CITIZEN CANARIS

Der Widerstand im Film der 1950er

Zu Beginn der Bundesrepublik galten die Regimegegner des 20. Juli im eigenen Land weithin als Verräter.
Goebbels' Hasspropaganda hatte sie wenige Jahre zuvor zu „ehrlosen Lumpen“ gemacht. Das wirkte nach.

von Peter Reichel (sueddeutsche.de, 19.07.2004)

Noch 1951 missbilligten 30% aller Westdeutschen das Attentat. Nicht einmal 40% bewerteten den militärischen Umsturzversuch positiv.

Entsprechend vorsichtig und taktierend verhielt sich anfangs die politische Führung. Eine zu starke Hervorhebung der Männer des 20. Juli hätte als Missbilligung des Verhaltens der übergroßen Mehrheit der Deutschen erscheinen müssen. Der "Aufstand des Gewissens" war ein wichtiges, aber auch umstrittenes Gründungskapital für die Bundesrepublik, zumal unter den ehemaligen Wehrmachtsangehörigen.

Mehr als die Hälfte der Berufssoldaten verurteilte das Attentat. Dass sich Gegner und Befürworter des Widerstands, "Eidhalter" und "Eidbrecher", dauerhaft unversöhnlich gegenüber stehen würden, musste vermieden und doch eine Antwort auf die Frage nach dem soldatischen Leitbild gefunden werden.

An dieser Diskussion haben Filme nach Kräften mitgewirkt. Gleich zweimal wurde der 20. Juli verfilmt. Zuvor kam Canaris, der geheimnisumwitterte Abwehrchef ins Kino. Wie nur wenige andere beschäftigte der umstrittene und undurchsichtige Admiral die Phantasie seiner Zeitgenossen. Hatte er eine Doppelrolle gespielt, war er Hitlers Helfer und Opfer zugleich? Zahlreiche Veröffentlichungen und vielfältige Spekulationen waren über ihn im Umlauf.

Mal wurde der Abwehr-Chef als Drahtzieher nationalsozialistischer Gewaltverbrechen gesehen, mal als Landes- oder Hochverräter. Eine frühe Biographie stellte ihn als "mutigen Offizier, ehrlichen Patrioten, guten Europäer und Weltbürger" dar, als einen der führenden Männer des militärischen Widerstands - der er nicht war.

Auch der Filmproduzent wollte ihn vom Odium des Landesverräters befreien und als "typischen Deutschen" auf die Leinwand bringen, als einen, der aus christlich-konservativer Einstellung und charakterlichen Eigenschaften zwischen "Pflicht und Gehorsam schwankt", der eine "drohende Katastrophe voraussah, ohne sie mit legalen Mitteln verhindern zu können", sich aber auch nicht zur Tat, zum Tyrannenmord entschließen kann.

Vorsorglich gab der Verleih den Kinos und der Presse Informationen über Landes- und Hochverrat sowie über die Person Canaris an die Hand. Dessen Karriere vor 1933 blieb dabei allerdings ausgespart. Dass der Marine-Offizier des Ersten Weltkriegs enge Verbindung zu den Reichswehr-Mördern von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht hatte, dass er zum Stab des sozialdemokratischen Reichswehrministers Gustav Noskes gehörte hatte, am Kapp-Putsch beteiligt war und zum Umfeld der Organisation Consul zählte, aus der die Rathenau-Mörder kamen, davon erfuhr man nichts.

Der Film wurde ein großer Publikumserfolg und die Figur des zwielichtigen, zwischen Abwehr und Aufstand agierenden Admirals zu einer Glanzrolle für O. E. Hasse. Die Handlung beschränkt sich auf die Zeit zwischen den letzten Vorkriegsjahren und der Verhaftung von Canaris nach dem missglückten Attentat. Canaris steht zwischen zwei Polen: auf der einen Seite die militärische Opposition gegen Hitler und auf der anderen der SD-Chef Heydrich (Martin Held), sein eigentlicher Gegenspieler (und kongenialer Schauspielerkollege), der Canaris misstraut und zu Fall bringen will.

Es beginnt ein melodramatisches Spiel zwischen Verfolgung und Flucht, Erpressung und Täuschung, Liebe und Rettung. Währenddessen erfolgt der Einmarsch deutscher Truppen in Österreich, tritt der Generalstabschef des Heeres, Generaloberst Beck, zurück, fasst eine Gruppe von hohen Offizieren den Entschluss, Hitler zu stürzen. Sie zieht Canaris ins Vertrauen. Der Plan wird jedoch durch das Münchener Abkommen vereitelt.

Canaris versucht, die politische und militärische Führung vor dem aussichtslosen Abenteuer eines weltweiten Krieges zu warnen. Aber er findet angesichts der Blitzkriegserfolge kein Gehör bei Hitler. Nach einer erregten Auseinandersetzung in der Reichskanzlei gibt Canaris seine Zustimmung zum Attentat. Wenige Tage nach dem 20. Juli wird er verhaftet.

Zunächst war ein martialischer Schluss vorgesehen: Bilder vom letzten Gang des Admirals, der an einem grauen Aprilmorgen, von Folterungen gezeichnet, gefesselt im KZ Flossenbürg zum Galgen geführt wird - musikalisch untermalt durch Beethovens Eroica.

Mit Rücksicht auf das Publikum und die Zeitumstände wurde ein neuer, tröstlicher Schluss gefunden. Die Verhaftung des Admirals und eine Art Vermächtnis an die deutsche Nachkriegsgesellschaft stehen am Schluss. Canaris unterhält sich mit einem jungen Offizier, der sich aus Vaterlandsliebe und Begeisterung für die nationalsozialistische Idee gegen ihn gestellt hatte und angesichts des bevorstehenden Zusammenbruchs verzweifelt. Canaris spricht ihm Mut zu und gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass nach dem Krieg ein neues Deutschland entstehen werde.

Die Botschaft war unmissverständlich: der am Zwiespalt von Loyalität und Opposition gescheiterte Admiral erschien als Wegbereiter einer nach-nationalsozialistischen, christlich-konservativen Ordnung wie sie die Adenauer-Ära prägen sollte. Und die Botschaft kam offenbar an, beim Publikum und bei der Kritik.

Der Gesamteindruck des Films bestätigte eine damals verbreitete und nützliche, aber stark vereinfachte Sicht auf das "Dritte Reich". Danach wurde Deutschland "in den Abgrund gerissen", durch eine kriminelle Führung, gegen die einzelne "Militärs mutig und frühzeitig aufstanden" und "tragisch" scheiterten.

Duell der Verleihgiganten

Auch das Bild des weitsichtigen, vor dem militärischen Verhängnis warnenden und schließlich gescheiterten, oppositionellen Offiziers, zu dem der Film Canaris macht, entspricht nicht der historischen Wirklichkeit. Unbestritten sind dessen vielfältige Kontakte zum militärischen Widerstand.

Aber in die Vorbereitung des Stauffenberg-Attentats war er nicht einbezogen. Und noch bevor der engste Verschwörer-Kreis in der Nacht zum 21. Juli erschossen wurde, telegrafierte Canaris Glückwünsche an Hitler zu dessen Rettung. Es dauerte Jahre, bis aus dem heroisch verklärten Hitler-Gegner ein "Patriot im Zwielicht" wurde.

Jahrelang war die westdeutsche Filmindustrie davon ausgegangen, dass sie das Publikum nicht mit Themen der jüngsten deutschen Zeitgeschichte ins Kino locken könne. Das galt nun nicht mehr. Die großen Theater- und Filmerfolge, "Des Teufels General" und "Canaris" füllten die Kassen. Nun waren politisch wertvolle und einträgliche Filmstoffe aus der Zeit des "Dritten Reiches" und des Weltkriegs gefragt.

So kam es zu einem ungewöhnlichen, aber vor diesem Hintergrund doch nicht ganz unverständlichen Produktionswettlauf um den "20. Juli". Zwei Großverleiher, die Berliner CCC-Film Arthur Brauner und die Münchener Ariston-Film standen sich dabei gegenüber.

Der Zeitpunkt hätte auch innenpolitisch kaum günstiger gewählt sein können. Im Sommer 1954 hatten die Gedenkfeierlichkeiten zum 10. Jahrestag des Stauffenberg-Attentats stattgefunden. Ein Jahr später setzte der Bundestag den Personalgutachterausschuss ein, der für einen reformorientierten inneren Aufbau der Bundeswehr sorgen sollte, insbesondere durch die Auswahl des höheren Offizierskorps. Unter den Auswahlkriterien hatte die Einstellung des Bewerbers zum Widerstand besonderes Gewicht.

Der weiter ausholende Film "Der 20. Juli" von Falk Harnack beginnt am historischen Ort mit einer frei erfundenen Erinnerungsgeste vor dem Denkmal im Innenhof des Bendlerblocks. Stauffenbergs frühere Sekretärin (Annemarie Düringer), und dessen vormaliger Ordonnanzoffizier (Robert Freytag) fragen sich, ob die Männer des 20. Juli gut zehn Jahre später schon vergessen sind. Sie fragen sich, wie es damals war.

Oberst Graf Stauffenberg (Wolfgang Preiss) befindet sich schwer verwundet in einem Lazarett in Nordafrika. Vor einer neuen Operation kehrt er nach Berlin zurück. Dort trifft er auf die alten Freunde und Hitler-Gegner, die sich um den ehemaligen Generalstabschef des Heeres, Generaloberst Ludwig Beck (Werner Hinz) versammelt haben, Offiziere, der frühere Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler (Paul Bildt), ein Mitglied des Kreisauer Kreises (Maximilian Schell), Intellektuelle, Arbeiterführer. Sie haben längst erkannt, daß der Krieg verloren ist.

Sie sind sich einig in dem Ziel der Beseitigung Hitlers, aber uneins über den Weg dahin, von der politischen Ordnung danach gar nicht zu reden. Ein mißglückter Attentatsversuch durch von Tresckow und die Festnahme einiger der Verschwörer zwingen Stauffenberg zu handeln, endlich die "befreiende Tat" zu wagen.

Im Gegensatz zum kürzeren, reportageartigen Film von Pabst stellt Harnack das Stauffenberg-Attentat in einen größeren Zusammenhang. Der Widerstand bekommt auch als soziale Bewegung Profil: Frontoffiziere in verlorener Kesselschlacht an der Ostfront, die verschworene Offiziers-Gemeinschaft in der Bendlerstraße, Arbeiter an der Heimatfront, Künstler, Pfarrer und Ärzte, Sozialdemokraten, Kommunisten und Monarchisten.

Gerühmt wurden die schauspielerischen Leistungen. Wolfgang Preiss prägte das populäre Stauffenberg-Bild der Zeit. Einer aber überragte alle: Ernst Schröder. Als SS-Obergruppenführer verkörperte er - zeittypisch vereinfacht - den intellektuell-zynischen Gegenspieler zur heroischen Lichtgestalt Stauffenbergs. Mit sparsamsten Mitteln gelang es ihm, "die kalte Härte des Regimes" anschaulich zu machen.

In den DDR-Kommentaren zum westdeutschen Film-Duell war die Pabst-Version des 20. Juli bloß ein "primitiver Kriminalfilm." Dem abtrünnigen Defa-Regisseur Harnack bescheinigte man, immerhin die richtigen Zusammenhänge gesehen, zugleich aber verkannt zu haben, dass die Offiziere nur mit den "Volksmassen im Heere und im Zivilleben" erfolgreich hätten sein können.

Auf Polemik gegen die "Stauffenberg-Legende" mochte die DDR-Kritik nicht verzichten. "Unbeholfene Staatsstreichler" seien in "heldische Pechvögel" verwandelt worden, weil der Westen die Gloriole um die "attentätlich gewordenen Biedermänner" für den Wiederaufbau der bürgerlichen Gesellschaft benötige.

Die polemisch überzogene Kritik verweist auf eine im geteilten Deutschland unvermeidliche, eigentümliche Dialektik in der Entwicklung des öffentlichen Bildes vom Widerstand. Autoren und Regisseure wie Harnack und Weisenborn, die aus dem Umkreis der Widerstandsbewegung kamen, schrieben und inszenierten gegen ein in Ost und West verbreitetes Ressentiment.

Und sie wollten den Widerstandskämpfern ein künstlerisches Denkmal setzen. Gerade dadurch trugen sie zur Idealisierung des 20. Juli bei - und auch zur Halbierung des Widerstandes. Diese Spaltung in ein fragwürdiges kommunistisches und ein vorbildliches militärisch-konservatives Widerstandsgedenken wirkt fort bis in die Gegenwart.

(SZ vom 16.7.2004)

Mehr zum Thema bietet das neue Buch des Verfassers: Erfundene Erinnerung. Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater, Hanser Verlag, München 2004.


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