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Frankfurter Rundschau, 09.03.02
   

Friede, Freude, Feiertagsstimmung

Am 1. Mai sollen in Kreuzberg die Menschen auf die Straße gehen - um über globale Ausbeutung, Krieg und Rasterfahndung zu diskutieren

Von Rainer Jung

Wenn Leute wie Werner Orlowsky früher nicht so erfolgreich gewesen wären, dann hätte Berlin heute vielleicht ein Problem weniger. Dann müsste niemand bange rätseln, ob in knapp zwei Monaten rund um den Oranienplatz wieder Steine und Gummiknüppel fliegen. Ohne Leute wie Orlowsky gäbe es wohl schon lange keinen Oranienplatz mehr und damit auch keinen traditionellen Treffpunkt für die "Revolutionäre 1. Mai-Demo", bei der es häufig zu Prügeleien mit der Polizei kommt. Über den Platz könnte man auf einer Stadtautobahn, wie sie betonselige Planer in den siebziger Jahren quer durch Kreuzberg schlagen wollten, mit Tempo 100 fahren. Und allen davonbrausen, die einen mit dem Elend der Welt belasten wollen.

Doch Werner Orlowsky hatte Erfolg, und das macht die Dinge komplizierter. Denn Erfolg verpflichtet. Der beleibte, bärtige Mann wird bald 74. Er mag trotzdem nicht aufhören, sich einzumischen. Fast ein Reflex, seit er an einem Abend des Jahres 1976 seine Drogerie in der Dresdner Straße abschloss und ein paar Türen weiter den "Mieterladen" betrat. Aus Neugierde, daran erinnert er sich: "Das war das Zentrum der legalen Opposition."

Orlowsky blieb im legalen Zentrum hängen und stritt hinfort mit seinen neuen Freunden für ein lebenswertes Kreuzberg - gegen Autobahnbau und Kahlschlagsanierung. Man organisierte Sanierungsbeiräte und Subventionen, feierte das erste Solardach Deutschlands, focht für Efeuranken in den Hinterhöfen. Man versuchte zu verhindern, dass armen Bewohnern "die Wohnung über dem Kopf wegsaniert" wird und schimpfte über Spekulanten und Hardliner im Innensenat.

Als 1981 gut 100 vernachlässigte Gebäude in Kreuzberg besetzt waren, wurde der abgebrochene Geschichtsstudent und Drogist Orlowsky mit dem Ticket der Alternativen Liste Baustadtrat des Arbeiterbezirks. Wer heute mit ihm durchs Viertel streift, der kann in jeder Straße eine Geschichte aus dieser Zeit hören. Etliche Male hat der gemütliche Mann Räumkommandos der Polizei hingehalten. Dabei hat er sich nicht nur Freunde gemacht: Einmal haben ihn erzürnte Besetzer bedroht, aus Polizeikreisen wurde ihm wiederum der rüde Spruch zugetragen, er möge sich nicht unvorsichtig vor einen Einsatz-Lkw stellen. Aber gar nicht so selten konnte Orlowsky in letzter Sekunde noch einen Kompromiss aushandeln. "Ein paar von den damaligen Besetzern grüßen mich immer noch freundlich", sagt er mit dem knappen Lächeln eines Mannes, der nicht allzu laut von früher schwärmen möchte. Vor allem, weil ihm die Erinnerung deutlich macht, wie viel Zeit seitdem vergangen ist.

Vor einigen Wochen hat der Kiez-Aktivist im Ruhestand beschlossen, sich noch einmal einem Problem anzunehmen, das ihm schon in seiner politischen Laufbahn graue Haare machte: Die ersten Mai-Krawalle entluden sich 1987, Hausbesetzer stellten die Kerntruppe der Militanten. Seitdem hat in Berlin kein Wonnemonat ohne Scherben und Verletzte begonnen, egal ob die Staatsmacht Deeskalation ankündigte oder aggressiv dreinschlug, und unabhängig davon, dass es kaum noch besetzte Häuser gibt. Manche Autonome und Polizisten machten ein Ritual daraus, "einen Pas de deux der Gewalt auf dem Rücken der Bewohner", stöhnt Orlowsky.

Um den fatalen Reigen zu durchbrechen, hat der Politikwissenschaftler Peter Grottian für dieses Jahr einen Plan ausgeheckt, der auch Orlowsky überzeugte: Im Herzen des Bezirks soll ein gigantisches linkes Fest endlich wieder die Massen zum Diskutieren, Demonstrieren und Feiern auf die Straße bringen. Auch radikale Gruppen und die "Revolutionäre 1. Mai-Demo" haben ihren Platz, die Polizei dagegen nicht. Bloß nicht provozieren sollen die Ordnungshüter und sich nur in Notfällen blicken lassen, worunter der Professor "eine Messerstecherei in der Kneipe" verstehen möchte. Ansonsten schwebt Grottian vor, dass die Festbesucher für Frieden sorgen. Nicht mit Hilfe von Ordnern, sondern durch soziale Kontrolle der politisch Bewussten: Wo bis zu 60 000 Menschen ernsthaft und ungestört über globale Ausbeutung, Krieg oder Rasterfahndung reden, sei die Schwelle für Gewalttäter hoch.

Mit seinen Erwartungen bewegt sich Grottian im Bereich des soziologischen Experiments. Trotzdem mühen sich nun fünf Dutzend Menschen - darunter Landtagsabgeordnete von Grünen, SPD und PDS, Gewerkschafter, die Globalisierungskritiker von Attac, Studenten und ein Kreuzberger Glasermeister - ihn zu verwirklichen. Die meisten imm "Personenbündnis denk' Mai neu" tun es nach dem Prinzip Hoffnung, wie Werner Orlowsky. Alle anderen Strategien seien gescheitert, meint der: "Wenn ich für die Polizei verantwortlich wäre, ich würd's versuchen. Auch wenn es den Kopf kosten kann." Innensenator Ehrhart Körting sieht das etwas anders. Immerhin lässt der SPD-Politiker Gespräche über die Open-Air-Idee führen. Die Polizeiführung, zunächst für einen harten Kurs, gibt sich auch gesprächsbereiter.

Zentrale Fragen sind gleichwohl offen. Zum Beispiel die, wer für Zerstörungen haften muss, falls es doch krachen sollte. Eine Frage, bei der sich auch Orlowsky unwohl fühlt: "Ruinieren will sich keiner." Die größte Unbekannte bilden Berlins Autonome sowie jene jugendlichen Trittbrettfahrer, die in den vergangenen Jahren die Randale prägten. Auf Internetseiten wie "indymedia" ringt die extreme Linke um das Für und Wider eines Militanz-Verzichts. Während die einen ernüchtert warnen, man werbe das Proletariat nicht für die Revolution, indem "15-jährige Riotkids" dessen Autos verbeulten, halten andere Wehrhaftigkeit für einen maßgeblichen Beitrag zur Systemveränderung.

Den will man sich von "bürgerlichen Befriedern" nicht wegnehmen lassen. Die "Autonome Antifa Berlin", die sich am Grottian-Bündnis beteiligt, bekommt Druck aus der Szene. Er wächst, weil die Versammlungsbehörde den Umzug einer weiteren linken Gruppe nicht genehmigen will. Begründung: Die Route sei durch das Straßenfest belegt - was Katja Grote vom Personenbündnis als Versuch wertet, "uns gegeneinander auszuspielen". Und zu allem Überfluss hat auch noch die NPD angekündigt, am 1. Mai zu marschieren.

Die wachsende Unübersichtlichkeit lässt viele im Mai-Bündnis schon skeptischer auf das magische Datum blicken. Eine "Hinhaltetaktik" der Behörden wollen die Veranstalter nicht akzeptieren, lieber alles abblasen, sollte sich der Innensenator nicht bis Anfang April auf einen Rückzug der Polizei festlegen. Werner Orlowsky ist dabei, eine öffentliche Diskussion zwischen Körting und den Linken zu organisieren. Deutlicher als manche seiner Partner mahnt er auch die Hardcore-Autonomen. Natürlich müssten die das Recht haben, für ihre Meinung zu demonstrieren, sagt er, "aber es bringt nur Konflikte, wenn die Minderheit der Mehrheit etwas aufzwingen will". Klar ist für den Kreuzberger nur eines: Sollte sich die Krawall-Spirale wieder durchs Viertel bohren, hinterließe sie bleibende Schäden. "Die Leute hier haben es schwer genug", sagt Orlowsky. Und in der Außenwelt könnte sich der schnöde Eindruck verfestigen, dass die alte Idee mit der Autobahn über den Oranienplatz gar nicht so schlecht war.

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Dokument erstellt am 08.03.2002 um 21:15:44 Uhr
Erscheinungsdatum 09.03.2002




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