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taz, 22.03.02, Artikel
   

konzept für den 1. mai
Gescheiterte Revolution


Nicht mehr als die Revolution des revolutionären 1. Mai hat Peter Grottian versucht. Seine Idee für ein politisches und polizeifreies Straßenfest schien utopisch - ihr Scheitern logisch. Zu weit auseinander lagen die Konfliktparteien. Dennoch hat Grottian viel bewirkt. Letztes Jahr wurde die Revolutionäre-Mai-Demo noch verboten. Nun sind beide Seiten mit Riesenschritten aufeinander zugegangen. Doch dann sind sie leider doch auf ihrer jeweiligen Seite des Grabens stehen geblieben.

Kommentar von FELIX LEE Den letzten Todestoß hat der Innensenator der Initiative versetzt, als er nach langem Zögern mitteilte: Ein polizeifreies Kreuzberg werde es nicht geben. Damit hat er für sich selber die Chance eines krawallarmen Ablaufs vertan. Grottian, die Antifaschistische Aktion und der Rest des Bündnisses haben es vergessen, zunächst die linke Szene in Kreuzberg zu überzeugen, bevor sie mit Polizei und Innensenator verhandeln. Das größte Versäumnis ist aber der linken Szene zuzuschreiben. Statt den breiten Spielraum eines polizeifreien Kreuzbergs auszuloten, haben einige Gruppen gleich Grottian zum neuen Staatsfeind Nr. 1 erkoren. Spätestens das Abfackeln seines Autos hat die Grenze einer politischen Auseinandersetzung eindeutig überschritten. Zwar kann man nicht die gesamte linke Szene in einen Topf werfen, aber auch diejenigen in Kreuzberg, die den Schreihälsen kritisch gegenüberstehen, haben dem Personenbündnis nicht die geringste Chance gegeben. So bleibt alles wie gehabt - mit einem Unterschied: Nach dem 1. Mai kann niemand behaupten, es habe keine Alternativen gegeben. Nur haben mal wieder die herrschenden Verhältnisse gesiegt. taz Berlin lokal Nr. 6707 vom 22.3.2002, Seite 21, 63 Zeilen

Alles alt macht der Mai
Die Initiative des FU-Professors Grottian für einen friedlichen 1. Mai ist gescheitert. Bei einer Diskussion in der Emmaus-Kirche geht jeglicher positive Ansatz im Gebrüll linker Dogmatiker unter von FELIX LEE und PLUTONIA PLARRE Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, aber spätestens seit Mittwochabend ist klar: Die Initiative des Personenbündnisses um den FU-Professor Peter Grottian "Denk Mai Neu - für einen friedlichen polizeifreien 1. Mai in Kreuzberg" ist gescheitert - weniger an der Polizei oder Innensenator Ehrhard Körting (SPD), als viel mehr an der linksradikalen Kreuzberger Szene. Die Inititative der Grottian- Gruppe - das haben die Äußerungen und Sprechchöre bei der Diskussionsveranstaltung in der Emmaus-Kirche auf dem Lausitzer Platz gezeigt - ist in Kreuzberg nicht gewollt. Nicht nur Körting und Grottian wurden niedergebrüllt, obwohl die beiden an völlig verschiedenen Fronten kämpfen. Auch Michael Kronewetter, Vertreter der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB), die in den letzten Jahren die "Revolutionäre 1. Mai Demonstration" maßgeblich organisierte, und Sascha Kimpel, Sprecher von Attac Berlin, wurde verbal heimgezahlt, dass sie sich dem Bündnis angeschlossen haben. Vom Rest des Publikums, das neben zahlreichen Polizisten in Zivil auch aus dem einen oder anderen Kreuzberger Anwohner und politisch intressierten "Zugereisten" bestand, kam kein nennenswerter Widerspruch. Die Emmaus Kirche war so voll wie lange nicht mehr. Ein Innensenator im Herzen der Bestie? Das wollte sich die rund 250 Köpfe zählende Menge nicht entgehen lassen. Körting kam, entgegen dem Rat seiner Bodyguards, durch den Haupteingang. Wenige Meter vom Rednertisch entfernt bezogen die gut gebauten Leibwächter Aufstellung. Breitbeinig und mit Knöpfchen im Ohr schweiften ihre Blicke rastlos durch das Kirchenschiff. Einer von ihnen umklammerte einen geschlossenen schwarzen Regenschirm, um den Senator vor eventuellen Wurfgeschossen zu beschützen. Doch die Vorsichtsmaßnahme erwies sich als unnötig. Es blieb bei verbalen Attacken, Sprechchören und Pfiffen, die teilweise die Redner auf dem Podium trotz der Mikrofone übertönten. "Was willst du da überhaupt", bekam Grottian zu hören, als er sein Konzept von der polizeifreien Zone in Kreuzberg erläuterte. Die Feststellung des Professors, das Vorhaben stehe auf der Kippe, weil Körting der Polizei die Definitionsgewalt für den 1. Mai Einsatz überlasse, wurde mit dem Zuruf quittiert: "Gott sei Dank". In Anspielung auf den Brandanschlag auf Grottians Auto am Montagabend, skandierte einer aus den hinteren Reihen: "Der Peter Grottian fährt jetzt mit der Straßenbahn". Attac-Sprecher Kimpel zog sich die Wut zu, als er sagte, er erhoffe sich von Veranstaltungen im polizeifreien Areal einen Anstoß, "damit der soziale Widerstand neue Impulse bekommt". Wie das Bündnis dazu komme, das ganze Areal für sich zu reklamieren, brüllte ein Zuschauer. Ein Mann mit verfilzten Haaren machte Kimpel für die Ausreiseverbote der Globaliserungsgegner nach Genua mitverantwortlich: "Du hast dafür gesorgt, dass die Busse an der Grenze in eine Polizeifalle gefahren sind". Kronewetter von der AAB kam vor lauter Buhrufe erst gar nicht zu Wort, schlug sich den Umständen entsprechend aber wacker. Er sei hier, um der linken Öffentlichkeit zu begründen, warum sich die AAB an dem Bündnis beteilige. Eine polizeifreie Zone eröffne die Möglichkeit für "Diskussionen mit Leuten, die man sonst nicht erreicht". Für Erheiterung sorgte Kronewetter, als er erzählte, auch er habe in Erwartung von Eierwürfen einen Schirm mitgebracht. Aber nicht nur das: Er habe auch Eier dabei, um gegebenfalls "zurückzuschmeißen". Für den Rest des Abend ruhte eine Hand in der Nähe des Eierkartons. Als der Diskussionsleiter Werner Orlowsky, Mitglied beim Stadtforum von Unten, dem Innensenator das Wort erteilte, begann die Menge im hinteren Bereich der Kirche zu toben. "Kriegstreiber raus" und "Wer hat uns verraten - Sozialdemokraten". Der Tumult steigerte sich noch, als Körting den Krieg in Afghanistan mit den Worten verteidigte: "Ich bin gegen die Unterdrückung von Frauen." Um so lauter die Antwort der Sprechchöre: "Deutsche Waffen deutsches Geld, morden mit in aller Welt." Der Einzige der aufbegehrte, um für Ruhe zu sorgen, war der stadtbekannte Politaktivist Christian Specht: "Das ist hier keine Politik. Das ist Krieg". Immerhin gelang es Körting ein paar zusammenhängende Sätze zu sagen, die zumindest die ersten beiden Reihen verstanden. Die Kernaussage: Er werde die Veranstaltungen des Bündnisses in einem Areal erlauben, das "weitgehend polizeifrei bleibt". Wesentliche Aufgaben müsse die Polizei aber auch an diesem Tage wahrnehmen können, sagte Körting. Eine solche Zusage genügte Grottian nicht. Sein Bündnis fordere auf jeden Fall auch die Unterlassung von Personenkontrollen um das angemeldete Areal und die in Kreuzberg beginnenden Demonstrationen. Körting wiegelte ab mit einer Begründung, die im Raum wegen des Gebrülls und der Sprechchöre schon gar nicht mehr zu verstehen war. Nach rund zweieinhalb Stunden erklärte Orlowsky die Veranstaltung für beendet. Die mittleren Sitzplätze waren schon längst leer. Mehrere der anwesenden Polizisten in Zivil klopften Körting symbolisch auf die Schultern: "Schön durchgehalten." Körting sagte später zu den anwesenden Pressevertretern, dass trotz des Chaos ein erster Schritt getan sei. Immerhin werde miteinander geredet. Der neben ihm stehende Grottian zeigte sich weniger optimistisch: Die Tendenz steht auf Ausstieg. Am Montag werde sich das Personenbündnis treffen und das Projekt abblasen. Grottian will bis dahin über Alternativen nachdenken: "Wir können uns ja nicht einfach vom Acker machen."

   






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