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Neues Deutschland, 20.02.02, Artikel
   

»Denk Mai Anders« wider Barrikadenkampf

Bündnis bereitet Foren über Gott und die linke Welt vor/Diskussionspapier aus der autonomen Szene.

Von Rainer Funke

Guten Mutes ist man bisher beim Personenbündnis, das einen gewaltfreien politischen 1. Mai in Kreuzberg organisieren will. Wie es heißt, hätten Senat und Polizeiführung eine »kritisch-wohlwollende Zustimmung« für das Projekt durchblicken lassen. Was faktisch bedeuten würde, dass an jenem Tag der übliche Polizeiaufmarsch im Stadtteil ausbleibt.

Das Bündnis-Programm steht in wesentlichen Teilen fest. Es baut auf Pluralität und lässt unterschiedliche Radikalität zu. Zwischen 13 und 17 Uhr soll es auf verschiedenen Plätzen Foren und Streitgespräche geben – und zwar gewissermaßen über Gott und die linke Welt von Globalisierung über Rassismus, Arbeitslosigkeit, Geschlechterdemokratie, Bildung, ökologische Metropole, Obdachlosigkeit bis ziviler Ungehorsam und Gewalt. Das alternative Volksfest auf dem Mariannenplatz wird vorbereitet.

Auch eine zweistündige »Revolutionäre 1.-Mai-Demo« – die 15. seit dem »Aufstand« anno 1987, wie sie in einem Diskussionspapier der autonomen Szene genannt wird – gehört ab 17 oder 18 Uhr zum Programm, obgleich das Personenbündnis zu derselben nicht aufrufen will. Aus gutem Grunde. Denn während dieses Marsches bzw. danach war es seit Jahren nahezu zwanghaft zu Straßenschlachten und Barrikadenkämpfen mit der Polizei gekommen.

Zu den Folgen gehörten bekanntlich Verletzte auf beiden Seiten, demolierte Autos, zertrümmerte Schaufenster und Wartehäuschen. Solchen Gewaltritualen entgegenzutreten, ist wichtigstes Motiv des Personenbündnisses, dessen Motto lautet: »Denk Mai Anders. Ein politischer und polizeifreier Erster Mai ist möglich«. »Die Attraktivität muss so groß sein, dass 40- bis 60000 Berliner das neue Projekt Kreuzberg 2002 besuchen und die Massenpräsenz eine neue Qualität von themenbezogener Auseinandersetzung schafft und Gewalt unmöglich macht«, wird im Gründungsaufruf festgestellt.

Dass dies schwierig werden dürfte, macht das erwähnte »Diskussionspapier zum Revolutionären 1. Mai« deutlich, das mit »Kommunistische und autonome Gruppen« signiert ist. Man beschimpft das Personenbündnis, das »sich mit einem vermeintlichen Befriedungsprojekt beim rot-roten Senat anzubiedern« versuche. Auch grüne und rote BürgermeisterInnen würden in Kreuzberg nichts verändern – es gehe ihnen allein um »den weiteren Aufstieg zu einem abgesicherten Mittelstand«. Das Mai-Projekt sei darauf aus, »soziale Aufstände zu unterdrücken«.

Nach Angriffen auf die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) und die Ortsgruppe von Attac, die zu manch Verwunderung innerhalb der autonomen Szene den Gründungsaufruf für das Personenbündnis unterzeichnet hätten, verweigert man sich jedweder Toleranz mit jenen, »die uns auffordern, unsere sozialen Kämpfe zu beenden und uns dafür Happenings, Karnevals und ähnliches feilbieten wollen«. Die Gruppen wollten eher dafür sorgen, »dass der bullenfreie politische Raum in Kreuzberg offensiv dazu genutzt wird, sich konkret damit auseinander zu setzen, wie jetzt der Widerstand von unten gegen den bevorstehenden sozialen Kahlschlag umgesetzt werden kann«.

Man werde am 1. Mai »auf breiter Basis im Kiez und auf der Demo unseren Widerstand gegen den sozialen Kahlschlag auf die Straße« tragen und ein Zeichen setzen für eine »Autonome Republik Kreuzberg (Kommune)« – »als Auftakt einer autonomen Organisierung der Unterdrückten in Form von Straßen- und Stadtteilversammlungen«. Ein direkter Aufruf zur Gewalt findet sich nicht in dem Diskussions-Papier. Das Thema wird von den Autoren – wie in den Jahren zuvor auch – im Vorhinein tunlichst vermieden.

   





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