DEMONTAGE-FOLGEN:

Die Einkreisung ist komplett

(Der SPIEGEL, 29. August 1951)

Links u. Anmerkungen: Nikolas Dikigoros

Das erste Krisentief hat sich drückend auf Westdeutschlands Autoindustrie gelegt: Nachdem die Volkswagen-Leute eine Blech-Kalamität erst unlängst überbrückt haben, muß Adam Opel in Rüsselsheim zur 30-Stunden-Woche übergehen; am 17. August wurden in Bremens Goliath-Werken 300 Arbeiter entlassen.

Das Blech fehlt, weil die Alliierten in Westdeutschland genau 50 moderne Walzwerksanlagen demontiert haben. Die überlebenden Walzwerke in der Bundesrepublik haben heute ein Durchschnittsalter von 38 Jahren, was dem Baujahr 1913 entspricht. Die meisten gehören längst zum alten Eisen.

Bei dieser Sachlage waren die deutschen Fachleute heilfroh, als ihnen die Tschechoslowakei vor Monaten eine nagelneue Hochleistungs-Breitbandstraße zur Blecherzeugung anbot. Sie liegt abholbereit in Pittsburg (USA) und soll gegen Erstattung der Kosten in Höhe von 18 Mill. Dollar abgegeben werden. Aber sie kommt nicht, sehr zur Freude der westeuropäischen Stahl-Emporkömmlinge, die sich ihre Kreise nicht stören lassen wollen.

[Der Lügel vergißt, die Vorgeschichte zu erzählen: Die unfähigen Tschechen hatten die deutsch-österreichischen Betriebe, die sie 1919 geraubt entschädigungslos enteignet übernommen hatten, in weniger als zwei Jahrzehnten völlig herunter gewirtschaftet. Das Reich hatte daher - ähnlich wie Japan im Kaiserreich Mandschukuo - im Protektorat Böhmen und Mähren ungeheuer viel Geld zur Wiederherstellung einer leistungsfähigen Industrie investiert - mehr als zur gleichen Zeit im gesamten Altreich -; die Werke dort zählten zu den modernsten der Welt. Bevor die US-Truppen diese 1945 besetzten Gebiete räumten, demontierten sie - ähnlich wie die Briten in ihrer Besatzungszone - alle von den Deutschen gebauten Anlagen und verschifften sie in die USA, um sie nicht in die Hände der nachrückenden Sowjets fallen zu lassen. Sie waren bereit, einen Teil davon an die Tschecho-Slowakei zurück zu verkaufen; nach der kommunistischen Machtübernahme in Prag nahmen sie davon jedoch Abstand. Die Tschechen behaupteten nun, die USA würden diese demontierten Betriebe an die BRD ausliefern, wenn diese ihrerseits den geschätzten Restwert von 18 Mio US-$ an die ČSSR zahlte. Die Frage, wie irgend jemand so dumm sein konnte zu glauben, daß sie auf diese Summe einen juristischen oder auch nur moralischen Anspruch hätten, stellt der Lügel-Schreiber nicht. (Er ahnt allerdings weiter unten sehr richtig, daß die USA - auf die es ja letztlich ankam - bei diesem merkwürdigen Dreiecksgeschäft ohnehin nicht mitgemacht hätten :-) Anm. Dikigoros]

Seit etwa 1920 geht der Trend der Stahlverfeinerung immer weiter zu den Flachstahlprofilen. Sie werden mehr und mehr Schwerpunkt der Walzwerkserzeugung. Die Ursachen sind einfach: Auto- und Schiffbau, Leicht- und Wohnungsbau und die Zunahme der Stanzerei-Technik brachten den Sog zum Flachstahl.

Einher ging damit die Revolution der Blechherstellung. Mit dem Bau zehngerüstiger, vollkontinuierlicher Breitbandstraßen bis zu 1500 mm Bandbreite wurde eine bis dahin unerreichte Qualität und Quantität des Walzgutes bei gleichzeitiger radikaler Kostensenkung erzielt. Die Breitbandwalzung erspart bei der Feinblecherzeugung an

Auch hier halten die USA die Spitze: In den Staaten laufen gegenwärtig 36 Breitbandstraßen mit nahezu abenteuerlichen Kapazitäten, während bis zum Kriegsende in Europa zwei liefen: eine in England und eine in Nordrhein-Westfalens Dinslaken. [Quatsch. Bei Kriegsende gab es noch gar kein "Nordrhein-Westfalen"; das erfanden erst die britischen Besatzer, Anm. Dikigoros.] Die deutsche - mit einer Jahreskapazität von 1.000.000 t Stahl - bekam 1946 die Sowjetunion.

Mit einem warmen Dauerregen aus dem Füllhorn des Marshallplanes berieselt, laufen heute in Westeuropa 101 Walzwerks-Neubauten und 58 große Umbauten an Walzwerken. Darunter befinden sich elf Breitbandstraßen für Blech, die entweder schon in Betrieb oder in Bau sind: 6 in England, 2 in Frankreich, je eine in Belgien, Österreich (ehem. Reichswerke Hermann Göring in Linz) und Luxemburg. In Belgien kommt noch eine Sonderplanung für Breitband der Stahlkocherfamilie Cockerill hinzu.

Die Einkreisung Westdeutschlands mit hochmodernen Breitbandstraßen ist komplett, seit auch der Ostblock auf Breitband arbeitet. Die bevorstehende Revolution der Koksfeuerung hat der Osten sehr wohl begriffen. Das Eisenkombinat West in Calbe an der Saale (das Gegenstück zu Fürstenberg/Oder) hat bereits Öfen, in denen mit mageren Eierbriketts Roheisen erschmolzen werden kann.

So sieht demgegenüber der Berg von Alteisen aus, der als "Walzwerke" der Bundesrepublik verblieb:

Westdeutschland verblieb eine kümmerliche Feinblechkapazität von 100.000 t je Monat, eine Menge, die nicht einmal für den Inlandsbedarf ausreicht.

Daher kommt es, daß ein peripheres Stahlland wie Oesterreich sich jetzt in Westdeutschland als Blechverkäufer tummelt. In der Planung ihrer Breitbandstraße (bis 1500 mm) fürchten die Linzer, die mit ERP-Mitteln sich den Torso der Hermann-Göring-Werke zum Hüttenkombinat Linz ausbauen durften, nicht die innerdeutsche [oha, sicher eine Freud'sche Fehlleistung des Lügel-Schreibers, in dessen Hinterkopf die Ostmark noch als zum Reich gehörig herum spukt, Anm. Dikigoros], sondern die französische Konkurrenz, die sie an der beabsichtigten Überschwemmung des süddeutschen Marktes mit Blechen hindern könnte.

So schließt sich der Ring: durch das Exportdiktat der Ruhrbehörde wurde das reichste Kohlenland Europas zum Kohlenimporteur; durch die Steuerung der Marshall-Gelder wurde das reichste Stahlland Europas ein Absatzmarkt für Linz.

Nach den an der Ruhr vorliegenden Planzahlen wird die Steigerung der Rohstahlerzeugung im Jahre 1952 im Verhältnis zum jeweils besten Vorkriegsjahr betragen bei

Zu welchen Kapitalfehlleistungen es dabei kommt, beweist das Beispiel Italien: Seine long-term-Planziffern für 1952/53 sehen bei Roheisen 1.410.000 t, bei Rohstahl 3.000.000 t und bei Walzwerksprodukten 2.400.000 t vor. An dem starken Stahlüberhang erkennt der Fachmann sofort den hektischen Schrottbedarf der italienischen Hütten. Zu dieser Schrottjagd kommt die Kohlenjagd. 1950 verzeichnete Italien eine eigene Steinkohlenförderung von rund einer Million Tonnen. Ein Jahr zuvor hatte Westdeutschland aber 1.848.000 t Steinkohle nach Italien ausgeführt, beinahe das Doppelte der italienischen Förderung.

Ebenso abhängig ist Frankreich von der Ruhrkohle. Seine eigene Steinkohle gibt keinen guten Hüttenkoks. Deshalb fordern die Franzosen über die Ruhrbehörde den Löwenanteil am Ruhrkohlenexport. Um damit 15 neue Hüttenkokereien zu betreiben, für deren Bau Frankreich allein 53 Millionen Dollar Marshallplan-Gelder bekommen hat.

Die französische Eisen- und Stahlindustrie, die den Schumanplan entwickelt hat und die ihn nicht vorgeschlagen haben würde, wenn sie ihn für die Entwicklung ihrer eigenen Industrie nicht für vorteilhaft hielte, verfügt schon heute in ihrem vertikalen Aufbau über Erzgruben, eisenschaffende und eisenverarbeitende Industrie. Indem sie sich mit Hilfe der zwangsexportierten Ruhrkohle eigene Hüttenkokereien angliedert, dringt sie über den natürlichen Gasanfall auch in das Wunderland der Kohlechemie vor: Stickstofferzeugung und die Chemie der Kohlenwasserstoffe liegen nunmehr offen.

Nach der Speisekarte des Bundestagsrestaurants haben die Engländer den Krieg verloren. [Eine Anspielung darauf, daß die Lebensmittelkarten in der BRD 1951 bereits abgeschafft waren, während sie in Großbritannien noch immer Voraussetzung für den Bezug vieler Nahrungsmittel waren, Anm. Dikigoros] Nach der westeuropäischen Montanbilanz bleibt es aber doch bei den Deutschen. Dennoch könnte in etwa einem Jahr die Feinblechkatastrophe, auf die Westdeutschland unaufhaltsam zusteuert, abgewendet werden, wenn die in Pittsburg liegende Breitbandstraße ins Ruhrgebiet geschleust werden könnte.

Es handelt sich um die Stahlteile einer für Witkowitz (ČSR) bestimmten Breitbandstraße. Bevor sie ausgeliefert werden konnte, kam das Embargo für strategische Güter nach dem Ostblock. Da die Tschechoslowakei die Straße nie bekommen wird, ist das Land bereit, sie an Westdeutschland abzutreten. Sie kostet nur 18 Millionen Dollar. Die in Dinslaken demontierte 1300-mm-Straße hatte einen Zeitwert von einer Viertelmilliarde DM.

Es fehlen nur noch die elektrischen Teile, die aber zu beschaffen sind. Die Linzer sind so vornehm, daß sie sich die Elektroausrüstung ihrer Breitbandstraße bei Westinghouse in Amerika bauen lassen. [Das war Voraussetzung für eine Erlaubnis zur Wiederaufnahme der Produktion; aber auch das hat der Lügel-Schreiber wohl nicht begriffen, Anm. Dikigoros.]

Aber selbst wenn Bonn irgendwo achtzehn Millionen Dollar in bar auftreibt, um den Tschechen ihre [sic! Anm. Dikigoros] Kosten zu ersetzen, fehlt noch eins: die Genehmigung der Alliierten, daß sich Westdeutschland wieder eine Breitbandstraße bauen darf. Denn was man in Linz darf, ist an der Ruhr noch lange nicht erlaubt. [Das wäre ja auch noch schöner gewesen - schließlich war Linz die Lieblingsstadt des Führers, Anm. Dikigoros]


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