, dieses Geisterschiff gesichtet haben und zwar auf einer Erkundungsfahrt östlich von Suez. Er soll später berichtet haben, dass seine Männer es lieber mit der gesamten Flotte der Alliierten aufgenommen hätten, als diesem furchterregenden Geisterschiff nochmals zu begegnen.

Das Schiff des Fliegenden Holländers ist jedoch nicht das einzige Geisterschiff, das die Meere unsicher macht. 1949 soll an der Nordostküste der USA von "zuverlässigen Augenzeugen" mindestens 100 mal ein merkwürdiges Schiff gesichtet worden sein.

Amerikas wohl berühmtestes Geisterschiff ist die Palatine. Der Legende zufolge soll sie 1752 in einen Sturm geraten und vor Block Island auf ein Felsenriff gelaufen sein. Später wurde das Wrack von Fischern geplündert und in Brand gesetzt, wobei eine Frau elend den Flammen zum Opfer fiel. Seitdem ist die Palatine unzählige Male in den dortigen Gewässern gesichtet worden. Es läßt sich nicht abstreiten, dass vor der Küste immer wieder ein merkwürdiger roter Lichtschein wahrgenommen wurde. Nachforschungen haben aber ergeben, dass vor Block Island nie ein Schiff des Namens Palatine aufgelaufen war. 1738, also 14 Jahre zuvor, war allerdings die Princess Augusta mit 350 Deutschen aus der Ober- und Unterpfalz (englisch: Palatinate) an der Nordküste von Block Island gestrandet - unter ähnlichen Umständen wie in der Legende der Palatine, die wahrscheinlich hier ihren Ursprung hat. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen den beiden Schiffen - die Princess Augusta wurde nie in Brand gesetzt. Wenn also das Geisterschiff an der Küste vor Block Island das Phantom der Princess Augusta sein soll, warum steht sie dann in Flammen?

Ein weiteres recht bekanntes Geisterschiff ist die Gobiin, die von vielen Augenzeugen in Porthcurno Cove an der Südwestküste Englands in Cornwall gesichtet wurde. Verschiedene Küstenbewohner haben davon berichtet, wie sie das Schiff mit großer Geschwindigkeit auf das Land zurasen sahen. Ohne sein Tempo zu drosseln, sei es danach über das Land geglitten. Schließlich habe es sich völlig in Luft aufgelöst und keinerlei Spur hinterlassen.

Was mag hinter all diesen Geschichten von Geisterschiffen stecken, die bis in die jüngste Vergangenheit von zahlreichen Augenzeugen gesichtet wurden? Jedenfalls geben sie ebenso vielen Fragen, Spekulationen und Theorien Nahrung wie jede andere Gespenstererscheinung. Der Fliegende Holländer ist hier allerdings eine Ausnahme, denn er wurde so viele Male und in so verschiedenen Teilen der Welt gesichtet, dass man ihn nicht mehr als pures Seemannsgarn und Hirngespinst abtun kann. Wenn sein Geisterschiff nicht existiert, was sollen die Prinzen an Bord der Inconstant dann gesehen haben? Da eine Begegnung mit dem Fliegenden Holländer stets Tod und Unglück mit sich bringen soll, wäre es jedoch vielleicht ratsam, dem Rätsel nicht allzu tief auf den Grund zu gehen...


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