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tagesspiegel, 29.04.02
   

Love Parade für Krawalltouristen
Die Polizei soll am 1. Mai defensiv agieren – ein hohes Risiko für Rot-Rot

Von Gerd Nowakowski

„Keine Bullen, keine Randale“, so einfach soll die Zauberformel für einen friedlichen 1. Mai in Berlin sein. Ein riesengroßes Straßenfest im bunten Kreuzberg. Wenn die Polizei zu unabdingbaren Einsätzen wie einem Ehestreit fahren muss, dann in zivilen Fahrzeugen ohne Blaulicht, dafür mit einem großen roten Luftballon auf dem Dach. Freie Republik Kreuzberg – nur einen Steinwurf entfernt? Endlich mal was Neues, nach 15 Jahren der Straßenschlachten, der brennenden Autos und fliegenden Steine?

So sollte es sein, so wird es nicht kommen. Die Initiative des Professors Peter Grottian „Denk Mai Neu“ ist schon im Vorfeld gescheitert, vor allem am radikalen Unwillen der autonomen Szene. Diskursfähigkeit Null: Grottian wurde auf Veranstaltungen als Verräter ausgebuht, sein Wagen angesteckt. Doch auch die Polizei bleibt skeptisch. Aus Erfahrung. Hunderte Polizisten sind in den vergangenen Jahren am 1. Mai verletzt worden. Selbst der notorische Optimist Grottian könnte keine Garantie übernehmen, dass die „revolutionäre“ 1. Mai-Demonstration friedlich verläuft, wenn keine Polizei den Zug begleitet. Zumal es mit der angemeldeten NPD-Demo und der israelischen Besatzungspolitik gleich zwei Reizthemen gibt.

Eine harte Bewährungsprobe für Innensenator Ehrhart Körting und die rot-rote Koalition: das Demonstrationsrecht gewährleisten, die Sicherheit der Berliner sowie die Unversehrtheit der Beamten garantieren. Der bedächtige Sozialdemokrat wandelt auf einem schmalen Grat. In den Köpfen ist noch das Trauma vom 1. Mai 1989. In der Zeit der ersten rot-grünen Koalition in Berlin wurde das Deeskalationskonzept des damaligen SPD-Innensenators Erich Pätzold durch unwillige Polizeiführer unterlaufen; es kam zu einer der heftigsten Straßenschlachten.

Dennoch will Körting einen neuen Weg wagen. Seine CDU-Vorgänger verordneten der Polizei in den vergangenen Jahren eine übertriebene Härte. Sie zogen sich damit von unabhängigen Beobachtern den Vorwurf zu, die Auseinandersetzungen noch anzuheizen. Provozierende Aufmärsche gerüsteter Einheiten und Mannschaftswagen an jeder Ecke soll es diesmal nicht geben. Die Polizei werde auf „demonstrative Präsenz“ verzichten und zurückhaltend agieren, sagt Körting.

Das könnte schief gehen. Körting weiß zu gut, welche Gegner Grottians Initiative für einen gewaltfreien 1. Mai hat. Nicht nur die selbst ernannten Revolutionäre, die sich nun erst recht herausgefordert fühlen, es der Staatsmacht zu zeigen. Hinzu kommen jene Teilnehmer, die den 1. Mai in Kreuzberg für eine Art Love-Parade der Steinewerfer halten. Die Gewalttäter sind nach Erkenntnissen der Polizei überwiegend unpolitische deutsche und ausländische Jugendliche und angereiste Krawalltouristen – unerreichbar für jede politische Debatte. Die wollen nur eines: auf dem Abenteuerspielplatz SO36 Spaß haben an Randale und Ausnahmezustand, an brennenden Autos und splitternden Scheiben.

Werden die Kreuzberger auch dieses Jahr mit einem zerstörten Kiez zurückbleiben? Die Hoffnung ist, dass es endlich einmal anders kommt. Grottians Scheitern könnte dennoch der Funke für ein Umdenken gewesen sein. Denn erstmals seit 15 Jahren ist das inhaltsleere Ritual und der hohle Pathos des revolutionären 1. Mai öffentlich in Frage gestellt worden. Die Verweigerung der radikalen Linke zur Debatte hat all jene zum Widerspruch ermutigt, die ausbrechen wollen aus der Gewaltverherrlichung und der autonomen Stalingrad-Romantik.

Dass die Menschen im multikulturellen und alternativen Kreuzberg nicht erneut zuschauen, wie ihre Heimat kaputt gemacht wird, sondern eingreifen und Gewalttaten verhindern, darauf hofft sowohl Grottian als auch der Innensenator. Eine vage Hoffnung. Körting trägt die politische Verantwortung. Ob sein Konzept aufgeht, oder ob Kreuzberg erneut brennt, hat Körting nicht allein in der Hand. Bilanziert wird am 2. Mai.













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