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Sueddeutsche Zeitung, 16.04.02
   

Hellgrüner 1. Mai

Die Polizei will sich am Krawall-Tag zurückhalten


Alle Jahre wieder fliegen die Steine, brennen die Autos in Berlin-Kreuzberg. Immer am 1. Mai dreht die Polizei die Wasserwerfer auf, Berliner Autonome und so genannte Krawalltouristen aller Länder vereinigen sich und fordern auf zum Tanz. Viele Strategien hat die Innenbehörde bereits ausprobiert, und auch in diesem Jahr soll – wie schon so oft – eigentlich alles anders werden. Nach dem Wunsch des neuen Berliner Innensenators Ehrhart Körting (SPD) werden die Einsatzkräfte „weitgehend Zurückhaltung“ üben.

Das kündigte der Senator am Montag im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses an. Demnach plant die Polizei, die Demonstrationszüge linksradikaler Gruppen mit „weit weniger“ Beamten zu begleiten als in den Vorjahren. Letztes Jahr erlebte Berlin trotz eines Rekord-Aufgebots von 9000 Polizisten die schwersten Straßenschlachten seit langem – Hunderte wurden verletzt, über 600 Demonstranten festgenommen.

Um der speziellen Berliner Folklore der Mai-Randale in diesem Jahr ein Ende zu setzen, hatte sich in den vergangenen Monaten ein Bündnis aus alternativen Gruppierungen, Vertretern von Parteien, Kirchen und Gewerkschaften formiert. Allerdings ließ sich Körting nicht auf den riskanten, unorthodoxen Vorschlag ein, den die Initiative präsentierte: Ein „polizeifreier 1. Mai“ sollte dafür sorgen, dass Ausschreitungen ausbleiben. Die Polizei sollte sich an jenem Tag aus Kreuzberg zurückziehen, um Krawallmachern keine Angriffsfläche zu bieten. Doch dem Innensenator war diese radikale Deeskalationsstrategie dann doch zu abenteuerlich.

Schon einmal, 1989, hatte man in Kreuzberg das Konzept der „polizeifreien Zone“ ausprobiert. Damals kam es zu den bislang heftigsten Mai- Krawallen. Vor dem Innenausschuss bekräftigte Körting gestern seine Ablehnung des alternativen Konzepts.

Insgesamt sind in Berlin für den 30. April und den 1. Mai bisher 42 Veranstaltungen angemeldet. Dazu gehört neben den traditionellen Gewerkschaftskundgebungen und den Aufzügen autonomer Gruppen – von denen die Straßenschlachten meistens ausgehen – auch ein Aufmarsch der NPD. Nach Auskunft Körtings dürfte die von der rechtsradikalen Partei geplante Demonstrationsroute vom Ostbahnhof zum Alexanderplatz jedoch kaum genehmigt werden. Egal wo der NPD-Aufmarsch stattfindet, antifaschistische Gruppierungen haben bereits Gegendemonstrationen und Sitzblockaden angekündigt. Ob es beim friedlichen Protest gegen die Rechten bleiben kann, scheint nach den Erfahrungen der Vergangenheit zumindest zweifelhaft.

Besondere Brisanz erhielte der 1. Mai, wenn, wie schon im vergangenen Jahr, Demonstrationen der Linken verboten würden und zugleich die NPD durch das symbolträchtige Zentrum Berlins ziehen dürfte. Für ein Verbot der linksradikalen Demonstrationen zum „revolutionären 1. Mai“ gebe es derzeit allerdings keine hinreichenden Anhaltspunkte, so eine Sprecherin des Berliner Innensenators.

Den Aufruf der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) an alle Parteien, Verbände und Organisationen, in diesem Jahr am 1. Mai auf Kundgebungen zu verzichten, um Gewalttätern keine Deckung zu geben, hält man in der Innenverwaltung für nicht realistisch. Deshalb rüste man sich trotz der angekündigten Zurückhaltung für alle Eventualitäten, hieß es dort. Schließlich müsse die Polizei an allen Stellen präsent sein, an denen Gewalt drohe. lkl 





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