p r e s s e |  & - m i t t e i l u n g         von:
Berliner Morgenpost, 22.03.02, Artikel
   

Furcht vor «bürgerkriegsähnlichen Zuständen»

Ex-Innensenator Werthebach empfiehlt hartes Durchgreifen am 1. Mai - Bündnis zur Deeskalation steht ooffenbar vor der Auflösung

Von Stefan Schulz

Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hat angekündigt, schon vor dem 1. Mai Aufenthaltsverbote für potenzielle Steinewerfer auszusprechen. Die Polizei müsse zudem Präsenz in Kreuzberg zeigen, um zu verhindern, dass sich gewaltbereite Autonome im Bezirk einen rechtsfreien Raum sichern. Ein Bündnis verschiedener Personen und Gruppierungen hatte demgegenüber gefordert, zur Deeskalation am 1. Mai in Teilen Kreuzbergs ganz auf einen Polizeieinsatz zu verzichten.

«Der Ansatz des Personenbündnisses ist richtig», sagt Körting, «wir sind auch für einen gewaltfreien 1. Mai. Aber die Bereitschaft dazu muss von allen Seiten kommen.» Diese Bereitschaft ist aus Sicht des Senators nicht vorhanden: Eine Veranstaltung des Kreuzberger «Stadtforums von Unten» am Mittwochabend in aufgeheizter und gewaltbereiter Atmosphäre, Erkenntnisse von Polizei und Verfassungsschutz sowie Aufrufe linksradikaler Gruppen im Internet ließen befürchten, dass es auch in diesem Jahr zu den alljährlich üblichen Gewaltritualen kommen könnte.

Ex-Innensenator Eckart Werthebach (CDU) bestärkte Körting jetzt in der Absicht, durchzugreifen. Er befürchte Krawalle «bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Ich kann Herrn Körting nur zu einer massiven Polizeipräsenz raten», sagte Werthebach der Berliner Morgenpost. «Ich bin überzeugt, dass damit angesichts der vorhandenen Gewaltbereitschaft Schlimmeres verhindert werden kann.»

Der CDU-Politiker sprach sich dafür aus, die harten Maßnahmen der vergangenen Jahre wieder aufzugreifen. Also auch Personenüberprüfungen von potenziellen Gewalttätern. «Es muss auch Kontrollen geben außerhalb Berlins, an den Bahnhöfen.» CDU-Innenexperte Roland Gewalt forderte sogar eine Ausdehnung des Unterbindungsgewahrsams von zwei auf vier Tage, damit die Rädelsführer bereits im Vorfeld «aus dem Verkehr gezogen werden, damit Krawallmachern die Speerspitze genommen wird».

Politikprofessor Peter Grottian hält diese Vorschläge für ganz und gar ungeeignet. Mit dem Personenbündnis «Denk Mai Neu!» wollte er die Szene beruhigen und den 1. Mai «repolitisieren». Das heißt, er wollte mit kulturellen und politischen Aktionen die historische Bedeutung des Tages wieder stärker ins Bewusstsein rücken und dabei auch gewaltbereite Gruppen integrieren. Die Forderung des Bündnisses nach einem polizeifreien Raum um Oranien- und Mariannenplatz hat Senator Körting aber zurückgewiesen.

Grottian sieht deswegen seine Initiative kurz vor dem Ende. «Wenn wir am Montag möglicherweise beschließen, uns aufzulösen, werden wir uns aber nicht zurückziehen, sondern andersartig einmischen.» Nach Grottians Ansicht war es schon ein kleiner Erfolg, einige Wochen vorher über den Kreuzberger 1. Mai zu reden.

Derweil haben sich verschiedene linke Gruppierungen gegen das Personenbündnis gestellt, dem sie vorwarfen, dem «Einsatzplan der Polizei eine politische Deckung zu liefern». Gleichzeitig riefen sie zum Teil recht deutlich dazu auf, «Widerstand» zu leisten. Dabei wurde auch die Militanz der vergangenen Jahre gelobt. In diesem Jahr sind neben den Veranstaltungen des Personenbündnisses, so sie stattfinden sollten, Demonstrationen der «Antifaschistischen Aktion Berlin» (AAB) und des «Revolutionären 1. Mai-Bündnisses» geplant.

Die Kreuzberger SPD lehnte zudem am Mittwoch in der BVV einen Antrag von PDS und Grünen ab, das Personenbündnis grundsätzlich zu unterstützen. Der Aufruf lasse die nötige Objektivität vermissen und weise der Polizei zu einseitig die Schuld zu, sagte auch der FDP-Fraktionsvorsitzende Helmut Borchardt. Die Öffentlichkeitsfahndung mit Plakaten nach Steinewerfern vom vergangenen 1. Mai ist seit gestern eingestellt, die Plakate wurden abgehängt. Die Polizei hatte so Hinweise auf 30 mutmaßliche Gewaltäter bekommen.
 

   





1
Hosted by www.Geocities.ws

1