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junge Welt, 28.03.02, Artikel + Interview
   

Alle Jahre wieder

1.-Mai-Initiative in der Hauptstadt gescheitert. Auseinandersetzungen zu erwarten.

Daniel Behruzi

Die Ziele, für die sich das Personenbündnis »Denk Mai neu - Für einen politischen und polizeeifreien 1.Mai« eingesetzt hat, sind nicht erreicht worden. Das teilten die Initiatoren des Bündnisses, in dem sich Einzelpersonen aus unterschiedlichen Teilen der Berliner Linken zusammengeschlossen haben, am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in der Hauptstadt mit. Zentrale Forderung und Voraussetzung für das Konzept der Initiative war eine »polizeifreie Zone« am 1. Mai in Berlin-Kreuzberg. »Polizeieinsätze in dem deklarierten Areal sollten sich auf Notfälle beschränken, und Einsatzwagen sollten nur mit zwei normal uniformierten Beamten besetzt sein«, erläuterte Peter Grottian, einer der Initiatoren des Bündnisses, das Konzept. Überraschenderweise habe es mit Vertretern der Polizei anfangs einen Konsens in dieser Frage gegeben, »obwohl das dem üblichen Selbstverständnis der Polizei ja eigentlich widerspricht«, so Grottian. Inzwischen aber habe Innensenator Ehrhart Körting (SPD) diese Idee beerdigt, indem er der Polizei die alleinige Definitionsmacht über Polizeiaktionen am 1. Mai übergeben habe.

Michael Kronewetter, Vertreter der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) im Bündnis, sagte, es habe von seiten der politisch Verantwortlichen »an positiven Signalen gefehlt«. Die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte, wie sie vom Senat geplant ist, »gerade zum 1.Mai wäre ein solches Signal gewesen«, sagte Kronewetter. Dafür trage nicht nur Körting, sondern der gesamte SPD/PDS-Senat die Verantwortung, so der AAB-Vertreter.

Die negative Entscheidung des Innensenators sei der Hauptgrund dafür, daß das Bündnis sein ursprüngliches Konzept aufgebe und die Anmeldung für das Areal zurückziehe, erklärte Grottian. Trotzdem wolle sich das Bündnis nicht auflösen, sondern »einen Funktions- und Rollenwechsel in Gang bringen«, so Mitinitiator und ATTAC-Mitglied Sascha Kimpel. Das Bündnis plane nun, sich auf politische Veranstaltungen auf dem Oranienplatz im Bezirk Kreuzberg, zu konzentrieren. Ein weiterer Schwerpunkt liege auf der Bildung von Beobachtergruppen in Zusammenarbeit mit dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, die laut Grottian »eine qualifizierte und neutrale Beobachtung« der Ereignisse am 1.Mai garantieren sollen. Desweiteren gelte es, sich dem für den 1. Mai ebenfalls geplanten Aufmarsch von Neonazis entgegenzustellen.

Auch innerhalb der Linken hatte es erhebliche Vorbehalte und Widerstände gegen das ursprüngliche Konzept gegeben. »Die zentrale Schwäche unseres Projektes liegt darin, daß wir keine Macht und Akzeptanz von unten zu dynamisieren vermochten, um unsere Ziele zu realisieren«, heißt es in einer Erklärung des Bündnisses. Zwar habe sich »durch die Diskussion eine ganze Menge bewegt, aber die traditionellen Handlungsmuster sind dann doch dominant geblieben«, meinte Grottian. Laut Kimpel hätten »SPD und PDS Alternativen zum konventionellen Polizeieinsatz gehabt, entsprechende Vorschläge wurden aber ohne große Not ausgeschlagen. Sie tragen jetzt die volle Verantwortung für das, was am 1.Mai in Kreuzberg passieren wird.«



Mai-Randale der Berliner Polizei gesichert: Politisierungsinitiative schließlich gescheitert?

jW sprach mit Peter Grottian, Vertreter des Komitees für Grundrechte und Demokratie im Personenbündnis »Politischer 1. Mai 2002« in Berlin


Interview: Daniel Behruzi

F: Sie haben sich an einer Initiative für einen politischen und polizeifreien 1. Mai in Kreuzberg beteiligt. Innensenator Ehrhart Körting hat die Forderung nach einer polizeifreien Zone für Kreuzberg abgelehnt. Ist Ihr Konzept damit gescheitert?

Das Ergebnis ist insofern etwas paradox, als wir mit der Polizei die polizeifreie Zone in Kreuzberg erfolgreich ausgehandelt haben. Um so erstaunlicher ist, daß der Senator sich auf diese Linie nicht einläßt. Meiner Meinung nach ist der Grund dafür, daß Teile der Polizeiführung das Konzept nicht tragen und er selbst aus der SPD Druck bekommen hat, damit er sich nicht auf ein so demokratiebezogenes Experiment einläßt.

F: Es gab auch innerhalb der Berliner Linken massive Auseinandersetzungen um das Konzept. Dem Bündnis wurde vorgeworfen, es habe nicht hinreichend genug versucht, sich mit Gruppen vor Ort zu koordinieren.

Ich glaube, daß die Kritik zum Teil richtig ist. Das Bündnis hat zwar eine Reihe von Versuchen unternommen, mit ganz unterschiedlichen politischen Initiativen und Gruppen ins Gespräch zu kommen, aber nicht nachhaltig genug. Man muß allerdings auch den einzelnen politischen Initiativen und Gruppen sagen, daß sie ab Mitte Dezember wußten, daß es uns gibt. Deren Versuche, mit uns ins Gespräch zu kommen, waren auch nicht übermäßig ausgeprägt.

F: Was sagen Sie zu dem Vorwurf, das Bündnis habe eine »Befriedungsstrategie« betrieben?

Wir wollten durch die Entwicklung überzeugender Vorstellungen einen neuen Schub gesellschaftlicher Auseinandersetzungen provozieren. Insofern ist das Etikett »Befriedung« falsch.

F: Das Bündnis will beim diesjährigen 1. Mai nun eine politische Veranstaltung, Demonstrationsbeobachtung und Aktivitäten gegen den Neonazi-Aufmarsch organisieren. Wie wird es insgesamt weitergehen? Wird es im nächsten Jahr eine ähnliche Initiative geben?

Ich bin dafür, es zu versuchen, und zwar mit etwas veränderter Strategie. Aber wir dürfen nicht so 1.-Mai-fixiert sein. Wir müssen jetzt dafür sorgen, daß dem Bush-Besuch und der Militarisierung mit einer machtvollen Demonstration begegnet wird. Ich glaube, daß die Linke in Berlin gerade in der Kriegsfrage ganz gute Chancen hat, wieder etwas näher zusammenzurücken, trotz aller Differenzen, die sie hat.

F: Sind Sie enttäuscht oder meinen Sie, daß die Initiative positive Auswirkungen gehabt hat?

Ich glaube, daß wir eine Menge Diskussionen über das Politische des 1. Mai und über die unterschiedlichen Umgangsformen damit angestoßen haben und daß das auch Folgen haben wird. Ich meine, wenn man nicht nur 1.-Mai-fixiert ist, sondern als Ziel hat, einen politischen Selbstverständigungsprozeß der Linken wieder zu dynamisieren und inhaltliche Konzepte und Konfliktstrategien zu entwickeln, dann ist unser Ergebnis vorzeigbar.



   





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