60 Jahre Unabhängigkeit: Togo und Benin

von Volker Seitz* (Die Achse des Guten, 16.12.2020)

Kürzungen und Links: Nikolas Dikigoros

1960 gilt als das „Jahr Afrikas“. Nicht weniger als 17 ehemalige europäische Kolonien erlangten damals ihre Unabhängigkeit. Sie nahmen recht unterschiedliche Entwicklungen, leider nur allzu häufig keine gute. Heute: Togo und Benin.

Togo

Bevölkerung 8,1 Millionen; BIP 671 $; Demographisches Wachstum 2,5%; Alphabetisierung 63,7%; UNDP Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index [HDI]): 165. Rang von 189. Letzter Wechsel des Präsidenten: 2005

Togo ist Westafrikas letzte Familiendiktatur. 1967 war Gnassingbé Eyadéma nach einem Staatsstreich an die Macht gekommen. Auf den Militärdiktator folgte nach seinem Tod 2005 sein Sohn Faure Gnassingbé. [...] Dieser wurde zweimal unter höchst umstrittenen Umständen zum Präsidenten gewählt. 2015 scheiterte der Versuch der Opposition, die Verfassung zu ändern und die Amtszeit des Präsidenten zu begrenzen. Im Juni 2019 fanden auf Druck der EU zum ersten Mal seit 32 Jahren Kommunalwahlen statt.

Pressefreiheit: Bei einer Veranstaltung in Agoè, dem nördlichen Vorort der Hauptstadt Lomé, wurde ein Foto des Präsidenten Faure Essozimna Gnassingbé aufgenommen. Auf dem Foto sieht der Präsident müde aus. Seine Entourage vermutet bei der Veröffentlichung des Fotos durch die in Paris erscheinende Zeitschrift "Jeune Afrique" Absicht und lässt sämtliche Exemplare bei der Einfuhr am Flughafen Lomé-Tokoin konfiszieren.

Wie Aristophanes' Lysistrata mobilisierten Togos Frauen Geschlechtsgenossinnen 2012 zu einem Sex-Streik. Durch Abstinenz wollten sie den Rücktritt des Präsidenten, dessen Familie seit 1967 das Land regiert, erzwingen. Vergeblich.

Besonders in den nördlichen Landesteilen und den ländlichen Gebieten herrscht Armut. Es fehlt der Zugang zu sauberem Trinkwasser und angemessener Sanitärversorgung. Etwa 40% der Erwachsenen sind Analphabeten.

Ehemalige deutsche Kolonie

Von 1884 bis 1916 war Togo die kleinste deutsche Kolonie ("Schutzgebiet") in Afrika, danach übernahm Frankreich bis 1960 die Verwaltung des Landes. An die deutsche Kolonialzeit erinnern zahlreiche Gebäude in der Hauptstadt Lomé. Die in dieser Zeit verlegten 327 km Bahnschienen wurden 1999 stillgelegt.

Die deutsche Entwicklungshilfe war wegen massiver Menschenrechtverletzungen fast 20 Jahre bis 2012 ausgesetzt.

Korruption ist weit verbreitet und vor allem in der Justiz ein Problem. Ein Drittel der 15- bis 25-Jährigen ist arbeitslos. Schulabgänger finden kaum Arbeitsplätze. Die wenigen Berufsschulen sind schlecht ausgestattet und Lehrkräfte oft nur unzureichend qualifiziert. Von Phosphatvorkommen abgesehen, ist Togo ein rohstoffarmes Agrarland. Besonders in den nördlichen Landesteilen und den ländlichen Gebieten herrscht Armut. Es fehlt der Zugang zu sauberem Trinkwasser und angemessener Sanitärversorgung. Über 60% der Togoer arbeiten meist für den Eigenbedarf in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Kaffee, Kakao und Baumwolle werden exportiert. Togo ist aufgrund des einzigen Tiefseehafens in der Region ein wichtiger Umschlagplatz.

Die Demokratisierung des Landes schreitet zwar voran, gleichwohl wählt die Regierung ihre Reformvorhaben sorgfältig aus und beschränkt sich zumeist auf Veränderungen, die auf internationaler Ebene gut vermarktet werden können, ohne dabei die eigene politische Machtstellung zu gefährden. Seit 2014 macht der Kampf gegen Korruption in Togo Fortschritte. Die Behörden mit dem größten Unterschleif, Zoll und Steuern, wurden zusammengelegt und ein Ausländer als Direktor berufen. Der Ruander mit kanadischem Pass, Henry Gapéri, gilt als unbestechlich. Die Einnahmen des Staates haben sich seither stetig erhöht.

Im Demokratie-Index 2019 von The Economist belegt Togo Platz 126 von 167. CPI Platz 130 von 180.

Benin (früher: Dahomey)

Bevölkerung 11,8 Millionen; BIP 1216 $; Demographisches Wachstum 2,7%; Alphabetisierung 32,9 %; UNDP Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index, abgekürzt HDI): 163. Rang von 189. Letzter Wechsel des Präsidenten: 2016 

Cotonou ist das ökonomische Zentrum und der Regierungssitz des Landes. (Hauptstadt und Sitz des Parlaments (Nationalversammlung) ist Porto Novo, ca. 270.000 Einwohner und zweitgrößte Stadt.) Cotonou hat ca. 700.000 Einwohner (1952: 20.000 Einwohner). Der Name Cotonou kommt aus der Fon-Sprache (ku to nu - die Lagune des Todes) und erinnert daran, dass die Stadt ursprünglich auf einem gesundheitsschädlichen Sumpf errichtet wurde.

Benin darf als Demokratie gelten. Im April 2016 wurde der Geschäftsmann Patrice Talon zum Staatschef gewählt. Friedliche Wahlen. Im Februar 2017 löste Patrice Talon ein Wahlversprechen ein. Staatsbürger von 31 afrikanischen Staaten benötigen für einen Aufenthalt unter 90 Tagen keine Visa mehr. Die Mitglieder der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (CEDEAO) waren schon vorher von der Visumspflicht befreit.

Präsident Patrice Talon führt die ehemalige französische Kolonie Dahomey wie ein Unternehmer. Anders als andere afrikanische Politiker hält er nur wenige Reden, und wenn, bevorzugt er ein Vokabular aus der Wirtschaft. Er ist ungeduldig und konferiert mit seinen Mitarbeitern oder Ministern nicht selten bereits um 6.00 Uhr morgens. Eine strategisch wichtige Rolle spielt der Plan-Minister Bio Tchané. Er war Afrika-Direktor des IWF (2002-2008) und anschließend Präsident der Afrikanischen Entwicklungsbank in Abidjan. Talon hat seine Mitarbeiter nach Estland geschickt, damit sie sich in E-Government (elektronische Abwicklung von Prozessen der öffentlichen Verwaltung) fortbilden. Estland ist weltweit führend beim E-Government. In den letzten Jahren wurden in dem nordeuropäischen Staat die Qualität und Effizienz des öffentlichen Verwaltungshandelns stark verbessert.

Große Infrastrukturprojekte

Die Ausgaben für Bildung wurden im Staatshaushalt von 19,76% (2017) auf 26,33% (2018), über 30% (2020) erhöht.

Um die Infrastruktur Benins zu verbessern, hat die Regierung große Projekte angeschoben, die zum großen Teil privat finanziert werden. (Der beninische Staat zahlt laut IWF seine öffentlichen Schulden pünktlich.) Wichtigste Vorhaben sind: Ein neuer Flughafen in Abomey-Calavi (Glo-Djigbé), 20 km im Norden der Wirtschaftshauptstadt Cotonou. Ende 2020 soll der größtenteils von der Aviation Industry Corporation of China finanzierte und gebaute Flugplatz fertig gestellt sein.

Der Hafen (Port autonome de Cotonou) wird modernisiert und erweitert. Der Hafen soll attraktiver für "Kunden", Länder ohne Meerzugang (Niger, Burkina Faso, Mali und Tschad), werden. Talon hat im Dezember 2017 entschieden, dass das Management des Hafens an die belgische Firma Port of Antwerp vergeben wird.

Als Vorbild kann der kleine Staat auch in anderer Hinsicht dienen: Als erstes Land Afrikas stellte man dort 2003 die Beschneidung von Frauen unter Strafe. Heute wird das archaische Ritual selbst in den entlegenen Dörfern nicht mehr praktiziert. Dank massiver Aufklärung lag die Rate der Aids-Erkrankungen unter den Erwachsenen laut index mundi im Jahr 2009 bei 1,2%. Aber auch Benin hat erst nach jahrelangen Diskussionen im Oktober 2011 endlich eine Landwirtschaftsstrategie verabschiedet. Sie hat zum Ziel, den Agrarsektor zum wirtschaftlichen Motor des Landes auszubauen. Derzeit exportiert Benin vorwiegend Baumwolle. Ferner werden der Anbau von Ananas, Reis und Cashew besonders gefördert.

Die Initiative "Cotton Made in Africa", die von dem Hamburger Unternehmer Michael Otto, von dem Textilunternehmer Gerhard Rösch, C&A, Tchibo, Puma und 18 weiteren Unternehmern unterstützt wird, ist ein vortreffliches Beispiel für fairen Handel. Die Initiative fasst z.B. in Benin Baumwollfarmer zusammen, die unter nachhaltigen Bedingungen Baumwolle produzieren und im Gegenzug von fairen Preisen profitieren.

Die Baumwollernte hat sich seit 2015 fast verdoppelt. Das wichtigste Ziel ist, afrikanische Baumwolle für den Markt in Europa und den USA zu erschließen. Oft an den untätigen Regierungen vorbei haben bereits rund 450.000 Kleinbauern von den Programmen direkt und ohne Umwege profitiert. Erhöhte Ernteerträge, bessere Umwelt- und Sozialstandards haben der Landbevölkerung und den afrikanischen Händlern bessere Preise und damit ein höheres Einkommen gebracht. Gerhard Rösch GmbH lässt inzwischen in Afrika (Lesotho, Mauritius und Äthiopien) weiterverarbeiten. Die bisherige Entwicklungshilfe hat zu Abhängigkeiten geführt. Diese Entwicklung durchbricht Cotton made in Africa. Tchibo als der größte Abnehmer der Initiative Cotton made in Africa hat in den Anbaugebieten in Benin und Sambia je fünf Schulen gebaut. Die Schulen wurden mit 10.000 Schulbüchern ausgestattet. 20.000 vor Ort produzierte Schuluniformen gehören ebenso zum Projekt wie Solaranlagen zur Stromerzeugung und Schulgärten, die Lebensmittel für die Schulkantinen liefern. Über 750 Kinder profitieren von dem Projekt des Hamburger Kaffeehändlers.

Auf dem aufsteigenden Ast

Auch wenn die Jugendarbeitslosigkeit ein großes Problem bleibt (es gibt über 200.000 Motorradtaxis/Zémidjans in der Hauptstadt Cotonou, gefahren von jugendlichen Schulabgängern, die keinen Job gefunden haben) hat Benin einen deutlich positiven Entwicklungstrend. Dieser Trend ist in allen Schichten der Bevölkerung zu spüren. Natürlich ist er in den ärmeren Schichten geringer als bei den reichen. Die Tatsache, dass viele Beniner ihre Kinder in private Schulen schicken, ist nur durch die Erreichung eines kleinen Wohlstandes möglich. Private Schulen schießen selbst in den hintersten Regionen des Landes wie Pilze aus dem Boden. Wenn Beniner das Land verlassen, dann nur, um anderswo zu studieren und wieder zurückzukehren. Früher waren viele Beniner nach Nigeria und andere besser gestellte afrikanische Länder zum Erwerb abgewandert, haben aber ihre Familien in Benin zurückgelassen. Viele von diesen Leuten kehren heute nach Benin zurück.

Die Weltbank beziffert den informellen Handel zwischen Benin und seinem Nachbarn Nigeria auf 20% des BIP. Die Zahl ist konservativ geschätzt, sie könnte auch 50% des BIP von Benin ausmachen. Laut Weltbank arbeiten mehr als 90% der aktiven Bevölkerung Benins im informellen Sektor.

Anfang 2020 wurde Benin von der Liste der 25 ärmsten Länder der Welt gestrichen, um in die Gruppe der Länder mit mittlerem Einkommen zu wechseln. Nach Schätzungen des IWF für den Zeitraum 2019-2024 gehört es zu den dynamischsten Volkswirtschaften in Subsahara-Afrika.

Im Demokratie-Index 2019 von The Economist belegt Benin Platz 97 von 167. CPI Platz 80 von 180.


*Volker Seitz war 1965-2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers "Afrika wird armregiert".


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