Weidner - Oranje

So geschah es auch nach meiner Fahrt durch das "Tal des Todes" — hatte mich das Leben wieder — ! Todestäler gibt es auf der Welt übrigens eine ganze Menge, in Amerika natürlich gleich ein halbes Dutzend, wie sich das fürs Land der unbegrenzten Möglichkeiten geziemt, in Asien, in Australien kenne ich eins, und nun also auch in Afrika.

Ich hatte gemächlich mein Frühstück verzehrt und ließ danach das Auto zum Oranjefluß hinabrolen, wo mir die Karte bei Goodhouse eine Fähre verhieß. Goodhouse bestand, wie sich bald enthüllte, aus drei oder vier Häusern, die, wie sich ebenfalls nach kurzer Zeit ohne Zweifel ergab, vom alten Weidner mit Strenge und Gerechtigkeit regiert werden.

Ohne Übergang grenzten an die Sand- und Steinwüste, aus der ich kam, die blühenden, grünenden Apfelsinenhaine und Obstgärten des alten Recken von der Oranjefurt bei Goodhouse. Ich steuerte also in die große Toreinfahrt hinein, vor der ein im ernsten Tone abgefaßtes Schild mich darauf aufmerksam machte, daß das Übersetzen von Auto und Passagieren ausschließlich auf Gefahr der Übersetzenden geschähe und daß besagter Weidner für nichts einstehen könne. Eine Warnung, die sich später als sehr berechtigt herausstellte.

Beim Weidner gab's auch Benzin zu kaufen, was mir sehrpaßte, denn meine Vorräte (auf sechshundert Kilometer Fahrt berechnet) gingen auf die Neige. Ein tiefgebräunter Mann bediente mich; er hatte mich ohne weiteres deutsch angesprochen, weil selbst in dieser gottverlassenen Einöde natürlich bekannt ist, daß IA das Kennzeichen Berliner Autos darstellt. Bald erfuhr ich auch, daß der Mann am Benzinfaß der "Schwiegersohn" wäre; offenbar sollte sich ebenso wie die bedeutung der IA-Nummer nach Goodhouse so auch bis nach Berlin die Tatsache herumgesprochen haben, daß am Oranje zueinem "Schwiegersohn" nur der alte Weidner als Schwiegervater gehören könnte. Eingeborenen, die dazukamen, erzählten vom "Baas", ein Kind vom "Großvater". Ich wurde begierig, diesen König von Goodhouse kennenzulernen. Der Schwiegersohn kehrte nach einiger Zeit mit der wichtigen Mitteilung zurück, das Mister Weidner den Wunsch geäußert habe, mich zu sehen. Ich schritt durch ein blühenden Laubengang zu einem weißen Haus und wurde schließlich in ein kühles, dämmeriges Kontor geführt, in dem mich ein älterer Mann von respektablem Leibesumfang höchst würdevoll empfing. Ich durfte mich setzen und wurde sodann gründlichst nach Name und Art, Woher und Wohin befragt. Nachdem ich das alles offenbar zur Zufriedenheit beantwortet hatte, erhielt ich die Zusage, daß man mich nebst Auto über den Oranje schaffen würde. Briefe wurden mir übergeben, die ich dem Postmeister in Kalkfontein abliefern sollte; als Entgelt für diese verantwortungsschwere Aufgabe im Dienste von His Majesty's Mail erhielt ich einen Korb Apselsinen frisch vom Baume zugesprochen, und dann war ich ohne weitere Umschweife aus der Gegenwart des Großen Mannes von Goodhouse entlassen.

Die Fähre bestand aus einem wackligen Floß, das an einem Draht über den schnellen, lehmbraunen Strom gezogen wurde; die beiden Anfahrten an den senkrechten Steilufern waren in so jäher Neigung in die Hänge geschnitten, daß bei der Abfahrt sowohl wie bei der Auffahrt dem Auto wie mir Hören und Sehen verging. Aber wir schafften es mit vereinten Kräften. Jedoch muß ich bei allem schuldigen Respekt vorm alten Weidner bekennen, daß mir zehn Schillinge für diesen grauslichen Spaß des Übersetzens allzu reichlich bemessen scheinen. Doch die Fähre, mit der man hier nach Südwest gelangt, ist des Alten Privateigentum, und zur nächsten Brücke ist es ein Umweg von tausend Kilometer. Also sei ihm verziehen!

Später erst erfuhr ich, daß Weidner keineswegs jeden hergelaufenen Reisenden übesetzt. Wenn ihm der Unglücksmensch nicht paßt oder sonst seinen Unwillen erregt, läßt er ihn warten, bis er vielleicht bei der nächsten Fuhre aus Gnade und Barherzigkeit mit hinüberschlüpfen darf. Ehe es soweit ist, vergehen vielleicht drei Tage oder auch mehr. — Doch die Apfelsinen, die ich mitbekam, reichten bis Windhuk und versüßten mr die Fahrt. Die königliche Post habe ich übrigens gewissenhaft nach Kalkfontein befördert. Was würde sonst mein guter und verehrter Vater, der Postbeamter gewesen ist, von mir gedacht haben!

Der alte Weidner wohnte noch auf dem Gebiete der Südafrikanischen Union südlich des Oranje. Ich aber fuhr nun nach Deutschsüdwest hinein. So seltsam es auch klingen mag: ich hatte das Gefühl, aus der Fremde nach Hause zu kommen, obgleich die braunen, leeren Berge und der jetzt vernüftigerweise nicht mehr sandige, sondern steinige Pfad nördlich des Oranje zunächst ebenso aussahen wie auf seinem südlichen Ufer. Aber hier schien mir schon alles deutsch. Hier hatte es einen Posten der deutschen Schutztruppe gegeben. Meine genaue Karte von Südwest zeigte mir Farmnamen wie Scharzeck, Eselsruh, Schönau, Hochland, Wellenberg, Luginsland und Haldenwang. Wenn solche Namen nicht die gut deutsche Romantik ihrer ersten Besitzer verraten, was denn sonst?

Und war nicht einst Lüderitz, der kühne, ideenreiche Kaufmann, auf seiner Ochsenwagenreise von Lüderitzbucht über Bethanien nach Süden schließlich bei Habasdrift (zweihundertfünfzig Kilometer stromab von Goodhouse) auf den großen, schnellenreichen Oranje gestoßen, immer auf der Suche nach Bodenschätze und Siedelland? Diesen selben Oranje, über den mich Weidners große Fähre transportiert hatte?

Quelle: Gross ist Afrika, A.E. Johann, Deutscher Verlag 1939, von rado jadu 2000