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taz,  21.03.02, Artikel
   

Feuer und Flamme für Frieden am 1. Mai
Peter Grottian, linker Politologe, will friedlichen Protest am 1. Mai in Kreuzberg. Nun wurde sein Auto angezündet
Wer sich als Linker in die Realpolitik begibt, fällt prompt zwischen alle Stühle. Das muss in Berlin derzeit nicht nur der rot-rote Senat erfahren, sondern auch der Politologe Peter Grottian. Als einer der Letzten der alten Garde linker Professoren am Otto-Suhr-Institut versucht sich der 59-Jährige an einer friedlichen Perspektive für den traditionell krawallreichen 1. Mai in Kreuzberg und wurde nun selbst Opfer dieser Gewalt. Während Grottian auf einem Vorbereitungstreffen in einem Kreuzberger Lokal über ein gewaltfreies Maifest diskutierte, legten Unbekannte einen Brandsatz unter sein Auto. Der Wagen brannte komplett aus.

Dabei hat Grottian es nur gut gemeint. Mit seinem Projekt "Denk Mai neu!" wollte er den 1. Mai "repolitisieren". Zusammen mit Studenten und anderen politischen Initiativen gründete er vor einem halben Jahr das so genannte Personenbündnis. Das Konzept: Mit einem politischem Straßenfest für bis zu 60.000 Menschen in Kreuzberg sollten auch die letzten gewaltbereiten Demonstranten von Krawallen abgehalten werden. Grottian vertraute dabei auf die Eigendynamik der Menschenmassen. Unabdingbar sei aber auch, dass sich die Polizei an diesem Tag aus dem gesamten östlichen Kreuzberg heraushält.

Es war ein ehrgeiziges Projekt. Inzwischen kann es für gescheitert erklärt werden. Denn Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) lehnt Grottians Idee ab. Einen "polizeifreien Raum" werde es nicht geben, schrieb der Senator dem Professor.

Aber nicht nur bei Körting stieß Grottians Konzept auf Bedenken. Kritik kam auch aus Teilen der linksradikalen Szene in Kreuzberg, die in den letzten Jahren für einen erheblichen Teil der Mobilisierung am 1. Mai verantwortlich war. Das Personenbündis sei eine unpolitische Initiative, die nur ihre Feldforschung betreiben wolle, hieß es in einem Papier einer linken Gruppe. Andere forderten: "Professoren raus aus unserem Kiez!" oder warfen Grottian gar "Diktatur von oben" statt "Demokratie von unten" vor, weil er auch mit der Polizei verhandelt.

Dabei unterscheidet sich Grottian erheblich von der sonst üblichen Professoren-Boheme. Als Arbeitsmarkt- und Sozialexperte verzichteten er und ein Kollege vor drei Jahren auf ein Drittel des Professorengehalts. Damit wurde eine Frauenprofessur finanziert. Der Alt-68er, der seit 1974 an der FU unterrichtet, ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass bis heute der Ruf des Otto-Suhr-Instituts als "rote Keimzelle" erhalten geblieben ist. Als er 1984 wegen des Nato-Doppelbeschlusses zum Beamtenstreik aufrief, musste er ein Disziplinarverfahren über sich ergehen lassen. Und vor vier Monaten legte er zusammen mit zwölf weiteren Professoren an der FU für zwei Tage seine Arbeit nieder und initiierte stattdessen ein Teach-in zum Afghanistankrieg. Noch vor kurzem sagte er, Jugendrevolte systematisch zu schüren sei Bürgerpflicht.

Umso übler nehmen ihm anscheinend autonome und kommunistische Gruppen, dass ausgerechnet er zum diesjährigen 1. Mai ein "Befriedungsprojekt" für Kreuzberg initiiert hat. Über Täter und Tatmotive des Brandanschlags auf sein Auto möchte Grottian sich nicht äußern. "Brandsätze sind keine Argumente", sagt er nur. Die Debatte über den 1. Mai in Kreuzberg müsse weitergeführt werden.

FELIX LEE
 






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