Würzburg verzichtet auf Gedenken an Carl Diem

Sportfunktionär hatte Jugendliche zum Opfertod
für Führer und Vaterland aufgerufen

Der Standard, 03.10.2003

Würzburg verzichtet künftig auf das Gedenken an den wegen seiner Nazi-Vergangenheit umstrittenen Sportfunktionär und Erfinder des Sportabzeichens, Carl Diem (1882-1962). Der Stadtrat stimmte am Donnerstagabend mehrheitlich für die Umbenennung einer auf den gebürtigen Würzburger getauften Veranstaltungshalle. Auch eine Ehrenmedaille für verdiente Sportfunktionäre soll nicht länger Diems Namen tragen.

Zuvor hatte Oberbürgermeisterin Pia Beckmann (CSU) Diem einen Vorbildcharakter abgesprochen und für die Umbenennungen plädiert. Kritiker werfen dem Organisator der Olympischen Spiele 1936 und Erfinder der Bundesjugendspiele eine deutliche Verstrickung in das NS-Regime vor. "Diem war so besessen vom Sport, dass er auch bereit war, sich mit einem verbrecherischen Regime zu verbünden", sagte Beckmann. Er habe sich nicht nur von den Nationalsozialisten und ihrer Ideologie vereinnahmen lassen, sondern auch das NS-System in seiner Propagandawirkung unterstützt.

Opfertod

Diem wurde 1939 "Führer des Gaus Ausland im NS-Reichsbund für Leibesübungen". Nach dem Krieg baute er die Deutsche Sporthochschule in Köln auf. Das Landgericht Darmstadt bestätige im Jänner 2002 in einem Urteil, dass Diem in einer Rede am 18. März 1945 Jugendliche sinngemäß zum Opfertod für Führer und Vaterland aufgerufen hat. Einige Städte wie Mannheim, Hanau oder Offenbach rückten bereits vom Namenspatron Diem ab, andere - wie Köln - nicht. Der Deutsche Leichtathletik-Verband wertete Diems Grundeinstellung als inhuman, rassistisch und undemokratisch geprägt.

Kontroverse Diskussionen

Die Debatte um eine Umbenennung war in Würzburg seit Monaten emotional geführt worden. Zwei Mal schon - 1989 und 1996 - waren die Würzburger Grünen bereits mit einem entsprechenden Versuch gescheitert. Auch im dritten Anlauf gab es eine kontroverse Diskussion im Stadtrat. Letztlich stimmten 24 Mitglieder für und 19 gegen eine Umbenennung der Carl-Diem-Halle. Die Entscheidung über einen neuen Namen für die Sportlerplakette fiel mit 28 zu 14 Stimmen deutlicher aus. Die SPD-Fraktion kritisierte vor allem Diems Einstellung, wonach der Sport Mittel zur Wehrerziehung und zum Krieg gewesen sei. In der CSU gingen die Meinungen auseinander. Die Grünen sprachen sich geschlossen für Neubenennungen aus.

Diem-Befürworter argumentierten, dass dessen überragende Verdienste um den Sport herauszuheben seien und bei einer Beurteilung auch die Lebensumstände berücksichtigt werden müssten. Bei der Benennung der Halle sei weniger Diems Vorbildfunktion ausschlaggebend als die historische Erinnerungsfunktion. (APA/dpa)